Leitsatz (amtlich)

Bei wanderversicherten Fremdrentnern ergibt sich der für die Rentenfeststellung zuständige und passiv legitimierte Versicherungszweig der Rentenversicherung aus der entsprechenden Anwendung der allgemeinen Wanderversicherungsvorschriften.

 

Normenkette

SVFAG § 7

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts in Celle vom 5. Dezember 1957 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der am 21. Dezember 1894 geborene, während des Revisionsverfahrens am 7. März 1959 verstorbene ursprüngliche Kläger war von Juni 1919 bis Oktober 1927 als Hauer und Oberhauer, anschließend bis September 1939 als Grubensteiger und schließlich bis August 1945 als Vermessungssteiger und Fahrsteiger im Kohlenbergbau des Sudetenlandes tätig. Er hat nach den Feststellungen des Landessozialgerichts folgende Beitragszeiten in der Sozialversicherung zurückgelegt: vom 18. Juni 1919 bis zum 20. April 1923 47 Monate bei der Revierbruderlade in B..., vom 1. Mai 1923 bis September 1938 185 Monate bei der Angestelltenversicherung in Prag, von Oktober 1938 bis Ende 1942 36 Monate bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und vom 1. Januar 1943 bis August 1945 32 Monate bei der Reichsknappschaft. Im August 1945 mußte er seine Heimat verlassen und ist seit dem 23. August 1945 in der Bundesrepublik wohnhafte. Er war zuletzt Vermessungstechniker im Dienst der Stadt S.... Am 15. Januar 1951 beantragte er bei der Beklagten die Gewährung des Knappschaftssoldes. Diese lehnte den Antrag durch Bescheid vom 30. März 1951 ab, weil die Wartezeit von 300 Beitragsmonaten nicht erfüllt sei. Die Versicherungszeiten vom 1. Mai 1923 bis zum 30. September 1938 könnten nicht auf die Wartezeit für den Knappschaftssold angerechnet werden.

Gegen diesen Bescheid legte der ursprüngliche Kläger Einspruch ein, den der Geschäftsausschuß der Beklagten durch Bescheid vom 19. Juni 1951 zurückwiese.

Dagegen legte der ursprüngliche Kläger Berufung bei dem Knappschafts-Oberversicherungsamt in C... ein. Diese ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht in Hannover über. Das Sozialgericht verurteilte die Beklagte, dem ursprünglichen Kläger Knappschaftssold für die Zeit ab 1. April 1952 zu zahlen. Nach § 4 Abs. 2 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG) müßte die vom 1. Mai 1923 bis 30. September 1938 zurückgelegte Beitragszeit als knappschaftliche Beitragszeit angerechnet werden, da der - ursprüngliche - Kläger während dieser Zeit im Bergbau beschäftigt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Das Landessozialgericht wies diese durch Urteil vom 5. Dezember 1957 zurück. Er teilte die Ansicht des Sozialgerichts, daß die bei der Angestelltenversicherung in P... zurückgelegte Beitragszeit auf die Wartezeit für den Knappschaftssold angerechnet werden müßte, da der - ursprüngliche - Kläger während dieser Zeit im Bergbau gearbeitet habe.

Gegen das ihr am 11. Januar 1958 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 25. Januar 1958 Revision ein und begründete diese, nachdem die Revisionsbegründungsfrist bis zum 11. April 1958 verlängert worden war, am 8. April 1958. Sie ist der Ansicht, daß nach § 3 FremdRG in Verbindung mit § 6 Abs. 1 der Verordnung über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem deutschen Reich eingegliederten Gebieten vom 27. Juni 1940 (RGBl. I S. 957) die bei der Angestelltenversicherung in ... zurückgelegten Beitragszeiten als Beitragszeiten bei der deutschen Angestelltenversicherung anzusehen seien. Die in der Zeit vom Oktober 1938 bis Ende 1942 bei der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte zurückgelegte Beitragszeit könnte ebenfalls nicht auf die Wartezeit für den Knappschaftssold angerechnet werden.

Sie hat beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts in Celle vom 5. Dezember 1957 sowie das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. April 1956 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der ursprüngliche Kläger ist am 7. März 1959 verstorben. Seine Witwe, die mit ihm bis zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, hat den Rechtsstreit durch Schriftsatz ihres Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Baron von d. R... vom 2. April 1959 aufgenommen.

Sie hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Landessozialgerichts für zutreffend. Zu bemerken sei noch, daß die unter Tage beschäftigten Bergbauangestellten höhere Beiträge an die Angestelltenversicherung in Prag hätten entrichten müssen als die übrigen Angestellten; es habe sich hierbei also um eine echte bergmännische Berufsversicherung gehandelt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft, da das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Bedenken gegen ihre Zulässigkeit bestehen somit nicht.

Die Witwe des ursprünglichen Klägers hat mit diesem zur Zeit seines Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt; sie war daher nach § 88 Abs. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zur Fortsetzung des Verfahrens berechtigt.

Der Revision konnte der Erfolg nicht versagt bleiben. Es war zunächst zu prüfen, ob die Beklagte überhaupt zum Erlaß des angefochtenen Bescheides zuständig war und passiv legitimiert ist. Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach dem FremdRG. Der ursprüngliche Kläger war in der gesetzlichen Rentenversicherung bei stillgelegten deutschen Versicherungsträgern versichert (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG). Wach den vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen sind ausschließlich Beitragszeiten bei der Revierbruderlade in B..., der Angestelltenversicherung in P..., der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und der Reichsknappschaft entrichtet worden. Da diese Feststellungen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist nicht angegriffen worden sind, war der erkennende Senat nach § 163 SGG an sie gebunden. Nach § 6 der Verordnung über die endgültige Regelung der Reichsversicherung in den ehemaligen tschechoslowakischen, dem deutschen Reich eingegliederten Gebieten vom 27. Juni 1940 (RGBl. I S. 957) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 des Abkommens vom 14. März 1940 (RGBl. II S. 108), in Kraft gesetzt durch die Verordnung vom 25. April 1940 (RGBl. II S. 107), sind die bei der Bruderlade in B... zurückgelegten Beitragszeiten auf die Reichsknappschaft und die bei der Angestelltenversicherung in P... zurückgelegten Beitragszeiten auf die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte übergegangen. Auch diese Versicherungszeiten gelten daher nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 FremdRG als bei einem deutschen Versicherungsträger zurückgelegte Versicherungszeiten. Sowohl die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte wie auch die Reichsknappschaft (diese seit Inkrafttreten des Knappschaftsversicherungs-Anpassungsgesetzes -KnVAG-) sind stillgelegte Versicherungsträger im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 FremdRG (BSG. 4, 96; BSG. 6, 250). Der ursprüngliche Kläger hat sich bis zu seinem Tode auch ständig im Bundesgebiet aufgehalten, erhielt von keiner dieser beiden Versicherungsträger eine Leistung und würde sie auch auf Antrag nicht erhalten. Der zuständige Versicherungsträger ergibt sich daher aus § 7 a.a.O. Diese Vorschrift trifft allerdings keine Regelung für Wanderversicherungen. Der Senat hatte jedoch keine Bedenken, die allgemeinen Wanderversicherungsvorschriften entsprechend anzuwenden. Da einerseits mindestens sechs Beitragsmonate bei der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegt sind, andererseits aber auch der letzte Beitrag an die Reichsknappschaft entrichtet ist und darüber hinaus die Wartezeit für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 RKG erfüllt ist, war bzw. ist sowohl nach altem Recht (§ 42 RKG a.F. in Verb. mit § 1544 g Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung -RVO- a.F. und § 1 Nr. 2 und 3 des Wanderversicherungsabkommens vom 12. Juni 1944 - AN. 1944 S. 246 -) wie nach neuem Recht (§ 102 RKG) die knappschaftliche Rentenversicherung zur Rentenfeststellung und - gegebenenfalls - zur Rentenumstellung (Art. 2, § 26 Abs. 1 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes -KnVNG-) zuständig und passiv legitimiert, und zwar wie in § 7 FremdRG ausdrücklich bestimmt ist, die Ruhrknappschaft, nicht also die Beklagte. Diese wendet zwar ein, durch interne Verwaltungsvereinbarung der Knappschaften sei die Zuständigkeit der nach dem Wohnsitz zuständigen Knappschaft begründet worden.

Dieser Einwand greift indes nicht durch. Die Beklagte übersieht, daß durch eine Verwaltungsvereinbarung zwischen Versicherungsträgern hier keine von der bestehenden gesetzlichen Zuständigkeitsregelung abweichende Zuständigkeit begründet werden kann, da es sich um zwingendes Recht handelt. Da die Revision somit begründet ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Der erkennende Senat hielt es für untunlich (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), in der Sache selbst zu entscheiden, da in der Revisionsinstanz eine Beiladung nicht mehr erfolgen kann (§ 168 SGG) und die Klage daher abgewiesen werden müßte. Er hat es vielmehr für zweckmäßig angesehen, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen. Damit ist dem Berufungsgericht Gelegenheit gegeben, noch die Ruhrknappschaft beizuladen und dann erneut über den Anspruch zu entscheiden. Der Klägerin wird dadurch die Erhebung einer neuen Klage erspart.

Über die Kosten wird in dem abschließenden Urteil zu befinden sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324822

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