Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

1. … 2. …

 

Tatbestand

I

Umstritten ist, ob die Abtretung eines Teils der Erwerbsunfähigkeits-Rente (EU-Rente) des Klägers insoweit unwirksam ist, als dieser hierdurch sozialhilfebedürftig geworden ist.

Der Kläger bezieht seit 1980 EU-Rente. Mit Bescheid vom 7. Juli 1983 wurde für die Zeit ab 1. Juli 1983 ein Auszahlungsbetrag von 1.456, 50 DM ausgewiesen. Dieser erhöhte sich im Zuge späterer Rentenanpassungen.

Mit Erklärung vom 11. August 1980 erkannte der Kläger eine Forderung der Firma R. K., P., in Höhe von 663, 70 DM zuzüglich Zinsen und Kosten an und verpflichtete sich, diese in monatlichen Raten von 10,-- DM ab 1. September 1980 zu begleichen. Zur Sicherung aller gegenwärtigen und künftigen Forderungen der Gläubigerin trat er an diese u.a. "den jeweils pfändbaren Teil" der ihm zustehenden Rentenansprüche gegen die "jeweils zuständige auszahlende Stelle" ab. Diese Erklärung wurde von dem Inkassobüro K. R. mit Schreiben vom 3. April 1985 der Beklagten übermittelt mit der Bitte, den abtretbaren Teil der Rente an das Inkassobüro zu überweisen. Unter dem 24. Juni 1985 teilte das Inkassobüro mit, daß sich die Forderung mittlerweile auf 2.646, 23 DM belaufe und ab 1. Juli 1985 zusätzliche Zinsen hinzukämen.

Durch Bescheid vom 29. September 1988 (ohne Rechtsmittelbelehrung) teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß von der ihm ab 1. Dezember 1988 (nach Wegfall eines Kinderzuschusses) zu zahlenden Rente von monatlich 1.453, 57 DM ein Betrag von 174,-- DM abgetrennt und an das Inkassobüro R. gezahlt werde, so daß die Rentenleistung an ihn in Höhe von monatlich 1.279, 57 DM zur Auszahlung komme.

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 10. November 1988 und 13. Dezember 1988 Widerspruch eingelegt und dabei auf eine Bescheinigung der Beigeladenen zu 1) (Stadtgemeinde Bremen) vom 9. November 1988 verwiesen, in der ein sozialhilferechtlicher Bedarfssatz von 1.767, 13 DM ausgewiesen wurde.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger durch Schreiben vom 6. Januar 1989 mit, daß sie nur die pfändbaren Beträge gemäß § 850c der Zivilprozeßordnung (ZPO) zugrunde zu legen habe, und es ihr nicht gestattet sei, sich am Sozialhilfebedarfssatz zu orientieren. Sie sei deshalb verpflichtet, von seiner Rente 174,-- DM einzubehalten.

Mit Bescheid vom 12. Mai 1989 stellte die Beklagte die Rente ab 1. Juli 1989 in Höhe von 1.488, 48 DM (Auszahlungsbetrag) fest und trennte hiervon einen Betrag von 194,-- DM zugunsten der Firma R. ab, so daß zur Auszahlung an den Kläger 1.294, 48 DM verblieben.

Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 1990).

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.

Während des Klageverfahrens trennte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Mai 1990 von der ab 1. Juli 1990 gezahlten Rente in Höhe von monatlich 1.535, 42 DM einen Betrag von 214,-- DM, mit Bescheid vom 14. Mai 1991 von der ab 1. Juli 1991 gezahlten Rente in Höhe von monatlich 1.612, 73 DM einen Betrag von monatlich 254,-- DM ab.

Der Kläger hat deshalb beantragt,

die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 29. September 1988, 12. Mai 1989 und 30. Mai 1990 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 1990 und unter Abänderung des Bescheides vom 14. Mai 1991 zu verurteilen, Versichertenrente vom 1. Dezember 1988 an in gesetzlicher Höhe ohne Abtrennung eines Teils der Rente an ihn auszuzahlen.

Die Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht Bremen (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, die Rente in voller Höhe an den Kläger auszuzahlen (Urteil vom 16. August 1991).

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Im Berufungsverfahren wurden zusätzlich zu der bereits im erstinstanzlichen Verfahren beigeladenen Stadtgemeinde Bremen (Beigeladene zu 1) auch die Firma R. K. GmbH & Co (Beigeladene zu 2) beigeladen.

Die Beklagte hat zu Protokoll des Landessozialgerichts (LSG) erklärt, daß zuletzt aufgrund des Rentenbescheides vom 14. Mai 1991 für die Monate Juni, Juli und August 1991 Beträge einbehalten worden seien. Der letzte einbehaltene Betrag habe 254,-- DM betragen.

Das LSG hat mit Urteil vom 18. Februar 1993 entschieden:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 16. August 1991 abgeändert.

Die Beklagte wird unter Abänderung ihres Bescheides vom 12. Mai 1989 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 1990 sowie der Bescheide vom 30. Mai 1990 und 14. Mai 1991 verurteilt, den Kläger hinsichtlich der Rentenbezugszeiten vom 1. September 1989 bis 31. August 1990 und vom 1. April 1991 bis 31. Mai 1991 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden;

im übrigen wird die Berufung als unbegründet zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger 4/5 der ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten;

im übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Nach den Feststellungen des LSG hat sich die Gewährung von Sozialhilfe durch die Beigeladene zu 1) an den Kläger und seine Ehefrau (Bedarfssatz) im Vergleich zu dem Rentenbetrag (unter Berücksichtigung des Krankenver-sicherungsbeitrages) und zu dem nach Abtrennung des gemäß § 850c ZPO pfändbaren Rententeiles verbliebenden Zahlbetrag ("Restrente") wie folgt entwickelt:

Zeitraum

Bedarfssatz

Rente

Restrente

16.01.-28.02.1989

1.526,13

1.453,57

1.279,57

01.03.-31.05.1989

1.619,13

1.453,57

1.279,57

01.06.-30.06.1989

1.619,13

1.453,57

1.279,57

01.07.-31.07.1989

1.549,53

1.488,48

1.294,48

01.08.-31.08.1989

1.642,53

1.488,48

1.294,48

Einstellung der Sozialhilfe ab 01.09.1989 (bis 30.08.1990) 01.09.-31.10.1990

1.692,13

1.535,42

1.321,42

01.11.-31.12.1990

1.692,13

1.535,42

1.321,42

01.01.-31.03.1991

1.641,13

1.535,42

1.321,42

April/Mai 1991 keine Sozialhilfe 01.06.-30.06.1991

1.641,13

1.535,42

1.321,42

01.07.-30.11.1991

1.688,73

1.612,73

1.358,73

(bis 31.8.1991)

Das LSG hat seine Entscheidung auf folgende Gründe gestützt:

Aufgrund der knappen Bemessung der Freibeträge im unteren Bereich der Tabelle zu § 850c ZPO sowie deren schleppenden Anpassung an die Entwicklung der allgemeinen Lebenshaltungskosten werde der Zweck der Pfändungsfreigrenzen, den notwendigen Lebensunterhalt unangetastet zu lassen, durch die Tabellensätze nicht mehr erfüllt. In derartigen Fällen biete sich die Anwendung des § 850f. Abs. 1 ZPO an, durch den unter bestimmten Voraussetzungen eine Verschiebung der Freigrenzen zugunsten des Schuldners ermöglicht werde. Hiervon ausgehend sei im Rahmen von § 53 Abs. 3 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I) die Divergenz zwischen Pfändungsfreigrenzen und Sozialhilfebedarf zu korrigieren.

Die Voraussetzungen des § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO seien hier gegeben. Die Schreiben des Klägers vom 10. November 1988 und 13. Dezember 1988 seien als Anträge i.S. dieser Vorschrift zu werten. Über diese Anträge habe die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der besonderen Bedürfnisse des Klägers und der Beigeladenen zu 2) zu entscheiden. Sie habe insoweit hinsichtlich des Schuldnerschutzes eine dem Vollstreckungsgericht i.S. der ZPO vergleichbare Stellung inne (Hinweis auf BSGE 61, 274 = SozR 1200 § 53 Nr. 7).

Die Beklagte habe dieses Ermessen nicht ausgeübt. Das Gericht könne aber seine Entscheidung an die Stelle der Entscheidung der Beklagten setzen, wenn das Ermessen auf Null geschrumpft sei. Dies sei hier hinsichtlich der Rentenbezugszeiten vom 1. Dezember 1988 bis 31. August 1989 und 1. September 1990 bis 31. März 1991 sowie für die Zeit ab 1. Juni 1991 anzunehmen und zwar insofern, als die Rente bereits ohne Abzug des pfändbaren Betrages nicht die Höhe des für den Kläger und seine Ehefrau maßgeblichen Bedarfssatzes der Hilfe zum Lebensunterhalt erreicht habe.

Demgegenüber sei eine Ermessensreduzierung auf Null während der Rentenbezugszeiten vom 1. September 1989 bis 31. August 1990 und 1. April 1991 bis 31. Mai 1991 nicht gegeben. Während des erstgenannten Zeitraumes hätten dem Kläger und seiner Ehefrau zur Deckung ihres Lebensunterhalts neben der Rente auch finanzielle Mittel der Schwiegermutter zur Verfügung gestanden. Im zweiten Zeitraum seien die für die Wohnung aufzubringenden Kosten nicht mehr als Bedarf anzusetzen gewesen, so daß ebenfalls keine Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht gekommen sei.

Mit der Revision macht die Beklagte geltend:

Erstens handele es sich bei der Durchführung der Abtretung nicht um einen Verwaltungsakt. Die Verwaltung habe keinen eigenen Entscheidungsspielraum. Es handele sich um eine Ausführungshandlung ohne Regelungscharakter.

Zweitens sei die Anwendung von § 850f. ZPO nicht zulässig. Der Gesetzgeber habe sie gerade nicht vorgesehen. Die durch sie geschaffene Unsicherheit wäre im privaten Rechtsverkehr nicht sachgerecht.

Wenn man aber § 850f. ZPO anwende, seien nicht nur die Belange des Schuldners, sondern auch die des Gläubigers zu berücksichtigen und abzuwägen. Dementsprechend komme hier eine Ermessensreduzierung auf Null nicht in Betracht.

Die Beklagte beantragt dem Sinne nach,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt und nicht zur Sache Stellung genommen.

Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß die Sache durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Dem LSG ist darin zu folgen, daß im Rahmen der hier erfolgten Abtretung der sozialhilferechtliche Bedarfssatz zu berücksichtigen ist.

1. Die Vorinstanzen sind zu Recht von einer zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ausgegangen. Bei der Entscheidung der Beklagten, aufgrund der Abtretung einen Teil der Rente abzutrennen und an den Gläubiger (Beigeladenen zu 2) auszuzahlen, handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Dafür spricht zunächst einmal die äußere Form. Die Abtrennung ist Inhalt der Bescheide, welche die Höhe der Rente und den Auszahlungsbetrag festlegen. Nun kann allerdings ein Bescheid auch Mitteilungen enthalten, die ihrerseits nicht den Charakter eines Verwaltungsakts haben. Das ist hier aber nicht der Fall, denn auch der Sache nach liegt ein Verwaltungsakt vor. Der Bescheid, mit dem ein Teil der Rente zugunsten des Abtretungsgläubigers abgetrennt wird, verändert die Regelung des Rentenbewilligungsbescheides. Dieser lautete zunächst auf Zahlung der vollen Rente an den Kläger. Die Abtrennung der Rente greift in diesen durch Verwaltungsakt festgelegten Anspruch ein; sie verändert den an den Versicherten auszukehrenden Zahlbetrag.

Der 4. Senat des Bundessozialgerichts [BSG] (BSGE 70, 37, 40 = SozR 3-1200 § 53 Nr. 2 S. 10) meint allerdings, die Errechnung des abgetretenen Betrages und seine Auszahlung durch die Beklagte als Schuldnerin der abgetretenen Forderung enthalte - jedenfalls im Verhältnis zum Abtretungsgläubiger -keinen Verwaltungsakt, denn in der Ermittlung des Betrages liege keine eigenständige Regelung. Diese setze nämlich eine rechtsverbindliche Anordnung, gezielt auf die Setzung einer Rechtsfolge, voraus. Die Regelung erfolge hier jedoch bereits mit der Abtretung des Rentenanspruchs in bestimmter Höhe durch den Versicherten.

Ob dem gefolgt werden kann, erscheint dem erkennenden Senat fraglich. Auf das Verhältnis zum Versicherten können diese Überlegungen jedenfalls nicht übertragen werden. Zwar ist es richtig, daß der Gläubigerwechsel unmittelbar durch die Abtretung herbeigeführt wird und keiner Entscheidung der Beklagten bedarf. Die Situation ist hier anders als zum Beispiel bei der Abzweigung nach § 48 SGB I. Dort wird die Grundlage für die Auszahlung an einen Dritten erst durch eine Entscheidung des Leistungsträgers gelegt. Die Herbeiführung des Gläubigerwechsels ist aber nur ein Teil des Entscheidungsvorgangs. Es bleibt - wie auch der 4. Senat des BSG nicht verkennt - die Notwendigkeit, Tatsachen festzustellen und aufgrund der festgestellten Tatsachen über die Höhe des abzutrennenden Teils zu entscheiden. Es wird also, ungeachtet des bereits vollzogenen Gläubigerwechsels, bei der Beklagten eine Prüfung in Gang gesetzt, die mit einer Entscheidung abzuschließen ist; darin liegt die Regelung eines Einzelfalles i.S. von § 31 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches [SGB X] (so auch Kasseler Komm-Seewald § 53 SGB I RdZiff 19).

Dies wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, daß die Entscheidung der Beklagten sich nicht stets auf den Abgleich mit der Tabelle zu § 850c ZPO beschränkt. Vielmehr ist u.a. gem § 850e Nrn 2 und 2a ZPO auch über die Zusammenrechnung der Rente mit Arbeitseinkommen und sonstigen Sozialleistungen zu entscheiden, sofern der neue Gläubiger dies beantragt (vgl. BSGE 61, 274, 276f. = SozR 1200 § 53 Nr. 7 S. 26f.); ferner ist - wie noch gezeigt werden wird - auf Antrag des Versicherten zu prüfen und zu entscheiden, ob dieser durch die beabsichtigte Abtretung nicht sozialhilfebedürftig wird (§ 850f. ZPO).

Mit der Entscheidung, daß die Abtrennung zumindest gegenüber dem Versicherten einen Verwaltungsakt darstellt, wird nicht von der oben genannten Entscheidung des 4. Senats des BSG abgewichen. Dieser hat sich nur mit der Wirkung der Verwaltungshandlung gegenüber dem Abtretungsgläubiger befaßt.

Da es sich hier - wie dargelegt - um einen Verwaltungsakt handelt, der in die zuvor durch den Rentenbescheid festgelegten Rechte des Versicherten eingreift, war dieser vor der Abtrennung gem § 24 SGB X anzuhören. Ob dies hier entsprechend den gesetzlichen Anforderungen geschehen ist, kann indes dahinstehen, weil der Kläger auf die Geltendmachung der Rechte aus unterlassener Anhörung verzichtet hat (BSG SozR 1200 § 34 Nr. 17).

2. Die Revision ist auch insoweit unbegründet, als sie sich darauf stützt, daß materiell eine Berechtigung zur Abtrennung eines Teils der Rente bestanden habe.

Bereits nach dem Wortlaut der Abtretungserklärung vom 11. August 1980 beschränkt sich diese nur auf den "pfändbaren" Teil der Rente. Dies verweist u.a. auf § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I damaliger Fassung, der eine Pfändung ausschließt, soweit der Versicherte hierdurch sozialhilfebedürftig wird.

Welche Gründe dem LSG Veranlassung gegeben haben, diese Erklärung anders zu interpretieren, ist nicht ersichtlich. Dem braucht jedoch nicht näher nachgegangen zu werden; denn soweit das LSG das Urteil des SG unter Anwendung von § 850f. ZPO bestätigt hat, entspricht dieses Ergebnis der Abtretungserklärung; soweit es die Beklagte zur Entscheidung nach Ermessen verurteilt hat, kann, da der Kläger keine Revision eingelegt hat, nicht zu seinen Gunsten über dieses Ergebnis hinausgegangen werden.

Geht man von der Auslegung des LSG aus, daß sich die Abtretung auf den abtretbaren Teil der Rente bezog, so kommt es auf die durch § 53 SGB I für die Abtretung gesetzten Grenzen an.

Dem LSG ist dabei zu folgen, soweit es die Grenzen der Abtretbarkeit laufender Renten unter Einbeziehung von § 850f. ZPO bestimmt hat. § 53 Abs. 3 SGB I sieht vor, daß Ansprüche auf laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, übertragen und verpfändet werden können, soweit sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen.

Wenn es sich wie hier um eine Abtretung handelt, die nicht der Erfüllung eines Unterhaltsanspruchs dient, ergeben sich die unpfändbaren Beträge für Arbeitseinkommen zunächst aus § 850c ZPO und der als Anlage hierzu aufgestellten Tabelle. Im vorliegenden Fall ist maßgeblich die Fassung der Tabelle durch Gesetz vom 13. Juni 1980 (BGBl. I, 677), die erst wieder mit Gesetz vom 1. April 1992 (BGBl. I, 745) geändert wurde. Nach dieser Tabelle beträgt der pfändungsfreie Betrag für eine Person, die, wie der Kläger, einem Angehörigen (hier seinem Ehegatten) Unterhalt zu leisten hat, 1.096,-- DM (genauer gesagt: Pfändungsfreiheit bis 1.099, 99 DM; pfändbarer Betrag 4,-- DM bei Einkommen von 1.100,-- bis 1.119, 90 DM).

Die Beklagte hat diesen Betrag ihren Berechnungen zugrunde gelegt und von diesem Ausgangspunkt her zutreffend den jeweils abgetrennten Betrag berechnet.

Darüber hinaus war aber, wie das LSG zutreffend entschieden hat, § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO zu beachten. § 850f. ZPO ist Teil eines Gesamtkonzepts, in dem - neben den Tabellen - zugunsten des Gläubigers § 850e ZPO zu beachten ist (s dazu BSG SozR 1200 § 53 Nr. 27) und zu seinen Lasten § 850f. ZPO.

Dafür spricht bereits der Wortlaut, der insoweit keine Einschränkungen enthält. Aus den Materialien zu § 53 SGB I ist zwar erkennbar, daß der Gesetzgeber die starren Regelungen über die Abtretung von Sozialleistungen in § 119 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und anderen Vorschriften, die Sozialleistungen fast völlig dem Rechtsverkehr entzogen, abbauen und diese Leistungen stärker dem Rechtsverkehr zugänglich machen wollte (BT-Drucks 7/868 S. 32). Es wird darin deutlich, daß der Gesetzgeber eine Übersicherung beseitigen wollte (die - bezogen auf § 119 RVO - u.a. darin bestand, daß die Abtretung nur wegen eines eng abgegrenzten Kreises von Forderungen zugelassen war). Nicht erkennbar ist hingegen, daß eine Erleichterung des Rechtsverkehrs zu Lasten der Sozialhilfeträger beabsichtigt war.

Dies ist um so weniger anzunehmen, als im übrigen der Zugriff auf Sozialleistungen und auch auf sonstige Ansprüche im Recht auch unter Berücksichtigung der Sozialhilfebedürftigkeit bestimmt wird. Diese Berücksichtigung erfolgt entweder unmittelbar kraft Gesetzes oder auf Antrag durch eine besondere Entscheidung. Die Pfändung laufender Geldleistungen wegen eines Anspruchs, der nicht gesetzlicher Unterhaltsanspruch ist, kann nur erfolgen, wenn der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (§ 54 Abs. 3 Ziff 2 SGB I in der hier maßgeblichen Fassung des Gesetzes vom 11. Dezember 1975 - BGBl. I, 3015 [aF]). Gleiches gilt im Wege der Verweisung für die Aufrechnung (§ 51 SGB I) und die Verrechnung (§ 52 SGB I).

Gegenteiliges kann auch nicht daraus entnommen werden, daß in den Materialien (vgl. BT-Drucks 7/868 S. 32) gefolgert wird, bei der Bestimmung der Abtretbarkeitsgrenzen seien die §§ 850c und d ZPO maßgebend. Diese Interpretation läßt sich darauf zurückführen, daß der Gesetzgeber bei Schaffung des § 53 Abs. 3 SGB I der Meinung war, bei Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen werde auch der Sozialhilfebedarf sichergestellt (vgl. BGH NJW 1985, 976, 978; Büttner FamRZ 1990, 459; Kothe RPfl 1990, 9, 10), deshalb bedürfe es eines Hinweises auf darüber hinaus wirksame Begrenzungen nicht. Die Unvollständigkeit der in den Materialien genannten Verweisung zeigt sich übrigens auch daran, daß neben § 850c ZPO jedenfalls auch § 850e ZPO anzuwenden ist (BSG SozR 1200 § 53 Nr. 7).

Selbst wenn man aber den dort gegebenen Hinweis auf § 850c ZPO dahin interpretiert, daß nur auf diese Vorschrift verwiesen wird, kommt man zu keinem anderen Ergebnis. Es läge dann - im Hinblick darauf, daß kein Anhalt für eine beabsichtigte Erleichterung der Abtretung zu Lasten der Sozialversicherungsträger besteht - eine dem Plan des Gesetzgebers widersprechende Regelungslücke vor, die sich aus der unterschiedlichen Entwicklung der Sozialhilfesätze einerseits und der Pfändungsfreibeträge andererseits ergeben hat. Diese wäre durch entsprechende Anwendung von § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO zu schließen.

Die Anwendung von § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß hier - wie einige Autoren meinen (so z.B. Kamprad DRV 1989, 246) - im Zusammenhang mit § 53 SGB I auch § 400 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anzuwenden wäre. § 400 BGB bestimmt, daß eine Forderung nicht abgetreten werden kann, soweit sie der Pfändung nicht unterworfen ist. Die Anwendbarkeit dieser Vorschrift würde im Hinblick auf § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I a.F. bedeuten, daß ohne weiteres eine Abtretung ausscheidet, wenn der Versicherte dadurch sozialhilfebedürftig wird; denn in § 54 Abs. 3 Nr. 2 SGB I a.F. ist bestimmt, daß eine Pfändung wegen eines Anspruchs, bei dem es sich nicht um einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch handelt, u.a. nur zulässig ist, wenn dadurch der Leistungsberechtigte nicht hilfebedürftig i.S. der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird.

§ 400 BGB kann indes für die Abtretung von Sozialleistungen keine Anwendung finden. Schon der Umstand, daß in § 53 Abs. 3 SGB I - anders als in § 52 SGB I und § 51 Abs. 1 SGB I sowie § 400 BGB - nicht auf die Vorschriften verwiesen wird, die für die Pfändung der betreffenden Ansprüche - hier der Sozialleistungsansprüche - gelten, verbietet den Umweg über § 400 BGB (so auch SG Niedersachsen info also 1991, 77 [im Anschluß an Mrozynski SGb 1989, 374, 381])

Die hierzu vorgebrachte Kritik von Hullerum (info also 1991, 78f.) überzeugt nicht. Ihr steht der Wortlaut des § 53 Abs. 3 SGB I entgegen. Erst recht ist ihr die Grundlage entzogen, seitdem sich der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO durch Gesetz vom 1. April 1992 (BGBl. I, 745 - in Kraft ab 1. Juli 1992; redaktionell geändert durch Gesetz vom 10. Oktober 1994 - BGBl. I, 2954) mit der Problematik befaßt hat, daß die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen nicht mehr durchgängig den Sozialhilfebedarf absichern. Er hat dieses Problem in der Weise gelöst, daß er nicht generell den Sozialhilfebedarf als Grenze bestimmt, sondern lediglich eine Konkretisierung der Härteklausel in § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO (Einfügung eines Hinweises auf den Sozialhilfebedarf) vorgenommen hat.

Die somit hier zu beachtende Begrenzung durch § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO ist vom LSG zutreffend in der Weise verstanden worden, daß diese Begrenzung nicht etwa nur dann gilt, wenn das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Versicherten eine diesbezügliche Entscheidung getroffen hat, sondern daß die Beklagte auf Antrag des Versicherten darüber selbst entscheiden muß. Es erscheint sachgerecht, daß der Versicherungsträger auch die Entscheidung nach § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO trifft, da ihm das SGB den sozialen Schutz bei Abtretungen erkennbar anvertraut hat.

Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine entsprechende Anwendung von § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO in der Weise, daß der Arbeitgeber von sich aus die betreffenden Grenzen zu bestimmen hätte, abgelehnt (NJW 1991, 2039). Es schließt dabei nicht aus, daß sich die Verweisung in § 400 BGB auch auf § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO erstreckt, meint jedoch, daß die Entscheidung allein dem Vollstreckungsgericht zustehe. Für eine Befugnis des Arbeitgebers, zu Lasten des Abtretungsgläubigers die Pfändungsfreigrenzen zu erhöhen, fehle die Rechtsgrundlage. Anderes wäre nicht mit dem im Vollstrekungsrecht besonders wichtigen Grundsatz der Rechtsklarheit vereinbar. Der Arbeitgeber könne mangels konkreter Anhaltspunkte auch nicht sicher beurteilen, in welcher Höhe der pfändbare Betrag des Schuldners festzusetzen wäre, und würde dadurch mit einem zu großen Risiko belastet.

Diese Gründe können nicht in das Sozialrecht übernommen werden. Der Umstand, daß die §§ 53, 54 SGB I eine in sich geschlossene eigenständige Regelung für das Sozialrecht enthalten, bietet nicht nur eine Grundlage dafür, die §§ 398ff. BGB - da es sich um öffentlich-rechtliche Forderungen handelt - allenfalls entsprechend anzuwenden, sondern erlaubt es auch, die Verweisung auf die Pfändungsvorschriften der ZPO anders zu interpretieren, als die Verweisung in § 400 BGB.

Die Bedenken, die das BAG zu seiner Entscheidung bewogen haben, treffen für das Sozialrecht nicht in gleicher Weise zu. Der Versicherungsträger hat - anders als der Arbeitgeber - die Möglichkeit, die erforderlichen Ermittlungen anzustellen. Anders als beim Arbeitgeber entspricht die Pfändungsfreigrenzen-Entscheidung durch den Versicherungsträger seinem Aufgabenkreis, denn es liegt auch im öffentlichen Interesse, daß den Versicherten die ihnen zustehenden Sozialleistungen im gesetzlich vorgesehenen Umfang zufließen. Dem hat der Träger auch in anderer Weise Rechnung zu tragen (s auch § 53 Abs. 2 SGB I).

Eine entsprechende Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers ergibt sich auch aus einer Entscheidung des 5b Senats zu § 850e Nr. 2a ZPO (SozR 1200 § 53 Nr. 7 S. 27). In § 850e Nr. 2a ZPO ist bestimmt, daß unter Abwägung von Art des zu sichernden Anspruchs, Zweck der Sozialleistung, Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Schuldners sowie Umständen des Einzelfalles eine Zusammenrechnung von Sozialleistungen (und Arbeitseinkommen S. § 850e Nr. 2) in Betracht kommt, wenn der Gläubiger dies beantragt und die Zusammenrechnung der Billigkeit entspricht. Diese Entscheidung obliegt nach dem Gesetzestext der ZPO ebenfalls an sich dem Vollstreckungsgericht. Der 5b Senat hat aber für das Sozialrecht die Folgerung gezogen, daß es Aufgabe des Versicherungsträgers ist, diese Entscheidung zu treffen, zumal dieser auch sonst den Schutz vor sozialunverträglicher Abtretung sicherzustellen hat (§ 53 Abs. 2 SGB I). Diesem Gedankengang schließt sich der erkennende Senat an. Im einzelnen wird auf diese Entscheidung verwiesen. Für § 850f. ZPO ergeben sich demgegenüber keine Besonderheiten.

Als Ergebnis ist also festzuhalten, daß die Beklagte bei der Anwendung des § 53 Abs. 3 SGB I eine Ermessensentscheidung nach § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO treffen mußte.

Maßgeblich war dafür noch die Fassung des § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO in der Zeit vor dem 1. April 1992. Dort ist der Sozialhilfebedarf nicht ausdrücklich genannt, sondern nur auf besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen abgehoben worden. Es erscheint indes sachgerecht, hierzu auch die Fälle zu rechnen, in denen durch die Pfändung/Abtretung der Sozialhilfebedarf unterschritten wird (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 50. Aufl. § 850f. Anm. 2 S. 1800 oben unter Hinweis auf LG Hannover Rpfl 1985, 154).

Das LSG hat für die Zeiten eines Sozialhilfebezuges des Klägers zu Recht eine "Ermessensreduzierung auf Null" angenommen und die Pfändungsfreigrenze von sich aus auf den Sozialhilfebedarf angehoben. Soweit die Beklagte hierzu geltend macht, es wären auch überwiegende Belange des Gläubigers zu berücksichtigen gewesen, dringt dieser Einwand nicht durch. Das LSG hat in seiner Begründung sinngemäß den Inhalt des § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO wiedergegeben und dabei auch darauf hingewiesen, daß überwiegende Belange des Gläubigers zu berücksichtigen seien. Die weitere Begründung (S 19 oben des Urteils) ist dann allerdings etwas unklar. Man könnte sie dahin deuten, daß das LSG der Auffassung war, bei Unterschreitung des Sozialhilfebedarfs komme eine Abtrennung überhaupt nicht in Betracht; überwiegende Interessen des Gläubigers könnten hier nicht durchschlagen. Naheliegender ist es jedoch, daß das LSG auf überwiegende Interessen des Gläubigers deshalb nicht eingegangen ist, weil im gesamten Verfahren keinerlei Umstände vorgetragen wurden, die zu einer solchen Überlegung Anlaß gaben. Davon geht der erkennende Senat aus.

Auch soweit das LSG die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt hat, hält das Urteil der Nachprüfung stand. Über die Anträge des Klägers auf Entscheidung nach § 850f. Abs. 1 Buchst a ZPO ist insoweit eine Ermessensentscheidung erforderlich, die bisher nicht getroffen wurde und auch vom Gericht nicht ersetzt werden konnte. Auch wenn in den betreffenden Zeiträumen nach den Feststellungen der Beigeladenen zu 1) kein Sozialhilfebedarf bestanden hat, kann eine Anhebung der Pfändungsfreigrenze aufgrund der (im einzelnen noch festzustellenden) persönlichen Umstände des Klägers in Betracht kommen.

Im Hinblick auf dieses Ergebnis sind dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens von der Beklagten zu erstatten (vgl. § 193 SGG).13 RJ 43/93

BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518409

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