Entscheidungsstichwort (Thema)

Leistungsansprüche nach Beendigung einer freiwilligen Versicherung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verpflichtung der KK, Krankenhauspflege wegen eines während des Versicherungsverhältnisses eingetretenen Versicherungsfalls nach Beendigung der Mitgliedschaft zu gewähren, wird nicht dadurch ausgeräumt, daß der freiwillig Versicherte das Versicherungsverhältnis durch Kündigung zum Erlöschen gebracht hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

Ist der Versicherungsfall "Krankheit" während einer den Anspruch auf Krankengeld (Krankenhauspflege) einschließenden Mitgliedschaft eingetreten, so richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld (Krankenhauspflege) allein nach RVO § 183 Abs 2; der Leistungsanspruch wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß eine freiwillige Mitgliedschaft durch Kündigung des Versicherten oder seines Vormundes beendet worden ist.

 

Normenkette

RVO § 183 Abs. 2 Fassung: 1961-07-12

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Mai 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger als Sozialhilfeträger gegen die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse ein Anspruch nach der für Bayern anstelle des Halbierungserlasses geltenden Vereinbarung für die Zeit vom 1. November 1965 bis zum 1. Mai 1966 zusteht.

Die am 16. Dezember 1966 verstorbene Versicherte P. war seit dem 1. Januar 1964 freiwilliges Mitglied der Beklagten. Sie befand sich wegen Geisteskrankheit seit 7. Mai 1965 im Bezirkskrankenhaus E. An den Kosten der Unterbringung beteiligten sich der Kläger und die Beklagte aufgrund der zwischen dem Kläger und dem Landesverband der Ortskrankenkassen in Bayern abgeschlossenen Vereinbarung.

Am 29. Oktober 1965 meldete der Vormund die Versicherte von der freiwilligen Mitgliedschaft bei der Beklagten zum 31. Oktober 1965 ab, weil der Kläger und die Stadt N (Sozialhilfeamt) die vom Vormund verauslagten Krankenkassenbeiträge nicht ersetzt hatten. In der Abmeldeerklärung ist der Satz enthalten: "Ich nehme zur Kenntnis, daß mit dem Ende der Mitgliedschaft meine Ansprüche gegen die Krankenkasse erlöschen und alle laufenden Leistungen eingestellt werden". Die Beklagte stellte daraufhin die Zahlung der Kosten gegenüber dem Bezirkskrankenhaus E mit dem 31. Oktober 1965 ein. Diese übernahm der Kläger; er beanspruchte von der Beklagten Ersatz. Da die Beklagte dies ablehnte, erhob der Kläger Klage mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. November 1965 bis 1. Mai 1966 80 v.H. der Unterbringungskosten im Bezirkskrankenhaus E nach der Vereinbarung anstelle des Halbierungserlasses zu zahlen.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Frau P. habe einen Anspruch auf Leistungen gegenüber der Beklagten in der streitigen Zeit gehabt, weil ihr nach Beendigung ihrer Mitgliedschaft zum 31. Oktober 1965 aufgrund des § 183 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch für weitere 26 Wochen Krankenhauspflege zugestanden habe. Die gegenteilige Ansicht der Beklagten lasse sich mit dem eindeutigen Wortlaut und Sinn dieser Vorschrift nicht vereinbaren. Mit dem Ausscheiden aus der Krankenversicherung würden nicht bereits entstandene Ansprüche gegenüber dem Versicherungsträger erlöschen. Denn die Vorschrift des § 183 Abs. 1 Satz 2 RVO, wonach die Krankenpflege spätestens sechsundzwanzig Wochen nach dem Ausscheiden ende, gelte auch für freiwillig Versicherte. Wenn aus der Grundsätzlichen Entscheidung (GE) Nr. 5542 (AN 1943, 521) geschlossen werden müßte, daß ein Versicherter durch die freiwillige Beendigung der Mitgliedschaft auf alle Ansprüche verzichte, so könne dies nicht für den vorliegenden Fall gelten, weil der Gesetzgeber in § 183 Abs. 1 und 2 RVO nicht zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten unterscheide und ihnen nach dem Ausscheiden noch für einige Zeit einen Anspruch zubillige. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Aus der von dem Vormund abgegebenen Abmeldeerklärung sei zu entnehmen, daß die Versicherte auf alle Ansprüche verzichtet habe. Wenn auch im allgemeinen auf Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verzichtet werden könne, so träfe dies für freiwillig Versicherte nicht zu. Bei freiwilligen Mitgliedern könne der Versicherungsschutz nicht gegen ihren Willen erlöschen. Wenn ein Versicherter aber die Beendigung der Versicherung selbst herbeiführe, so habe er keinen Anspruch mehr auf Leistungen. Das habe das Reichsversicherungsamt (RVA) bereits in der GE Nr. 5542 vom 28. Oktober 1943 (AN 1943, 521) ausgeführt. Außerdem sei Krankenpflege im Sinne des § 183 Abs. 1 RVO nur die ambulante Krankenpflege, nicht aber die Krankenhauspflege, auch wenn diese anstelle des Krankengeldes trete. Der Begriff der Krankenpflege in § 183 Abs. 1 RVO sei identisch mit dem des § 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 15. Mai 1968 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 8. August 1966 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 2 Satz 1 der genannten in Bayern anstelle des Halbierungserlasses bestehenden Vereinbarung (in der vom 1. Oktober 1965 an geltenden Fassung) ist Grundlage für die anteilige Kostenübernahme durch die Krankenkasse, daß die Voraussetzungen für die Gewährung von Krankenhauspflege nach den gesetzlichen Bestimmungen gegeben sind. Das war bei der Versicherten in der streitigen Zeit der Fall.

Nach Abschn. I Nr. 2 Buchst. b des Erlasses des Reichsarbeitsministers über Verbesserungen in der gesetzlichen Krankenpflege vom 2. November 1943 (AN 1943, 485) kann Krankenhauspflege unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfange gewährt werden wie Krankengeld. Dabei kann die Krankenhauspflege nicht abgelehnt werden, wenn sie wie hier bei der Art der Erkrankung geboten ist (BSG 9, 232). Nach § 183 Abs. 2 RVO wird Krankengeld ohne zeitliche Beschränkung gewährt, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Erkrankung jedoch für 78 Wochen innerhalb von drei Jahren nach dem Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit. Diese Vorschrift gilt auch für die Versicherte P., da § 183 RVO keinen Unterschied zwischen Pflicht- und freiwilligen Versicherten macht, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um nachgehende Ansprüche aus einem beendeten Versicherungsverhältnis handelt. Nach der feststehenden Rechtsprechung des Senats genügt es für die Anspruchsbegründung, wenn der Versicherungsfall der Krankheit während einer die Krankengeldberechtigung - entsprechend: die Krankenhauspflege - umfassenden Mitgliedschaft eingetreten ist (vgl. BSG 16, 177, 180; 26, 57, 58). Der Anspruch auf Krankengeld oder Krankenhauspflege richtet sich in einem solchen Fall allein nach § 183 Abs. 2 RVO nicht aber nach § 183 Abs. 1 Satz 2 RVO (BSG 26, 57, 58).

Die Beklagte meint allerdings, § 183 Abs. 2 RVO sei hier nicht anwendbar, weil die Versicherte selbst das Versicherungsverhältnis zum Erlöschen gebracht habe; sie beruft sich dabei auf die GE Nr. 5542 vom 28. Oktober 1943 des RVA (AN 1943, 521). Hierin hat das RVA ausgesprochen, ein als Rentner für den Fall der Krankheit Versicherter, der auf seinen Antrag von der durch die Ausübung einer Beschäftigung begründenden Versicherungspflicht bei einer anderen Krankenkasse befreit worden sei, habe von dem Tage der Befreiung an keinen Anspruch auf Weiterzahlung des Krankengeldes gegen die aufgrund der versicherungspflichtigen Beschäftigung zuständigen Krankenkasse, auch wenn die Arbeitsunfähigkeit bereits vor diesem Tage eingetreten sei. Ob dieser Entscheidung beizutreten ist, kann dahinstehen; sie betrifft einen anderen Fall (Beendigung eines Versicherungsverhältnisses unter Aufrechterhaltung eines anderen Versicherungsverhältnisses), nicht aber den, daß ein freiwillig Versicherter das Versicherungsverhältnis durch Kündigung zum Erlöschen bringt. Die Kündigung hat keine andere Wirkung als die, daß sie mit ihrem Wirksamwerden das Versicherungsverhältnis beendet; dieses kann nicht mehr die Grundlage für neue Ansprüche aus neuen Versicherungsfällen sein. Keineswegs verzichtet aber der Versicherte mit seiner Kündigung auf Ansprüche, die er schon vorher erworben hat. Die Kündigung berührt also grundsätzlich nicht die Leistungspflicht der Krankenkasse aus laufenden Versicherungsfällen.

Auch wenn der Vormund der Versicherten nach der von ihm unterschriebenen Erklärung zur Kenntnis genommen hat, daß mit dem Ende der Mitgliedschaft die Ansprüche gegen die Krankenkasse erlöschen und alle laufenden Leistungen eingestellt werden, so läßt dies keinen anderen Schluß zu. Diese Erklärung ist nur die Folge einer unrichtigen Rechtsbelehrung durch die Beklagte. Der Vormund der Versicherten hat damit nur bestätigt, daß er von der - falschen - Rechtsauffassung der Beklagten Kenntnis genommen hat, nicht aber zum Ausdruck gebracht, daß er in Kenntnis von Ansprüchen auf diese verzichten wollte.

Der klagende Sozialhilfeträger hat daher nach der genannten Vereinbarung zwischen den Sozialhilfeträgern und den Krankenkassen in Bayern noch Ansprüche auf anteilige Kostenerstattung für das geforderte halbe Jahr.

Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2285179

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