Entscheidungsstichwort (Thema)

Tageweiser Rentenübergang auf Sozialhilfeträger. Ersatzanspruch und übergeleiteter Rentenanspruch

 

Orientierungssatz

1. Der Ersatzanspruch (RVO § 1531) des Trägers der Sozialhilfe gegen den Träger der Rentenversicherung besteht nicht für die Zeit nach dem Tod des Rentners, umfaßt insbesondere nicht die Rente für die Zeit vom Todestag bis zum Ende des Sterbemonats.

2. Es ist nicht zulässig einen eindeutig begründeten Ersatzanspruch je nach Zweckmäßigkeit in einen übergeleiteten Rentenanspruch umzudeuten.

 

Normenkette

RVO § 1294 Fassung: 1957-02-23, § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 1535b Fassung: 1953-08-20; BSHG § 90 S 1

 

Verfahrensgang

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.05.1979; Aktenzeichen S 9 J 280/78)

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten zur Rückzahlung von Teilen der Monatsrente für Januar 1978, die die Klägerin für die am 3. Januar 1978 verstorbene Rentnerin E M (Verstorbene) an die Beklagte ausgezahlt hat.

Seit 1. Juli 1966 bezog die Verstorbene eine Hinterbliebenenrente, zuletzt in Höhe von DM 770,90 im Monat. Mit Schreiben vom 28. August 1972 teilte die Beklagte der Klägerin mit, daß sie der Verstorbenen Heimpflege bzw. Anstaltspflege gewähre. Sie meldete unter Hinweis auf die §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 140 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) Ersatzanspruch an. In der Folgezeit überwies die Klägerin die der Verstorbenen zustehende Rente an die Beklagte. Auf die Mitteilung vom Tod der Verstorbenen stellte die Klägerin die Rentenzahlung mit Ablauf des Monats Februar 1978 ein. Mit Schreiben vom 27. Februar 1978 forderte sie von der Beklagten die bis einschließlich Februar 1978 ausgezahlte Rente ab 4. Januar 1978 in Höhe von insgesamt 1.467,20 DM zurück. Hierauf erstattete die Beklagte den Betrag von 1.228,90 DM. Sie verwies darauf, daß in der Zeit vom 1. Januar bis 31. Januar 1978 noch Kosten in Höhe von 312,90 DM entstanden seien. Die Klägerin beharrte demgegenüber auf ihrem Rückzahlungsanspruch in Höhe von 238,30 DM mit der Begründung, die Beklagte sei zur Rückzahlung der über den Sterbetag hinaus eingegangenen Rentenbeträge verpflichtet.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, nach der Rechtsprechung entstehe der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers mit jedem Tage des gewährten Unterhalts; er falle mit dem Todestag des Unterstützten weg. Die Rente für den Sterbemonat sei nicht an den Rentenberechtigten, sondern an einen Sozialhilfeträger gezahlt worden. Damit sei die Leistung nicht in das Vermögen der Verstorbenen gelangt. Die Beklagte berief sich demgegenüber darauf, daß die Verstorbene nach § 1294 RVO einen Anspruch auf die gesamte Rente für den Sterbemonat gehabt habe. Dieser Monat sei der für die Gewährung von Sozialhilfe maßgebliche Bedarfszeitraum. Die Verstorbene habe aus Mitteln der Sozialhilfe für den Sterbemonat 138,-- DM Taschengeld erhalten. Auch insoweit bestehe ein Ersatzanspruch.

Durch Urteil vom 3. Mai 1979 hat das Sozialgericht (SG) Düsseldorf die Klage abgewiesen mit der Begründung, entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 3, 57 ff) sei der Anspruch der Verstorbenen auf Hinterbliebenenrente für den gesamten Monat Januar 1978 gemäß § 90 Satz 1 BSHG in Höhe der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers auf diesen übergegangen.

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht die Klägerin geltend, die Beklagte habe keinen Anspruch auf die Rente wie die Verstorbene, sondern nur einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen aus der Rente. Dieser kraft Gesetzes übergegangene Anspruch entstehe mit jedem Tage neu und falle mit dem Todestag des Unterstützten weg. Die Vorschrift des § 1294 RVO sei hier anwendbar, da das Sozialamt nicht Erbe der Verstorbenen geworden sei. Der Anspruch belaufe sich nunmehr auf 143,30 DM.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. Mai 1979 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, den Betrag von 143,30 DM an die Klägerin zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, ein Anspruch auf Rückzahlung von Rententeilen könne nicht von der Beklagten, sondern allenfalls von den Erben bzw. Sonderrechtsnachfolgern geltend gemacht werden.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig. Der Sozialrechtsweg ist eröffnet (BSGE 3, 57 = SozR Nr 1 zu § 1531 RVO). Die Revision ist auch begründet. Die klagende Landesversicherungsanstalt (LVA) hat, wie entgegen der Rechtsauffassung des SG festzustellen ist, gegen die beklagte Stadt einen Anspruch auf den geforderten Betrag, der in der Höhe der Rente für die Zeit vom 4. bis 31. Januar 1978 entspricht.

Zu Recht hat die LVA die Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) erhoben, denn es handelt sich um die Geltendmachung eines Anspruches im Gleichordnungsverhältnis zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Trägern.

Der Anspruch der LVA ist auf Rückerstattung einer Ersatzleistung gerichtet, die vorschußweise gezahlt worden ist, bei der aber dann der erwartete Rechtsgrund - infolge des Todes der Rentnerin - für die letzten 28 Tage des Januar 1978 nicht eingetreten ist. Die Rechtsnatur dieses im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen Anspruchs ähnelt zum einen dem Rückerstattungsanspruch des Trägers gegenüber dem Bürger nach § 1301 RVO (dort wird der Anspruch zwar nicht begründet, aber vorausgesetzt), § 43 Abs 2 Satz 2 SGB 1 und § 48 Abs 1 Satz 1 Entwurf zum SGB 10, zum anderen dem Erstattungsanspruch eines Trägers gegen einen anderen nach § 43 Abs 3 SGB 1 und schließlich dem bürgerlichrechtlichen Bereicherungsanspruch nach § 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Voraussetzung für den Anspruch kann nach Lage der Sache nur sein, daß die Stadt den streitigen Betrag ohne rechtfertigenden Grund von der LVA erlangt hat oder daß der zunächst angenommene rechtfertigende Grund nicht oder nicht in vollem Umfang eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist hier zu bejahen.

Dazu kommt es zunächst auf den Rechtscharakter des Anspruches an, der der Stadt gegen die LVA zustand und zu dessen vorschußweiser Befriedigung die LVA an die Stadt einen Betrag in Höhe der Rente jeweils am Monatsanfang im voraus gezahlt hat.

Das SG nimmt an, es habe sich um einen übergegangenen Rentenanspruch (§ 90 Satz 1 BSHG) gehandelt, während die Revision von einem Ersatzanspruch nach §§ 1531 ff RVO ausgeht. Die Rechtsauffassung der Revision trifft zu.

Der Träger der Sozialhilfe, der einen Hilfsbedürftigen unterstützt, hat allerdings grundsätzlich mindestens zwei Möglichkeiten, die Rente des Versicherten an sich zu ziehen. Er kann den Rentenanspruch des Unterstützten auf sich überleiten (§ 90 BSHG) und dann gegenüber dem Träger der Rentenversicherung als Gläubiger des Rentenanspruchs auftreten und diesen einziehen. Er kann aber auch einen eigenen, unmittelbaren und selbständigen (Ersatzanspruch) Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger geltend machen. Der erste Anspruch setzt eine Rechtshandlung des Trägers der Sozialhilfe voraus, nämlich eine "schriftliche Anzeige" an den Träger der Rentenversicherung (§ 90 Abs 1 Satz 1 BSHG), der zweite Anspruch entsteht kraft Gesetzes (BSGE 21, 84, 85 = SozR Nr 13 zu § 1531 RVO). Ein Anspruch nach § 50 SGB 1 scheidet wegen der Vorschrift des § 37 SGB 1 aus.

Nach der Rechtsprechung schließt die besondere Regelung der §§ 1531 ff RVO die Anwendung des § 90 BSHG aus (BSG aaO; BSG SozR Nr 32 zu § 1531 RVO; vorher schon BSGE 16, 44, 49 = SozR Nr 2 zu § 1538 RVO; Knopp/Fichtner, BSHG, 4. Aufl 1979, RdNr 4 zu § 90 und 2 zu § 140; vgl zu der "gewissen dinglichen Wirkung" des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO - Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 970b, Stand: August 1972 - auch BSGE 24, 16, 17 = SozR Nr 16 zu § 1531 RVO). Die Stadt hat denn auch die Möglichkeit des § 1531 RVO gewählt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt ihres "Geltendmachungs"-Schreibens an die LVA vom 14. November 1967. Mag auch im allgemeinen zwischen dem übergeleiteten Rentenanspruch des Trägers der Sozialhilfe und seinem selbständigen Ersatzanspruch kein großer rechtlicher und nur ein geringer wirtschaftlicher Unterschied bestehen, so ist es doch nicht zulässig, einen eindeutig begründeten Ersatzanspruch je nach Zweckmäßigkeit in einen übergeleiteten Rentenanspruch umzudeuten. Das SG hat die von ihm vorgenommene Umdeutung nicht begründet. Wenn es von einer schriftlichen Anzeige nach § 90 Satz 1 BSHG spricht, so kann es damit nur das Schreiben vom 28. August 1972 meinen, das aber nach seiner eigenen Feststellung die Anmeldung eines Ersatzanspruches nach § 1531 RVO enthält.

Wie die Rechtslage bei einem übergeleiteten Rentenanspruch wäre, kann auf sich beruhen. Ein Ersatzanspruch der Stadt nach § 1531 RVO bestand jedenfalls für die Zeit nach dem Tod der unterstützten Rentnerin nicht. Das ergibt sich aus § 1535 b RVO. Wenn es dort heißt, zur Befriedigung des Ersatzanspruches dürfe nur auf die Rentenbeträge für die Zeit zurückgegriffen werden, für welche die Unterstützung und der Anspruch auf Renten zusammentreffen, so bedeutet das, da die Rentnerin nur zu ihren Lebzeiten unterstützt worden ist und werden konnte, die Unterstützung also hier am 24. Februar 1978 geendet hat, daß nur die Rentenbeträge für die Zeit bis zum Todestag zur Befriedigung des Ersatzanspruches der Stadt herangezogen werden dürfen. Ob die Rente, die nach § 1294 RVO für den ganzen Sterbemonat gezahlt wird, dann dem Sonderrechtsnachfolger (§§ 56, 57 SGB 1) oder dem Erben (§ 58 SGB 1) - allerdings nicht dem etwa als gesetzlicher Erbe (§ 1936 BGB) in Frage kommenden Fiskus (§ 58 Satz 2 SGB 1) - zusteht, ist hier nicht zu entscheiden.

Mit dieser Rechtsauffassung hält sich der Senat im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts -RVA- (Urteil vom 11. April 1933, EuM 34, 415) und des BSG (BSGE 3, 57; BSGE 21, 84 = SozR Nr 13 zu § 1531 RVO).Das Urteil BSGE 39, 278, 282 = SozR 2200 § 1283 Nr 4 steht nicht im Wege; es betrifft das Verhältnis zwischen dem Träger der Rentenversicherung und dem Versicherten und sichert diesem die Rente für den vollen Monat zu (§ 1294 RVO), befaßt sich aber nicht mit dem Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe.

Ob die beklagte Stadt, wie sie vorträgt, von der hilfsbedürftigen Rentnerin nach den §§ 29, 85 Nr 3 BSHG den "Einsatz der vollen Rentenbeträge" verlangen konnte, ist hier, wo es nicht um eine Forderung der Stadt gegen die Rentnerin, sondern um ein etwaiges Gegenrecht der Stadt gegen eine Forderung der LVA geht, ohne Bedeutung. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob die Stadt der Rentnerin die "erweiterte" Hilfe iS des § 29 BSHG gewährt hat und ob sie den etwaigen Anspruch eines Rechtsnachfolgers der Rentnerin (§§ 56 bis 58 SGB 1) auf die Rente für den Rest des Todesmonats (§ 1294 RVO) wegen ihres Ersatzanspruches gegen den Erben (§ 92c BSHG) pfänden könnte (§ 54 SGB 1). Schließlich mag dahingestellt bleiben, ob ein Rechtsnachfolger der Rentnerin den Anspruch auf den Restbetrag der Rente nicht, wie es zunächst sinnvoll erscheint, gegen die LVA, sondern gegen die Stadt geltend machen könnte.

Der von der LVA geforderte Betrag ist der Höhe nach unstreitig. Das angefochtene Urteil war aufzuheben; die Stadt war zur Zahlung zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655832

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