Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beiladung des Krankenhausträgers bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Versicherten und Krankenkassen über den Anspruch auf Krankenhauspflege

 

Leitsatz (amtlich)

Ist zwischen einer Krankenkasse und einem Patienten, der in einem Krankenhaus gepflegt und behandelt wird, streitig, ob dieser einen Krankenhauspflegeanspruch hat, ist der Krankenhausträger zu dem Verfahren notwendig beizuladen.

 

Orientierungssatz

Eine Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Krankenhauspflegeanspruchs eines Versicherten nach § 184 RVO berührt unmittelbar das Rechtsverhältnis zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse. Insbesondere folgt einer solchen Entscheidung einerseits die Verpflichtung des Krankenhausträgers gegenüber der Krankenkasse, den Versicherten zu behandeln, und andererseits der Anspruch des Krankenhausträgers auf Zahlung des Pflegesatzes durch die Krankenkasse. Die Entscheidung kann nur einheitlich sowohl gegenüber dem Versicherten als auch gegenüber dem Krankenhausträger ergehen.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1; RVO § 184

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 11.07.1984; Aktenzeichen L 4 Kr 138/82)

SG München (Entscheidung vom 09.08.1982; Aktenzeichen S 18 Kr 111/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der Unterbringung der Klägerin im Bezirkskrankenhaus T. (T.) ab 1. November 1979 zu tragen.

Die Klägerin ist als Rentnerin bei der Beklagten krankenversichert. Seit 1959 befindet sie sich mit Unterbrechungen in stationärer Behandlung des Bezirkskrankenhauses T.. Seit dem 1. Januar 1974 trägt sie die Kosten ihrer Unterbringung selbst. Sie wird im Pflegebereich des Bezirkskrankenhauses T. betreut.

Am 19. Oktober 1979 beantragte sie durch ihren gesetzlichen Vertreter bei der Beklagten die Übernahme der künftig anfallenden Krankenhauskosten. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin zwar gepflegt, aber nicht laufend behandelt werden müsse.

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben.

Das Landessozialgericht (LSG) hat festgestellt, die Klägerin sei mindestens seit dem 1. November 1979 ein sogenannter Pflegefall, weshalb es an der Grundvoraussetzung eines Krankenhauspflegeanspruchs fehle.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 184, 184a, 182 Abs 2, 216 Abs 4, 372, 373, 374 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie der §§ 62, 75 und 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Solange die Klägerin ohne ihr Zutun im Krankenhaus behandelt werde, könne die Beklagte sich nicht darauf berufen, eine ärztliche Behandlung sei auch ambulant möglich. Die Frage, ob die Klägerin im Krankenhaus behandelt werde, obwohl eine solche Behandlung nach § 182 Abs 2 RVO nicht notwendig sei, sei zwischen der Krankenkasse und dem Krankenhaus zu entscheiden und nicht zwischen der Krankenkasse und ihrem Versicherten. Kasse und Krankenhaus ständen in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zueinander, soweit es sich um die Kostenabwicklung handele. Daran sei der Patient nicht beteiligt. Bestünden Meinungsverschiedenheiten zwischen Krankenkasse und Krankenhaus über die Notwendigkeit einer Krankenhausbehandlung und behandele das Krankenhaus den Patienten weiter, so sei dieser nur Objekt vertrauensärztlicher und krankenhausärztlicher Meinungsvielfalt.

Der Krankenhausträger hätte zu dem Verfahren notwendig beigeladen werden müssen, weil ein der Klage stattgebendes Urteil auch den Anspruch des Krankenhausträgers auf Vergütung seiner Leistungen gegen die Beklagte bestätigen würde. Im übrigen leide das Verfahren des LSG an weiteren Mängeln.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 11. Juli 1984 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. August 1982 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Februar 1980 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 1980 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankenhauspflege ab 1. November 1979 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Verfahren des LSG für fehlerfrei und die Sachentscheidung für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht, denn der Träger des Bezirkskrankenhauses T. hätte zu dem Verfahren beigeladen werden müssen, was im Revisionsverfahren, wie § 168 SGG ausdrücklich bestimmt, unzulässig ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der auch der erkennende Senat folgt, sind Dritte an einem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann - so daß sie nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG zu dem Verfahren beizuladen sind -, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in ihre Rechtssphäre unmittelbar eingreift (ua SozR 1500 § 75 Nr 49 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Der streitige Anspruch der Klägerin, den die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid abgelehnt hat, richtet sich in erster Linie auf die Gewährung von Krankenhauspflege nach § 184 RVO. Er hat seine Grundlage in der Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten und nach dem das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung beherrschenden Sachleistungsgrundsatz die Verpflichtung der Beklagten zum Inhalt, der Klägerin als Mitglied kostenfreie Krankenhauspflege zur Verfügung zu stellen. Nachdem die Klägerin seit dem Zeitpunkt, von dem an sie von der Beklagten Krankenhauspflege beansprucht, im Krankenhaus betreut und behandelt wird, würde dieser Anspruch darin bestehen, daß die Beklagte verpflichtet ist, die entstandenen und entstehenden Krankenhauspflegekosten zu tragen.

Die Krankenkassen bedienen sich, um die Ansprüche ihrer Versicherten auf Krankenhauspflege erfüllen zu können, der von Krankenhausträgern zur Verfügung gestellten Einrichtungen und schließen nach der seit dem 1. Januar 1978 eingeführten ausdrücklichen Regelung des § 372 RVO (Art 1 § 1 Nr 40 des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes -KVKG- vom 27. Juni 1977 -BGBl I, 1069, 1077-) durch ihre Landesverbände mit den Krankenhäusern oder mit den sie vertretenden Vereinigungen im Lande Verträge, um sicherzustellen, daß Art und Umfang der Krankenhauspflege den Anforderungen des § 184 RVO iVm § 182 Abs 2 RVO entspricht. Aber auch wenn solche Rahmenverträge, die den von §§ 372 bis 374 RVO geforderten Voraussetzungen nicht entsprechen, im Einzelfall noch nicht geschlossen sind, bestehen Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und "Vertragskrankenhäusern" mit vor allem einerseits der Verpflichtung des jeweiligen Krankenhauses, den Mitgliedern der Krankenkasse Krankenhauspflege zur Verfügung zu stellen und andererseits der Verpflichtung der Krankenkasse, die dadurch entstehenden Kosten zu tragen. Nur in dieser Weise können Krankenkassen ihre entsprechenden Sachleistungsverpflichtungen gegenüber ihren Mitgliedern erfüllen.

Wesentliche Voraussetzung eines aus solchen Vereinbarungen folgenden Anspruchs des Krankenhauses gegen die Krankenkasse ist das Bestehen eines Krankenhauspflegeanspruchs des Patienten gegen die Krankenkasse. Denn nur in diesem Falle hat er Anspruch auf kostenfreie Gewährung von Krankenhauspflege, woraus sich die Verpflichtung der Krankenkasse gegenüber dem Krankenhaus ergibt, die Kosten seiner Krankenhauspflege zu tragen. Aus der Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Krankenhauspflegeanspruchs eines Patienten nach § 184 RVO folgt einerseits die Verpflichtung des Krankenhausträgers der Krankenkasse gegenüber, den Patienten zu behandeln und andererseits der Anspruch des Krankenhausträgers auf Zahlung des Pflegesatzes durch die Krankenkasse. Der Krankenhauspflegeanspruch des Patienten ist im übrigen Voraussetzung für die weiteren Verpflichtungen, die dem Krankenhausträger gegenüber der Krankenkasse im Zusammenhang mit der Krankenhauspflege von anspruchsberechtigten Patienten auferlegt sind, etwa die Einziehung oder Entgegennahme und Abrechnung des Selbstbeteiligungsbetrages nach § 184 Abs 3 RVO (vgl § 372 Abs 2 Nr 1 a RVO). Diese Entscheidung kann daher nur einheitlich sowohl gegenüber dem Patienten als auch gegenüber dem Krankenhaus ergehen.

Das LSG wird mit seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657470

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