Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenausweis. amtsärztliche Bescheinigung

 

Orientierungssatz

1. In der Erklärung eines Finanzamtes, ein Behinderter sei wegen erheblicher Gehstörungen nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz steuerbegünstigt, liegt keine Feststellung der MdE nach dem SchwbG § 3 Abs 2; das gleiche gilt auch für eine "Amtsärztliche Bescheinigung", die im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Steuererleichterung nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz abgegeben worden ist (Bestätigung BSG 1980-01-30 9 RVs 11/78).

2. "Vorläufige Bescheinigungen" nach SchwbG § 3 Abs 2 sind allein diejenigen ärztlichen Beurteilungen, die zuständigkeitshalber für eine Verwaltungsbehörde zu dem Zweck abgegeben wurde, eine Behinderung und die durch sie bedingte MdE festzulegen.

 

Normenkette

SchwbG § 3 Abs 2 Fassung: 1974-04-29, § 3 Abs 4 S 1 Fassung: 1974-04-29, § 3 Abs 5 S 1 Fassung: 1976-06-14, §§ 1, 3 Abs 1 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 28.05.1979; Aktenzeichen L 9 V 16/78)

SG Detmold (Entscheidung vom 22.03.1978; Aktenzeichen S 6 V 46/77)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt einen Ausweis für Schwerbehinderte auf Grund der von ihr vorgelegten Bescheinigung des Amtsarztes.

Die Klägerin wurde 1966 wegen einer Blinddarmentzündung operiert; anschließend kam es bei ihr zu einer schweren Lungen- und Rippenfellentzündung und im Mai 1967 zu einer Hepatitis.

Der Arzt des Gesundheitsamtes des Landkreises D - M stellte der Klägerin am 13. November 1968 eine "Amtsärztliche Bescheinigung für die Gewährung von Steuervergünstigungen nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz" aus. In dieser Bescheinigung heißt es, nach den Grundsätzen der Rentenversicherung - bundesversorgungsrechtlichen Grundsätzen - liege eine erhebliche Gehbehinderung der Klägerin vor und sie sei auf Grund dessen in ihrer Fortbewegung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Personenkraftwagens angewiesen; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 50 vH.

Unter Vorlage dieser Bescheinigung beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 12. September 1974 die Ausstellung einer Bescheinigung nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) in der Neufassung vom 29. April 1974. In dem Antragsformular kreuzte sie nur den Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 3 Abs 4 SchwbG, nicht aber den Antrag auf Feststellung einer Behinderung und des Grades der MdE an.

Mit Bescheid vom 8. August 1975 führte das Versorgungsamt als Behinderungen der Klägerin Wirbelsäulenverschleiß sowie abgeheilte Rippen-, Bauchfell- und Leberentzündung an, bewertete dies mit einer MdE um 30 vH und lehnte die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 3 Abs 4 SchwbG ab.

Die Klägerin begründete ihren Widerspruch gegen diesen Bescheid damit, daß in der Amtsärztlichen Bescheinigung eine MdE um 50 vH festgestellt worden sei; zudem seien als zusätzliche Behinderungen Schmerzen an Operationsnarben, Kreislauf- und Durchblutungsstörungen sowie ein Riß der Fußgelenkskapsel zu berücksichtigen. Mit Abhilfebescheid erhöhte der Beklagte die MdE auf 40 vH und erkannte als weitere Behinderungen an: Darmträgheit, hypotone Kreislaufstörung und ohne Funktionsstörung verheilte Knöchelverletzung links. Den Widerspruch im übrigen wies der Beklagte mit Bescheid vom 17. März 1977 zurück.

Die Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, die Klage hätte nur Erfolg haben können, wenn die von der Klägerin vorgelegte Amtsärztliche Bescheinigung eine einem Rentenbescheid entsprechende Verwaltungsentscheidung (§ 3 Abs 2 SchwbG) sei. Das sei jedoch nicht der Fall. Da die Klägerin ihren ursprünglich nicht auf die Feststellung der einzelnen Behinderungen gestellten Antrag jedenfalls im Widerspruchsverfahren erweitert habe, sei der Beklagte auch verpflichtet gewesen, alle einzelnen Behinderungen festzustellen und eine Gesamt-MdE zu bewerten.

Die Klägerin hat Revision eingelegt. Sie meint, der Beklagte habe ihren Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung auf Grund des Bescheides des Gesundheitsamtes gar nicht aufgegriffen, sondern unberechtigterweise und ohne ihren Antrag eigenmächtig eine Neufeststellung zu ihren Ungunsten vorgenommen und die einzelnen Behinderungen neu aufgeführt und eine MdE festgesetzt.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts

und des angefochtenen Urteils des Landessozialgerichts

den Bescheid des Versorgungsamtes Bielefeld vom

8. August 1975 idF des Widerspruchsbescheides vom

17. März 1977 aufzuheben und den Beklagten zu

verpflichten, der Klägerin einen Ausweis über die

Eigenschaft als Schwerbehinderte nach § 3 Abs 4 SchwbG

aF auszustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß die Klägerin weder die Anerkennung als Schwerbehinderte beanspruchen kann noch die Aufhebung der angefochtenen Bescheide insoweit, als darin einzelne Behinderungen der Klägerin aufgeführt und die MdE auf nicht mehr als 40 vH festgestellt worden ist.

1. Nach § 3 Abs 4 Satz 1 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 29. April 1974 (BGBl I 1005 = aF, jetzt § 3 Abs 5 Satz 1 SchwbG idF des Art 2 Nr 1 Buchst c des 8. Gesetzes über die Anpassung der Leistungen des BVG vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1481 - 8. Anpassungsgesetz KOV -) stellen auf Antrag des Behinderten die zuständigen Behörden auf Grund einer unanfechtbar gewordenen Feststellung nach den Absätzen 1 oder 2 über die Eigenschaft als Schwerbehinderter und den Grad der MdE eine Bescheinigung (= "Ausweis" in der neuen Fassung des Gesetzes) aus. Der ursprüngliche Antrag der Klägerin ging dahin, diesen Ausweis allein auf Grund der von ihr vorgelegten ärztlichen Bescheinigung vom 13. November 1968 auszustellen. Hiermit stützt sich die Klägerin auf § 3 Abs 2 SchwbG; danach ist eine Feststellung nach Abs 1 über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden MdE nicht zu treffen, wenn eine solche schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist.

Das LSG hat zu Recht ausgesprochen, daß die vorgelegte Amtsärztliche Bescheinigung des Gesundheitsamtes nicht zu den vorgenannten Feststellungen gehört. Der Senat hat bereits in seiner zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung vom 30. Januar 1980 - 9 RVs 11/78 entschieden, daß in der Erklärung eines Finanzamtes, ein Behinderter sei wegen erheblicher Gehstörungen nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz steuerbegünstigt, keine Feststellung der MdE nach dem SchwbG § 3 Abs 2 liege; das gleiche gelte auch für eine "Amtsärztliche Bescheinigung", die im Zusammenhang mit der Beurteilung einer Steuererleichterung nach dem Kraftfahrzeugsteuergesetz abgegeben worden sei. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser Entscheidung abzurücken. Grundsätzlich ist es schon fraglich, ob ein Arzt überhaupt eine MdE "feststellen" kann. Er hat nur medizinische Gesichtspunkte für eine Beurteilung beizutragen, die sich außerdem an Anforderungen des Erwerbslebens auszurichten hat. Um einen Rentenbescheid oder eine entsprechende Verwaltungsentscheidung im obenbezeichneten Sinn handelt es sich bei der ärztlichen Bescheinigung jedenfalls nicht. Zu den entsprechenden Verwaltungsentscheidungen können nur solche zählen, aus denen sich ergibt, daß eine Leistung oder sonstige Vergünstigung gerade deshalb zugesprochen wurde, weil ein bestimmter Grad der MdE gegeben war, der für das Schwerbehindertenrecht rechtserheblich sein könnte. Deshalb wird es sich praktisch nach der Rechtsentwicklung um solche früheren Entscheidungen handeln, durch welche die Schwerbeschädigteneigenschaft iS des § 1 Abs 1 SchwerbeschädigtenG anerkannt worden ist. Dieser Personenkreis war nach Schädigungen abgegrenzt, die durch eine bestimmte Einwirkung verursacht worden sein mußten (vgl SchwerbeschädigtenG vom 14. August 1961, zuletzt geändert durch das 2. Gesetz zur Änderung des Bundesseuchengesetzes vom 25. August 1971, BGBl I Seite 1401). Dieser Kreis ist enger als die Gruppe der Schwerbehinderten, die durch das Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 (BGBl I 981) begünstigt worden sind. Wer nicht zu den Schwerbeschädigten in diesem Sinne gehört, kann nach § 3 Abs 2 SchwbG seine Eigenschaft als Schwerbehinderter iS des neuen Rechts allein durch eine Feststellung nachweisen, die inhaltlich auf die Anforderungen des § 1 iVm § 3 Abs 1 Satz 2 SchwbG abgestellt ist (vgl Urteil des Senats vom 30. Januar 1980 und II 3 und 4 der Richtlinien über Ausweise für Schwerbeschädigte und Schwerbehinderte - Stand Januar 1977 - BVBl Heft 3 - 4/77, Beilage).

Die von der Klägerin vorgelegte ärztliche Bescheinigung kann auch nicht als eine "vorläufige Bescheinigung" nach § 3 Abs 2 SchwbG angesehen werden. Hierfür kommen allein diejenigen ärztlichen Beurteilungen in Betracht, die zuständigkeitshalber für eine Verwaltungsbehörde zu dem Zweck abgegeben wurden, eine Behinderung und die durch sie bedingte MdE festzulegen. In Art III des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 ist in § 5 Abs 3 Satz 1 auf die möglichen Ausweise und die Richtlinien vom 11. Oktober 1965 hingewiesen worden. In diesen Richtlinien (GMBl Seite 402) sind unter II 2 folgende Unterlagen als Nachweis einer Beschädigung zu fordern: Für die Ausstellung des Ausweises für Schwerbehinderte die Bescheinigung eines von der ausstellenden Behörde bestimmten Arztes über das Bestehen einer MdE um wenigstens 50 vH. Danach reichte nur eine solche ärztliche Bescheinigung aus, die gerade von der Behörde, die den Schwerbehindertenausweis ausstellen wollte, für diese Aussage aufgefordert worden war.

2. Die Bescheide des Beklagten sind ferner nicht aufzuheben, soweit sie die einzelnen Behinderungen der Klägerin und eine MdE von nicht mehr als 40 vH festgestellt haben. Zwar hat die Klägerin eine derartige Feststellung ursprünglich nicht beantragt. Die Versorgungsverwaltung durfte jedoch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin davon ausgehen, daß bei Ablehnung ihres eigentlichen Begehrens - allein auf Grund der ärztlichen Bescheinigung vom 13. November 1968 den Schwerbehindertenausweis auszustellen - der Antrag auch dahin ging, diesen Schwerbehindertenausweis wegen der anders nachzuweisenden Behinderungen zu erhalten. Dies konnte die Versorgungsverwaltung um so mehr annehmen, als die Klägerin selbst im Widerspruchsverfahren noch weitere Behinderungen geltend machte. Die Klägerin hat in dem Revisionsverfahren selbst ihr Interesse an einer solchen Entscheidung zu erkennen gegeben für den Fall, daß sie den gewünschten Ausweis nicht mit der vorgelegten Bescheinigung erhalten kann. Die entsprechenden Ausführungen des LSG sind deshalb nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659719

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