Leitsatz (amtlich)

1. Zum Begriff der Internierung iS des BVG § 1 Abs 2 Buchst c. Eine Volksdeutsche, die nach dem Zusammenbruch 1945 in der Tschechoslowakei unter Verbot der Ausreise nach Deutschland zur Arbeit verpflichtet wurde, war nicht interniert iS des BVG § 1 Abs 2 Buchst c, wenn sie im übrigen dem Wirtschafts- und Erwerbsleben des Aufenthaltsortes eingegliedert war und nicht auf eng begrenztem Raum festgehalten wurde.

2. "Gewahrsam" 1S des HHG § 1 Abs 1 Nr 1, § 4 - Fassung*1 1960-07-25 (BGBl 1960, 579) setzt Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung voraus.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Gericht darf die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs verneinen, wenn sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast die unentbehrlichen objektiven Grundlagen für eine ärztliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nicht mehr ermitteln lassen.

 

Normenkette

BVG § 1 Abs. 2 Buchst. c Fassung: 1950-12-20; HHG § 1 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1960-07-25, § 4 Fassung: 1960-07-25; SGG § 128 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. April 1958 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die 1882 geborene Klägerin, eine Volksdeutsche, wurde mit ihrem Ehemann 1946 von N... im Sudetenland nach A... im Sudetenland umgesiedelt und dort als Spulerin in einem Textilbetrieb gegen Barlohn zur Arbeit verpflichtet. Es wurde ihr ein Wohnraum zugewiesen und sie erhielt Lebensmittelkarten, womit sie Lebensmittel einkaufen oder an der Werksküchenverpflegung teilnehmen konnte. Die sächsische und bayerische Grenze durfte sie nicht überschreiten und mußte als Deutsche eine weiße Armbinde tragen sowie eine festgesetzte Sperrstunde einhalten. 1950 wurde ihr das linke Bein amputiert. Sie führte dies zunächst auf eine durch Teilnahme an der Werksküchenverpflegung entstandene Fleischvergiftung zurück, die eine Embolie im linken Bein verursacht habe. Sie beantragte deshalb nach ihrer Aussiedlung ins Bundesgebiet im Dezember 1950 Versorgung. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte diese mit Bescheid vom 20. Oktober 1952 ab, da die Fleischvergiftung nicht als eine durch besondere Maßregelung Volksdeutscher eingetretene Schädigung anzusehen sei. Im Berufungsverfahren vor dem Oberversicherungsamt (OVA) machte die Klägerin geltend, als Ursache für die Embolie und die Amputation sei neben der Fleischvergiftung eine Verletzung des linken Beines durch Bombensplitter im Jahre 1945 anzusehen. Zum Nachweis legte sie eine Stellungnahme des praktischen Arztes Dr. N... vom 15. April 1953 vor. Gegen das ihre Berufung zurückweisende Urteil des OVA legte die Klägerin Rekurs zum Bayerischen Landesversicherungsamt ein, der mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG) überging. Dem LSG überreichte die Klägerin Zeugnisse des praktischen Arztes Dr. S... und des Fachchirurgen Dr. G..., die den Ursachenzusammenhang zwischen der Fleischvergiftung und der Embolie als wahrscheinlich ansahen. Das LSG wies mit Urteil vom 25. April 1958 die Berufung der Klägerin zurück und ließ die Revision zu. Ein Internierungsschaden (§ 1 Abs. 2 Buchst. c des Bundesversorgungsgesetzes -BVG-) komme nicht in Betracht, da die Klägerin nicht interniert gewesen sei. Internierung i.S. des Gesetzes sei nur das Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung durch die Gewahrsamsmacht. Die Klägerin sei auf Grund eines Dekrets des damaligen Präsidenten der CSR lediglich zur Arbeit verpflichtet und nicht lagermäßig untergebracht worden. Sie habe vielmehr eine private Unterkunft zugewiesen erhalten und mit ihren Lebensmittelkarten entweder einkaufen oder an der Werksküchenverpflegung teilnehmen können. Freizügigkeitsbeschränkungen in Richtung der deutschen Grenzen hätten auch für tschechische Staatsbürger gegolten. Als Zwangsarbeit könne ihre Beschäftigung nicht angesehen werden, weil dann alle zum Arbeitseinsatz in der CSR zurückgehaltenen Deutschen als interniert zu gelten hätten. Auf den ursächlichen Zusammenhang der Fleischvergiftung mit dem Beinverlust komme es demnach nicht mehr an. § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG sei nicht anwendbar, weil die Arbeitsverpflichtung und die Versagung der Ausreiseerlaubnis nicht Maßnahmen deutscher, sondern tschechischer Dienststellen gewesen seien. Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Buchst. d und e BVG liege nicht vor, da die persönlichen Beschränkungen der Klägerin in Zeiten von Staatskrisen und revolutionären Zuständen nicht ungewöhnlich und jedenfalls nicht als besondere Gefahr im Zusammenhang mit der militärischen Besetzung, zwangsweisen Umsiedlung oder Verschleppung und auch nicht als nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge zu werten seien. Schließlich scheide auch § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG als Anspruchsgrundlage aus, weil sich der Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Bombensplitterverletzung im Jahre 1945 und der Beinamputation selbst dann nicht mehr führen lasse, wenn man die Splitterverletzung als wahr unterstelle.

Mit der Revision rügt die Klägerin, das LSG habe die Frage ihrer Internierung nicht genügend aufgeklärt. Die Aussage des als Zeuge benannten Moritz K... würde ergeben haben, daß die in der CSR zum Arbeitseinsatz zurückgehaltenen Deutschen weder den Arbeitsplatz noch die Unterkunft frei wählen konnten, Sperrstunden einhalten und weiße Armbinden tragen mußten, nur die kleine Lebensmittelkarte erhielten, keine Ausreisemöglichkeit hatten und automatisch in der militärischen Absicherung der Stadt A... festgehalten waren, die schon in den einzelnen Stadtteilen begann. Im übrigen hätte das LSG Internierung auch schon auf Grund der von ihm erhobenen Beweise annehmen müssen. Wenn auch die Klägerin nicht lagermäßig untergebracht gewesen sei, so habe sie doch erheblichen Freiheitsbeschränkungen unterlegen, wie aus den "Richtlinien des Innenministeriums vom 2. Dezember 1945 zur Durchführung des Dekrets des Präsidenten der Republik über die Arbeitspflicht der Personen, welche die tschechische Staatsbürgerschaft verloren haben", hervorgehe. Diese Freiheitsbeschränkungen hätten die tschechischen Behörden durch besondere Maßnahmen - Registrierung, Lebensmittelrationierung, Tragen weißer Armbinden, hohe Strafdrohungen bei Nichtbefolgen von Anweisungen - jederzeit voll durchsetzen können. Daß sogar innerhalb der Stadt Asch Straßensperren errichtet waren, sei aus dem bei den LSG-Akten befindlichen "Ascher Rundbrief" vom 12. Dezember 1953 ersichtlich.

§ 1 Abs. 2 Buchst. a BVG habe das LSG infolge eines Verfahrensmangels zu Unrecht nicht angewandt. Entgegen der dem Gericht vorliegenden Bescheinigung des Dr. N... vom 15. April 1953, wonach die Amputation des linken Beines der Klägerin auf eine Bombensplitterverletzung im Jahre 1945 zurückzuführen sei, habe das LSG ohne weitere Sachaufklärung angenommen, der Nachweis des Ursachenzusammenhangs zwischen dieser Verletzung und der Amputation lasse sich nicht mehr führen. Zu dieser Annahme sei das Gericht mangels eigener medizinischer Sachkunde nicht berechtigt gewesen. Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 160, 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 und 166 SGG). Sie ist daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Der Revision kann nicht gefolgt werden, soweit sie Rechtsverstöße des LSG bei Prüfung des Tatbestands der Internierung rügt. Zunächst ist die Verfahrensrüge, das LSG habe zu Unrecht von der Vernehmung Moritz K... als Zeugen abgesehen, unbegründet. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) liegt vor, wenn der dem LSG im Zeitpunkt der Urteilsfällung bekannte Sachverhalt von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus nicht zur Entscheidung ausreichte, sondern zu weiteren Ermittlungen drängte (BSG in SozR SGG § 103 Bl. Da 2 Nr. 7). Nach der Rechtsauffassung des LSG erfordert der Begriff der Internierung, daß die Betroffenen wegen ihrer deutschen Staats- oder Volkszugehörigkeit auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung durch die Gewahrsamsmacht festgehalten und dadurch besonderen persönlichen Beschränkungen unterworfen wurden. Bei Prüfung dieser Voraussetzungen ist das LSG davon ausgegangen, daß die Klägerin den im Dekret des Präsidenten der CSR vom 19. September 1945 angeordneten und in den Richtlinien des Innenministeriums vom 2. Dezember 1945 erläuterten Maßnahmen mit Ausnahme der Lagerunterbringung unterworfen wurde. Zu diesen Maßnahmen gehörte auch die Einhaltung der Sperrstunde. Weiter ist das LSG davon ausgegangen, daß die Deutschen weiße Armbinden tragen mußten, Arbeitsplatz und Unterkunft zugewiesen erhielten, zunächst keine Ausreisemöglichkeit hatten, durch die militärische Absicherung der Stadt Asch gegen die deutsche Grenze in ihrer Bewegungsfreiheit beschränkt waren und in bestimmtem Umfang Lebensmittelkarten zugeteilt bekamen. Diese Umstände, die der Zeuge Moritz K... bestätigen sollte, wurden vom LSG als erwiesen angesehen und bedurften daher keines Beweises mehr. Das LSG hat daher nicht gegen die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht verstoßen, wenn es von der Vernehmung des Zeugen absah.

Den Aufenthalt der Klägerin nach dem Kriege in Asch hat das LSG zutreffend nicht als Internierung angesehen. Es ist dabei mit Recht vom völkerrechtlichen Begriff der Internierung ausgegangen. Darunter wurde zunächst nur die Entwaffnung und Festhaltung von Soldaten einer kriegführenden Macht durch eine neutrale Macht verstanden (vgl. Holtzendorff, Handb. des Völkerrechts Bd. 4 S. 662; Art. 11 des Abkommens vom 18. Oktober 1907, betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges - RGBl 1910, 151 -). Die Haager Landkriegsordnung von 1907 (RGBl 1910, 132) befaßte sich mit dem Begriff der Internierung nicht. Angesichts der Praxis des zweiten Weltkrieges, in der die Festhaltung von Zivilpersonen durch die Besatzungsmächte in großem Umfang erfolgte, regelte das IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl 1954 II, 917) die Rechtsstellung der Internierten in seinem Abschnitt IV. Darnach beginnt die Internierung mit der Festnahme (Art. 90 Abs. 1 des Abkommens). Internierungsort ist nicht ein Ort i.S. eines Dorfes oder einer Stadt, sondern nur ein enger begrenzter Raum, also ein Internierungslager (Art. 83 Abs. 3). Für einen räumlich eng begrenzten Aufenthalt der Internierten spricht Art. 84, der es verbietet, Internierte zusammen mit Kriegsgefangenen oder aus irgendeinem anderen Grund der Freiheit beraubten Personen unterzubringen, und Art. 116, der es dem Internierten gestattet, den Besuch seiner nächsten Angehörigen zu empfangen und sich in dringenden Fällen zu ihnen zu begeben. Daß die Internierten nicht am Wirtschaftsleben des Gewahrsamsstaates teilnehmen, folgt aus den Bestimmungen über die Unterhaltspflicht des Gewahrsamsstaates (Art. 81), die in der Verpflichtung zur Stellung von Unterkunft, Ernährung, Bekleidung und ärztlicher Betreuung konkretisiert ist (Art. 85, 89, 90 und 91 Abs. 5), sowie aus der Verwahrung ihrer Geldmittel und der Beschränkung ihrer Beziehungen zur Außenwelt (Art. 97 ff, 105 ff). Schließlich zeigt auch die Freilassung nach Wegfall des Internierungsgrundes (Art. 132 u. 133), daß es sich bei der Internierung um Freiheitsentzug handelt. Unter Freiheit ist dabei der Inbegriff aller jener Rechte zu verstehen, kraft deren ihr Träger seinen Aufenthalt, seine Lebensweise, seine Bewegungen und alle seine sonstigen Lebensäußerungen nach eigenem Willen bestimmen kann (BVerwG vom 27. Oktober 1955, NJW 1956, 642). Der Begriff der Internierung stellt sich mithin völkerrechtlich als die mit der Festnahme beginnende, auf dem eng begrenzten und überwachten Raum des Internierungsortes stattfindende und mit der Freilassung endende Festhaltung einer Zivilperson fremder Staatszugehörigkeit durch die Gewahrsamsmacht dar. Sie unterscheidet sich von der Zuweisung eines Zwangsaufenthaltes (Art. 41 bis 43), die nur eine Aufenthaltsbeschränkung bedeutet, durch den allgemeinen Freiheitsentzug. Von diesem völkerrechtlichen Internierungsbegriff weicht der des Bundesversorgungsgesetzes nur insofern ab, als er nicht fremde Staatszugehörigkeit des Internierten im Verhältnis zur Gewahrsamsmacht voraussetzt. Es genügt vielmehr auch die Internierung wegen deutscher Volkszugehörigkeit im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten (vgl. BSG in SozR BVG § 1 Bl. Ca 19 Nr. 42). Für eine weitere Ausdehnung des Internierungsbegriffs in § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG gegenüber dem völkerrechtlichen Begriff bietet das Gesetz keinen Anhalt.

Ein Versorgungsanspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 2 Buchst. c BVG würde voraussetzen, daß sie in dem Zeitpunkt, als sie sich die von ihr als Ursache der späteren Beinamputation angesehene Fleischvergiftung zuzog, also im Jahre 1950, interniert war. Ob die Umsiedlung der Klägerin von N... nach A... im Jahre 1945 einer Festnahme gleichzusetzen ist, bedarf daher keiner Entscheidung. Es kommt auch nicht darauf an, ob im Jahre 1953 in Asch Straßensperren bestanden, sondern allein auf die Bedingungen, unter denen die Klägerin im Jahre 1950 in Asch lebte. Nach den Feststellungen des LSG, die die Klägerin ohne Erfolg angegriffen hat und die daher für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), wohnte die Klägerin in einem ihr zwar zugewiesenen, aber doch gegen die Stadt nicht durch besondere Bewachung abgeschirmten Hause. Sie war zwar zur Arbeit verpflichtet und erhielt geringeren Lohn und weniger Lebensmittelkarten als gleichwertige tschechische Arbeitskräfte, aber sie konnte mit ihrem Verdienst und ihren Marken in den Geschäften der Stadt einkaufen bzw. an der auch Tschechen zugänglichen Werksküchenverpflegung teilnehmen. Demnach war sie zwar wirtschaftlich benachteiligt, aber doch in das allgemeine Wirtschafts- und Erwerbsleben eingegliedert. Auch ein Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum lag im Jahre 1950 nicht vor. Es bestanden zwar Grenzsperren an der deutschen Grenze und es war für Facharbeiter mit großen Schwierigkeiten verbunden, eine Aussiedlungsgenehmigung zu erhalten; die Bewegungsfreiheit der Klägerin war dadurch aber nicht eng begrenzt, sondern erstreckte sich auf die Stadt Asch und das tschechische Hinterland. Es handelte sich demnach bei der Klägerin im Jahre 1950 nicht um einen allgemeinen Freiheitsentzug, sondern um eine Arbeitsverpflichtung mit den sich daraus ergebenden Bindungen an den Betriebsort, also nicht um Internierung i.S. des BVG. Die Annahme des LSG, daß eine Internierung nicht vorgelegen habe, ist somit auch sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden.

Der Senat hat auch geprüft, ob der Klägerin nach dem Häftlingshilfegesetz (HHG) idF vom 25. Juli 1960 (BGBl I, 579) Versorgung zusteht. Würde die Klägerin zu dem vom HHG geschützten Personenkreis gehören, so hätte sie nach § 4 des Gesetzes Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG. Dann wären für die Gewährung der Versorgung die Versorgungsverwaltung des Beklagten und für Streitigkeiten wegen dieses Anspruchs die Sozialgerichtsbarkeit zuständig (§ 10 Abs. 1 und 3 HHG). Das HHG dient dem Schutz der Personen, die nicht aus kriegsursächlichen, sondern aus durch die politische Entwicklung der Nachkriegszeit bedingten Gründen in Gewahrsam genommen wurden (vgl. Bundestag, 2. Wahlperiode Drucksache Nr. 1450 S. 5). Da die hier erfaßten Fälle des Freiheitsentzuges nicht mehr im Zusammenhang mit dem Kriege stehen, spricht das Gesetz nicht von Internierung, sondern von "Gewahrsam"; sachlich handelt es sich jedoch auch hier um den der Internierung eigentümlichen allgemeinen Freiheitsentzug. Der Begriff des Gewahrsams ist durch Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 und 3 des Ersten Änderungs- und Ergänzungsgesetzes zum HHG vom 13. März 1957 (BGBl I, 165) definiert. Danach ist Gewahrsam i.S. des Gesetzes ein Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung; lagermäßige Unterbringung als Folge von Arbeitsverpflichtungen oder zum Zwecke des Abtransports von Vertriebenen oder Aussiedlern gilt nicht als Gewahrsam. Demnach hat die Klägerin keinen Versorgungsanspruch nach dem HHG, denn abgesehen davon, daß es sich bei ihrem Aufenthalt in Asch um die Folge einer Arbeitsverpflichtung handelte, fehlt es hier jedenfalls an einem Festgehaltenwerden auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung.

Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 2 Buchst. d BVG - eine mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist - ist nicht gegeben. Obgleich es offensichtliches Unrecht ist, daß die 1945 über 60 Jahre alte Klägerin auf Grund des Dekrets des Präsidenten der CSR vom 19. September 1945 der Arbeitspflicht unterworfen wurde, die sich nach § 2 Abs. 1 des Dekrets nur auf Frauen bis zum vollendeten 50. Lebensjahr erstreckte, und selbst wenn man die Teilnahme an der Werksküchenverpflegung als unvermeidliche Folge des Arbeitseinsatzes ansieht, handelte es sich dabei doch nicht um eine mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Zwangsmaßnahme. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum BVG (vgl. Bundestag 1. Wahlperiode Drucksache Nr. 1333 S. 46/47) sollten durch diese Vorschrift insbesondere Schädigungen erfaßt werden, die in der letzten Phase des Krieges durch deutsche Dienststellen bei Erzwingung eines Einsatzes entstanden, der den Umständen nach nicht mehr erwartet werden konnte. Es mag zweifelhaft sein, wie weit der Begriff des "Zusammenhangs mit Auflösungserscheinungen" reicht (vgl. hierzu Schieckel, Komm. d. BVG, 2. Aufl. § 1 Anm. 18). Zwangsmaßnahmen, die den völligen Zusammenbruch deutscher militärischer und exekutiver Macht voraussetzten und - wie hier - bereits dem Wiederaufbau des durch den Krieg zerstörten Wirtschaftslebens der CSR dienten, können jedenfalls nicht mehr in Zusammenhang mit den gegen Kriegsende auf deutscher Seite eingetretenen Auflösungserscheinungen gebracht werden.

Mit Recht hat das LSG auch einen Versorgungsanspruch aus § 5 Abs. 1 Buchst. d und e verneint. Der Körperschaden der Klägerin ist nicht durch eine mit der zwangsweisen Umsiedlung zusammenhängende besondere Gefahr entstanden, weil die Umsiedlung bei Eintritt der Schädigung schon fünf Jahre zurücklag. Die Fleischvergiftung ist auch keine nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge, die einen kriegseigentümlichen Gefahrenbereich hinterlassen haben, weil die erst fünf Jahre nach Kriegsende erfolgte Verabreichung des verdorbenen Fleisches nicht auf einen kriegerischen Vorgang zurückgeführt werden kann.

Auch soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht bei Würdigung ihrer 1945 am linken Bein erlittenen Bombensplitterverletzung rügt, kann die Revision keinen Erfolg haben. Die Frage, ob das Verfahren des LSG an einem wesentlichen Mangel leidet, ist vom sachlich-rechtlichen Standpunkt des LSG aus zu beurteilen (BSG 2, 84). Nach Auffassung des LSG kam es für einen Versorgungsanspruch der Klägerin aus § 1 Abs. 2 Buchst. a BVG darauf an, ob die behauptete Splitterverletzung als erwiesen und der ursächliche Zusammenhang zwischen dieser unmittelbaren Kriegseinwirkung und der 1950 zur Amputation zwingenden Gesundheitsstörung am linken Bein als wahrscheinlich angesehen werden konnte. Das LSG hat die von der Klägerin behauptete Splitterverletzung am linken Bein als wahr unterstellt. Es war daher nicht mehr gedrängt, diese als erwiesen geltende Tatsache durch neue Beweise zu belegen. Das LSG war mithin auch nicht veranlaßt, die von der Klägerin als Zeugen benannten Eheleute K... über die Bombensplitterverletzung zu hören. § 103 SGG ist sonach nicht verletzt.

Das LSG war auch nicht verpflichtet, über die weitere Anspruchsvoraussetzung, daß die Splitterverletzung vom Jahre 1945 für die Embolie im Jahre 1950 ursächlich war, Beweis zu erheben; denn das Gericht braucht nur solche Beweise zu erheben, welche die Möglichkeit einer beweiskräftigen Aussage ergeben. Diese Möglichkeit hat das LSG hier ohne Rechtsirrtum verneint. Es hat auch die Gründe angeführt, welche rechtfertigten, von einem weiteren Sachverständigenbeweis über den ursächlichen Zusammenhang der Splitterverletzung und der Embolie abzusehen. Die vom LSG genannten Gründe erlauben dem Revisionsgericht die Nachprüfung, ob sich das LSG die erforderliche Sachkunde zu Unrecht zugetraut hat (SozR SGG § 103 Bl. Da 11 Nr. 33). Die Anforderungen, die an den Ausweis der eigenen Sachkunde im Urteil zu stellen sind, sind je nach dem Schwierigkeitsgrad der zu entscheidenden Frage unterschiedlich. Das LSG hat indes nicht über eine rein medizinische Frage entschieden, sondern darüber, ob für ein ärztliches Gutachten ausreichende objektive Befunde vorhanden oder noch zu ermitteln waren. Hierzu konnte das LSG, ohne die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung (§ 128 SGG) zu überschreiten, feststellen, daß die Behauptung eines ursächlichen Zusammenhangs der Beinamputation mit der Bombensplitterverletzung dem Vorbringen der Klägerin bis zum Berufungsverfahren und den bisherigen Sachverständigenbeweisen widersprach, daß Art und Umfang der Verletzung infolge der 1950 erfolgten Amputation nicht mehr feststellbar waren und daß damit dem ärztlichen Sachverständigen alle Grundlagen für die Prüfung eines ursächlichen Zusammenhangs fehlten. Der medizinische Sachverständige hätte sein Gutachten somit nur auf subjektive Vermutungen, nicht auf objektive Befunde, sei es auch solche bescheidensten Umfangs, stützen können. Auf ein solches nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht beweiskräftiges Gutachten aber zu verzichten, ist in einem Fall, wie dem hier vorliegenden, dem Gericht erlaubt (BSG 1, 194, 196). Das LSG durfte mithin die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs verneinen, weil sich nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast (BSG 6, 70) die unentbehrlichen objektiven Grundlagen für eine ärztliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs nicht mehr ermitteln ließen.

Weder die Beteiligten noch die Versorgungsverwaltung und die Instanzgerichte haben nach den Akten geprüft, ob der Klägerin auf Grund der Fleischvergiftung, die sie sich durch Teilnahme an der Werksküchenverpflegung zugezogen hat, Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung, etwa auf Grund des Fremdrentengesetzes zustehen. Auch der Senat mußte dies unerörtert lassen, weil ein Versicherungsträger der Unfallversicherung bisher nicht zum Verfahren beigeladen wurde (§ 75 Abs. 2 SGG) und eine Beiladung im Revisionsverfahren unzulässig ist (§ 168 SGG). Ein in der unterlassenen Beiladung etwa liegender Verfahrensverstoß des LSG ist von der Revision nicht gerügt worden; von Amts wegen war er nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG - BSG 1, 158; 7, 269; Urteil des 2. Senats vom 14. 12. 1960, 2 RU 18/59 -, der sich der Senat anschließt, nicht zu beachten.

Da die gerügten Verfahrensmängel nicht vorliegen und das Urteil sich auch als frei von sachlich-rechtlichen Fehlern erweist, war die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 50

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