Leitsatz (redaktionell)

Wird nach Bewilligung einer Berufsausbildungsbeihilfe gemäß AVAVG § 131 streitig, ob die näheren Voraussetzungen des § 137 aaO weiter gegeben sind, so handelt es sich um die Höhe der Leistung, bei der das SG im Rahmen des SGG § 147 grundsätzlich abschließend zu entscheiden hat, auch dann, wenn über den zeitweiligen und gänzlichen Wegfall der Beihilfe zu befinden ist.

 

Orientierungssatz

Es handelt sich bei der Frage, ob die freiwillige Zahlung des (geschiedenen) Stiefvaters der Klägerin an ihre unterhaltspflichtige Mutter bei Gewährung der Berufsausbildungsbeihilfe zu berücksichtigen ist, um einen Streit iS des SGG § 147.

 

Normenkette

SGG § 147 Fassung: 1958-06-25; AVAVG § 131 Fassung: 1957-04-03, § 137 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 19. März 1965 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die 1946 unehelich geborene Klägerin lebte bis zur Scheidung ihrer Mutter im gemeinsamen Haushalt mit dem Stiefvater, der ihr auch seinen Namen erteilt hatte. Vom 1. April 1961 an wurde die Klägerin in der Filiale L. der Konsumgenossenschaft N als Verkäuferin ausgebildet. Sie erhielt neben der Lehrlingsvergütung von 88,85 DM monatlich von dem unehelichen Vater, der in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) lebt, regelmäßig eine monatliche Unterhaltsrente von 35,- DM. Die Beklagte bewilligte ihr bis zum 31. März 1962 aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) - jeweils für Zeitabschnitte von sechs Monaten - fortgesetzt eine Berufsausbildungsbeihilfe (BAB), zuletzt in Höhe von 39,- DM monatlich. Nach der Scheidung im Januar 1962 zahlte der Stiefvater an die Mutter der Klägerin einen freiwilligen Unterhaltsbeitrag von wöchentlich 35,- DM, das sind 151,66 DM je Monat.

Den Antrag auf Weiterbewilligung der BAB vom 19. März 1962 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18. Juli 1962), da sich nach den Richtlinien des Verwaltungsrats der BfArb für die Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfen vom 11. November 1953 in der Fassung vom 9. März 1956 nebst den dazu ergangenen Durchführungsanordnungen der Gesamtbedarf der Klägerin als Auszubildender auf 148,33 DM monatlich errechne, ihr indessen unter Berücksichtigung eines Teilbetrags von 39,16 DM monatlich aus dem Einkommen der unterhaltspflichtigen Mutter insgesamt 163,01 DM je Monat zur Verfügung ständen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1962). Das Sozialgericht (SG) hob den Bescheid vom 18. Juli 1962 und den Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1962 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin Berufsausbildungsbeihilfe für die Zeit vom 1. April bis zum 8. September 1962 zu zahlen (Urteil vom 30. April 1963). Die Unterhaltsleistungen des geschiedenen Ehemannes seien zwar Einkommen der Mutter im Sinne der Richtlinien der Beklagten, dennoch könne diese den Teilbetrag von 39,16 DM nicht anrechnen, da der Stiefvater während des Bestehens der Ehe zum Unterhalt der Klägerin durch eigene Leistungen nicht beigetragen habe. Damals sei auch von der Beklagten das Einkommen des Stiefvaters nicht in Ansatz gebracht worden; alsdann lasse sich nicht rechtfertigen, daß die der Mutter der Klägerin nach der Scheidung gewährte Unterhaltsleistung Einfluß auf die Berufsausbildungsbeihilfe haben solle. Die Rechtsmittelbelehrung des SG lautete: "Gegen dieses Urteil ist gemäß § 143 des Sozialgerichtsgesetzes die Berufung an das Landessozialgericht gegeben."

Die von der Beklagten eingelegte Berufung verwarf das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 19. März 1965), das sie nach § 147 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für unzulässig hielt. Es handele sich um einen Streit über die Bemessungsgrundlage, der die Höhe der BAB beeinflusse, und somit um einen Streit über die Höhe der Leistung. Dabei mache es keinen Unterschied, ob von den Beteiligten über die tatsächliche Höhe einer zahlbaren Unterstützung gestritten werde oder ob mit Rücksicht auf ein vorhandenes sonstiges Einkommen Zweifel darüber beständen, daß eine Unterstützung überhaupt gezahlt oder daß eine solche nicht gezahlt werde. Der Anspruch der Klägerin auf Berufsausbildungsbeihilfe sei nicht abgelehnt, sondern wegen fehlender wirtschaftlicher Voraussetzungen sei die Leistung nur vorübergehend verweigert worden. Die Feststellung in der Rechtsmittelbelehrung, daß gemäß § 143 SGG die Berufung "gegeben" sei, bewirke keine Zulassung dieses Rechtsmittels im Sinne des § 150 SGG. Die Zulassung müsse vielmehr in der Urteilsformel oder in den Entscheidungsgründen eindeutig ausgesprochen werden. Das sei nicht geschehen. Ein wesentlicher Verfahrensmangel (§ 150 Nr. 2 SGG) sei von der Beklagten nicht gerügt worden, liege zudem auch nicht vor.

Revision wurde zugelassen.

Gegen das Urteil des LSG hat die Beklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des SG vom 30. April 1963 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Zur Begründung der Revision hat die Beklagte im wesentlichen ausgeführt: Der vorliegende Streit betreffe nicht nur die Höhe der Leistung, sondern gleichzeitig auch deren Voraussetzungen. Gemäß § 137 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) dürfe die BAB nur gewährt werden, wenn die erforderlichen Mittel den Betreffenden nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt werden. Diese Fragen müßten zunächst beantwortet werden, ehe es im einzelnen auf die Regelung in den Richtlinien ankomme; also seien die Grundvoraussetzungen der BAB betroffen. Hiervon hänge es ab, ob die Leistung überhaupt, d. h. schon dem Grunde nach gewährt werden könne oder nicht. Im übrigen verstoße die Auffassung des LSG gegen die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 137 AVAVG und § 147 SGG sowie zu § 148 Nr. 4 SGG (Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung).

Die Klägerin hat zur Sache Erklärungen nicht abgegeben, nachdem ihr bisheriger Bevollmächtigter (Beauftragter des Kreisjugendamts) von der Vertretung in der Revisionsinstanz zurückgetreten ist.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig; sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Die Auffassung des LSG, daß die Berufung, deren Zulässigkeit als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BSG 3, 124 mit weiteren Nachweisen), hier durch § 147 SGG ausgeschlossen sei, ist frei von Rechtsirrtum. Nach dieser Vorschrift ist die Berufung in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenhilfe nicht zulässig, soweit sie Beginn oder Höhe der Leistung betrifft.

Die BABen, die im Vierten Abschnitt: Maßnahmen zur Verhütung und Beendigung der Arbeitslosigkeit, Unterabschnitt A: Förderung der Arbeitsaufnahme und der Berufsausbildung sowie berufliche Bildungsmaßnahmen (§§ 131 ff) des AVAVG ihre allgemeine Rechtsgrundlage haben, gehören zu den Aufgaben und Leistungen der Beklagten, deren Mittel nach § 157 AVAVG aus Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber aufgebracht werden. Das hat die Beklagte eingeräumt. Nach § 137 AVAVG, der auch für die Förderungsmaßnahmen bei Schulabgängern gilt, darf die Förderung nur gewährt werden, wenn die erforderlichen Mittel dem Antragsteller nicht oder nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen und auch nicht von Dritten zur Verfügung gestellt werden. Diese Grundvoraussetzung hat die Beklagte offensichtlich von der ersten Antragstellung an (1. April 1961) bei der Klägerin bejaht, mithin ihre "Bedürftigkeit" dem Grunde nach anerkannt, wie die von den beiden Vorinstanzen beigezogenen und zum Gegenstand der Verhandlung und Entscheidung gemachten Leistungsakten erweisen. Die Klägerin erhielt bis zum 31. März 1962 nacheinander drei Bewilligungsbescheide über BAB in verschiedener Höhe, deren Bemessung sich jeweils aus dem im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 168 Abs. 1 AVAVG ergangenen "Richtlinien des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für die Gewährung von Ausbildungsbeihilfen" vom 11. November 1953 in der Fassung vom 9. März 1956 (ANBA 1957, 95 ff) ergab. Streitig ist unter den Beteiligten nur, ob die freiwillige Unterhaltsleistung des Stiefvaters an die Mutter der Klägerin, gewährt vom 1. April bis zum 8. September 1962, als deren Einkommen nach den Richtlinien des Verwaltungsrats der Beklagten (RL) sowie den Durchführungsanweisungen hierzu (DA) zu berücksichtigen ist. Insoweit handelt es sich indessen um einen Streit über die Höhe der Leistung. Die Beklagte hatte nämlich jeweils - also bereits in den vorausgegangenen Bewilligungsabschnitten dem Bedarf der Klägerin ("Soll") den Bestand an Einkommen ("Ist") gegenübergestellt. Diese beiden Beträge wurden jeweilig nach Abschnitt III Ziffer 12 bis 15 der RL ermittelt. Aus der Gegenüberstellung des anzurechnenden Einkommens und des anerkannten Bedarfs (vgl. u. a. Nr. 14 RL und DA 17, 18 hierzu) wird die Höhe der BAB ermittelt. Daß bei dieser Gegenüberstellung - wie hier - eine Leistung gleich Null herauskommen kann (mit der Folge, daß "Bedürftigkeit", richtiger: "Bedarf", zeitweise entfällt), ist ein Ergebnis des Rechenwerks gemäß den Richtlinien; im vorliegenden Falle je nach dem, ob ein Betrag angerechnet werden muß oder nicht. Dies führt indessen nicht dazu, nunmehr davon auszugehen, daß bei einer Leistung gleich Null der Anspruch dem Grunde nach - mit Zulässigkeit der Berufung - berührt werde (vgl. insoweit BSG 1, 62 ff = 8. Senat zu § 148 SGG = Ausgleichsrente in der Kriegsopferversorgung).

Die hier vertretene Auffassung widerspricht auch nicht etwa der Entscheidung des erkennenden Senats in BSG 8, 92 ff zur Arbeitslosenfürsorge, in der er ausdrücklich offengelassen hatte, ob § 147 SGG anzuwenden ist, wenn die Frage der Bedürftigkeit nur anhand der Anrechnungsvorschriften, also in Form einer reinen Berechnung, geprüft werden müßte. Die weitere Entscheidung des erkennenden Senats vom 15. September 1966 (SozR Nr. 7 zu § 150 AVAVG) war allein auf die bei der Arbeitslosenhilfe im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung geltenden Einkommensbegriffe ausgerichtet und unmittelbar auf § 150 AVAVG abgestellt. Die Arbeitslosenhilfe als eine Sonderform des Lohnersatzes bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit (laufende Zahlungen mit Hauptbetrag und Familienzuschlägen) ist jedoch sachlich und rechtlich nicht vergleichbar mit den zeit- und zweckgebundenen Berufsbildungsmaßnahmen und deren außerhalb des AVAVG geregelten besonderen Voraussetzungen sowie eigenständigen Bemessungs- und Anrechnungsvorschriften. Schließlich stehen der Auffassung des LSG, die Berufung sei im vorliegenden Falle gemäß § 147 SGG nicht zulässig, auch nicht die zu § 137 AVAVG ergangenen Entscheidungen des erkennenden Senats (SozR Nr. 1 und 2 zu § 137 AVAVG) entgegen. Dort war in beiden Fällen zu entscheiden, ob ein Stiefvater auf Grund ausdrücklich übernommener oder sich aus den Umständen ergebender Verpflichtung die Mittel zur Ausbildung bereitstellt oder bereitzustellen hatte. Dann betrifft die Entscheidung über die Subsidiarität der BAB allerdings den Grund des Anspruchs. Hier dagegen stand von vornherein fest, daß die Mutter der Klägerin vorhandenes Einkommen einzusetzen hat. Es kommt, wenn die anderen (allgemeinen) Voraussetzungen gegeben sind, allein darauf an, was als Einkommen anzusehen ist und in welcher Höhe es anzurechnen ist. Beides betrifft die Höhe der Leistung (vgl. auch Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. Sgb., § 147 SGG Anm. 3).

Nach alledem muß im Ergebnis die Entscheidung des LSG bestätigt werden. Die Revision der Beklagten ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290790

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