Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

Zum Umfang der gesetzlichen Unfallversicherung:

Die Ehefrau des Gesellschafters einer OHG, die auf einer langen Geschäftsreise den Personenkraftwagen ihres Ehemannes fährt, ist insoweit nach RVO § 539 Abs 1 Nr 1 oder RVO § 539 Abs 2 gegen Arbeitsunfall versichert.

 

Orientierungssatz

Zu der Frage, ob die Ehefrau des Gesellschafters einer OHG, die ihren - aus gesundheitlichen Gründen am Autofahren verhinderten - Ehemann auf Geschäftsfahrten chauffiert, hierbei nach RVO § 539 Abs 2 versichert ist.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. Juli 1967 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Die 1902 geborene Klägerin war verheiratet mit dem Kaufmann O E, Mitinhaber der bei der Beklagten versicherten Firma E & v. S OHG in H; weiterer Gesellschafter der OHG war der Sohn Dieter E. Da der Ehemann der Klägerin nach einem 1962 erlittenen Autounfall es sich nicht mehr zutraute, den Firmen-Pkw auf längeren Geschäftsfahrten selbst zu steuern, begleitete ihn fortan die Klägerin als Fahrerin auf seinen alljährlich - zumal im Januar/Februar und im August - notwendig werdenden Geschäftsreisen. Eine freiwillige Unfallversicherung (UV) gemäß § 545 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hatten die Klägerin und ihr Ehemann nicht abgeschlossen. Auf einer am 3. August 1964 unternommener Fahrt durch Schleswig-Holstein zum Besuch von Kunden ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt und ihr Ehemann getötet wurde.

Den von der Klägerin auf § 539 Abs. 2 RVO gestützten Entschädigungsanspruch lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin habe nicht zum Kreis der versicherten Personen gehört; der Ehegatte eines Unternehmers sei in der Regel nicht auf Grund eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses tätig, vielmehr entspreche die Mitarbeit einer Ehefrau ihrer familienrechtlichen Stellung als Gehilfin des Mannes; die von der Klägerin geleistete Tätigkeit im Unternehmen ihres Mannes ergebe sich aus dem gemeinsamen Interesse der Eheleute am wirtschaftlichen Erfolg der Firma; auch der UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO sei hiernach für die Klägerin nicht gegeben.

Das Sozialgericht Hamburg hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 3. August 1964 die gesetzliche Entschädigung zu gewähren.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat mit Urteil vom 27. Juli 1967 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: UV-rechtlich sei es bedeutsam, ob eine Ehefrau im Unternehmen ihres Ehemannes oder im Unternehmen einer Gesellschaft tätig sei, zu deren Mitgesellschaftern ihr Ehemann gehöre. Zwar sei in der UV die Ehefrau des Unternehmers diesem regelmäßig gleichgestellt, und der Mitgesellschafter einer Personengesellschaft genieße als Unternehmer den Schutz der UV nur, wenn er freiwillig beigetreten sei. Für die Ehefrau eines Mitgesellschafters gelte das jedoch nicht; ihr Arbeitgeber sei nicht der Ehemann, sondern die Gesellschaft, auch wenn diese keine juristische Person, sondern eine Personengesamtheit sei. Die bei einer Gesellschaft beschäftigte Ehefrau eines Gesellschafters sei somit nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert; dann könne sie aber auch wie eine nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherte tätig werden und deshalb dem UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO unterstehen.

Die Klägerin habe ihren Ehemann nicht etwa zu dessen persönlicher Bequemlichkeit begleitet, sondern weil dieser einen Fahrer für die Geschäftsreisen brauchte. Sie habe eigene Pläne, die sie für den 3. August 1964 hegte, zurückstellen müssen und sei während der Geschäftsreise wie eine Arbeitnehmerin an Weisungen ihres Ehemannes gebunden gewesen. Ob die Klägerin den Pkw gerade im Unfallzeitpunkt selbst gesteuert habe, könne offen bleiben, denn jedenfalls habe sie sich auf dem größten Teil der Strecke als Fahrerin betätigt, ihr Ehemann könne allenfalls nur für kurze Zeit den Pkw gelenkt haben.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 10. August 1967 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 4. September 1967 Revision eingelegt und sie am 12. September 1967 folgendermaßen begründet: Die Klägerin wäre als im Unternehmen tätige Ehefrau des Unternehmers nur bei freiwilligem Beitritt zur UV nach § 545 Abs. 1 Satz 1 RVO versichert gewesen. Die Auffassung des LSG, die Klägerin sei nicht als Ehefrau des Unternehmers anzusehen, weil im Fall ihres Beschäftigungsverhältnisses die OHG ihr Arbeitgeber gewesen wäre, treffe nicht zu; die hierzu angeführte BSG-Rechtsprechung zur Beitragspflicht in der Krankenversicherung berühre nicht das Problem des § 545 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Betreibe der Ehemann sein Unternehmen nicht in der Form einer GmbH oder AG, sondern als persönlich haftender Gesellschafter einer KG oder OHG, könne die Ehefrau nur nach Maßgabe des § 545 Abs. 1 RVO versichert sein. Da für vorübergehendes Tätigwerden ein UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO nur in Betracht komme, wenn bei ständiger Beschäftigung der UV-Schutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO bestünde, scheide für die Klägerin der UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO aus. Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

Die Beklagte geht von der Auffassung aus, daß die Ehefrau eines Unternehmers, die im Unternehmen ihres Ehemannes mitarbeitet, hierbei von vornherein niemals auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO gegen Arbeitsunfall versichert sei, sondern daß sich ein UV-Schutz für die Ehefrau - abgesehen von einer Versicherung kraft Satzung (§ 543 Abs. 2 RVO) - nur aus § 545 Abs. 1 Satz 1 RVO (freiwillige Versicherung) herleiten könne. Diese Auffassung trifft in der verallgemeinernden Art, wie sie die Beklagte vertritt, nicht zu (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Aufl. S. 471 mit weiteren Nachweisen). Nähere Ausführungen hierzu erübrigen sich indessen; ebenso ist hier nicht die besondere Problematik zu erörtern, die sich bei einer Anwendung der von der Beklagten vertretenen Auffassung auf den Personenkreis des § 539 Abs. 2 RVO daraus ergeben könnte, daß diese Vorschrift auch für einmalige, ganz vorübergehende Tätigkeiten gilt (vgl. Brackmann aaO S. 476 b mit weiteren Nachweisen), für die durch Abschluß einer freiwilligen Versicherung angemessen vorzusorgen (vgl. BVerfG 18, 257, 265, 266, 269 = SozR Bl. Ab 42, Nr.55 zu Art. 3 GG) mitunter kaum praktikabel erscheint. Das LSG hat es nämlich mit Recht als bedeutsam erachtet, daß der Ehemann der Klägerin nicht Einzelunternehmer, sondern Gesellschafter einer OHG gewesen ist.

Dieser Umstand bedingt, daß die zum Unfall führende Tätigkeit der Klägerin als den betrieblichen Interessen der Gesellschaft und nicht denen des Ehemannes dienlich anzusehen ist. Der von der Revision vertretenen Meinung, eine solche Betrachtungsweise käme nur in Frage, wenn der Ehemann sein Unternehmen in der Form einer juristischen Person - GmbH oder AG - betrieben hätte, pflichtet der erkennende Senat nicht bei. Bereits im Urteil vom 26. Mai 1966 (BSG 25, 51) hat der Senat dargelegt, daß der Gesellschafter einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft außerhalb des Gesellschaftsverhältnisses in einem Beschäftigungsverhältnis zur Gesellschaft stehen kann, obgleich es sich bei dieser nur um eine schuldrechtlich zusammengefaßte Personenmehrheit ohne eigene Rechtspersönlichkeit handelt und daher jeder Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen ist. Es versteht sich von selbst, daß diese Darlegungen erst recht für die an der Gesellschaft nicht beteiligte Ehefrau eines solchen Mitunternehmers gelten müssen. Im vorliegenden Fall handelt es sich überdies nicht um eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, sondern um eine OHG; diese Gesellschaftsform ist aber einer - von den natürlichen Personen der einzelnen Gesellschafter losgelösten - juristischen Person insofern angenähert, als die OHG unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen sowie vor Gericht klagen und verklagt werden kann (§ 124 Abs. 1 HGB; vgl. RVA AN 1939, 173, 5280; 1944, 39, 5546; ähnlich auch BSG-Urteil vom 30. September 1969 1 RA 203/68, dessen hier interessierender Abschnitt in SozR Nr. 11 zu § 16 FRG nicht abgedruckt ist). Als Ehefrau eines OHG-Gesellschafters war die Klägerin somit - entgegen dem Revisionsvorbringen - bei einem Tätigwerden für die Firma vom UV-Schutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht ausgeschlossen.

Das LSG hat aus den von ihm getroffenen Feststellungen auch mit Recht gefolgert, daß die Klägerin, die lediglich den Firmen-Pkw gesteuert, nicht hingegen an den geschäftlichen Besprechungen ihres Ehemannes teilgenommen hat, hierbei wie ein Arbeitnehmer der OHG tätig gewesen ist. Für Erwägungen darüber, ob ihre Tätigkeit Merkmale einer unternehmerähnlichen Selbständigkeit aufgewiesen haben könnte (vgl. z.B. BSG 11, 149, 151, 152), ist also hier kein Raum. Gegen den hiernach vom LSG zutreffend anerkannten UV-Schutz nach § 539 Abs. 2 RVO kann schließlich auch nicht geltend gemacht werden, die Klägerin habe sich ihrem Ehemann auf Grund familienrechtlicher Verpflichtung oder zwecks Förderung des - auch ihr selbst zugute kommenden - Geschäftsumsatzes als Fahrerin zur Verfügung gestellt (vgl. BSG 18, 143, 147).

Die Revision muß somit als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2284981

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