Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 30.01.1996; Aktenzeichen L 1 Ar 111/95)

SG Trier (Urteil vom 08.02.1995)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1996 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 8. Februar 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für die Zeit vom 1. April 1994 bis 31. Januar 1995 sog originäre Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu gewähren.

Die Klägerin übte vom 10. Juni 1991 bis 31. Januar 1992 eine Vollzeitbeschäftigung aus. Auf Antrag bewilligte ihr die Beklagte ab 1. Februar 1992 Alhi. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wurde der Leistungsbezug vom 1. April bis 31. Juli 1992 wegen der Aufnahme einer kurzzeitigen Beschäftigung unterbrochen. Danach wurde der Klägerin ab 1. August 1992 bis zum 31. Januar 1994 erneut Alhi gewährt, zuletzt aufgrund Weiterbewilligungsantrages vom 18. Januar 1994 für die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 1994 (Bescheid vom 27. Januar 1994). Der Widerspruch, mit dem die Klägerin die Befristung beanstandete, hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 1994). Zur Begründung wies die Beklagte darauf hin, daß gemäß § 135a Arbeitsförderungsgesetz (AFG), eingeführt zum 1. Januar 1994 durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353), der Anspruch auf originäre Alhi auf 312 Tage begrenzt worden sei. Aufgrund des bisherigen Leistungsbezugs sei der Anspruch der Klägerin am 31. Dezember 1993 erschöpft gewesen. Lediglich aufgrund der Übergangsregelung des § 242q Abs 10 AFG habe die Leistung bis zum 31. März 1994 weiter gewährt werden können.

Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Februar 1995). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des angefochtenen Bescheides verurteilt, der Klägerin Alhi für die Zeit vom 1. April 1994 bis 31. Januar 1995 zu gewähren (Urteil vom 30. Januar 1996). Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Klägerin habe für diese Zeit alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Der Anspruch scheitere auch nicht an den §§ 135a, 242 q Abs 10 AFG. Aus diesen Regelungen folge, daß ein Verbrauch der nunmehr befristeten Anspruchsdauer vor dem 1. April 1994 nicht möglich sei. Erst ab diesem Zeitpunkt habe sich die Anspruchsdauer von 312 Tagen durch den Bezug von Alhi gemäß § 110 AFG mindern können. Nur in dieser Auslegung seien die Neuregelungen verfassungskonform. Im Hinblick auf § 139a AFG habe Alhi allerdings lediglich bis zum 31. Januar 1995 zuerkannt werden können. Wegen des verbliebenen Restanspruchs bedürfe es eines erneuten Antrages der Klägerin.

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 110, 135a und 242q AFG. Sie trägt vor, seit dem 1. Januar 1994 sei die Dauer des Alhi-Bezuges auf 312 Tage begrenzt worden. Die Dauer des Anspruchs mindere sich um die Tage, für die er erfüllt worden sei. Da der Anspruch der Klägerin bei Inkrafttreten des § 135a AFG bereits verbraucht gewesen sei, habe ihr allein aufgrund der Übergangsregelung des § 242q Abs 10 Nr 2 AFG Alhi bis zum 31. März 1994 weiter gewährt werden können. Die Auffassung des LSG, die Verbrauchswirkung des § 110 Satz 1 Nr 1 AFG greife erst ab 1. April 1994, widerspreche dem klaren Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommen sei. Die Neuregelungen verstießen nicht gegen das Grundgesetz (GG).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1996 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 8. Februar 1995 zurückzuweisen.

Die Klägerin hat keine Stellungnahme abgeben und keinen Sachantrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 27. Januar 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 1994, mit dem die Beklagte die Weitergewährung der Alhi auf die Zeit vom 1. Februar bis 31. März 1994 begrenzt und eine darüber hinausgehende Zahlung abgelehnt hat. Da allein die Beklagte gegen das Urteil des LSG Revision eingelegt hat, ist Gegenstand des Revisionsverfahrens die Gewährung von Alhi für die Zeit vom 1. April 1994 bis 31. Januar 1995.

Entgegen der Auffassung des LSG hat die Beklagte die erneute Alhi-Bewilligung zu Recht auf den Zeitraum bis zum 31. März 1994 begrenzt. Dies ergibt sich aus den §§ 135a, 110 Satz 1 Nr 1 Halbs 1, 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 und 242q Abs 10 Nr 2 AFG idF des 1. SKWPG.

Gemäß § 135a AFG, der am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist (Art 14 des 1. SKWPG), beträgt die Dauer des Anspruchs auf originäre Alhi (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AFG) 312 Tage. Nach § 110 Satz 1 Nr 1 Halbs 1 AFG, der nach § 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 AFG auf die zeitlich begrenzte originäre Alhi entsprechend anzuwenden ist, mindert sich die Dauer des Anspruchs auf Alhi um die Tage, für die dieser Anspruch erfüllt worden ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 11 RAr 43/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom 23. April 1997 – 7 RAr 16/97 –, unveröffentlicht). Bei der Klägerin führte dies dazu, daß ihr Anspruch – abgesehen von der Übergangsvorschrift des § 242q Abs 10 Nr 2 AFG – am 31. Dezember 1993 durch Erfüllung untergegangen ist. Denn sie hatte – begründet durch eine vorausgegangene Vollzeitbeschäftigung von mindestens 150 Kalendertagen (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AFG), jedoch von weniger als 360 Kalendertagen (§§ 104 Abs 1 Satz 1, 135 Abs 1 Nr 1 AFG) – seit dem 1. Februar 1992 originäre Alhi bezogen, und zwar – auch unter Berücksichtigung der Unterbrechungszeiten – für mehr als 312 Kalendertage.

Lediglich aufgrund der Übergangsregelung des § 242q Abs 10 Nr 2 AFG stand der Klägerin Anspruch auf originäre Alhi noch bis zum 31. März 1994 zu. Nach dieser Bestimmung ist § 135a AFG iVm den §§ 134 Abs 4 Satz 1 und 110 AFG bis zum 31. März 1994 nicht anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des Anspruchs auf Alhi für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1993 vorgelegen haben. Letzteres ist hier der Fall, so daß die Beklagte Alhi zu Recht bis zum 31. März 1994 zugebilligt hat.

Entgegen der Auffassung des LSG ist die Übergangsregelung des § 242q Abs 10 Nr 2 AFG nicht so zu verstehen, daß die Minderung des Anspruchs auf originäre Alhi erst am 1. April 1994 einsetzen sollte, mit der Folge, daß Arbeitslose, die zwischen dem 1. Oktober und 31. Dezember 1993 originäre Alhi bezogen haben, die Leistung – ungeachtet der bisherigen Bezugsdauer – über den 31. März 1994 hinaus noch für 312 Tage in Anspruch nehmen konnten (so aber Kärcher in Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 135a Rz 6). Dem stehen, worauf sowohl der 11. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seiner Entscheidung vom 29. Januar 1997 – 11 RAr 43/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, als auch der erkennende Senat in seinem Urteil vom 23. April 1997 – 7 RAr 16/97 –, unveröffentlicht, aufmerksam gemacht haben, neben dem Gesetzeswortlaut vor allem die allgemeine Zielsetzung es 1. SKWPG und die Gesetzesmaterialien zu § 242q Abs 10 AFG entgegen (vgl auch BSG, Urteil vom 24. Juli 1997 – 11 RAr 83/96 –, unveröffentlicht).

Der Gesetzgeber verfolgte mit dem 1. SKWPG das allgemeine Ziel, einer deutlich verschlechterten Wirtschaftsentwicklung und den damit verbundenen Mehrbelastungen der öffentlichen Haushalte möglichst umgehend Rechnung zu tragen. Allein im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit (BA) war für das Jahr 1994 ein Defizit in Höhe des bereits 1993 gewährten Bundeszuschusses von 18 Mrd DM zu erwarten. Darüber hinaus war nach einer Steuerschätzung von Mai 1993 auf seiten des Bundes mit konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen für 1994 in Höhe von etwa 46 Mrd DM zu rechnen. Um einem daraus resultierenden Anstieg der Nettokreditaufnahme des Bundes von rund 67 Mrd DM im Jahr 1993 auf über 90 Mrd DM im Jahr 1994 entgegenzuwirken und die Haushalte des Bundes und der BA zu entlasten, sah sich der Gesetzgeber zu sofortigen Sparmaßnahmen veranlaßt, in die auch solche Rechtspositionen und Ansprüche einbezogen werden sollten, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes entstanden waren (BT-Drucks 12/5502 S 1, 19, 22; vgl hierzu auch etwa BSG, Urteil vom 6. März 1997 – 7 RAr 42/96 –; zur Veröffentlichung vorgesehen). Schon mit dieser allgemeinen Zielsetzung des 1. SKWPG wäre eine Auslegung des § 135a iVm § 242q Abs 10 Nr 2 AFG in dem Sinne, daß eine Minderung der Dauer des Anspruchs auf originäre Alhi (§ 110 Satz 1 Nr 1 Halbs 1 iVm § 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 AFG) erst am 1. April 1994 einsetzen sollte, nicht zu vereinbaren.

Die Gesetzesmaterialien zu § 242q Abs 10 AFG erhärten die hier vertretene Auffassung. Danach sollte Arbeitslosen, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes einen Alhi-Anspruch erworben und während eines bestimmten Zeitraumes vor Inkrafttreten des Gesetzes mindestens für einen Tag die Anspruchsvoraussetzungen für die Alhi erfüllt hatten, die Leistung aus Gründen des Vertrauensschutzes für eine dreimonatige Übergangszeit weitergezahlt werden oder wieder bewilligt werden können, um den Betroffenen zu ermöglichen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen und den Sozialhilfeträgern die erforderliche Zeit für die Bearbeitung von Anträgen zu geben (BT-Drucks 12/5502 S 41 zu Nr 61 Abs 10). Obwohl statt der ursprünglich beabsichtigten völligen Abschaffung der originären Alhi letztlich nur deren zeitliche Befristung Gesetz geworden ist und die Übergangsregelung des § 242q Abs 10 AFG aufgrund einer Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses sprachlich neu gefaßt wurde (BT-Drucks 12/5902 S 27 zu Nr 61 Abs 19), sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, daß der dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zugrundeliegende Gedanke eines lediglich dreimonatigen Vertrauensschutzes eine Änderung erfahren sollte. Alle Arbeitslosen, deren Anspruch auf originäre Alhi nach Maßgabe des § 110 Satz 1 Nr 1 Halbs 1 iVm § 134 Abs 4 Satz 1 Nr 1 Halbs 1 AFG bereits vor dem 31. März 1994 erschöpft war, sollten ihres Anspruchs bis einschließlich 31. März 1994 nicht verlustig gehen (BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 11 RAr 43/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSG, Urteil vom 23. April 1997 – 7 RAr 16/97 –, unveröffentlicht; vgl auch Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand Juli 1997, § 135a Rz 4).

Eine andere als die vertretene Auffassung würde im übrigen zu kaum vertretbaren Ergebnissen führen. So wäre nicht nachvollziehbar, weshalb ein Arbeitsloser, dessen Anspruch auf originäre Alhi im Januar 1994 entstand, einen Anspruch auf diese Leistung lediglich für ein Jahr haben sollte, während ein Arbeitsloser, der schon vor dem 31. Dezember 1993 für viele Jahre originär Alhi bezog, seinen Anspruch ab 1. Januar 1994 noch für rund 15 Monate behalten sollte.

Die Neuregelung des § 135a iVm § 242q Abs 10 Nr 2 AFG in der hier vorgenommenen Auslegung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

Der Alhi-Anspruch unterfällt nach ständiger Rechtsprechung nicht der Eigentumsgarantie (Art 14 Abs 1 GG). Es handelt sich nicht um eine aus Beitrags-, sondern gemäß § 188 AFG aus Steuermitteln finanzierte Leistung (BSGE 59, 227, 233 = SozR 4100 § 134 Nr 29; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 7; BSGE 73, 10, 17 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4). Er geht – im Unterschied zum Anspruch auf Arbeitslosengeld ≪Alg≫ (BVerfGE 72, 9, 18 ff) – von seiner Konzeption her nicht auf eine eigene Leistung zurück (BVerfGE 45, 142, 170; BSGE 73, 10, 17 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4).

Die Befristung des Anspruchs auf originäre Alhi verletzt nicht die aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abzuleitenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Eine echte Rückwirkung, von der man spricht, wenn der von der Rückwirkung betroffene Tatbestand in der Vergangenheit (dh vor der Verkündung des Gesetzes) nicht nur begonnen hat, sondern bereits abgeschlossen ist (BVerfGE 11, 139, 145 f; 23, 12, 32; 63, 343, 353; 72, 200, 242; BFHE 147, 343, 349; Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl 1995, Art 20 Rz 48; Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand 1996, Art 20 VII Rz 68), liegt hier nicht vor, weil das 1. SKWPG am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist und sich die Neuregelung – jedenfalls im vorliegenden Fall – nicht vor dem 1. April 1994 auswirkt. Dagegen ist eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) gegeben, weil der durch die §§ 135a, 242q Abs 10 Nr 2 iVm den §§ 110 Satz 1 Nr 1 Halbs 1, 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 AFG geregelte Tatbestand bei Gesetzesverkündung zwar begonnen hatte, aber noch nicht abgeschlossen war (vgl BVerfGE 43, 291, 391; 51, 356, 362; 69, 272, 309; 72, 141, 154; 72, 200, 242; 79, 29, 45 f; BFHE 148, 272, 309; 72, 141, 154; 72, 200, 242; 79, 29, 35 f; BFHE 148, 272, 276 f; Jarass/Pieroth, aaO, Art 20 Rz 49; Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, aaO, Art 20 VII Rz 70). Indes besteht kein absolutes Verbot unechter Rückwirkung. Vielmehr kommt es auf eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an dem Erlaß der Regelung und dem Schutz des Vertrauens der Betroffenen auf den Fortbestand des geltenden Rechts an (BVerfGE 43, 291, 391; 72, 141, 154 f; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 12). Ähnlich wie im Rahmen des Schutzes eigentumsrechtlich geschützter Rechtspositionen ist danach entscheidend, ob der Eingriff im öffentlichen Interesse unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Dies ist der Fall, wenn der Eingriff zur Erreichung des angestrebten im öffentlichen Interesse liegenden Zieles geeignet und erforderlich ist und die Betroffenen dadurch nicht übermäßig und in für sie unzumutbarer Weise belastet werden (vgl insoweit zu Art 14 GG: BVerfGE 76, 220, 242 ff; BSG, Urteile vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 27/96 –, unveröffentlicht, und 6. März 1997 – 7 RAr 42/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Diesen Anforderungen genügt die hier maßgebende Neuregelung. Daran, daß die zeitliche Begrenzung der Dauer des Anspruchs auf originäre Alhi – wie bei der Absenkung der Nettolohnersatzquote beim Unterhaltsgeld (vgl dazu BSGE 76, 162, 173 ff = SozR 3-4100 § 112 Nr 22), beim Übergangsgeld (BSG, Urteil vom 27. Juni 1996 – 11 RAr 97/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), beim Alg (BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 12; BSG, Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 66/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) und bei der Alhi (BSG, Urteil vom 31. Oktober 1996 – 11 RAr 27/96 –, unveröffentlicht) – geeignet und erforderlich war, durch entsprechende Ausgabenverminderung zur Konsolidierung der prekären finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte beizutragen, kann kein Zweifel bestehen. Sie führt aber auch nicht zu einer für die Betroffenen übermäßigen und unzumutbaren Belastung. Insbesondere ist, was schon im Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben wurde, der Lebensunterhalt der Betroffenen trotz der Neuregelung weiterhin gesichert, wenn auch nur noch durch (ggf niedrigere) Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BT-Drucks 12/5502 S 40 zu Nr 61). Insoweit ist die Neuregelung zwar mit einem Wechsel in ein anderes Sozialleistungssystem verbunden; doch wurde keinem Betroffenen das Existenzminimum entzogen (BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 11 RAr 43/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch BSG, Urteil vom 12. November 1991 – 7 RAr 51/80 –, DBlR § 134 AFG Nr 2710a; BSGE 59, 157, 161 f = SozR 1300 § 45 Nr 19); BSGE 59, 227, 234 = SozR 4100 § 134 Nr 29). Vorliegend kommt hinzu, daß die Betroffenen sich aufgrund der dreimonatigen Übergangsregelung auf die geänderte Rechtslage in ausreichendem Maße einstellen, insbesondere Sozialhilfe beantragen konnten und sich nicht mit einer sofortigen Entwertung ihrer bisherigen Rechtsposition konfrontiert sahen (zur vergleichbaren Übergangsregelung im AFKG: BSGE 59, 157, 162 = SozR 1300 § 45 Nr 19; BSGE 59, 227, 234 = SozR 4100 § 134 Nr 29).

Ein der Klägerin günstigeres Ergebnis läßt sich nicht aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Abs 1 GG) herleiten. Auch wenn man bei dessen Prüfung mit der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zwischen einer großzügigen und einer strengen Prüfung unterscheidet und den strengeren Maßstab anlegt, wenn verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden (BVerfGE 55, 72, 88 f; 88, 5, 12, 90, 236, 239; BSGE 58, 134, 142 = SozR 2200 § 385 Nr 14; 76, 84, 90 = SozR 3-8825 § 2 Nr 3), läßt sich hier kein entsprechender Verstoß feststellen. Zwar stehen die Bezieher von originärer Alhi schlechter da als die Bezieher von Anschluß-Alhi, weil deren Anspruch – abgesehen von der Altersgrenze (§ 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 1 iVm § 100 Abs 2 AFG) – keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt. Die Bevorzugung der Empfänger von Anschluß-Alhi ist jedoch sachlich gerechtfertigt, weil ihr Leistungsanspruch an eine Versicherungsleistung anschließt (vgl Überschrift des Ersten Unterabschnitts des Vierten Abschnitts des AFG), die eine beitragspflichtige Beschäftigung von mindestens 360 Kalendertagen voraussetzt (§§ 100 Abs 1, 104 Abs 1 Satz 1 AFG). Demgegenüber knüpft der Anspruch auf originäre Alhi an Beschäftigungszeiten an, die für einen Anspruch auf Alg nicht ausreichen. Dieser fehlende Bezug zur eigentlichen Arbeitslosenversicherung rechtfertigt es, den Anspruch auf originäre Alhi mit einer dreimonatigen Übergangsregelung für „Altfälle” iS einer für die Ordnung von Massenerscheinungen erlaubten Typisierung (BVerfGE 17, 1, 25; 63, 255, 262 f) auf 312 Tage zu befristen.

Aus dem Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 Satz 1 GG) kann die Klägerin keine subjektiven Rechte herleiten (BVerfGE 27, 253, 283; 82, 60, 80). Es räumt keinen Anspruch auf eine bestimmte soziale Regelung ein (BSGE 55, 115, 120 = SozR 1500 § 162 Nr 17). Ihm wird vielmehr bereits durch die Zahlung von Sozialhilfe genügt (BSGE 73, 10, 18 = SozR 3-4100 § 118 Nr 4). Desgleichen kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 GG) berufen; wird die Menschenwürde – wie hier – bei der Auslegung der dem Art 1 GG nachfolgenden Grundrechte ausreichend berücksichtigt, kommt ein Rückgriff auf Art 1 Abs 1 GG nicht in Betracht (Jarass/Pieroth, aaO, Art 1 Rz 3). Ebensowenig kann dem Anliegen der Klägerin mit einem Hinweis auf die sozialen Rechte (§ 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – ≪SGB I≫) Rechnung getragen werden. Sie sind zwar bei der Auslegung des Sozialgesetzbuchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, daß sie möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs 2 SGB I). Indes besteht Einigkeit darüber, daß sie nicht geeignet sind, eine konkrete Anspruchsgrundlage abzugeben (Hauck/Haines, SGB I, Stand Oktober 1996, § 2 Rz 28 ff).

Der des öfteren zu hörende Einwand, das seinerzeit bei der BA zu erwartende Defizit habe weitgehend auf sog Fremdlasten beruht, die durch Steuern oder allgemeine Abgaben hätten finanziert werden müssen, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dazu, daß der Gesetzgeber seine Kompetenzen insoweit nicht überschritten hat und angesichts der historisch einmaligen Aufgabe der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands bei der Suche nach Problemlösungen einen weiten Gestaltungsspielraum besaß (vgl BVerfGE 84, 90, 130 f; 85, 360, 377; BSGE 76, 136, 142 = SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9 Nr 1), hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 9. Mai 1996 – 7 RAr 66/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen, ausführlich Stellung genommen. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen.

Da der angefochtene Bescheid nach alldem mit der Rechtslage in Einklang steht, war der Revision der Beklagten stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174507

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