Leitsatz (redaktionell)

Der Versicherungsschutz nach RVO § 537 Nr 10 hängt davon ab, ob es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit gehandelt hat, die dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach. Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Unternehmen ist nicht erforderlich.

Auch sportliche Betätigungen können unter bestimmten Umständen nach der Verkehrsanschauung als Arbeitsleistungen gewertet werden.

 

Normenkette

RVO § 537 Nr. 10 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 19. Februar 1957 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger und der Berufungsklägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der im Jahre 1921 geborene Kläger, von Beruf technischkaufmännischer Angestellter, erlitt am 6. Oktober 1951 beim Zureiten eines Pferdes einen Unfall. Eigentümerin des Pferdes war die Wirtschafterin H. W. (Berufungsklägerin). Das Pferd war zur Unfallzeit im Beginn der Ausbildung als Sprung- und Reitpferd und sollte später auch als Gebrauchspferd verwendet werden. Auf die Bitte der Eigentümerin ritt der Kläger, der seit seinem 18. Lebensjahr Turnierreiter ist, das Pferd ohne Bezahlung etwa ein halbes Jahr lang durchschnittlich zwei- bis dreimal wöchentlich in seiner freien Zeit zu. Die Eigentümerin hätte das Pferd ohne die Hilfeleistung des Klägers in einen Tattersall geben oder von einem berufsmäßigen Zureiter ausbilden lassen müssen.

Die ..., bei der zugunsten der Eigentümerin eine Versicherung gegen die durch das Pferd ausgelösten Haftpflichtansprüche bestand, verweigerte die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen des Klägers, weil es sich nach ihrer Auffassung um einen Arbeitsunfall nach § 537 Nr. 10 der Reichsversicherungsordnung (RVO) handelte.

Durch Bescheid vom 30. März 1953 lehnte die Beklagte eine Entschädigung des Klägers aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, das Zureiten des Pferdes sei eine unversicherte Freundschafts- und Gefälligkeitsleistung gewesen.

Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers ist als Klage auf das Sozialgericht (SG.) übergegangen. Der Kläger hat geltend gemacht, er sei im Interesse der Pferdehalterin an Stelle eines sonst nötig gewesenen Ausbilders, nicht aus bloßer Gefälligkeit, tätig geworden. Das SG. hat, nachdem es die Eigentümerin des Pferdes als Zeugin vernommen hatte, die Klage durch Urteil vom 16. September 1954 abgewiesen. Es hat die Voraussetzungen des Versicherungsschutzes nach § 537 Nr. 1 und 10 RVO nicht für gegeben erachtet und ausgeführt: Ein Beschäftigungsverhältnis habe nicht bestanden; an der für Nr. 10 des § 537 RVO zu fordernden persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit habe es gefehlt, weil es sich um eine nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen, sondern lediglich aus persönlicher Freundschaft übernommene Leistung gehandelt habe, bei der ein Nutzen für das Unternehmen nur nebenbei angefallen sei.

Dieses Urteil hat nicht der Kläger, sondern die Pferdeeigentümerin H. W. angefochten. Zur Begründung der Berufung hat sie u.a. ausgeführt, durch die angefochtene Entscheidung werde dem Kläger die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Zivilprozeß ermöglicht (§§ 898, 901 RVO) und daher ihr Interesse berührt.

Das Landessozialgericht (LSG.) hat den Verletzten und die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft ... beigeladen.

Durch Urteil vom 19. Februar 1957 (veröffentlicht in Breith. 1957 S. 997) hat das LSG. die Beklagte verurteilt, dem Verletzten die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung des Urteils ist im wesentlichen ausgeführt worden: Die Berufungsklägerin sei nach § 902 RVO berechtigt, als Unternehmerin Rechtsmittel einzulegen; die Voraussetzungen des § 537 Nr. 10 RVO seien erfüllt, da persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Unternehmer nicht erforderlich und das Motiv des Tätigwerdens unerheblich sei; es müsse sich nur um eine nutzbringende Arbeit handeln, die üblicherweise von bezahlten Kräften - wenn auch nur vorübergehend - verrichtet werde; der Verletzte habe für die Unternehmerin eine Arbeit geleistet, die dem Unfallbetrieb in einem wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Maße dienlich und förderlich gewesen und die auch als eine Arbeit des allgemeinen Arbeitsmarktes zu werten sei; denn ohne diese Hilfeleistung hätte das Pferd - wie die spätere Berufungsklägerin als Zeugin vor dem SG. glaubhaft bekundet habe - in einen Tattersall gegeben oder von einem berufsmäßigen Zureiter zugeritten werden müssen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese fristgerecht begründet. Nach ihrer Auffassung fehlt es an den Voraussetzungen des § 537 Nr. 10 RVO, weil der Kläger sich rein sportlich betätigt und keine Arbeit geleistet habe, im übrigen aus Gefälligkeit ohne Entgelt tätig geworden und nicht persönlich und wirtschaftlich von der Unternehmerin abhängig gewesen sei. Sie beantragt, unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Kläger, Berufungsklägerin und Beigeladene beantragen, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig.

Abweichend vom LSG. hat der Senat den Verletzten im Urteilskopf nicht als Beigeladenen, sondern als Kläger aufgeführt.

Für seine Beiladung im zweiten Rechtszug bestanden keine Möglichkeit und kein Bedürfnis. Die Beiladung ist das dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren eigentümliche Mittel, andere, die nicht Kläger oder Beklagte sind, am Rechtsstreit zu beteiligen. Der Verletzte hat aber seine Stellung als Kläger auch im weiteren Verfahren nicht dadurch verloren, daß er sich mit der Entscheidung des SG. zunächst zufrieden gab. Durch die Berufung der Eigentümerin des Pferdes ist vielmehr das ursprüngliche Verfahren fortgesetzt worden, ohne daß einer der bisher Beteiligten aus dem Rechtsstreit ausgeschieden wäre.

Das LSG. hat mit Recht die Berufung als zulässig angesehen. Obwohl die Berufungsklägerin im ersten Rechtszug noch nicht Beteiligte war, konnte sie nach § 902 RVO als Unternehmerin, die vom Verletzten auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, statt des Berechtigten im eigenen Namen das Rechtsmittel einlegen (vgl. BSG. Bd. 5 S. 168 [170]).

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Ohne Rechtsirrtum hat das LSG. die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO bejaht, wobei es die abweichende Rechtsprechung des früheren Bayerischen Landesversicherungsamts ausdrücklich aufgegeben hat. Das angefochtene Urteil stimmt in allen wesentlichen Punkten mit den Grundsätzen überein, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Mai 1957 (BSG. 5 S. 168 ff.) zur Auslegung des § 537 Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO aufgestellt hat. Danach hängt der Versicherungsschutz gemäß § 537 Nr. 10 RVO davon ab, ob es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit gehandelt hat, die dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach; durch die Tätigkeit muß ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt worden sein.

Der Kläger ist wie ein in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis stehender berufsmäßiger Zureiter tätig geworden. Daß es solche berufsmäßigen Zureiter gibt, also Personen, die gegen Entgelt Pferde für die Verwendung als Sprung-, Reit- oder Gebrauchspferde zureiten, folgt aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG., die von der Revision nicht angegriffen worden und daher für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindend sind. Der Kläger hat eine Tätigkeit ausgeübt, die - nach den ebenfalls bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG. - ohne seine Hilfeleistung von einem solchen berufsmäßigen Zureiter hätte verrichtet werden müssen. Im Gegensatz zur Auffassung der Revision ist es für die Anwendbarkeit des § 537 Nr. 10 RVO unerheblich, daß ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zur Unternehmerin, der Eigentümerin des Pferdes, nicht bestanden hat (BSG. 5 S. 173). Auch der Beweggrund für die Übernahme der Tätigkeit ist ohne Belang (BSG. 5 S. 172). Zwar hat der Kläger aus Gefälligkeit gegenüber der Unternehmerin das Zureiten unentgeltlich übernommen; seine Tätigkeit war jedoch nach dem Willen der Unternehmerin auf einen dem Unternehmen förderlichen Erfolg gerichtet: Das Pferd sollte als Sprung-, Reit- und Gebrauchspferd zugeritten werden. Dabei hat es sich nach der Auffassung des LSG. um eine ernstliche Arbeitsleistung und nicht um ein bloßes Freizeitvergnügen des Klägers aus sportlicher Liebhaberei gehandelt, für das nach Sinn und Zweck der Sozialversicherung eine Entschädigung nicht geleistet werden könnte. Das hiergegen gerichtete Revisionsvorbringen läßt nicht erkennen, inwieweit das LSG. den tatsächlichen Umstanden des Falles nicht gerecht geworden sein soll. Versicherungsschutz besteht zwar nach § 537 Nr. 1 und damit auch nach Nr. 10 in Verbindung mit Nr. 1 RVO nur für Unfälle, die bei einer Arbeitsleistung eintreten. Arbeitsleistung ist ein menschliches Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung wirtschaftlich als Arbeit zu werten ist (vgl. Hueck-Nipperdey Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Aufl. 1959, I. Bd. S. 34; Maus Handbuch des Arbeitsrechts, 2. Aufl. Bd. I Teil II S. 27). Bei Sport und Spiel fehlt im allgemeinen das für den Begriff der Arbeit zu fordernde wirtschaftliche Moment. Trotzdem können auch sportliche Betätigungen unter bestimmten Umständen nach der Verkehrsanschauung als Arbeitsleistungen gewertet werden. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn der Sport als Mittel zum Gelderwerb oder zum Zwecke des Lebensunterhalts ausgeübt wird (Berufssport), sondern auch dann, wenn eine an sich dem Gebiet der nichtberuflichen Sportausübung zuzurechnende Betätigung - wie im Falle des Klägers - bewußt auf die Erzielung eines wirtschaftlichen Erfolges gerichtet ist (vgl. BSG. Urteil vom 23.6.1959 - 2 RU 83/57 - zur Versicherungspflicht eines Jockeis).

Die Revision der Beklagten war hiernach zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI5158797

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