Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. September 1956 wird aufgehoben; die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger beantragte am 20. August 1950 Versorgung wegen Erkrankung der Wirbelsäule (Bechterew'sche Erkrankung). Das Versorgungsamt II Berlin lehnte den Antrag am 11. September 1951 mit der Begründung ab, die Bechterew'sche Erkrankung sei anlagebedingt, eine Wehrdienstbeschädigung sei schon bei der Entlassung aus dem Lazarett am 5. Februar 1945 verneint worden und nach dem Verlauf des Leidens sei auch eine Verschlimmerung durch den Wehrdienst nicht wahrscheinlich. Den Einspruch des Klägers wies das Landesversorgungsamt Berlin am 28. Februar 1953 zurück. Mit der Klage begehrte der Kläger die Anerkennung der Bechterew'schen Erkrankung im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung und vom 1. Juli 1950 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 50 v.H. Durch Urteil vom 28. Februar 1955 verurteilte das Sozialgericht (SG.) Berlin den Beklagten, die Bechterew'sche Erkrankung im Sinne einer abgegrenzten Verschlimmerung als Versorgungsleiden anzuerkennen und dem Kläger vom 1. Juli 1950 an Rente nach einer MdE. um 50 v.H. zu gewähren. Mit der Berufung beantragte der Kläger, das Urteil des SG. zu ändern und nach dem Klagantrag zu erkennen. Er war der Meinung, das SG. habe nach der Beurteilung des Prof. Dr. W.XX die Verschlimmerung als richtunggebend ansehen müssen; wenn es anders entschieden habe, habe es in einer rein medizinischen Frage seine eigene Auffassung an die Stelle der ärztlichen Beurteilung gesetzt und damit die Grenzen seines Rechts der freien Würdigung der Beweise überschritten. Das Landessozialgericht (LSG.) wies durch Urteil vom 25. September 1956 die Berufung zurück: Entspreche ein Urteil nicht vollständig dem Klagantrag, so sei der Kläger dadurch nur beschwert, wenn das Gericht insoweit über das Verlangen des Klägers auch in der Urteilsformel habe befinden müssen; wie der Verwaltungsakt so müsse auch das Urteil den Anspruch auf eine bestimmte Leistung aussprechen und die Schädigungsfolgen feststellen, auf die dieser Anspruch gegründet sei; sei die Verschlimmerung eines Leidens Schädigungsfolge, so müsse wie im Bescheid so auch im Urteil nur diese festgestellt werden, es brauche aber nicht unterschieden zu werden zwischen abgegrenzter und richtunggebender Verschlimmerung; diese Unterscheidung sei für den Versorgungsanspruch rechtlich ohne Bedeutung, der Kläger sei daher nicht beschwert, wenn das SG. im Urteilstenor nicht die richtunggebende, sondern die abgegrenzte Verschlimmerung festgestellt habe; diese Einschränkung allein eröffne nicht den Weg zu einer sachlichen Nachprüfung. Die Revision ließ das LSG. zu.

Das Urteil wurde dem Kläger am 26. November 1956 zugestellt. Am 20. Dezember 1956 legte er Revision ein und beantragte,

  • die Urteile des LSG. und des SG. aufzuheben und nach dem Klagantrag zu erkennen, d.h. im Tenor statt der abgegrenzten die richtunggebende Verschlimmerung auszusprechen,
  • hilfsweise beantragte er,

    die Sache an das LSG. zurückzuverweisen.

Am 25. Januar 1957 begründete der Kläger die Revision: Die Beschwer ergebe sich schon daraus, daß das SG. dem Antrag des Klägers nicht in vollem Umfang entsprochen habe, die Berufung sei auch nicht ausgeschlossen nach § 148 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), auf jeden Fall sei sie statthaft nach § 150 Nr. 3 SGG, da der ursächliche Zusammenhang streitig sei; die Feststellung der abgegrenzten Verschlimmerung im Tenor des Urteils nehme an der Rechtskraft teil, der Beklagte könne danach den ursächlichen Zusammenhang einer weiteren Verschlimmerung der Bechterew'schen Erkrankung mit wehrdienstlichen Einflüssen verneinen, während er bei der richtunggebenden Verschlimmerung den gesamten weiteren Verlauf des Leidens als Schädigungsfolge anerkennen müsse; richtunggebend sei eine Verschlimmerung regelmäßig dann, wenn die Erwerbsfähigkeit dadurch um mindestens 50 v.H. gemindert sei.

Der Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen, hilfsweise das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG. zurückzuverweisen.

II

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft; der Kläger hat sie in der gesetzlichen Frist und Form eingelegt und begründet, sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Die Berufung ist nicht nach § 148 Nr. 3 SGG i.d.F. vor Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl. I S. 409 ff.) ausgeschlossen gewesen. Das Urteil des SG., auf das es nach der damaligen Fassung des § 148 Nr. 3 SGG angekommen ist, betrifft nicht nur den Grad der MdE.

Zu Unrecht hat das LSG. aber die Berufung deshalb nicht für zulässig gehalten, weil es die Beschwer des Klägers verneint hat.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines jeden Rechtsmittels ist in allen Gerichtsbarkeiten die Beschwer des Rechtsmittelklägers; ob sie vorliegt, ist dem rechtskraftfähigen Inhalt der Entscheidungen zu entnehmen. Für den Zivilprozeß bestimmt § 322 Zivilprozeßordnung (ZPO) ausdrücklich, daß Urteile der Rechtskraft nur insoweit fähig sind, als über den erhobenen Anspruch entschieden ist; entschieden ist nur insoweit, als „der in der Urteilsformel enthaltene Gedanke reicht” (Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 25. Aufl., Anm. 2 zu § 322); dabei kann das Maß der Zuerkennung oder Aberkennung des geltend gemachten Anspruchs nur aus der Urteilsformel entnommen werden; die Feststellung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Entscheidung ist nicht der Rechtskraft fähig. Die Frage, worüber in einem Urteil entschieden worden ist, was die Urteilsformel – noch erfaßt und worauf sich damit die Rechtskraft erstreckt, ist allerdings aus dem ganzen Urteil zu beantworten.

Nach diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Falle die Frage zu beurteilen, welche Bedeutung es für die Rechtskraft hat, wenn das SG. in der Urteilsformel statt der beantragten richtunggebenden Verschlimmerung nur eine abgegrenzte Verschlimmerung festgestellt hat.

Der Bescheid, in dem die Versorgungsverwaltung eine Rente bewilligt, ist ein feststellender, begünstigender Verwaltungsakt. Er enthält die „Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts” der Kriegsopferversorgung (KOV.). Diese Regelung umfaßt nicht nur die Feststellung, daß ein Anspruch auf eine bestimmte Rente besteht, sondern auch die Feststellung, daß bestimmte Leiden „Schädigungsfolgen” sind und die Frage, ob die anerkannten Schädigungsfolgen durch den Wehrdienst „hervorgerufen” oder nur „verschlimmert” worden sind, d.h. ob das Leiden in vollem Umfange oder nur zum Teil durch den Wehrdienst verursacht ist, weil es zum anderen Teile schon vorher bestanden hat (BSG. 9 S. 80 ff.). In diesem Umfange kann der Verwaltungsakt für die Beteiligten auch bindend werden.

Nach § 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält derjenige, der durch den Wehrdienst eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung. Nach dieser Vorschrift setzt die Versorgung nach dem BVG voraus, daß zwischen dem versorgungsrechtlich bedeutsamen Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung sowie zwischen dieser und deren Folgen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Schädigung und den Schädigungsfolgen umfaßt die Entstehung oder die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung durch ein schädigendes Ereignis (BSG. 6 S. 87). Danach ist bei der Entscheidung über den Versorgungsanspruch – wie das LSG. mit Recht angenommen hat – stets auch festzustellen, ob die anerkannten Schädigungsfolgen durch den Wehrdienst „hervorgerufen” oder nur „verschlimmert” worden sind. Insoweit handelt es sich um die Subsumtion tatsächlicher Feststellungen unter die Tatbestandsmerkmale des Versorgungsanspruchs unter Beachtung der Kausalitätsnorm und um die Abgrenzung der Folgen verschiedener Kausalitätsreihen. Dem BVG ist aber nicht zu entnehmen, daß im entscheidenden Teil des Verwaltungsakts oder des Urteils auch anzugeben ist, ob eine Verschlimmerung richtunggebend ist oder nicht; diese Unterscheidung hat zwar der Praxis der Versorgungsbehörden entsprochen, sie ist nach dem Gesetz aber nicht gerechtfertigt. Auch das Bundesministerium für Arbeit hat sie nicht als rechtens angesehen; in einem Schreiben an den Senator für Arbeit und Sozialwesen in Berlin (mitgeteilt in der Rundvfg. des LVersorgA. Berlin vom 23.6.1958 – IV B – 4516 – 4580 –) hat es ausgeführt, der Zusatz „abgegrenzt” oder „richtunggebend” sei für die Beurteilung des Anspruchs nicht erheblich, irreführend und beeinflusse in unzulässiger Weise die spätere Beurteilung. Wichtig ist für die Beurteilung des Anspruches nur, daß die Tatsachen festgestellt werden, aus denen sich der Anteil einer Verschlimmerung an dem gesamten Leidenszustand ergibt (vgl. BSG. 6 S. 192).

Die „Anerkennung” im Sinne der Verschlimmerung bedeutet, daß das Leiden nicht mit allen seinen Folgen Schädigungsfolge ist, sondern nur der Teil des Leidens, der dem Einfluß des Wehrdienstes auf das Leiden und seinen weiteren Verlauf zuzurechnen ist; bei jeder weiteren Verschlimmerung ist stets neu zu prüfen, ob und inwieweit diese noch Schädigungsfolge ist oder ob sie auf andere, vom Wehrdienst unabhängige Umstände zurückgeht (BSG. 6 S. 87; 7 S. 56). Ist aber in der Urteilsformel eine „abgegrenzte” Verschlimmerung festgestellt, so ist etwas anderes als eine Verschlimmerung schlechthin als Schädigungsfolge anerkannt. Auf die so gekennzeichnete Schädigungsfolge könnte sich die Versorgungsverwaltung im Zweifel berufen, wenn weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen geltend gemacht werden. Sie kann ihr Wirkungen beimessen, die über die Bedeutung der bloßen Begründung des Anspruchs auf eine bestimmte Rente hinausgehen. Sie könnte z.B. von dem Anspruch auf Heilbehandlung (§ 10 Abs. 1 BVG) weitere Krankheitsschübe schon deshalb ausnehmen, weil als Schädigungsfolge nur eine abgegrenzte Verschlimmerung anerkannt ist. Wenn das SG. nicht nur die Verschlimmerung festgestellt, sondern sie auch als abgegrenzt bezeichnet hat, so hat es die Schädigungsfolge entgegen dem Antrag des Klägers zu dessen Ungunsten allein schon durch den gesetzlich nicht gerechtfertigten Zusatz „abgegrenzt” eingeschränkt. Beschwert ist der Rechtsmittelkläger aber jedenfalls dann, wenn das vorinstanzliche Urteil hinter dem vorinstanzlichen Antrag zurückbleibt (vgl. Urt. vom 10.12.1958 – 11/9 RV 182/57 –). Die Feststellung der Schädigungsfolge, wie sie in der Urteilsformel des SG. gekennzeichnet ist, bedeutet, daß nicht nur der Zustand des Leidens, der vor dem Wehrdienst bestanden hat, sondern auch eine künftige Verschlimmerung nicht als Schädigungsfolge anzusehen sind; diese Feststellung will ausschließen, daß eine weitere Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge zugerechnet wird. Das SG. ist insoweit über die für die Begründung des Versorgungsanspruchs nach § 1 BVG gebotene Feststellung hinausgegangen; es hat die Kennzeichnung „abgegrenzt” zu einem Bestandteil der Feststellung der Schädigungsfolge gemacht. Das SG. hat damit eine spätere Entscheidung präjudiziert. Der Kläger muß, wenn er später für eine weitere Verschlimmerung seines Leidens Versorgung beansprucht, damit rechnen, daß sich die Versorgungsverwaltung darauf beruft, daß nur eine abgegrenzte Verschlimmerung als Schädigungsfolge festgestellt sei. Dem Kläger ist es aber gerade darauf angekommen, daß nicht nur eine abgegrenzte Verschlimmerung festgestellt wird, deshalb hat er die Feststellung der richtunggebenden Verschlimmerung beantragt. Auch wenn der Kläger sich mit diesem Antrag nicht im Rahmen des Gesetzes gehalten hat, vielmehr etwas begehrt hat, was mit dem Gesetz nicht vereinbar ist, so ist er doch dadurch beschwert, daß das SG. nicht nur die Verschlimmerung festgestellt, sondern sie durch die Bezeichnung als „abgegrenzte Verschlimmerung” eingeschränkt hat. Der Kläger hat die Aufhebung der ablehnenden Bescheide und die Feststellung begehrt, daß sein Leiden durch den Wehrdienst verschlimmert worden ist – ohne irgendwelche Begrenzung der Verschlimmerung; seine Klage ist insoweit eine Aufhebungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) in Verbindung mit einer Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG gewesen. An der baldigen Feststellung hat er auch ein berechtigtes Interesse, obwohl ihm das SG. die Rente in dem beantragten Umfange zugesprochen hat; an die Feststellung der Schädigungsfolge sind Wirkungen geknüpft, die über die Begründung des Anspruchs auf Rente hinausgehen.

Das LSG. hat sonach über das Klagebegehren, soweit es darauf gerichtet gewesen ist, die Schädigungsfolgen anders festzustellen, sachlich entscheiden müssen. Zwar hat es die Berufung nicht verworfen, sondern zurückgewiesen, obwohl es die Beschwer und damit eine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels verneint hat. Es ist aber, wie sich aus den Gründen des Urteils eindeutig ergibt, aus prozessualen Gründen auf die Berufung nicht eingegangen, es ist der Auffassung gewesen, die fehlende Beschwer eröffne nicht die Möglichkeit einer sachlichen Nachprüfung und es hat in der Sache selbst auch nicht entscheiden wollen (vgl. BSG. 1 S. 263). Das Urteil des LSG. ist daher aufzuheben. Der Senat hat aber nicht in der Sache selbst entscheiden können; tatsächliche Feststellungen, auf die eine Entscheidung in der Sache selbst gestützt werden kann, hat das LSG. bisher nicht getroffen. Das LSG. wird zu prüfen haben, ob die sachlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, das Leiden des Klägers als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung festzustellen (vgl. BSG. 6 S. 87). Ist dies zu bejahen, so ist das Urteil des SG. insoweit aufzuheben, als es die Verschlimmerung als „abgegrenzt” bezeichnet hat. Die Sache ist daher zu neuer Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Unterschriften

Dr. Haueisen, Dr. Schwarz, Dr. Strauß

 

Fundstellen

Haufe-Index 671967

BSGE, 161

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