Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankengeld nach dem SVBehindertenG. Zulassung der Sprungrevision ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter

 

Orientierungssatz

Das Krankengeld aus der Versicherung nach dem SVBehindertenG berechnet sich nach dem in der Werkstatt für Behinderte tatsächlich erzielten Entgelt. Die Bestimmung des § 182 Abs 6 RVO, wonach für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, als Regellohn der Grundlohn gilt, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war, ist hier nicht anwendbar, da der Behinderte insoweit als Arbeitnehmer anzusehen ist (vgl BSG vom 1981-10-28 3 RK 65/80 = SozR 2200 § 183 Nr 39).

 

Normenkette

SVBehindertenG Art 1 § 3 Abs 1 S 1 Fassung: 1975-05-07; RVO § 182 Abs 5 Fassung: 1974-08-07; RVO § 182 Abs 6 Fassung: 1974-08-07; SGG § 161 Abs 1

 

Verfahrensgang

SG für das Saarland (Entscheidung vom 04.08.1980; Aktenzeichen S 1 K 15/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldes.

Der Kläger ist als Behinderter in einer nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anerkannten Werkstätte für Behinderte (WB) beschäftigt. Er war zwischen dem 12. August 1976 und dem 14. Juli 1979 mit Unterbrechungen und ab 13. August 1979 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat ihm unter Zugrundelegung der von ihm bezogenen Grundprämie von 60,-- DM ein tägliches Krankengeld von 1,60 DM gewährt. Seinen Antrag, das Krankengeld nach dem der Berechnung der Beiträge zugrundeliegenden Entgelt - nach § 182 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - zu bemessen, hat die Beklagte abgelehnt. In ihrem Widerspruchsbescheid hat sie zur Begründung ausgeführt, daß nicht der für Nichtarbeitnehmer geltende Absatz 6 des § 182 RVO, sondern dessen Absatz 5 maßgebend sei.

Das Sozialgericht (SG) hat unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Grundsatz der Ausgewogenheit des Versicherungsverhältnisses erfordere es, daß das Krankengeld der nach dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter (SVBG) Versicherten sich zwar grundsätzlich nach dem tatsächlichen Entgelt richte jedoch dann nach dem fiktiven, für die Beitragsentrichtung maßgeblichen Arbeitsgeld zu berechnen sei, wenn das tatsächliche Entgelt unter dem genannten fiktiven liege. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung von § 3 Abs 1 SVBG, § 182 Abs 5 RVO und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 4. August 1980 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Da die ehrenamtlichen Richter bei der Entscheidung über den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Sprungrevision mitzuwirken haben (Großer Senat, Beschluß vom 18. November 1980 - Az GS 3/79 -, BSGE 51, 23), die vorliegende Sprungrevision aber durch Beschluß des Kammervorsitzenden des SG (vom 27. November 1980) ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter zugelassen wurde, ist sie zwar fehlerhaft zustandegekommen. Trotz des ihr anhaftenden schweren Mangels ist das Revisionsgericht aber an diese Zulassung gebunden (BSGE aa0, S 28 f); es ist nicht berechtigt, sie aufzuheben (BSGE aa0, S 30 f).

Das Krankengeld des Klägers berechnet sich nach dem Arbeitsentgelt von 60,-- DM. Als Regellohn iS des § 3 Abs 1 Satz 1 SVBG iVm § 182 Abs 5 RVO kommt hier nur das in der WB tatsächlich erzielte Entgelt in Betracht. Die Bestimmung des § 182 Abs 6 RVO, wonach für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer sind, als Regellohn der Grundlohn gilt, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung maßgebend war, ist hier nicht anwendbar, da der Kläger insoweit als Arbeitnehmer anzusehen ist. Das hat der Senat bereits in seinem (zur Veröffentlichung vorgesehenen) Urteil vom 28. Oktober 1981 - 3 RK 65/80 - entschieden.

Die Berechnung des Krankengeldes aus der Versicherung nach dem SVBG an Hand des tatsächlich in der WB erzielten Entgelts stimmt mit der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes überein. Insoweit wird auf die Begründung zum Regierungsentwurf des SVBG (BT-Drucks 7/1992 S 14) und die unveränderte Übernahme der §§ 4 bis 6 des Entwurfs in das Gesetz hingewiesen.

Die Berechnung des Krankengeldes des Klägers nach dem tatsächlich in der WB erzielten Entgelt entspricht dem Zweck der Krankengeldgewährung. Das Krankengeld ist eine Leistung mit Lohnersatzfunktion und dient dem Ausgleich des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn). Aus der Beschäftigung in der WB hatte aber der Kläger kein höheres Entgelt als monatlich 60,-- DM erzielt. Die Höhe des Entgelts hätte sich auch bei fortbestehender Arbeitsfähigkeit nicht geändert.

Hinsichtlich der Höhe des Krankengeldes hat das SVBG keine von § 182 Abs 4 und 5 RVO abweichende Bestimmung getroffen (§ 3 Abs 1 Satz 1 SVBG). Insbesondere ist der Bemessung des Krankengeldes nicht als Regellohn der Betrag zugrunde zu legen, der nach § 4 SVBG für die Berechnung der Beiträge maßgebend ist. Nach § 4 SVBG ist der Berechnung der Beiträge für Versicherte nach diesem Gesetz als Arbeitsentgelt mindestens ein Betrag in Höhe von 20 vH des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten ohne Lehrlinge und Anlernlinge im vorangegangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen. Gegen eine Anwendung dieser Vorschrift auf die Berechnung des Krankengeldes spricht schon die Bestimmung des § 6 SVBG. Danach ist für die Bemessung des Sterbegeldes als Grundlohn der Betrag zugrunde zu legen, der nach § 4 für die Berechnung der Beiträge maßgebend ist. Die Beschränkung dieser Rechtsfolge auf das Sterbegeld steht einer entsprechenden Anwendung beim Krankengeld entgegen.

Eine Berechnung des Krankengeldes nach der Bestimmung des § 4 SVBG würde auch weder dem Zweck der Vorschrift noch dem Sinn der Krankengeldgewährung entsprechen. In seiner Entscheidung vom 25. Juli 1979 hat der Senat im Zusammenhang mit der Frage, ob den nach dem SVBG Versicherten dem Grunde nach Krankengeld zusteht, zwar auch auf das Prinzip der Ausgewogenheit des Versicherungsverhältnisses hingewiesen (BSGE 48, 283, 286 = SozR 2200 § 182 Nr 50). Nach diesem Prinzip ist es aber nicht geboten, bei der Berechnung der Höhe des Krankengeldes von der Berechnungsgrundlage für die Beiträge (§ 4 SVBG) auszugehen. Mit den Beiträgen werden nämlich neben dem Krankengeld hauptsächlich die Leistungen der Krankenpflege finanziert. Diese Leistungen stehen grundsätzlich allen Versicherten in gleicher Höhe zu. Deshalb ist die Regelung des § 4 SVBG, die der Krankenkasse einen Mindestbeitrag garantiert, als Kompromiß zwischen den Interessen der Träger der Behindertenwerkstätten und der Einrichtungen nach § 2 SVBG einerseits und denen der Krankenversicherung andererseits zu verstehen. Würden die Beiträge nach den geringen tatsächlichen Verdiensten der Behinderten berechnet, so wären sie nicht vertretbar (Meurer KrV 1975, 89, 91; ähnlich von Borries BKK 1975, 133, 135 linke Spalte unten). Unvertretbar wären Beiträge nach dem tatsächlichen Entgelt insbesondere im Hinblick auf die grundsätzlich für alle Versicherten gleichhohen Krankenpflegeansprüche, während sich das Krankengeld gem § 182 Abs 4 und 5 RVO ohnehin nach der Höhe des tatsächlichen Entgelts richtet. Deshalb hat es die Bundesregierung für nötig gehalten, in der Begründung ihres Entwurfs zum SVBG darzulegen, warum die verhältnismäßig geringen Beiträge gem § 4 des Gesetzes im Hinblick auf die Krankenpflegeleistungen als ausgewogen gelten können. Im Entwurf ist dazu ausgeführt: Bei der Festsetzung einer unteren Entgeltgrenze ist zu berücksichtigen, daß zahlreiche Behinderte, die künftig pflichtversichert werden und Beiträge zu entrichten haben, bislang den unentgeltlichen Schutz der Familienhilfe genießen, daß diese Behinderten ferner in der Regel keine Ehegatten und Kinder mit Anspruch auf Familienhilfe haben. Soweit derzeit schon Beiträge entrichtet werden, sind sie teilweise sogar erheblich niedriger als bei der vorgesehenen Regelung. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte, wonach bei behinderten Arbeitnehmern eine auf Krankheit beruhende Arbeitsunfähigkeit häufiger eintritt als bei sonstigen Arbeitnehmern. Nach den Erfahrungen der Werkstätten ist eher das Gegenteil der Fall.

Auf die Revision der Beklagten war daher das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Presse-Vorbericht

3 RK 49/80 R. Schiel ./. Hanseatische Ersatzkasse

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankengeldes.

Der Kläger ist als Behinderter in einer nach dem Schwerbehindertengesetz anerkannten Werkstätte für Behinderte (WB) beschäftigt. Er war zwischen dem 12. August 1976 und dem 14. Juli 1979 mit Unterbrechungen und ab 13. August 1979 arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte hat ihm unter Zugrundelegung der von ihm bezogenen Grundprämie von 60,-- DM ein tägliches Krankengeld von 1,60 DM gewährt. Seinen Antrag, das Krankengeld nach dem der Berechnung der Beiträge zugrundeliegenden Entgelt - nach § 182 Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - zu bemessen, hat die Beklagte abgelehnt. Das Sozialgericht hat unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Sprungrevision der Beklagten.

SG für das Saarland - S 1 K 15/80 Presse-Mitteilung

Auf die Revision der Beklagten wurde das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil 3 RK 65/80 vom 28. Oktober 1981 entschieden hat, berechnet sich das Krankengeld aus der Versicherung gemäß dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter nach dem in der Werkstatt für Behinderte tatsächlich erzielten Entgelt.

SG für das Saarland - S 1 15/80 -

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657768

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