Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufskrankheit. Krankenschwester

 

Orientierungssatz

Ein ursächlicher Zusammenhang einer Infektionskrankheit mit der Berufstätigkeit liegt nur vor, wenn diese Tätigkeit über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahren bietet.

 

Normenkette

BKVO 6 Anl 1 Nr. 39

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 27.08.1963)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 15.11.1960)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. August 1963 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die jetzt als Krankenschwester tätige Klägerin war von 1947 bis zu ihrer Erkrankung an Rachendiphtherie am 28. August 1952, die eine Herzmuskelschädigung zur Folge hatte, als Fürsorgerin am staatlichen Gesundheitsamt M-W beschäftigt.

Die Landesversicherungsanstalt (LVA) für das Saarland - Abteilung gemeindliche Unfallversicherung - verneinte, als Ausführungsbehörde für Unfallversicherung, im Bescheid vom 21. August 1954 ihre Entschädigungspflicht, mit der Begründung, daß eine Berufskrankheit nach der Nr. 26 der Anlage zur 5. Saarländischen Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten (BKVO) (Nr. 39 der Saarländischen 6. BKVO) angesichts der Gutachten des Chefarztes des Kreiskrankenhauses M,-Dr. Z vom 2. Juli 1954 sowie des staatlichen Gewerbearztes (Gewerbemedizinalrat Dr. Z) vom 29. Juli 1954 nicht vorliege. Der behandelnde Arzt Dr. K hatte am 10. September 1953 Anzeige über eine Berufskrankheit erstattet, weil die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit laufend bei Kindern, die in Erholung geschickt worden seien, Diphtherieabstriche angefertigt habe. Der Dienstvorgesetzte der Klägerin, Medizinalrat Dr. Sch, hatte in seiner auf Ersuchen der LVA einen Monat später erstatteten Berufskrankheitenanzeige darauf hingewiesen, daß hiervon abgesehen worden sei, weil das staatliche Gesundheitsamt eine Berufskrankheit für völlig unmöglich gehalten habe und nach wie vor dieser Meinung sei.

Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat durch Urteil vom 15. November 1960 den beklagten Gemeindeunfallversicherungsverband für das Saarland (als staatliche Ausführungsbehörde) unter Aufhebung des Bescheides vom 21. August 1954 verurteilt, der Klägerin Unfallentschädigung zu gewähren. Es hat zwar den Nachweis der Ansteckung der Klägerin durch eine bestimmte Person, insbesondere durch die am 30. April 1952 an Diphtherie erkrankten Kinder des Schulleiters G, nicht als erbracht angesehen, es jedoch als wahrscheinlich erachtet, daß die Infektionskrankheit der Klägerin eine Folge ihrer beruflichen Tätigkeit sei. Die medizinische Universitätsklinik Homburg-Saar, der Facharzt für innere Krankheiten Prof. Dr. W, Bad Nauheim sowie der vom SG in der Sitzung gehörte Gutachter Dr. R hatten überwiegend eine berufliche Gefährdung der Klägerin durch Infektionskrankheiten bejaht; dagegen hatten diese der vom SG als sachverständiger Zeuge gehörte Medizinalrat Dr. Sch sowie Dr. Z in einer vom Gemeindeunfallversicherungsverband vorgelegten gutachtlichen Äußerung verneint.

Auf die Berufung des Gemeindeunfallversicherungsverbandes für das Saarland, an dessen Stelle im Laufe des Rechtsmittelverfahrens die Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung des Saarlandes getreten ist, hat das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland durch Urteil vom 27. August 1963 die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG hat zur Frage, ob die Klägerin in ihrem Beruf überdurchschnittlich durch die Möglichkeit einer Ansteckung an Diphtherie gefährdet gewesen ist, weiteren Beweis erhoben durch Einvernahme von drei am staatlichen Gesundheitsamt M-W beschäftigten Fürsorgerinnen sowie einer an dieser Behörde tätigen Büroangestellten, durch Anhörung des staatlichen Gewerbearztes Prof. Dr. S als Sachverständigen und - auf Antrag der Klägerin- durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens von dem Direktor des Staatlichen Instituts für Hygiene und Infektionskrankheiten, Prof. Dr. W; auf Ersuchen der Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat Gewerbemedizinalrat Dr. Z zu diesem Gutachten Stellung genommen. Ferner hat das LSG das der Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung am 11. April 1962 vom staatlichen Krankenhaus S erstattete Gutachten gewürdigt; nach diesem Gutachten sind nachteilige Folgen der Diphtherieerkrankung nicht mehr vorhanden.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:

Die Klägerin gehöre zwar dem nach der Nr. 26 der Anlage zur 5. Saarländischen BKVO (Nr. 39 der Anlage zur 6. Saarländischen BKVO) geschützten Personenkreis an, denn sie sei als Fürsorgerin in der Gesundheitsfürsorge in einem Bezirk eingesetzt und außerdem im Labor des staatlichen Gesundheitsamts beschäftigt gewesen; insbesondere habe sie Blutentnahmen, Blutsenkungen, Urinuntersuchungen, auch Sputumentnahmen ausführen und bei Kindern ihres Bezirks, die in Erholung geschickt werden sollten, Diphtherieabstriche vornehmen sowie die Proben verpacken und absenden müssen. Der ursächliche Zusammenhang der Diphtherieerkrankung der Klägerin mit ihrer beruflichen Tätigkeit sei aber nicht gegeben. Zwar habe sich die Klägerin vermutlich während dieser Tätigkeit angesteckt. Die Anforderungen an den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen beruflicher Tätigkeit und Infektionskrankheit dürften auch nicht überspannt werden. Der Nachweis, daß die Klägerin vor ihrer Erkrankung in ihrem Beruf einer über das allgemeine Ansteckungsrisiko hinausgehenden Ansteckungsgefahr an Diphtherie ausgesetzt gewesen sei, hätte indessen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geführt werden können. Während der für die Diphtherieerkrankung der Klägerin in Frage kommenden Inkubationszeit sei, gleichgültig, ob diese mit zwei bis vier oder aber bis zu acht Tagen auszusetzen sei, im Kreis Merzig keine weitere Diphtherieerkrankung aufgetreten. Die letzte vor der Erkrankung der Klägerin bakteriologisch nachgewiesene Diphtherieerkrankung sei in diesem Gebiet im Mai 1952, also drei Monate vorher, jedoch nicht in dem Bezirk, den die Klägerin zu betreuen gehabt habe, festgestellt worden. Seit Beginn des Jahres 1952 seien im Kreis Merzig außerdem nur drei Erkrankungen an Diphtherie vorgekommen, nämlich je eine im Januar und März und - diese im Bezirk der Klägerin - im April. Es habe sich um die beiden Kinder des Schulleiters G gehandelt; bei einem dieser Kinder habe die bakteriologische Untersuchung den Nachweis einer Diphtherieerkrankung ergeben. Die Klägerin habe den Schulleiter G im April 1952 wegen eines anderen Kindes, das in Erholung geschickt werden sollte, aufgesucht. Nach der Bestätigung des Schulleiters G sei die Klägerin mit seinen erkrankten Kindern aber nicht zusammengekommen. Zwar sei es nach dem Gutachten des Prof. Dr. S theoretisch möglich, daß die Klägerin sich anläßlich dieses Besuches mit Diphtheriebazillen infiziert habe, diese Krankheitserreger sich bis zum August in ihrem Körper befunden hätten und durch irgendeinen Umstand virulent geworden seien und zur Erkrankung der Klägerin geführt hätten; der Gutachter habe diesen Infektionsweg jedoch als außerordentlich unwahrscheinlich bezeichnet. Prof. Dr. W habe, gestützt auf eine wissenschaftliche Arbeitshypothese, diesen Infektionsweg zwar ebenfalls bejaht, jedoch eingeräumt, daß der praktische Wahrscheinlichkeitsgrad des angenommenen Umwandlungsvorgangs wegen der Schwierigkeit der Untersuchungen und der dadurch bedingten geringen Zahl von Beobachtungen nicht angegeben werden könne. Aus denselben Erwägungen sei es unwahrscheinlich, daß die Klägerin sich angesteckt habe, als sie in den letzten Monaten vor ihrer Erkrankung bei den für die Kinderlandverschickung vorgesehenen Kindern Diphtherieabstriche, die alle negativ gewesen seien, vorgenommen habe. Eine erhöhte Ansteckungsgefahr habe, wie Prof. Dr. S dargelegt habe, auch nicht in der Tätigkeit der Klägerin, Sputum zwecks Feststellung von Tuberkelbazillen zu entnehmen, bestanden. Prof. Dr. W habe diese Möglichkeit gar nicht erwogen. Soweit die im Laufe des Rechtsstreits gehörten Gutachter eine erhöhte Ansteckungsgefahr bei der Klägerin bejaht hätten, hätten sie, wie insbesondere Prof. Dr. W, nur allgemein deren Möglichkeit, aber keine näheren Umstände hierfür dargetan. Die Klägerin sei jedoch, wie deren früherer Dienstvorgesetzter Medizinalrat Dr. Sch ausgeführt habe, nicht in der Krankenfürsorge, sondern in der Gesundheitsfürsorge tätig gewesen; sie sei also im wesentlichen mit gesunden Personen in Berührung gekommen. Es müsse ferner berücksichtigt werden, daß die Klägerin nach Beendigung ihres Dienstes so viel Freizeit gehabt habe, daß die Möglichkeit einer Ansteckung im privaten Bereich nicht ausgeschlossen werden könne. Schließlich habe auch der Nachweis nicht geführt werden können, daß die Diphtherieerkrankung der Klägerin die Voraussetzung eines Arbeitsunfalles erfülle. Nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast sei der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Unfallentschädigung somit abzulehnen.

Das LSG hat die Revision zugelassen, weil - wie sich aus seinen Erörterungen zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs ergebe - über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden gewesen sei.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und diese durch ihre Prozeßbevollmächtigten im wesentlichen wie folgt begründen lassen:

Das Berufungsgericht habe die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Bestimmungen der Saarländischen 5. und 6. BKVO unzutreffend angewandt. Es hätte aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung gewinnen müssen, daß die Infektionskrankheit der Klägerin auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei; diese Wahrscheinlichkeit habe am nächsten gelegen. Die Beklagte treffe die Beweislast, daß die Klägerin sich nicht in ihrer beruflichen Beschäftigung, sondern in ihrem Privatleben angesteckt habe, denn der Dienstvorgesetzte der Klägerin, Medizinalrat Dr. Sch, habe erst vier Wochen später als der behandelnde Arzt und nur nach Aufforderung Anzeige über das Vorliegen einer Berufskrankheit erstattet und darin eine Berufskrankheit als "völlig unmöglich" verneint. Damals sei es dem Arbeitgeber der Klägerin bzw. der Beklagten gewiß möglich gewesen, nähere Feststellungen zu treffen, daß und in welch engerem Zeitraum die Klägerin sich wahrscheinlich angesteckt habe. Beide hätten die ihnen obliegenden Ermittlungen unterlassen, obwohl eine Berufskrankheit in nicht mißzuverstehender Weise angezeigt worden sei. Dies müsse die Beklagte im Sinne einer Umkehr der Beweislast gegen sich gelten lassen. Bei der Auffassung des Berufungsgerichts, daß die Klägerin nur in der Gesundheitsfürsorge tätig gewesen sei, handele es sich um ein Spiel mit Worten, denn nach der Erfahrung des täglichen Lebens gingen nur anfällige oder kranke Personen zum sog. Gesundheitsamt. Die Feststellung des LSG, daß die Klägerin mit keiner an Diphtherie erkrankten Person in unmittelbare Berührung gekommen sei, werde von der Klägerin bestritten. Sie sei auch nicht näher begründet. Die Beklagte sei den Beweis für diese Behauptung schuldig geblieben. Die Klägerin wende sich entsprechend ihrer Rechtsmeinung gegen die vom LSG vorgenommene Prüfung der Frage, ob Anspruch auf Entschädigung wegen eines Arbeitsunfalls bestehe; umstritten sei nur die Frage der Berufskrankheit.

Der Prozeßbevollmächtigte der Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung hat vorsorglich darauf hingewiesen, daß wohl das Saarland der richtige Beklagte sei und dieses durch die Landesausführungsbehörde vertreten werde. Es sei nicht zweifelsfrei, ob die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Normen des saarländischen Rechts revisibles Recht nach § 162 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) seien. Der Rechtsstreit gehe somit darum, welche Voraussetzungen an den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs der Berufstätigkeit der Klägerin und ihrer Erkrankung zu stellen seien. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen seien indessen nicht begründet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II.

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 SGG liegen vor.

Entgegen dem Hinweis des Prozeßbevollmächtigten der Revisionsbeklagten konnte das LSG ohne Rechtsirrtum die Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung des Saarlandes als die richtige Beklagte ansehen. Gemäß § 4 der Verordnung (VO) über die Vertretung des Saarlandes vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vom 19. Dezember 1958 (Amtsblatt des Saarlandes 1958, 1935 = BABl 1959, 122 = Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Anhang 2/147) wird das Saarland bei Streitigkeiten vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der staatlichen Ausführungsbehörde für Unfallversicherung zwar durch diese Behörde vertreten. Nach § 1 dieser VO sind Behörden jedoch fähig, am Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit im Sinne des § 70 Nr. 3 SGG beteiligt zu sein. Durch § 11 des Ausführungsgesetzes zum Gesetze zur Einführung der Sozialgerichtsbarkeit im Saarland vom 18. Juni 1958 (ABl des Saarlandes 1958, 1225 = Peters/Sautter/Wolff, aaO, Anhang 2/139) ist die von der Landesregierung mit der Führung der Dienstaufsicht beauftragte Stelle nicht nur ermächtigt, durch Rechtsverordnung die Vertretung des Saarlandes vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu regeln, sondern auch die zu diesem Gesetz erforderlichen Ausführungsbestimmungen zu erlassen. Die Klage mußte sonach nicht gegen das Saarland, sie konnte auch gegen die Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung dieses Bundeslandes gerichtet werden.

Die - durch Zulassung statthafte - (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) Revision ist nicht begründet.

Ungeachtet dessen, daß die Revision sich nicht gegen die Auslegung der vom Berufungsgericht seinem Urteil zugrunde gelegten Bestimmungen des saarländischen Rechts, nämlich der Nr. 26 der Anlage zur 5. BKVO vom 15. März 1951 (ABl. des Saarlandes S. 571) und der inhaltlich damit übereinstimmenden Nr. 39 der Anlage zur 6. BKVO vom 2. Juni 1954 (ABl. des Saarlandes S. 690) wendet, sondern Verfahrensrügen erhoben hat, ist, da die Revision zugelassen ist, das angefochtene Urteil durch den erkennenden Senat auch insoweit nachzuprüfen. Entgegen der Ansicht der Beklagten handelt es sich, wie der Senat im Urteil vom 9. Dezember 1964 (2 RU 230/61) bereits entschieden hat, bei diesen Bestimmungen des saarländischen Rechts um revisibles Recht im Sinne von § 162 Abs. 2 SGG, weil diese Bestimmungen hinsichtlich der Infektionskrankheiten eine dem Bundesrecht (Nr. 39 zur Anlage der 5. BKVO, Nr. 37 der Anlage zur 6. BKVO) inhaltsgleiche Regelung enthalten (Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 692), die nicht rein tatsächlich oder zufällig, sondern bewußt und gewollt ist (SozR Nr. 156 zu § 162 SGG; BSG 2, 106, 110).

Mit Recht hat das LSG angenommen, daß die staatlichen Gesundheitsämter als "Einrichtungen im Gesundheitsdienst" im Sinne der BKVO anzusehen sind (vgl. RVA AN 1930, 506; BSG 6, 74, 79; 15, 41, 44) und die Klägerin auf Grund ihrer Tätigkeit bei einer solchen Behörde zu dem nach der BKVO geschützten Personenkreis gehört hat. Zutreffend hat es außerdem geprüft, ob die vermutliche Ansteckungszeit in den Zeitraum der von der Klägerin ausgeübten versicherten Berufstätigkeit fällt. Ferner ist das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß ein ursächlicher Zusammenhang der Infektionskrankheit der Klägerin mit ihrer beruflichen Beschäftigung nur vorliegt, wenn diese Tätigkeit besondere über das normale Maß hinausgehende Ansteckungsgefahren geboten hat (BSG 6, 186,188; SozR Nr. 1 zur 6. BKVO Anlage 37 = Breithaupt 1965, 730). Ob dies zutrifft, kann im allgemeinen nicht schon nach der Art des Unternehmens oder der Eigenart der vom Versicherten verrichteten Tätigkeit, sondern muß nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Die für und gegen einen ursächlichen Zusammenhang sprechenden Tatsachen hat das Tatsachengericht im Rahmen seines Rechts der freien Beweiswürdigung gegeneinander abzuwägen. Den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs hat das LSG nicht als geführt angesehen, obwohl es die Auffassung vertreten hat, daß an diesen Nachweis trotz der vielseitigen Möglichkeit der Aufnahme von Krankheitserregern keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürften. Die von der Revision erhobenen Einwände gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, aus denen dieses den Schluß gezogen hat, daß die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit keiner erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist, treffen nicht zu.

Die Revision rügt, das LSG habe § 128 Abs. 1 SGG verletzt, weil es aus dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme die Überzeugung hätte gewinnen müssen, daß die Klägerin sich bei ihrer beruflichen Tätigkeit angesteckt habe; diese Wahrscheinlichkeit habe am nächsten gelegen. Diese Rüge ist jedoch nicht formgerecht erhoben (§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGG), weil die Revision nicht dargetan hat, auf Grund welcher Erwägungen im einzelnen das LSG zu der nach ihrer Meinung gesetzmäßigen Beweiswürdigung hätte gelangen müssen. Entgegen der Ansicht der Revision gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, daß nur kranke oder anfällige Personen ein staatliches Gesundheitsamt aufsuchen. Die gutachterliche Tätigkeit der Gesundheitsämter besteht in nicht geringem Umfange darin, Personen zu untersuchen und ihnen zu bestätigen, daß der von ihnen erstrebten oder ausgeübten Tätigkeit als Gewerbetreibende oder im öffentlichen Dienst gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Im Rahmen der Kinderlandverschickung, mit der die Klägerin in ihrer beruflichen Tätigkeit laufend betraut gewesen ist, hat die Klägerin, wie das LSG festgestellt hat, nur bei nicht an Diphtherie erkrankten Kindern Diphtherieabstriche gemacht.

Die Klägerin bestreitet zwar die Feststellung des Berufungsgerichts, daß sie mit keinem der Kinder, bei denen ein Verdacht auf Diphtherie oder diese Erkrankung erhoben worden ist, in Berührung gekommen ist. Ein bloßes Bestreiten genügt indessen nicht, um diese das Revisionsgericht bindende Feststellung des LSG (§ 163 SGG) rechtswirksam zu beseitigen. Insbesondere hat die Klägerin gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, daß sie, als sie den Schulleiter Gerlach aufgesucht habe, um mit diesem Fragen der Kinderlandverschickung zu besprechen, nach dessen Bestätigung mit seinen an Diphtherie erkrankten Kindern nicht in Berührung gekommen ist, keine formgerechte Verfahrensrüge erhoben.

Das Verfahren des Berufungsgerichts läßt auch im übrigen keinen Fehler erkennen. Das LSG hat sich innerhalb der ihm in § 128 Abs. 1 SGG gesetzten Grenzen gehalten und sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens seine Überzeugung gebildet, daß die Klägerin, bevor sie an Diphtherie erkrankt ist, in ihrer beruflichen Tätigkeit keiner erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt gewesen ist.

Hat sonach das LSG den ursächlichen Zusammenhang der Diphtherieerkrankung der Klägerin mit ihrer Tätigkeit am staatlichen Gesundheitsamt nicht als hinreichend wahrscheinlich angesehen, hat es, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Breithaupt 1965, 730) nicht gegen den Grundsatz der objektiven Beweislast verstoßen, nach dem die Folgen einer objektiven Beweislosigkeit von der Klägerin zu tragen sind, da diese ihren Entschädigungsanspruch aus dieser Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs herleitet. Der Ansicht der Revision, in der vorliegenden Streitsache sei eine Umkehr der Beweislast eingetreten, kann nicht gefolgt werden. Aus dem Umstand, daß der Dienstvorgesetzte der Klägerin eine Anzeige über das Vorliegen einer Berufskrankheit erst auf Aufforderung durch die damals zuständige LVA für das Saarland, Abteilung gemeindliche Unfallversicherung, mit dem ausdrücklichen Hinweis erstattet hat, daß von einer solchen Anzeige abgesehen worden sei, weil eine Berufskrankheit für völlig unmöglich gehalten worden sei und an dieser Auffassung festgehalten werde, glaubt die Revision zwar den Schluß ziehen zu können, daß der zuständige Versicherungsträger weitere Ermittlungen darüber, "daß und in welchem engeren Zeitraum" die Klägerin sich wahrscheinlich angesteckt habe, unterlassen habe. Solche Ermittlungen seien dem Versicherungsträger oder der vorgesetzten Dienststelle der Klägerin seinerzeit noch möglich gewesen. Somit habe die Beklagte den Nachweis zu führen, daß die Klägerin nicht in ihrer beruflichen Tätigkeit an Diphtherie angesteckt worden sei. In Rechtsprechung und Schrifttum (BSG SozR Nr. 60 zu § 128 SGG; BVerwG 10, 270; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15. Juni 1966, Bd. I S. 244 K VIII, 244 m III) besteht jedoch Einigkeit darüber, daß sogar der Umstand, daß ein Beteiligter schuldhaft die Benutzung eines Beweismittels und damit die Aufklärung des Sachverhalts vereitelt oder erschwert hat, keine Umkehrung der objektiven Beweislast bewirkt. Von einer Beweisvereitelung oder Beweiserschwerung durch die Beklagte, für die die Revision keine Tatsachen und Beweismittel dargetan hat, kann überdies, wie den Akten der Beklagten zu entnehmen ist, keine Rede sein.

Schließlich hat das Berufungsgericht mit Recht geprüft, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen hat und aus diesem Grunde die Folgen der Diphtherieerkrankung der Klägerin von der Beklagten zu entschädigen sind. Wie der erkennende Senat bereits wiederholt entschieden hat (BSG 15, 41, 45; 15, 112, 113), kann eine Infektionskrankheit möglicherweise eine Körperschädigung darstellen, welche die Merkmale eines Arbeitsunfalls erfüllt. Das LSG hat indessen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen hierfür nicht als erwiesen angesehen.

Das Berufungsgericht hat somit zutreffend einen Entschädigungsanspruch der Klägerin aus Anlaß ihrer Diphtherieerkrankung verneint. Die Revision war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2297126

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