Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfallversicherungsschutz eines ehrenamtlichen Helfers der Naturschutzwacht vor Aushändigung der vorgeschriebenen Bestellungsurkunde

 

Orientierungssatz

1. Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich nicht aus denjenigen Vorschriften, auf denen die ehrenamtliche Tätigkeit beruht, sondern vielmehr aus der RVO und den aus ihr entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen über Beginn, Umfang und Ende dieses Schutzes (vgl BSG 1980-01-31 8a RU 46/79 = SozR 2200 § 539 Nr 63).

2. Auch derjenige erleidet einen Arbeitsunfall, welcher bei einer mit der versicherten Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlung verunglückt. Dieser Grundsatz ist auch für ehrenamtlich Tätige gültig (Anschluß an BSG 1980-01-31 8a RU 46/79 = SozR 2200 § 539 Nr 63).

3. Die als Voraussetzung für die Aushändigung der Bestellungsurkunde zum ehrenamtlichen Helfer der Naturschutzwacht durchzuführende Unterrichtung des Bewerbers steht in einem derart engen Zusammenhang mit der vorgesehenen Amtsausübung, daß sie als eine Vorbereitung für die ehrenamtliche Tätigkeit des Versicherten anzusehen ist, welche denselben Versicherungsschutz genießt wie die Tätigkeit selbst.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs 1 Nr 13 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 14.07.1982; Aktenzeichen L 2 U 367/81)

SG Landshut (Entscheidung vom 08.09.1981; Aktenzeichen S 5 U 325/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger bei seinem Unfall am 25. Juli 1980 als für den Freistaat Bayern ehrenamtlich Tätiger in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert war, obwohl er die in § 5 Satz 2 der Verordnung (VO) über die Naturschutzwacht vom 15. Mai 1975 (BayGVBl 1975, 119) vorgeschriebene Bestellungsurkunde noch nicht ausgehändigt erhalten hatte.

Der Kläger war für den Einsatz als Hilfskraft zur Unterstützung der Naturschutzbehörden und der Polizei nach Art 43 Abs 1 Satz 1 des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) vom 27. Juli 1973 (GVBl 1973, 437) vorgeschlagen. Am Unfalltag nahm er im Landratsamt D......... an einem Schnellkurs mit abschließender Prüfung in Form eines Prüfungsgespräches erfolgreich teil. Auf der Rückfahrt, die er ebenso wie die Fahrt zum Kursus zusammen mit einem weiteren Bewerber für die Naturschutzwacht des Landkreises R.... in einem Dienstfahrzeug dieses Landkreises zu seinem Wohnort zurücklegen wollte, verunglückte er schwer. Der Kläger erfüllte die Voraussetzungen für die Bestellung zum Angehörigen der Naturschutzwacht und wäre nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) auch baldmöglichst durch Aushändigung einer Urkunde bestellt worden.

Durch Bescheid vom 24. November 1980 lehnte der Beklagte die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, daß es an der förmlichen Bestellung zum Angehörigen der Naturschutzwacht fehle und die Voraussetzungen für Versicherungsschutz gemäß § 539 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ebenfalls nicht gegeben seien.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 8. September 1981 abgewiesen, weil der Kläger wegen der nicht erfolgten Aushändigung einer Bestellungsurkunde noch kein Ehrenamt inne gehabt und als Teilnehmer am Schnellkursus und am Prüfungsgespräch nicht Aufgaben eines Angehörigen der Naturschutzwacht wahrgenommen habe. Die hiergegen eingelegte Berufung hatte Erfolg. Das LSG hat den Beklagten verurteilt, den Unfall des Klägers vom 25. Juli 1980 als Arbeitsunfall zu entschädigen, weil er alle Voraussetzungen für die Bestellung zur Hilfskraft erfüllt habe und die formelle Bestellung durch Aushändigung einer Urkunde unfallversicherungsrechtlich nicht erforderlich sei; außerdem hat das LSG angenommen, daß zumindest ein Unfall iS des § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO vorgelegen habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Nach seiner Überzeugung konnte ohne die Aushändigung der zwingend vorgeschriebenen Urkunde noch keine ehrenamtliche Tätigkeit ausgeübt werden. Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO ist nach der Auffassung des Beklagten zu verneinen, weil der Schnellkursus nicht einer beruflichen Aus- oder Fortbildung gedient habe.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 1982 aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Der Unfall hat nach seiner Meinung in einem derart engen inneren Zusammenhang mit der bevorstehenden Bestellung zur Hilfskraft gestanden, daß Versicherungsschutz bereits gegeben gewesen sei. Jedenfalls sei er nach § 539 Abs 2 iVm § 539 Abs 1 Nr 14 Buchst c RVO versichert gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat am 25. Juli 1980 einen Arbeitsunfall als für den Freistaat Bayern ehrenamtlich Tätiger erlitten.

Nach § 539 Abs 1 Nr 13 RVO sind ua die für ein Bundesland ehrenamtlich tätigen Personen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird, gegen Unfall versichert. Der Versicherungsschutz erstreckt sich gemäß § 550 Abs 1 RVO auf den mit der ehrenamtlichen Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach oder von dem Ort der Tätigkeit.

Nach den Feststellungen des LSG, welche insoweit mit der Auffassung der Beteiligten übereinstimmen, erhalten Angehörige der Naturschutzwacht keine Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts, sondern lediglich eine geringe pauschale Aufwandsentschädigung. Demzufolge hängt der Versicherungsschutz des Klägers bei seinem Unfall am 25. Juli 1980 ausschließlich davon ab, ob er sich im Unfallzeitpunkt auf dem Rückweg von einer ehrenamtlichen Tätigkeit befand. Diese Frage ist mit dem LSG zu bejahen.

Der Senat läßt offen, ob die Auffassung der Revision zutrifft, wonach die ehrenamtliche Tätigkeit in der Naturschutzwacht iS des § 9 Satz 1 VO vom 15. Mai 1975 (aaO) grundsätzlich erst mit der Aushändigung der gemäß § 5 Satz 2 dieser VO vorgesehenen Bestellungsurkunde beginnt. Nach den tatsächlichen Umständen des vorliegenden Falles gehörte jedenfalls die Teilnahme an einer Veranstaltung für die Feststellung der Befähigung zur Ausübung des angestrebten Ehrenamtes noch nicht zur ehrenamtlichen Tätigkeit selbst. Dies folgt schon aus der Möglichkeit, daß diese Feststellung hätte negativ ausfallen können, so daß der in der VO vom 15. Mai 1975 beschriebene Pflichtenkreis vom Kläger nicht wahrgenommen worden wäre. Ob das Prüfungsergebnis als solches für das Bestehen von Versicherungsschutz ausschlaggebend sein kann, erscheint indes fraglich, weil es jedenfalls hier im Ergebnis nicht billig erscheinen könnte, Versicherungsschutz für die Fahrt von der Prüfung zur Familienwohnung je nach dem Erfolg des Teilnehmers zu bejahen oder zu verneinen. Hierauf braucht der Senat jedoch nicht näher einzugehen. Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich nicht aus denjenigen Vorschriften, auf denen die ehrenamtliche Tätigkeit beruht, sondern vielmehr aus der RVO und den aus ihr entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätzen über Beginn, Umfang und Ende dieses Schutzes (BSGE 34, 163, 166, SozR 2200 § 539 Nr 63; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl, S 474 l).

Der Versicherungsschutz ist vom Bundessozialgericht (BSG) nicht nur bei den unmittelbaren Verrichtungen der versicherten Tätigkeit selbst als gegeben angesehen worden. Vielmehr erleidet auch derjenige einen Arbeitsunfall, welcher bei einer mit der versicherten Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang stehenden Vorbereitungshandlung verunglückt (BSG SozR 2200 § 539 Nr 67; § 550 Nrn 1 und 46; Brackmann, aaO, S 481a und S 481 s; Lösen einer Fahrkarte für die Dienstreise). Dieser Grundsatz ist nach der Auffassung des 8. Senats (SozR 2200 § 539 Nr 63), welcher der Senat im Ergebnis beitritt, auch für ehrenamtlich Tätige gültig. Die Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes führt im vorliegenden Falle zur Bejahung des Versicherungsschutzes.

Nach § 2 VO vom 15. Mai 1975 haben die Angehörigen der Naturschutzwacht die Aufgabe, Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften, die den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur regeln, und deren Übertretung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, festzustellen, zu verhüten, zu unterbinden sowie bei der Verfolgung solcher Zuwiderhandlungen mitzuwirken. Folgerichtig ist die gründliche Kenntnis der einschlägigen Vorschriften eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Amtsausübung; sie bedarf gemäß § 6 Abs 3 VO vom 15. Mai 1975 des Nachweises vor Übertragung des Amtes. Die Angehörigen der Naturschutzwacht müssen ua in der Lage sein, erlaubte und unerlaubte Eingriffe und Betätigungen in der freien Natur zu unterscheiden (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 23. Februar 1976, LUMBl vom 30. März 1976, S 62, Ziff 3.1.3). Demgemäß findet auch während der Zeit der Zugehörigkeit zur Naturschutzwacht eine regelmäßige Unterrichtung und Information statt (LUMBl, aaO, Ziff 4.4).

Angesichts der Notwendigkeit, erhebliches theoretisches Wissen mit der praktischen Ausübung des Ehrenamtes zu verbinden, ist die während der Zugehörigkeit zur Naturschutzwacht erfolgte bzw durchgeführte Unterrichtung ein Teil des verantwortlich wahrzunehmenden Pflichtenkreises und damit der Amtsausübung selbst. Infolgedessen ist die - nach den Feststellungen des LSG - mit der beabsichtigten Urkundenaushändigung im Zusammenhang erfolgte Unterweisung und Prüfung des Klägers am 25. Juli 1980 in einem derart engen Zusammenhang mit der vorgesehenen Amtsausübung erfolgt, daß sie als eine Vorbereitung für die ehrenamtliche Tätigkeit des Klägers anzusehen ist, welche denselben Versicherungsschutz genießt wie die Tätigkeit selbst. Im Zeitpunkt seines Unfalles war der Kläger daher - wie das LSG richtig entschieden hat - gemäß § 550 Abs 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 13 RVO bei dem Beklagten versichert. Auf die Anwendbarkeit des § 539 Abs 2 RVO kommt es demnach nicht an (s hierzu Brackmann, aaO, S 476 i und 476 k). Ebenso braucht der Senat nicht auf die Ausführungen der Revision, es dürfe "sich nicht jemand willkürlich ein Ehrenamt zueignen", nach Lage des Falles näher einzugehen, da der Kläger für ein Ehrenamt in der Naturschutzwacht vorgesehen war, an einem von der Regierung von Niederbayern veranstalteten Schnellkurs auf Vorschlag des Landratsamtes R.... teilnahm, mit einem Dienstwagen hin- und zurückgefahren wurde und nach den von der Revision nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen baldmöglichst durch Aushändigung einer Urkunde bestellt worden wäre.

Die Revision war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663322

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