Entscheidungsstichwort (Thema)

Beginn der stationären Behandlung. Verfassungsmäßigkeit der Feststellung Nr 221

 

Leitsatz (amtlich)

Die Feststellung Nr 221 der Arbeitsgemeinschaft nach § 19 EKV ist rechtmäßig.

 

Orientierungssatz

1. Eine ärztliche Behandlung im Krankenhaus, die in der irrtümlichen Annahme begonnen wird, sie könne ambulant durchgeführt werden, wird vom Krankenhausaufnahmetag an zur stationären Behandlung.

2. Die Feststellung Nr 221 verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG; ebenso liegt kein Verstoß gegen Art 14 GG vor.

3. Ein Arzt an den überwiesen wird, ist grundsätzlich an den Überweisungsauftrag gebunden. Die Bindung hat jedoch nur Bedeutung innerhalb der ambulanten kassen/vertragsärztlichen Versorgung. Der Überweisungsauftrag besagt nichts darüber, ob die Leistung des Krankenhausarztes letztlich im Rahmen einer ambulanten oder stationären Behandlung zu erbringen ist.

 

Normenkette

EKV-Ä § 19 Nr 4 Buchst a, § 9 Nr 1; RVO § 368a Abs 8; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.07.1983; Aktenzeichen S 5 Ka 33/82)

 

Tatbestand

Der Kläger war in der streitbefangenen Zeit Chefarzt der Inneren Abteilung eines Kreiskrankenhauses und zudem an der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung der Ersatzkassenmitglieder beteiligt. Seine die ambulante vertragsärztliche Versorgung betreffenden Abrechnungen bezüglich der Quartale III und IV/1980 wurden von der beigeladenen Ersatzkasse beanstandet, weil sie Leistungen berücksichtigten, die der Kläger am Tage der Krankenhausaufnahme des Patienten erbracht hatte. Die Kasse berief sich auf die Feststellung Nr 221 der gemäß § 19 des Arzt-Ersatzkassenvertrages (EKV) gebildeten Arbeitsgemeinschaft (AG § 19 EKV). Danach seien die von einem beteiligten Krankenhausarzt am Tage der Krankenhausaufnahme ambulant ausgeführten Leistungen nicht (neben dem Pflegesatz) abrechnungsfähig. Dem Antrag der Kasse auf rechnerische und sachliche Berichtigung entsprach die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV). Sie kürzte die Abrechnungen um DM 1.576,75 bzw DM 1.071,25. Die vom Kläger gegen die Kürzungen erhobenen Widersprüche wies sie zurück.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage des Arztes abgewiesen. Es stützt seine Entscheidung ebenfalls auf die Feststellung Nr 221 der AG § 19 EKV. Diese Feststellung stimme mit dem geltenden Recht überein. Die AG habe ihre Regelungskompetenz nicht überschritten. In Wirklichkeit handele es sich hier nicht um ambulante Leistungen, sondern um einen Teil der stationären Behandlung, bei der mit einem pauschalen Pflegesatz alle Leistungen des Krankenhauses an dem jeweiligen Tag abgegolten werden. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 des Grundgesetzes (GG) sei nicht zu erkennen.

Mit der Sprungrevision rügt der Kläger die Verletzung des § 9 Nr 1 und des § 19 Nr 4 Buchst a EKV sowie des Art 3 GG und des Art 14 GG. Zur Begründung trägt er vor: § 19 Nr 4 Buchst a EKV ermächtige die AG nur zur Interpretation bestehender Rechtsnormen. Die Feststellung Nr 221 setze sich über den ausnahmslos geltenden Vergütungsgrundsatz des § 9 Abs 1 EKV hinweg. Als beteiligter Krankenhausarzt werde er gegenüber den niedergelassenen Fachkollegen und den Belegärzten ungleich behandelt. Dafür gebe es keinen einleuchtenden Grund. Es bestehe nicht der geringste Unterschied zwischen der Durchführung des Überweisungsauftrages durch einen niedergelassenen Arzt und der Durchführung des Auftrages durch ihn. Bis zum Zeitpunkt der Feststellung der stationären Behandlungsbedürftigkeit stelle sich seine Tätigkeit auch nicht als Teil der stationären Behandlung dar. Zum einen erbringe er seine Leistungen aufgrund eines Überweisungsauftrages und nicht aufgrund eines Einweisungsscheines. Zum anderen sei er im Rahmen seiner Beteiligung als freiberuflicher Arzt tätig. Dem Belegarzt werde für ambulante Leistungen am Krankenhausaufnahmetag eine Vergütung gewährt. Eine Verletzung des Art 14 GG sei darin zu sehen, daß ihm ein Verzicht auf die Vergütung solcher ärztlicher Leistungen zugemutet werde, die er in seiner Ambulanz persönlich erbracht und für deren Erbringung er dem Krankenhausträger eine Kostenabgabe zu entrichten und die auf Sachleistungen entfallenden Sachkostenanteile zu erstatten habe. Die Regelung der Entgelte für berufliche Leistungen betreffe stets den künftigen Erwerb und damit zugleich die Berufsausübung. Änderungen der Vergütung für berufliche Leistungen hätten als Inhalts- und Schrankenbestimmung iS von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG zu gelten. Eine solche Inhalts- und Schrankenbestimmung sei aber nur durch den Gesetz- und Verordnungsgeber zulässig, und zwar nur soweit, als sie das öffentliche Interesse unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtfertige. Für die in der Feststellung Nr 221 vorgeschriebene völlige Versagung der Vergütung gebe es keine Rechtsnorm.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts vom 13. Juli 1983 und die Bescheide der Beklagten vom 2. Juli 1981 und 10. September 1981 sowie den Widerspruchsbescheid vom 12. Mai 1982 aufzuheben.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 1) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 2) hat sich nicht am Revisionsverfahren beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet. Die gerügten Rechtsverletzungen liegen nicht vor.

Die Feststellung Nr 221 der AG § 19 EKV, auf der die mit der Klage angefochtenen Bescheide der Beklagten beruhen, steht in Einklang mit dem geltenden Recht, insbesondere verletzt sie nicht § 9 Nr 1 EKV. Sie bestimmt, daß ambulant ausgeführte vertragsärztliche Leistungen einem ermächtigten bzw beteiligten Krankenhausarzt dann nicht vergütet werden, wenn der Kranke an demselben Tage wegen derselben Krankheit in die stationäre Behandlung desselben Krankenhauses genommen wird. Diese Regelung scheint zu § 9 Nr 1 EKV in Widerspruch zu stehen, denn dort wird, worauf sich der Kläger beruft, den Vertragsärzten zugesichert, daß ihre ambulante Tätigkeit nach Einzelleistungen vergütet wird. Die Feststellung Nr 221 will jedoch nicht die Vergütung ambulanter Leistungen regeln, sondern lediglich klarstellen, daß die angesprochenen Leistungen nicht der ambulanten vertragsärztlichen Behandlung, sondern der stationären Behandlung zuzurechnen sind. Das hat das SG richtig erkannt und zutreffend begründet. Eine solche Klarstellung gehört zu den Aufgaben der AG § 19 EKV (Nr 4 Buchst a des § 19 EKV). Mit der Feststellung Nr 221 hat die AG eine Auslegung des geltenden Rechts vorgenommen, die nicht zu beanstanden ist.

Für die Zuordnung der unter die Feststellung Nr 221 fallenden ärztlichen Leistungen zur stationären Behandlung spricht, daß diese Leistungen unmittelbar in eine stationäre Behandlung übergehen und mit dieser eine einheitliche Behandlung bilden. Sie werden wegen derselben Krankheit und in demselben Krankenhaus und am selben Tag erbracht, an dem der Patient stationär aufgenommen wird. Wenn der Patient im gleichen - diagnostischen und therapeutischen - Stadium sofort stationär aufgenommen wird, erhält er im wesentlichen die gleichen Leistungen. Es ist lediglich möglich, daß dann die Leistungen nicht vom beteiligten Chefarzt selbst, sondern lediglich unter seiner verantwortlichen Aufsicht von einem anderen Krankenhausarzt ausgeführt werden. Die Aufgabenverteilung innerhalb eines Krankenhauses kann jedoch keine Auswirkung auf die Verpflichtung des Kostenträgers haben. Der Kostenträger hat als Entgelt für die stationäre Behandlung einen tagesbezogenen Pflegesatz zu zahlen (§ 2 Nr 4, § 17 Abs 2 Nr 1 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes -KHG-), durch den alle unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Krankenhauses medizinisch zweckmäßigen und ausreichenden Krankenhausleistungen abgegolten werden einschließlich der Leistungen von nicht am Krankenhaus angestellten Konsiliarärzten sowie für Leistungen fremder, auch bronchologischer Untersuchungsstellen (§§ 16 ff KHG iVm § 3 Abs 1 der Bundespflegesatzverordnung -BPflV-). Das gilt auch für den Aufnahmetag (§ 9 BPflV). Eine ärztliche Behandlung im Krankenhaus, die in der irrtümlichen Annahme begonnen wird, sie könne ambulant durchgeführt werden, wird vom Krankenhausaufnahmetag an zur stationären Behandlung.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, er sei in den strittigen Fällen als ein an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligter Arzt freiberuflich tätig geworden, muß er sich entgegenhalten lassen, daß er auch und vorrangig Arzt des die stationäre Behandlung übernehmenden Krankenhauses gewesen ist und gerade wegen dieser seiner Stellung im Krankenhaus die Beteiligung erhalten hat (zur Nachrangigkeit der Beteiligung gegenüber der Leistungspflicht des Krankenhauses: BSGE 56, 228 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 9). Die von ihm im Krankenhaus erbrachten Leistungen können daher dem Krankenhaus zugerechnet werden, wenn sie sich als Teil einer stationären Behandlung erweisen. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, daß der Kläger aufgrund von Überweisungen und nicht aufgrund von Krankenhauseinweisungen die Behandlung aufgenommen hat. Zwar ist ein Arzt, an den überwiesen wird, grundsätzlich an den Überweisungsauftrag gebunden (BSG KVRS A-6100/2). Diese Bindung hat jedoch nur Bedeutung innerhalb der ambulanten kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung. Der Überweisungsschein berechtigt den an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Krankenhausarzt, die Behandlung aufzunehmen. Er sagt aber nichts darüber aus, ob die Leistungen des Krankenhausarztes letztlich als im Rahmen einer ambulanten oder stationären Behandlung erbracht anzusehen sind. Auch die vom Kläger geltend gemachten Kostenvereinbarungen zwischen ihm und dem Krankenhausträger können keine Antwort auf die Frage geben, ob Leistungen eines an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Krankenhausarztes seinem freiberuflichen ambulanten oder dem stationären Bereich zuzuordnen sind. Eher wäre zu erwarten, daß die Beantwortung dieser Frage sich auf die vom Arzt an den Krankenhausträger zu entrichtende Kostenabgabe auswirkt.

Die für die Vertragsärzte verbindliche Auslegung des geltenden Rechts durch die Feststellung Nr 221 verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 GG. Der geregelte Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von der Überweisungstätigkeit eines niedergelassenen Arztes. Die Feststellung betrifft nur Leistungen, die von einem Krankenhausarzt am Tage der Krankenhausaufnahme erbracht werden. Alle an diesem Tage erbrachten Leistungen sind Teil einer im selben Krankenhaus durchgeführten einheitlichen Behandlung. Aus der ambulanten Behandlung wird ab dem Aufnahmetag eine stationäre Behandlung. Für den Aufnahmetag erhält das Krankenhaus den vollen Pflegesatz (bei einer Krankenhausverlegung erhält den Pflegesatz das aufnehmende Krankenhaus -§ 9 Abs 1 und 2 BPflV-). Demgegenüber schließt der niedergelassene Arzt die ambulante Behandlung ab, wenn sich die Notwendigkeit einer stationären Behandlung herausstellt. Er hat - vom Belegarzt abgesehen - nicht die Möglichkeit, die Behandlung stationär fortzusetzen und für jeden Behandlungstag eine pauschale Vergütung in Rechnung zu stellen.

Der vom Kläger herangezogene Vergleich mit dem Belegarzt spricht nicht für, sondern gegen seine Auffassung. Für diese Ärzte sieht der Beschluß der AG vom 1. Dezember 1976 - Nr 8 zu §§ 9 und 11 EKV - vor, daß ambulant ausgeführte vertragsärztliche Leistungen dann nach den Grundsätzen der Vergütung für stationäre Behandlung honoriert werden, wenn der Kranke unmittelbar im Anschluß an diese Leistungen in die stationäre Behandlung desselben Vertragsarztes genommen wird. Auch hier werden also Leistungen, die zunächst ambulant ausgeführt worden sind, der unmittelbar anschließenden stationären Behandlung zugerechnet.

Die Feststellung Nr 221 verstößt auch nicht gegen Art 14 GG. Soweit Leistungen, wie hier, zulässigerweise dem stationären Bereich zugerechnet werden, steht dem Krankenhausarzt eine gesonderte Vergütung nicht zu. Die stationäre Behandlung obliegt ihm aufgrund seines Anstellungsverhältnisses, er erhält die dafür vorgesehene Vergütung. Wenn die Behandlung irrtümlich zunächst ambulant begonnen, aber noch am selben Tag stationär fortgesetzt wird, so besteht kein Anlaß, die Behandlung und die sich daraus ergebenden Vergütungskonsequenzen anders zu beurteilen, als wenn die Behandlung richtigerweise von Anfang an als stationäre Behandlung angesehen worden wäre. Da die Leistungsverpflichtung des Krankenhausarztes aus dem Anstellungsverhältnis seine Leistungsberechtigung aus dem Beteiligungsverhältnis vorgeht, kann in der Zuordnung der am Aufnahmetag erbrachten Leistungen zur stationären Behandlung kein rechtswidriger Eingriff in eine eigentumsähnliche Rechtsposition gesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

AusR 1989, 44

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