Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des SGG § 162 Abs 2 steht der Anwendung einer nicht revisiblen Rechtsnorm durch das Revisionsgericht dann nicht entgegen, wenn das Berufungsgericht diese Rechtsnorm völlig unberücksichtigt gelassen hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein der Versorgungsbehörde bei der Bescheiderteilung bekanntes anrechnungsfähiges Einkommen kann später nicht mehr zurückgefordert werden.

2. Nach BVG § 62 Abs 1 können nur solche Bescheide zurückgenommen werden, die nach ihrem Erlaß fehlerhaft geworden sind, nicht dagegen solche Bescheide, die schon in dem Zeitpunkt, in dem sie erteilt worden sind, fehlerhaft gewesen sind.

Ein Bescheid, der eine unzutreffende Begründung enthält, aber auf andere Vorschriften gestützt werden kann, ist vom Gericht auch dann als rechtmäßig zu werten, wenn die Verwaltungsbehörde es unterlassen hat, andere Rechtsgründe ausdrücklich als Stütze heranzuziehen. Dies ist jedenfalls dann zulässig, wenn der angefochtene Bescheid dadurch nicht in seinem Wesen und Ausspruch verändert wird.

Ein Rentenentziehungsbescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil ihn das Versorgungsamt nicht mit Erfolg auf BVG § 62 Abs 1 stützen kann, er aber aus anderen Gründen rechtmäßig ist.

 

Normenkette

SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 23. September 1955 dahin abgeändert, daß der Bescheid des Versorgungsamts II Berlin vom 14. April 1953 und die Entscheidung des Landesversorgungsamts Berlin vom 2. Juni 1953 nur insoweit aufgehoben werden, als der Beklagte von der Klägerin den Betrag von 700.- DM zurückfordert. Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin, die Witwe eines im Jahre 1933 gestorbenen Kriminalbetriebsassistenten, beantragte am 11. September 1950 die Gewährung einer Elternrente nach ihrem am 24. September 1944 als Soldat verstorbenen Sohn Günter. Am 6. Dezember 1951 teilte sie dem Versorgungsamt mit, daß sie vom 1. Juli 1951 ab eine Überbrückungshilfe von 114,30 DM netto monatlich nach den Richtlinien des Senats von Berlin vom 20. August 1951 über die Gewährung von Überbrückungshilfe an verdrängte Angehörige des öffentlichen Dienstes (Amtsblatt für Berlin 1951 S. 312) erhalte. Das Versorgungsamt bewilligte ihr durch Bescheid vom 17. Januar 1952 für die Zeit vom 1. Oktober 1957 ab eine Elternrente von 50.-DM monatlich nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Im März 1953 stellte das Versorgungsamt fest, daß die Pensionsstelle des Senators für Inneres auf Grund des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) der Klägerin in der Zwischenzeit rückwirkend vom 1. Oktober 1951 ab ein monatliches Witwengeld von zunächst 115,18 DM, vom 1. April 1952 ab 133,65 DM, bewilligt hatte.

Mit Bescheid vom 14. April 1953, den das Versorgungsamt als "Bescheid über den Wegfall einer Elternrente" bezeichnete und auf § 62 Abs. 1 BVG stützte, führte es aus, die Klägerin habe die Elternrente vom 1. Oktober 1951 ab zu Unrecht erhalten. Die seit diesem Zeitpunkt gezahlte Pension sei als Einkommen anzurechnen und übersteige die Einkommensgrenze des § 51 Abs. 2 BVG. Es sei eine Überzahlung von 900.- DM für die Zeit vom 1. Oktober 1951 bis 31. März 1953 eingetreten. Sie solle mitteilen, in welcher Weise sie die Überzahlung abdecken wolle. Der Einspruch der Klägerin hiergegen wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß nur 700.-DM zu Unrecht gezahlt seien, weil das Versorgungsamt nach dem Bescheid vom 17. Januar 1952 einen Betrag von 200.- DM an das Sozialamt zur Befriedigung eines Ersatzanspruchs wegen gezahlter Sozialunterstützung überwiesen habe.

Auf die Klage hat das Sozialgericht Berlin durch Urteil vom 4. Oktober 1954 den Bescheid vom 14. April 1953 und die Einspruchsentscheidung aufgehoben und festgestellt, daß die Klägerin nicht verpflichtet sei, 700.- DM zurückzuzahlen. Das Landessozialgericht hat die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 23. September 1955 insoweit zurückgewiesen, als das Sozialgericht "die streitigen Verwaltungsakte aufgehoben hat". Im übrigen wurde das Urteil des Sozialgerichts dahin geändert, "daß eine Feststellung über die Nichtverpflichtung der Klägerin zur Rückzahlung entfällt". Das Landessozialgericht hat ausgeführt:

Die dem Bescheid vom 17. Januar 1952 zugrunde liegenden Verhältnisse hätten sich im Sinne des § 62 BVG erst geändert, als die Klägerin an Stelle der vom Versorgungsamt nicht als Einkommen angerechneten Überbrückungshilfe ein monatliches Witwengeld erhalten habe. Für die Zeit vor der Bewilligung dieses Witwengeldes habe die Rentenentziehung nicht auf § 62 BVG gestützt werden können. Der Bescheid vom 14. April 1953 sei insoweit rechtswidrig. Das Gericht habe nicht zu prüfen, ob er aus einem anderen Rechtsgrund haltbar sei, weil der Beklagte andere Rechtsgründe nicht als Stütze herangezogen habe. Ein Rückforderungsanspruch sei für die Zeit, von der ab die Klägerin ein Witwengeld bezogen habe, unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 der Ersten Durchführungsverordnung (DurchfVO) zum Gesetz über die Versorgung von Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen (KVG) vom 13. Dezember 1950 (VOBl. für Berlin S. 570) nicht erfüllt seien. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin die Elternrente betrügerisch erschlichen oder ihre Anzeigepflicht verletzt habe. Das Sozialgericht habe daher im Ergebnis zutreffend eine Rückzahlungspflicht verneint. Die Feststellung in der Urteilsformel, daß die Klägerin dem Beklagten nichts schulde, sei überflüssig, weil das Sozialgericht den Bescheid vom 14. April 1953 und die Einspruchsentscheidung aufgehoben habe. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.

Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt und beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 23. September 1955 und des Sozialgerichts Berlin vom 4. Oktober 1954 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Er rügt die Verletzung der §§ 103, 106, 112 SGG, der §§ 51, 61, 62, 67 BVG und des § 84 Abs. 3 BVG in Verbindung mit § 47 KVG und des § 63 der Ersten DurchfVO zum KVG sowie des § 47 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VwVG) vom 2. Mai 1955.

Die Klägerin beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Landessozialgerichts im Ergebnis für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist daher zulässig. Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben; denn das angefochtene Urteil ist - abgesehen von der Richtigstellung im Urteilsausspruch im Ergebnis richtig.

Das Landessozialgericht hat die Berufung, deren Statthaftigkeit als Voraussetzung der Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (BSG. 2 S. 225 [227]; 3 S. 124 [126]; 4 S. 70 [72] und S. 281 [284]) im Ergebnis zutreffend als zulässig angesehen. Das Urteil des Sozialgerichts betrifft nämlich nicht Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume im Sinne des § 148 Nr. 2 SGG, sondern die Rückerstattung überzahlter Rente (vgl. BSG. 3 S. 234. [236, 237]). Eine vom Sozialgericht in einem solchen Fall irrtümlich erfolgte Zulassung ist rechtlich ohne Bedeutung. Es brauchte daher nicht entschieden zu werden, ob das Sozialgericht die Berufung rechtswirksam zugelassen hatte.

Der Beklagte hätte gemäß § 77 Halbsatz 2 SGG, § 24 Abs. 1 VwVG die nach dem Bescheid vom 17. Januar 1952 gezahlte Elternrente nur zurückfordern können, wenn der Bescheid von einem bestimmten Zeitpunkt an zurückgenommen worden ist. Diese Vorschriften erfassen nach ihrem zeitlichen Geltungswillen auch Verwaltungsakte, die vor ihrem Inkrafttreten erlassen worden sind (vgl. Urteil vom 12.2.1958 - 11/9 RV 948/55 - SozR. VerwVG § 24 Bl. Ca 1 Nr. 1). Es ist deshalb zunächst darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls von welchem Zeitpunkt ab die in dem Bescheid "über den Wegfall einer Elternrente" vom 14. April 1953 enthaltene Rücknahme des Bescheides vom 17. Januar 1952 rechtswirksam ist.

Der Rentenbewilligungsbescheid vom 17. Januar 1952 war bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig, weil der Klägerin eine Elternrente nicht zustand. Nach § 51 Abs. 2 BVG in der Fassung vom 20. Dezember 1950 war Elternrente nur insoweit zu gewähren, als sie zusammen mit dem sonstigen Einkommen im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 und 2 BVG bei einem Elternteil 70.- DM nicht überstieg. Als sonstiges Einkommen gelten alle Einkünfte in Geld und Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle. Diese Begriffsbestimmung ist, wie der erkennende Senat in den Urteilen vom 10. November 1955 (BSG. 2 S. 10 [15] und vom 22. November 1956 (BSG. 4 S. 121 [125]) ausgeführt hat, klar und eindeutig.

Unter § 33 Abs. 2 Satz 1 BVG fallen alle Einkünfte von wirtschaftlichem Wert ohne Rücksicht darauf, ob sie steuerpflichtig im Sinne des Einkommensteuergesetzes sind oder nicht (ebenso BSG. 5 S. 208). Die der Klägerin nach den Richtlinien des Senats von Berlin vom 20. August 1951 (a.a.O.) vom 1. Oktober 1951 ab gezahlte Überbrückungshilfe hätte bei der Bemessung der Elternrente als sonstiges Einkommen berücksichtigt werden müssen. Sie wurde an die in Berlin (West) wohnenden verdrängten Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die Hinterbliebenen von Versorgungsempfängern usw. gezahlt, weil diesem Personenkreis bis zur Einbeziehung des Landes Berlin in den Geltungsbereich des G 131 durch Vorschußzahlungen geholfen werden sollte, die später auf die Leistungen nach dem Berliner G 131 angerechnet wurden (vgl. Abschnitt G. IV. der Richtlinien, § 8 Abs. 2 des Gesetzes zur Durchführung des Berliner G 131 vom 13.12.1951 - GVBl. für Berlin S. 1162 -). Die Überbrückungshilfe wurde ohne Rücksicht auf die Bedürftigkeit des Berechtigten gezahlt und war steuerpflichtig (Abschnitt F. der Richtlinien). Sie ist als Einkommen im wirtschaftlichen Sinne anzusehen und war deshalb bei der Bemessung der Elternrente zu berücksichtigen. Der Umstand, daß der Senator für Inneres die Überbrückungshilfe nur unter der Voraussetzung gewährt hatte, daß sie auf Leistungen aus der Kriegshinterbliebenenfürsorge nicht angerechnet wurde, enthob das Versorgungsamt nicht der Prüfung, ob es sich bei diesen Leistungen um anrechnungspflichtiges Einkommen im versorgungsrechtlichen Sinne handelte. Bei richtiger Würdigung hätte es zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß der Klägerin keine Elternrente zustand, weil ihr sonstiges Einkommen die im § 51 Abs. 2 BVG festgesetzte Einkommensgrenze überstieg. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 17. Januar 1952 war daher bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig.

Daraus folgt, daß die Rentenentziehung im April 1953 nicht auf eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG gestützt werden konnte. Nach dieser Vorschrift werden die Versorgungsbezüge neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Hierunter dürfen - wie das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 12. Februar 1958, 11/9 RV 948/55 (SozR. BVG § 62 Bl. Ca 1 Nr. 2) - entschieden hat, nur die Verhältnisse verstanden werden, die bei der Bescheiderteilung in Wirklichkeit (objektiv) vorgelegen haben, es kommt nicht darauf an, was für die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, subjektiv bei der Bescheiderteilung maßgebend gewesen ist. Nach § 62 Abs. 1 BVG können nur solche Bescheide zurückgenommen werden, die nach ihrem Erlaß fehlerhaft geworden sind, nicht dagegen solche Bescheide, die schon in dem Zeitpunkt, in dem sie erteilt worden sind, fehlerhaft gewesen sind.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist ein Bescheid, der eine unzutreffende Begründung enthält, aber auf andere Vorschriften gestützt werden kann, vom Gericht auch dann als rechtmäßig zu werten, wenn die Verwaltungsbehörde es unterlassen hat, andere Rechtsgründe ausdrücklich als Stütze heranzuziehen. Dies ist jedenfalls dann zulässig, wenn der angefochtene Bescheid dadurch nicht in seinem Wesen und Ausspruch verändert wird (vgl. das o.a. Urteil des BSG. vom 12. Februar 1958). Das Versorgungsamt hat sich zwar nicht ausdrücklich darauf berufen, daß die Fehlerhaftigkeit des Bescheids vom 17. Januar 1952 auf einer unzutreffenden Anwendung des Einkommensbegriffs beruht. Es hat aber jedenfalls die nach seiner Ansicht von Anfang an zu Unrecht gezahlte Elternrente entziehen und den fehlerhaften Bescheid beseitigen wollen. Wenn das Gericht die Rentenentziehung aus anderen rechtlichen Erwägungen als im Bescheid aufrechterhält, wird die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung nicht beeinträchtigt, zumal da sie sich in erster Linie gegen das Rückforderungsbegehren des Beklagten wendet. Der Rentenentziehungsbescheid vom 14. April 1953 ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil ihn das Versorgungsamt nicht mit Erfolg auf § 62 Abs. 1 BVG stützen konnte; er ist vielmehr aus anderen Gründen rechtmäßig (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Nach § 40 Abs. 4 KVG in Verbindung mit § 61 der Ersten DurchfVO vom 13. Dezember 1950 (a.a.O.) konnte ein rechtskräftiger Bescheid zuungunsten des Berechtigten aufgehoben werden, wenn die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen für die Erteilung nicht gegeben waren, insbesondere, wenn der Bescheid gegen eine gesetzliche Bestimmung verstieß. Diese Vorschriften haben im Zeitpunkt der Bescheiderteilung am 14. April 1953 gegolten (Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges vom 12.4.1951 - GVBl. für Berlin S. 317 -). Sie sind - ungeachtet des in der Zwischenzeit in Kraft getretenen § 41 VwVG - weiter für die Entscheidung der Frage maßgebend, ob der Bescheid vom 17. Januar 1952 rechtmäßig ist (Urteil des 8. Senats vom 6.2.1958 - 8 RV 449/56 - SozR. VerwVG § 41 Bl. Ca 1 Nr. 2 - mit Nachweisen).

Der Senat hat zunächst geprüft, ob das Revisionsgericht diese landesrechtlichen Vorschriften, die das Landessozialgericht nicht herangezogen hat, seinerseits anwenden kann; denn die materiell-rechtlichen und die verfahrensrechtlichen Vorschriften des (Berliner) KVG sind nicht revisibles Recht im Sinne des § 162 Abs. 2 SGG (BSG. 2 S. 106 ff. [109 - 112], SozR. SGG § 162 Bl. Da 23 Nr. 90). Nach § 162 Abs. 2 SGG kann die Revision nur darauf gestützt werden, daß die angefochtene Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer revisiblen Vorschrift beruht. Ist dagegen eine Rechtsnorm irrevisibel, so bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG. 3 S. 77 ff. [80 - 82] - vgl. aus BSG. 2 S. 201 ff. [205]), daß das Revisionsgericht nicht nachprüfen darf, ob sie besteht und ob sie vom Berufungsgericht auf den Sachverhalt richtig angewandt worden ist. Im vorliegenden Fall konnte jedoch der Senat die-an sich nicht revisiblen Vorschriften des KVG anwenden, da das Berufungsgericht den § 40 Abs. 4 KVG in Verbindung mit § 61 der Ersten DurchfVO völlig unberücksichtigt gelassen hat. Danach steht die Vorschrift des § 162 Abs. 2 SGG der Anwendung einer nicht revisiblen Rechtsnorm in einem solchen Falle nicht entgegen, (so auch BGHZ. Bd. 24 S. 159 ff. [163 - 164]; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 143 III 2 (S. 689); Wieczorek, Zivilprozeßordnung, 1957, § 562 A IV, § 549 G I a 2; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 18. Aufl., § 565 IV).

Die Voraussetzungen des § 40 Abs. 4 KVG in Verbindung mit § 61 der Ersten DurchfVO vom 13. Dezember 1950 haben auch vorgelegen. Der Rentenbewilligungsbescheid vom 17. Januar 1952 verstieß - wie bereits ausgeführt - gegen die §§ 51 Abs. 2, 33 Abs. 2 Satz 1 BVG, weil die der Klägerin gezahlte Überbrückungshilfe als sonstiges Einkommen auf die Elternrente angerechnet werden mußte. Die Klägerin konnte auch erkennen, daß durch den "Bescheid über den Wegfall der Elternrente" trotz der unrichtigen Begründung der Rentenbewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden sollte.

Es war weiter noch darüber zu entscheiden, ob auch die Rückforderung des Betrages von 700.- DM durch den Beklagten zulässig ist. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist das Rückforderungsbegehren in dem Bescheid vom 14. April 1953 mit genügender Deutlichkeit geltend gemacht. Die Klägerin wurde im Anschluß an die Feststellung des Versorgungsamts, daß die Elternrente vom 1. Oktober 1951 ab zu Unrecht gezahlt worden sei, um Mitteilung gebeten, "in welcher Weise sie die Überzahlung abdecken wolle". Daraus ergibt sich, daß die Verwaltungsbehörde einen Rückforderungsanspruch ohne Einschränkung geltend machen und der Klägerin lediglich auf Wunsch die Rückzahlung durch Ratenzahlungen erleichtern wollte. Das durch das Landesversorgungsamt im Einspruchsverfahren auf 700.- DM ermäßigte Rückforderungsbegehren ist, wie das Berufungsgericht im Ergebnis richtig entschieden hat, nicht begründet. Soweit der Beklagte rügt, das Landessozialgericht habe § 63 Abs. 2 der Ersten DurchfVO zum KVG vom 13. Dezember 1950 verletzt, ist festzustellen, daß die Revision hierauf nicht gestützt werden kann (§ 162 Abs. 2 SGG). Diese Vorschrift ist ihrem Inhalt und ihrer Wirksamkeit nach materiell-rechtlicher Natur, Sie ist ebenso wie die materiell-rechtlichen Vorschriften des KVG selbst (vgl. BSG. 2 S. 106) nicht revisibel, weil auch die Durchführungsvorschriften zu diesem Gesetz die Absicht des Berliner Gesetzgebers erkennen lassen, die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen für Berlin unabhängig von den in den übrigen Ländern der Bundesrepublik geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften zu regeln. Hat das Berufungsgericht eine nicht revisible Rechtsnorm angewendet, so muß das Revisionsgericht prüfen, ob nicht statt des angewendeten irrevisiblen Rechts eine revisible Rechtsnorm hätte angewendet werden müssen (BSG. 3 S. 77 [81]; RGZ. 127, 95 [96]; 60, 165 [170] Wieczorek, a.a.O. § 562 A 2 a; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, a.a.O. § 562 Anm. II). Daraus folgt, daß das Bundessozialgericht zu prüfen hat, ob das Landessozialgericht - wie der Beklagte behauptet - den § 47 VwVG durch Nichtanwendung verletzt hat. Diese Vorschrift gilt vom 1. April 1955 ab als revisibles Recht auch in Berlin (West), weil das Land Berlin das VwVG inhaltsgleich durch Art. I, III Abs. 1 des Gesetzes zur Übernahme des VwVG vom 6. Mai 1955 (GVBl. für Berlin S. 324) übernommen hat (vgl. in diesem Zusammenhang BSG. 1, 98 [100, 101] und 189 [190, 191]; 2, 106 [108]). § 47 Abs. 3 VwVG, auf den es hier ankommt, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in allen beim Inkrafttreten des VwVG anhängigen Rückforderungsfällen maßgebend (SozR. VwVG § 47 Bl. Ca 2 Nr. 3; Urteil des BSG. vom 12.2.1958 - 11/9 RV 948/55 -). Ist ein Bescheid nicht nach § 41 VwVG, sondern nach den vorher geltenden Vorschriften zurückgenommen worden, dann treten in § 47 Abs. 3 Satz 1 VwVG an die Stelle von § 41 VwVG die früher gültigen Vorschriften, hier also § 40 Abs. 4 KVG in Verbindung mit § 61 der Ersten DurchfVO; diese knüpfen die Möglichkeit der Rücknahme jedenfalls nicht an engere Voraussetzungen als § 41 VwVG.

Der Rückforderungsanspruch des Beklagten ist nicht begründet. Wird ein von Anfang an fehlerhafter Bescheid zurückgenommen, so ist die Rückforderung der gewährten Leistungen grundsätzlich ausgeschlossen (§ 47 Abs. 3 Satz 1 VwVG). Dies gilt nur dann nicht, wenn die Fehlerhaftigkeit des Bescheids darauf beruht, daß der Empfänger Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung gewesen sind, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen hat oder wenn er beim Empfang der Bezüge gewußt hat, daß sie ihm nicht oder nicht in dieser Höhe zustanden (§ 47 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VwVG). Die Klägerin hat nach den nicht abgegriffenen, das Bundessozialgericht gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts dem Versorgungsamt am 6. Dezember 1951 unaufgefordert den Bescheid des Senators für Inneres über die Bewilligung einer Überbrückungshilfe vorgelegt. Sie hat damit Tatsachen, die für die Entscheidung des Versorgungsamts über ihren Elternrentenanspruch erheblich gewesen sind, richtig angegeben und nichts verschwiegen. Wenn das Versorgungsamt daraufhin mit Bescheid vom 17. Januar 1952 Elternrente bewilligt hat, so durfte sich die Klägerin darauf verlassen, daß ihr die Rente zustand. Es kann auch nicht angenommen werden, daß sie gewußt hat, ihr werde die Rente zu Unrecht gezahlt. Die Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch nach § 47 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VwVG liegen somit nicht vor. Das Landessozialgericht hat ihn im Ergebnis mit Recht abgelehnt.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist unzutreffend, soweit es die vom Sozialgericht ausgesprochene Aufhebung des Bescheids des Versorgungsamts vom 14. April 1953 und der Entscheidung des Landesversorgungsamts vom 2. Juni 1953 ohne Einschränkung bestätigt hat. Diese Entscheidungen sind insoweit rechtmäßig, als die Elternrente entzogen worden ist. Dieser Fehler im Urteilsausspruch war richtigzustellen, so daß - wie geschehen - zu erkennen war.

Der Klägerin sind die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten (§ 193 SGG), da der Beklagte nach der Richtigstellung im Urteilsausspruch hinsichtlich der Rückforderung der 700.- DM in vollem Umfang unterlegen ist.

 

Fundstellen

BSGE, 122

NJW 1958, 1159

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