Beteiligte

Klägerin und Revisionsbeklagte

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) bis 6) (G.) ist am 1. August 1979 bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Nach Auffassung der Kläger hat es sich dabei um einen Arbeitsunfall gehandelt. Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, daß G. im Unfallzeitpunkt als Jagdgast versicherungsfrei gewesen ist (§ 542 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung -RVO-).

G., der beruflich als Studiendirektor an den kaufmännischen Schulen in I… tätig war, hatte von dem Pächter einer Jagd, seinem Berufskollegen R…, schriftlich die unentgeltliche Erlaubnis erhalten, Krähen, Wiesel, Marder, Iltisse sowie wildernde Hunde und Katzen zu schießen. Im Unfallzeitpunkt hatte er die Erlaubnis zum Abschuß eines Bockes. Gegen 3.00 Uhr begab er sich zum Ansitz; gegen 14.45 Uhr wurde er mit einem Lungendurchschuß tot aufgefunden. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hatte G. nach Beendigung des Ansitzens einen Iltis waidwund geschossen. Bei dem Versuch, das Tier zu töten, löste sich der tödliche Schuß.

Mit ihrem Bescheid vom 11. September 1979 lehnte die Beklagte Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, weil G. den Unfall als Jagdgast erlitten habe. Der hiergegen erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1979).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Juli 1980). Das Schießen des Iltisses, der nach § 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) zu den jagdbaren Tieren gehöre, sei Jagdausübung im Rahmen der vorhandenen Jagderlaubnis gewesen; G. sei daher Jagdgast und versicherungsfrei gewesen. Unerheblich sei, daß das Abschießen von Schadwild wirtschaftlich den Jagdpächtern gedient habe.

Dieses Urteil und die Bescheide der Beklagten hat das LSG geändert und die Beklagte verurteilt, den Klägern Hinterbliebenenrenten zu zahlen (Urteil vom 24. November 1981). G. sei wie ein Jagdaufseher für den Jagdpächter tätig geworden § 539 Abs. 2 RVO). Ein Jagdgast werde gewöhnlich aus Freude und Vergnügen an der Jagd tätig; ihm gehe es vorwiegend um die Erbeutung wertvoller Trophäen und die Tätigung interessanter Abschüsse. Das Jagen des Jagdaufsehers sei demgegenüber regelmäßig eine untergeordnete Hilfstätigkeit. Das Abschießen und Töten des Iltisses sei eine derartige typische untergeordnete Hilfstätigkeit gewesen. Hinzu komme, daß G. sonst für die Jagdpächter auch andere Verrichtungen erledigt habe, die üblicherweise von Jagdaufsehern getätigt würden.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Nach ihrer Überzeugung ist G. nach seinem Gesamttätigkeitsbild als Jäger nicht arbeitnehmerähnlich tätig geworden, sondern als Jagdgast. Im Unfallzeitpunkt habe er eine seinem Privatleben zugehörige unversicherte Tätigkeit ausgeübt. Auch das Erlegen von Raubzeug sei nämlich eine jagdliche Tätigkeit. G. habe zudem unentgeltlich in die Jagd investiert (Hochsitzbau, Anlage eines Wildackers), so daß er den Jagdpächtern gleichgeordnet als Jagdgast gegenübergestanden habe. Auch die berufliche und politische Stellung des G. ließen nicht zu, eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit anzunehmen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. November 1981 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 9. Juli 1980 zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung ist die gesellschaftliche und politische Stellung des G. für die Beantwortung der hier auftauchenden Rechtsfragen unerheblich. Sowohl R. als auch ein anderer Zeuge hätten ihn als Jagdaufseher angesehen. Bei Treibjagden sei er stets Jagdaufseher gewesen. Die Bejagung des Iltisses habe zur allgemeinen Jagdaufsehertätigkeit des G. gehört.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Anspruch auf Hinterbliebenenrenten besteht bei Tod durch Arbeitsunfall (s. § 589 Abs. 1 RVO). Arbeitsunfall ist ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Das LSG und die Beteiligten gehen zutreffend davon aus, daß G. weder als Jagdpächter (§ 539 Abs. 1 Nr. 5, § 776 Abs. 1 Nr. 3 RVO) noch als abhängig Beschäftigter bei R… (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO) versichert war. Entgegen der Auffassung des LSG war G. im Unfallzeitpunkt auch nicht wie ein nach § 539 Abs. 1 RVO Versicherter tätig, sondern hat den tödlichen Unfall als Jagdgast erlitten und war daher gemäß § 542 Nr. 3 RVO versicherungsfrei.

Nach dieser Vorschrift besteht Versicherungsfreiheit u.a. für Personen, die aufgrund einer vom Jagdausübungsberechtigten unentgeltlich oder entgeltlich erteilten Jagderlaubnis die Jagd ausüben. Diese Personen sind vom Gesetzgeber in einem Klammervermerk ausdrücklich als Jagdgäste bezeichnet worden. Ihre Tätigkeit ist nach dem Wortlaut des Gesetzes durch die Jagdausübung geprägt, an welcher sie in Wahrnehmung der Befugnisse des Jagdausübungsberechtigten beteiligt sind (vgl. Lorz, Bundesjagdgesetz mit Landesrecht und Fischereischeingesetz, § 11 Anm. 8; Mitzschke/Schäfer, BJG, 4. Aufl. 1982, § 11 Rd.Nr. 66; § 12 des Landesjagdgesetzes Nordrhein-Westfalen i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. Juli 1978 - GVBl. NRW S. 318 -, s. dazu Hencke, Jagdrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1980, § 12 LJG Anm. 3, 5, 15). Den Begriff der Jagdausübung hat das Bundessozialgericht (BSG) stets den einschlägigen Vorschriften des Jagdrechts entnommen (vgl. z.B. SozR Nr. 19 zu § 539 RVO; s. auch LSG Niedersachsen, Breithaupt 1980, 99, 101; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl., S. 478 s. II m.w.N.), weil es einen hiervon unterschiedlichen sozialversicherungsrechtlichen Begriff der Jagdausübung nicht gibt. Demgemäß erstreckt sich die Jagdausübung auf das Aufsuchen, Nachstellen, Erlegen und Fangen von Wild (s. § 1 Abs. 4 BJagdG). Zum Wild gehören nach der Definition des Gesetzes die dem Jagdrecht unterliegenden wildlebenden Tiere (s. § 1 Abs. 1 BJagdG). Demgemäß kommt es für die Frage, ob eine Jagdausübung anzunehmen ist oder nicht, darauf an, ob der Berechtigte jagdbares Wild aufsucht (s. zur Hege des Wildes BSG SozR Nr. 1 zu § 542 RVO), ihm nachstellt, es erlegt oder fängt (so auch Schindera, SozVers 1968, 235, 238/239). Hierauf hat schon das SG zutreffend abgestellt. Eine dahingehende Unterscheidung, ob Abschüsse "interessant" und mit der "Erbeutung wertvoller Trophäen" verbunden sind, wie sie vom LSG vorgenommen worden ist, kennt das Jagdrecht demgegenüber nicht. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG unterliegt auch der Iltis (Mustela putorius) dem Jagdrecht.

Nach den Feststellungen des LSG ereignete sich der Unfall des G., als er auf dem Rückweg vom Ansitz auf einen Knopfbock den von ihm waidwund geschossenen Iltis tötete. Er ist folglich beim Erlegen jagdbaren Wildes zu Tode gekommen. Da er im Besitz der nach § 542 Nr. 3 RVO erforderlichen Jagderlaubnis war (s. BSG SozR Nr. 19 zu § 539), bestand für G. im Unfallzeitpunkt Versicherungsfreiheit als Jagdgast.

Der Senat vermag dem LSG und der Revision insoweit nicht zu folgen, als die zum Unfall führende jagdliche Tätigkeit vor dem Hintergrund des "gesamten Tätigkeitsbildes des betreffenden Jägers" gesehen und danach beurteilt werden muß, ob es sich um Jagdausübung i.S. von § 542 Nr. 3 RVO handelt oder um eine "untergeordnete Hilfstätigkeit". Mit Recht wenden die Kläger hiergegen ein, daß die Versicherungsfreiheit nach § 542 Nr. 3 RVO weder von der allgemeinen Stellung noch von den sonstigen Verrichtungen des Verletzten im Jagdrevier abhängen kann. Das BSG hat im Gegensatz hierzu stets ausschließlich die zum Unfall führende Tätigkeit unabhängig von der sonstigen Betätigung des Verletzten in der Jagd betrachtet, wenn zu entscheiden war, ob er bei einem Unfall als Jagdgast versicherungsfrei oder wie ein Versicherter tätig geworden war (s. insbesondere die Entscheidung des Senats SozR Nr. 1 zu § 542 RVO; ferner, BSG SozR a.a.O. Nr. 3, ausdrücklich auch Bayer. LSG, Breithaupt 1982, 20, 21; LSG Nds. a.a.O., S. 102). Daraus folgt aber auch, daß es für den Versicherungsschutz im Zeitpunkt des Unfalls unerheblich ist, ob der Verunglückte früher an anderen Tagen für den Jagdpächter Tätigkeiten verrichtete, bei denen er wie ein Beschäftigter tätig wurde und dabei nach § 539 Abs. 2 RVO versichert war (s. Brackmann, a.a.O. S. 476 q, 478 t m.w.N.). Weiterhin vermag der Senat dem LSG nicht zuzustimmen, der Ehemann der Klägerin zu 1) sei beim Erlegen des Iltisses nicht als Jagdgast tätig gewesen, weil die Tätigkeit des Jagdgastes durch subjektive "Freude und Vergnügen an der Jagd'' geprägt sei. Zwar hat das BSG in seinem Urteil vom 30. April 1971 (SozR Nr. 3 zu § 542 RVO) u.a. ausgeführt, die jagdgastliche Tätigkeit werde im Gegensatz zur Tätigkeit versicherter Angestellter "aus Freude an der Jagd ausgeübt". Was hierunter verstanden werden soll, hat es jedoch in einer anderen Entscheidung vom selben Tage (SozR Nr. 19 zu § 539 RVO) dadurch zum Ausdruck gebracht, daß es die Jagdausübung des Jagdgastes als sein "Privatvergnügen" beschrieben hat. Damit hat es den gesetzgeberischen Grundgedanken des § 542 RVO gekennzeichnet, wonach "die Vorschrift den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz (konkretisiert), daß Tätigkeiten, die in den Bereich des Privatlebens gehören, nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fallen" (BT-Drucks IV/120 S. 53; Brackmann, a.a.O. § 478 t; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 542 Anm. 21; Boiler, WzS 1968, 79, 80, 1979, 33, 37). Demgemäß kommt es auch in diesem Zusammenhang für die Versicherungsfreiheit nach § 542 Nr. 3 RVO nicht darauf an, ob die Jagdausübung dem Jagdgast im Einzelfall etwa um deswillen keine "Freude" macht, weil der Abschuß oder die zum Unfall führende Handlung jagdlich "uninteressant" ist oder insbesondere keinen "Trophäenwert" hat (s. auch § 22 a BJagdG; Schleswig-Holsteinisches LSG 1971, 367: lahmgeschossene Ricke; Lorz, a.a.O., § 22 a Anm. 3). Insoweit hält der erkennende Senat vielmehr die Auffassung des LSG Niedersachsen (Breithaupt 1980, 99, 102) für zutreffend, daß der Versicherungsschutz nach § 542 Nr. 3 RVO nach objektiven Merkmalen zu beurteilen ist. Demzufolge kommt es auch nicht - worauf schon das SG zutreffend hingewiesen hat - darauf an, ob der jeweilige Abschuß auch den Interessen des Jagdrechtsinhabers oder einer vernünftigen Abschußregelung i.S. von § 21 BJagdG dient (BSG SozR Nr. 1 zu § 542 RVO).

Da G. somit bei der Jagdausübung ums Leben gekommen ist und demgemäß Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 2 RVO von vornherein nicht in Betracht kommt (s. hierzu auch BSG SozR Nr. 19 zu § 539 RVO, Nr. 1 zu § 542 RVO; Brackmann, a.a.O., S. 476 q, 478 u), haben die Kläger keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrenten.

Das Urteil des LSG war daher aufzuheben und die gegen das Urteil des SG gerichtete Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.2 RU 5/82

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Breith. 1983, 679

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