Leitsatz (amtlich)

1. Gibt die Urteilsformel Anlaß zu Zweifeln über ihren Inhalt, so ist sie durch Heranziehung des sonstigen Urteilsinhalts, insbesondere der Entscheidungsgründe, auszulegen.

2. Die einer Witwe auf Grund eines rechtskräftigen Titels monatlich zu zahlende Rente wegen eines körperlichen Dauerschadens, den sie sich aus Anlaß einer allgemeinen, behördlich angeordneten Schutzimpfung zugezogen hat (Aufopferungsanspruch), ist sonstiges Einkommen im Sinne des BVG § 41 Abs 4 und Abs 5 in Verbindung mit BVG § 33 Abs 2 S 1 und bei Feststellung der Witwenausgleichsrente anzurechnen.

 

Normenkette

SGG § 136 Fassung: 1953-09-03; BVG § 41 Abs. 4 Fassung: 1955-01-19, Abs. 5 Fassung: 1950-02-20, § 33 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1955-01-19

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. November 1954 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin unterzog sich im Herbst 1945 mehrerer von der Stadt Berlin öffentlich angeordneter Typhusschutzimpfungen. Infolge dieser Impfungen ist der linke Arm der Klägerin völlig gelähmt und dauernd gebrauchsunfähig. Wegen dieses Gesundheitsschadens besteht bei ihr eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um mehr als 50 v. H.

Das Land Berlin hat der Klägerin mit Wirkung vom 1. April 1949 ab eine monatliche Rente in Höhe von 230.- DM-West bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres und danach eine solche in Höhe von 190.- DM-West bis an ihr Lebensende zu zahlen; im übrigen ist es rechtskräftig verurteilt, ihr den gesamten Schaden zu ersetzen, der ihr durch die auf die Impfungen zurückzuführende Körperverletzung entstanden ist und in Zukunft entstehen wird (Urteile des LG. Berlin vom 6.9.1949 und 4.10.1950, des Kammergerichts Berlin (West) vom 8./9.6.1950 und 21.6.1951, des BGH. vom 23.10.1952).

Der Magistrat von Groß-Berlin, Abt. Sozialwesen - Versorgungsstelle - bewilligte der Klägerin, deren Ehemann am 16. Januar 1945 gefallen ist, mit Bescheid vom 24. Januar 1951 mit Wirkung vom 1. Juli 1950 ab nach dem Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 - KVG - (VOBl. für Groß-Berlin 1950 S. 318) eine wegen des Bezugs der Schadensersatzrente gekürzte Witwenrente von 25.- DM monatlich. Das Versorgungsamt (VersorgA.) I Berlin gewährte mit Bescheid vom 24. Dezember 1952 mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 ab nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) die Witwengrundrente von 40.- DM monatlich. Ausgleichsrente wurde versagt, weil das sonstige Einkommen der Klägerin (die vom Land Berlin zu zahlende Aufopferungsentschädigung) die in § 41 Abs. 4 BVG festgesetzte Einkommensgrenze übersteige.

Die Einsprüche gegen beide Bescheide hatten keinen Erfolg. Sie wurden durch die Entscheidungen des Landesversorgungsamts (LVersorgA.) Berlin vom 17. September 1952 und vom 14. Juli 1953 zurückgewiesen. Die Schadensersatzrente sei sowohl nach dem KVG als auch nach dem BVG als sonstiges Einkommen anzusehen, das zur Kürzung der Witwenrente nach dem KVG und zur Versagung der Ausgleichsrente nach dem BVG führen müsse. Die Klägerin hat gegen die Einspruchsentscheidungen Klage beim Versorgungsgericht (VersorgG.) Berlin erhoben. Sie hat in den Klageschriften vom 26. November 1952 und 18. August 1953 beantragt, die Entscheidungen des Einspruchsausschusses beim LVersorgA. Berlin vom 17. September 1952 und 14. Juli 1953 aufzuheben und ihr die volle Witwenrente nach dem KVG sowie die Witwenausgleichsrente nach dem BVG zuzusprechen. Das Sozialgericht (SG.) Berlin, auf das die beiden Klagen am 1. Januar 1954 übergegangen sind (§ 218 Abs. 1, Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), hat diese durch Beschluß vom 26. April 1954 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 113 SGG). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG. Berlin am 26. April 1954 den Antrag aus dem Schriftsatz vom 26. November 1952, nämlich auf Gewährung der vollen Witwenrente nach dem KVG, gestellt und ferner beantragt, das Land Berlin zur Gewährung der Witwenausgleichsrente zu verurteilen. Das SG. hat das Land Berlin am 26. April 1954 "unter Abänderung der bisher in der Sache ergangenen Bescheide des VersorgA. Berlin und der Einspruchsentscheidungen des LVersorgA. Berlin verurteilt, der Klägerin Witwenausgleichsrente zu gewähren." Die Aufopferungsentschädigung sei kein sonstiges Einkommen im Sinne der §§ 25 Abs. 3 KVG und 41 Abs. 4 BVG. Damit entfalle die Anwendung des § 25 KVG (Rentenkürzung) und des § 41 Abs. 4 BVG (Anrechnung der Aufopferungsentschädigung als sonstiges Einkommen). Die Voraussetzungen des § 20 KVG und des § 41 Abs. 1 BVG - nach dieser Vorschrift des BVG hängt die Gewährung der Ausgleichsrente von der fehlenden Sicherstellung des Lebensunterhalts ab - seien daher gegeben und der Klage auf Gewährung der Witwenausgleichsrente stattzugeben.

Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin hat die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 11. November 1954 zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Die Berufung sei zulässig, da es sich um die Frage der Gewährung von Ausgleichsrente überhaupt und nicht allein um deren Höhe handele. Das SG. habe nur über den Anspruch der Klägerin auf Witwenausgleichsrente nach dem BVG entschieden, weil die Klägerin vor dem SG. ihren Klageantrag auf die Gewährung der Ausgleichsrente beschränkt habe. Das LSG. habe daher nicht über die Höhe der Witwenrente nach dem KVG zu entscheiden. Die Klägerin habe Anspruch auf die volle Ausgleichsrente nach dem BVG, weil sie erwerbsunfähig und ihr Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt sei, sie habe auch kein sonstiges Einkommen im Sinne von § 41 Abs. 4 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 BVG. Die vom Land Berlin gezahlte Aufopferungsentschädigung sei kein Einkommen im Sinne dieser Vorschriften. Zwar gälten nach § 33 Abs. 2 BVG als sonstiges Einkommen alle Einkünfte in Geld und Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle. In den Verwaltungsvorschriften zu § 33 BVG seien jedoch Ausnahmen von dieser Regel genannt. Daraus ergebe sich, daß der Begriff "sonstiges Einkommen" im Sinne des § 33 Abs. 2 BVG nicht eng auszulegen sei, und daß Renten und sonstige Zahlungen, mit denen Schäden aus einer im allgemeinen Interesse gemachten Aufopferung abgegolten werden sollen, nicht als sonstiges Einkommen anzurechnen seien.

Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 14. Dezember 1954 zugestellte Urteil mit einem beim Bundessozialgericht (BSG.) am 7. Januar 1955 eingegangenen Schriftsatz Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils der Berufung gegen das Urteil des SG. Berlin vom 26. April 1954 stattzugeben.

Er hat in der am 4. Februar 1955 eingegangenen Revisionsbegründungsschrift die Verletzung der §§ 33 und 41 BVG gerügt und ausgeführt: Sonstiges Einkommen im Sinne der §§ 41 Abs. 4, 33 Abs. 2 BVG seien alle Einkünfte, die einen wirtschaftlichen Wert darstellen. Als ein solches Einkommen müsse auch die der Klägerin gezahlte Aufopferungsentschädigung angesehen werden. Eine andere Auffassung lasse sich nicht mit dem Zweck und Charakter der Ausgleichsrente vereinbaren. Diese solle nur denjenigen Kriegerwitwen gewährt werden, welche auf die Hilfe des Staates in besonderem Maße angewiesen seien und ohne diese Hilfe der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen würden. Nach den Verwaltungsvorschriften sei eine Schadensersatzrente, wie sie die Klägerin erhalte, nicht von der Anrechnung ausgenommen. Sie könne auch nicht wie die Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz oder wie Renten zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts behandelt werden. Die der Klägerin gezahlte Rente sei auch keine Fürsorgeleistung besonderer Art. Schließlich sei es unbillig, Renten dieser Art nicht auf die Ausgleichsrente anzurechnen, während Unfallrenten in voller Höhe zu berücksichtigen seien.

Die Klägerin hat beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Aufopferungsentschädigung diene nicht der Sicherstellung des Lebensunterhalts. Sie sei dazu bestimmt, die der Klägerin durch die Gebrauchsunfähigkeit des linken Armes entstehenden Mehraufwendungen zu ersetzen; sie sei mit der Pflegezulage für Kriegsbeschädigte zu vergleichen und könne nicht als Einkommen im Sinne des BVG angesehen werden. Wenn der Senat zu der gegenteiligen Auffassung gelange, müßten von der vom Land Berlin gezahlten Rente die Kosten für die durch die Folgen der Impfungen entstehenden Mehraufwendungen - nach dem Schriftsatz vom 16. Juli 1952 für die Haushaltshilfe, ärztliche Behandlung, Kurbehandlung, Fahrtkosten im Monatsdurchschnitt ca. 236.- DM - abgesetzt werden. Gegebenenfalls müsse die Höhe der Aufwendungen noch durch das LSG. geklärt werden. Im übrigen seien nach § 41 Abs. 5 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 BVG von dem sonstigen Einkommen die in diesen Vorschriften genannten Beträge - als Einkünfte nur nichtselbständiger Arbeit - anrechnungsfrei. § 41 Abs. 4 BVG verstoße überdies gegen Art. 3 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG), weil die Einkommensgrenze, bis zu der eine Witwenausgleichsrente zu gewähren ist, niedriger sei als die Einkommensgrenze für erwerbsunfähige Schwerbeschädigte (§ 33 Abs. 1 Satz 1 BVG).

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig.

Die Revision ist auch begründet.

Zunächst war festzustellen, daß das LSG. nur über einen Teil des geltend gemachten Anspruchs entschieden hat. Es stellt am Anfang der Entscheidungsgründe fest, daß in der Berufungsinstanz nur noch darüber zu entscheiden sei, ob das SG. der Klägerin die Witwenausgleichsrente nach dem BVG mit Recht zugesprochen habe. Dies trifft nicht zu. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat nach der Sitzungsniederschrift vom 26. April 1954 in der mündlichen Verhandlung vor dem SG. seinen Antrag aus der Klageschrift vom 26. November 1952 (Verurteilung des Beklagten zur Zahlung der vollen Witwenrente nach dem KVG) wiederholt. Er hat ferner die Verurteilung zur Zahlung der Ausgleichsrente nach dem BVG beantragt. Das SG. hat entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch über diese beiden Klageanträge (sie betreffen zwei verschiedene Klagen, die nach § 113 Abs. 1 SGG durch Beschluß zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden sind) entschieden. Allerdings kann die Fassung der Formel des Urteils des SG.: ... "wird der Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenausgleichsrente zu gewähren" den Eindruck erwecken, als habe das SG. nur über den Anspruch auf Ausgleichsrente nach dem BVG entschieden. Der Inhalt der Urteilsformel ist jedoch durch die Heranziehung des sonstigen Urteilsinhalts, vor allem der Entscheidungsgründe, auszulegen (vgl. Urteil des 1. Senats vom 3.7.1956, 1 RA 87/55, SozR. SGG § 100 Bl. Da 1 Nr. 1 = NJW. 1956 S. 1415 Leitsatz b; ebenso BGHZ. 2, 164 (170) = NJW. 1951 S. 837 (839) und BGHZ. 7, 331 (334) = NJW. 1955 S. 184 (185); Stein-Jonas-Schönke, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., Anm. III 3 zu § 313 und Anm. VII zu § 322 mit Nachweisen; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 6. Aufl., § 150 I 3 b (S. 706 ff.); Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 23. Aufl., Anm. 6 zu § 313 und Anm. 2 zu § 322). Im vorliegenden Falle kann schon aus dem sonstigen Inhalt der Urteilsformel entnommen werden, daß das SG. auch über den Anspruch nach dem KVG entschieden hat; denn es hat auch den Bescheid des VersorgA. Berlin vom 24. Januar 1951, durch den der Klägerin nur eine auf 25.- DM monatlich gekürzte Witwenrente nach dem KVG gewährt worden ist, und die den Bescheid bestätigende Entscheidung des Einspruchsausschusses vom 17. September 1952 geändert. Aus den Gründen des Urteils des SG. ergibt sich überdies eindeutig die Entscheidung über den Anspruch nach dem KVG. Hier betont das SG. ausdrücklich, nachdem es die Frage, ob die Aufopferungsentschädigung sonstiges Einkommen im Sinne des § 25 Abs. 3 KVG sei, verneint hat, daß die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 KVG gegeben seien, daß also der Klägerin nach dem KVG die ungekürzte Witwenrente zustehe. Wenn das SG. im Anschluß an seine rechtlichen Erörterungen nur feststellt, daß es dem Begehren auf Gewährung der Witwenausgleichsrente stattgebe, dann ist darin lediglich ein Versehen oder ein Vergreifen im Ausdruck zu erblicken. Der gesamte Streit ist auch vor das LSG. gelangt. Das ergibt sich aus dem Berufungsantrag und der Berufungsbegründung des Landes Berlin, in welcher der Beklagte die Ansicht des SG., daß die Aufopferungsentschädigung kein sonstiges Einkommen im Sinne des § 25 KVG sei, - also seine Verurteilung zur Zahlung der vollen Witwenrente nach diesem Gesetz - bekämpft. Das LSG. hat danach nur über einen Teil des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs entschieden, wenn es auch irrtümlich angenommen hat, es erledige den gesamten Streit.

Das Berufungsgericht hat mit Recht in der Sache entschieden. Die Zulässigkeit der Berufung ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 7.6.1956 - 8 RV 411/54 - SozR. BVG § 33 Ca 1 Nr. 1 - und vom 30.8.1956 - 8 RV 403/54 - mit weiteren Nachweisen; ebenso Urteil des 10. Senats vom 29.2.1956 - 10 RV 75/55 - SozR. SGG § 150 Bl. Da 2 Nr. 7). Nach § 148 Nr. 4 SGG können in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie die Höhe der Ausgleichsrente betreffen. Dagegen ist die Berufung nach § 148 Nr. 4 SGG nicht ausgeschlossen, wenn das Urteil des SG. die Grundvoraussetzungen der Ausgleichsrente betrifft; dazu gehört die Frage, ob der Lebensunterhalt auf andere Weise sichergestellt ist (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 7.6.1956 - 8 RV 411/55 - a. a. O.). Im vorliegenden Fall hat das SG. nun nicht allein darüber entschieden, ob die der Klägerin gezahlte Aufopferungsentschädigung sonstiges Einkommen im Sinne des § 41 Abs. 4 BVG ist, sondern es hat auch über das Vorliegen der Grundvoraussetzungen der Witwenausgleichsrente entschieden. Das ergibt sich schon ohne weiteres daraus, daß es die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 BVG, wonach die Gewährung der Ausgleichsrente u. a. von der fehlenden Sicherstellung des Lebensunterhalts der Witwe abhängt, bejaht hat. Das Urteil des SG. betrifft somit nicht die Höhe der Ausgleichsrente, sondern ihre Gewährung überhaupt. Die Berufung war daher zulässig.

Die Rüge der Revision, daß das Berufungsgericht die §§ 41 und 33 BVG unrichtig angewendet habe, ist begründet. Das BVG ist im Revisionsverfahren nachprüfbares Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG, da das Land Berlin dieses Gesetz inhaltsgleich durch das Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12. April 1951 (GVOBl. für Berlin S. 317) übernommen hat (vgl. BSG. 2, 106, 108; 1, 98 (100, 101) und S. 189 (190, 191)).

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenausgleichsrente. Nach § 41 Abs. 1 Buchst. a BVG erhalten solche Witwen Ausgleichsrente, die erwerbsunfähig (§ 41 Abs. 2) sind, wenn ihr Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt ist. Ausgleichsrente ist jedoch nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen vom 1.10.1950 bis 31.3.1952 80.- DM, vom 1.4.1952 bis 31.7.1953 85.- DM, vom 1.8.1953 bis 31.12.1954 95.- DM, vom 1.1.1955 bis 31.3.1956 100.- DM und von da ab 120.- DM monatlich nicht übersteigt (§ 41 Abs. 4 BVG in der jeweils geltenden Fassung). Das Berufungsgericht hat für das BSG. bindend festgestellt, daß die Klägerin erwerbsunfähig im Sinne von § 41 Abs. 2 BVG ist (§ 163 SGG). Nach Auffassung des erkennenden Senats hat sie aber deshalb keinen Anspruch auf Ausgleichsrente, weil die ihr vom Land Berlin in Form einer monatlichen Rente gezahlte Aufopferungsentschädigung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts als sonstiges Einkommen anzurechnen ist und die in § 41 Abs. 4 BVG festgesetzte Einkommensgrenze übersteigt. Die vom Berufungsgericht geprüfte und verneinte Frage, ob ihr Lebensunterhalt im Sinne des § 41 Abs. 1 BVG gesichert sei, konnte daher unerörtert bleiben.

Die Höhe der Ausgleichsrente einer Witwe ist ebenso wie die Ausgleichsrente eines Beschädigten oder einer Waise von der Höhe des "sonstigen Einkommens" abhängig (§§ 41 Abs. 4, 33 Abs. 1, 47 Abs. 3 BVG). Dabei gilt für Beschädigte, Witwen und Waisen übereinstimmend der gleiche Einkommensbegriff. § 41 BVG (für Witwen) und § 47 BVG (für Waisen) verweisen für die Frage, was als sonstiges Einkommen anzusehen ist, auf § 33 Abs. 2 BVG (für Beschädigte). Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 a. a. O. gelten als sonstiges Einkommen alle Einkünfte in Geld und Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle. Die hier festgelegte Begriffsbestimmung ist nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 10. November 1955 (BSG 2, 10 (15)) klar und eindeutig; sie bedarf für sich allein betrachtet keiner Auslegung, zumal der Einkommensbegriff als solcher umfassend ist und sich auf alle Einkünfte von wirtschaftlichem Wert erstreckt. Dabei ist im Gegensatz zu der Ansicht des Berufungsgerichts unerheblich, ob diese Einkünfte steuerpflichtig im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind oder nicht. Dieses vom Senat gewonnene Ergebnis wird sowohl durch die geschichtliche Entwicklung als auch durch die Materialien zum BVG gestützt. Unter Einkommen im Sinne des § 45 Abs. 2 des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juni 1923 (RGBl. S. 523) ist stets das Einkommen im wirtschaftlichen Sinne verstanden worden, zumal durch das Gesetz zur Abänderung des RVG und anderer Versorgungsgesetze vom 22. Juni 1923 (RGBl. I S. 513) der Einkommensbegriff grundsätzlich geändert worden ist, und zwar in dem Sinn, daß das steuerpflichtige Einkommen der Bemessung der Bedürftigkeit nicht mehr zugrunde zu legen war (vgl. Prahler, Einkommen im Sinne des § 45 RVG, abgedruckt in RVGer. Bd. 7 S. 311 ff.; RVGer. 4, 89; 5, 125 (131); 8, 36; Kommentar von Reichsversorgungsbeamten zum Reichsversorgungsgesetz S. 396 ff.). An dieser Auslegung des Einkommensbegriffs hat das RVGer. auch stets festgehalten. Das BVG hat daran angeknüpft und läßt schon durch die im § 33 Abs. 2 Satz 1 gegebene Erläuterung des Einkommensbegriffs (alle Einkünfte in Geld und Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle) erkennen, daß jedes Einkommen im wirtschaftlichen Sinn (alles, was einkommt und einen wirtschaftlichen Wert hat) bei der Berechnung der Ausgleichsrente berücksichtigt werden muß. Das kommt auch in der Begründung zum BVG zum Ausdruck. Dort ist unter A. Allgemeiner Teil, III. ausgeführt, daß das BVG nur in beschränktem Maße einen Ersatz wirtschaftlichen Schadens bieten und das sonstige zur Verfügung stehende Einkommen nicht außer Betracht lassen kann, und daß die für die Versorgung der Kriegsopfer zur Verfügung stehenden beschränkten Mittel in erster Linie denjenigen zugutekommen müssen, die auf die Hilfe des Staates besonders angewiesen sind (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucksache Nr. 1333 S. 43). Ergibt sich somit, daß die Ausgleichsrente den wirtschaftlich schwachen Versorgungsberechtigten den notwendigen Lebensunterhalt sichern soll, so kann dies nur bedeuten, daß der Staat mit der Ausgleichsrente erst dann eingreift, wenn kein sonstiges Einkommen im wirtschaftlichen Sinne vorhanden ist. Die der Klägerin vom Land Berlin in der Form einer monatlichen Rente gezahlte Aufopferungsentschädigung ist aber ein "sonstiges" Einkommen. Die Aufopferungsentschädigung stellt in der Regel einen angemessenen Ausgleich für den Vermögensschaden und die körperliche Beeinträchtigung dar, die dem Betroffenen auferlegt sind (vgl. BGHZ. 6, 270 (295); 9, 83 (93); 20, 61 (69); 20, 81 (83); RGZ. 167, 14 (26); 140, 276 (287); Schack, MDR. 1951, 263; Das Bürgerliche Gesetzbuch, Komm., hrsg. von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 10. Aufl., Anm. 13 f) zu § 906; Ermann, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Vorb. 2 d vor § 823 ff.). Einem echten Schadensersatz ist sie dabei sehr ähnlich, und zwar insbesondere dann, wenn - wie hier - Ersatz für den gesamten durch das schädigende Ereignis entstandenen Schadens geleistet wird. Die Rente der Klägerin wird ihr in der Hauptsache als Ersatz für ein Erwerbseinkommen gewährt, das sie wegen der Folgen des Impfschadens nicht mehr erzielen kann. Die Aufopferungsentschädigung ist daher als sonstiges Einkommen im Sinne des § 41 Abs. 4 in Verbindung mit § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG bei der Berechnung der Ausgleichsrente in voller Höhe zu berücksichtigen. Sie kann weder als eine Fürsorgeleistung angesehen werden noch ist sie - wie die Klägerin meint - mit der Pflegezulage der Beschädigten vergleichbar. Ob eine andere Beurteilung Platz greifen müßte, wenn die Klägerin einen Kapitalbetrag als Entschädigung erhalten hätte, konnte in diesem Zusammenhang vom Senat unerörtert bleiben. Der Ansicht von Schieckel (vgl. die zustimmende Anmerkung zu dem in der Zeitschrift "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1955 S. 220 abgedruckten angefochtenen Urteil des LSG.), daß eine Anrechnung schon deshalb nicht erfolgen könne, weil die Rente zum Ausgleich eines immateriellen Schadens gezahlt werde, vermochte der Senat nicht zu folgen. Denn die der Klägerin gewährte Aufopferungsentschädigung soll, wie bereits ausgeführt, in erster Linie die dauernden Nachteile in ihrer Erwerbstätigkeit ausgleichen, also einen materiellen Schaden ersetzen. Das LSG. weist zur Begründung seiner Ansicht ferner auf Nr. 2 Abs. 2 d und j der Verwaltungsvorschriften (VV.) zu § 33 BVG hin, wonach Leistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz und ferner Renten zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts, soweit nach den Entschädigungsgesetzen die Kriegsopferrenten zu berücksichtigen sind, nicht als sonstiges Einkommen gelten. Aus diesen Ausnahmen sei eindeutig zu erkennen, daß Renten und sonstige Zahlungen, mit denen Schäden aus einer im allgemeinen Interesse geschehenen Aufopferung abgegolten werden, nicht als sonstige Einkommen anzusehen seien. Die Aufopferungsentschädigung sei daher als Leistung ähnlicher Art ebenfalls nicht anzurechnen. Ob die in Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a-m der - die Gerichte nicht bindenden - Verwaltungsvorschriften (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 20.3.1956 - 8 RV 199/54) genannten Einkünfte abweichend von der Regel des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG nicht als sonstiges Einkommen gelten, war im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden; denn die Aufopferungsentschädigung ist dort nicht genannt. Der Hinweis des Berufungsgerichts auf die in Abs. 2 Nr. 2 Buchst. d und j genannten Leistungen und Renten geht jedoch fehl; die hier aufgeführten Leistungen sollen bei der Berechnung der Ausgleichsrente nur deshalb nicht als Einkommen berücksichtigt werden, weil das Lastenausgleichsgesetz und die Wiedergutmachungsgesetze bereits selbst eine vollständige oder teilweise Anrechnung der Versorgungsbezüge nach dem BVG vorschreiben (vgl. § 270 Abs. 1, 3 des Lastenausgleichsgesetzes vom 14.8.1952 (BGBl. I S. 446); §§ 14 Abs. 6, 15 Abs. 3 Satz 2 des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG) vom 18.9.1953 (BGBl. I S. 1387) in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des BEG zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung vom 10.8.1955 (BGBl. I S. 506), §§ 22 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 3 dieses Gesetzes in der Fassung des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz - BEG) vom 29.6.1956 (BGBl I S. 562)). Im übrigen ist der Senat der Auffassung, daß Ausnahmen von der Regel des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG, wenn sie Berücksichtigung finden sollen, im Gesetz selbst ihre Grundlage haben müssen, so wie es z. B. für das Lastenausgleichsrecht im § 267 des Lastenausgleichsgesetzes der Fall ist. Dort ist zunächst im § 267 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 festgelegt, welche Einkünfte als anrechenbares Einkommen gelten; im folgenden sind dann Ausnahmen von der Regel genannt. Entgegen der Ansicht der Klägerin können deshalb von ihrem Einkommen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG auch nicht die Kosten abgesetzt werden, die ihr für eine Haushaltshilfe, ärztliche Behandlung, Kurbehandlung und die damit verbundenen Fahrtkosten erwachsen. Wollte man dieser Auffassung folgen, so erhielte man ein Reineinkommen; von einem solchen kann jedoch bei der Berechnung der Witwenausgleichsrente nicht ausgegangen werden. Nach den Vorschriften des BVG stehen der Klägerin auch keine Freibeträge zu; denn die Aufopferungsentschädigung gehört nicht zu den Einkünften, von denen nach der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes ein Teil bei der Berechnung der Ausgleichsrente nicht angerechnet werden darf (§ 41 Abs. 4 Satz 2 BVG in der bis zum 31.12.1954 und § 41 Abs. 5 BVG in der vom 1.1.1955 ab geltenden Fassung). Ob § 41 Abs. 4 BVG gegen Art. 3 des GG verstößt, weil die dort genannte Einkommensgrenze, bis zu der Witwenausgleichsrente zu gewähren ist, niedriger ist als die Einkommensgrenze für erwerbsunfähige Schwerbeschädigte (§ 33 Abs. 1 Satz 1 BVG), bedurfte keiner Prüfung und Erörterung durch den Senat, weil das Einkommen der Klägerin die in beiden Vorschriften genannten Grenzen ohnehin überschreitet.

Aus diesen Gründen war das angefochtene Urteil des LSG. wegen der unrichtigen Anwendung der §§ 41, 33 BVG, auf der es auch beruht (§ 162 Abs. 2 SGG), aufzuheben (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG). Eine abschließende Entscheidung durch das Bundessozialgericht (BSG.) war untunlich, da das LSG., wie oben näher dargelegt, bisher nur über einen Teil des Anspruchs der Klägerin entschieden hat. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen. Dieses hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BSG. zugrunde zu legen (§ 170 Abs. 4 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt auch hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens dem Urteil des LSG. überlassen.

 

Fundstellen

NJW 1957, 846

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