Leitsatz (amtlich)

Außer Zweifel stehen im KOV-VfG § 41 bedeutet, daß der Entscheidende von der  tatsächlichen und rechtlichen Unrichtigkeit des zu berichtigenden Bescheides so weit überzeugt ist, daß er jede aus dem festgestellten Sachverhalt sich ergebende, wenn auch fernliegende Möglichkeit, es könne anders sein, als ausgeschlossen ansieht.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. KOVVfG § 41 betrifft den materiell-rechtlichen Inhalt des früheren Bescheids; ob das Verfahren das zu seinem Erlaß geführt hat, ordnungsgemäß war oder nicht, ist für die Anwendung dieser Vorschrift ohne Bedeutung.

Im Gegensatz dazu erfaßt KOVVfG § 42 nicht den materiell-rechtlichen Inhalt des früheren Bescheids, sondern das ihm vorangegangene Verfahren.

2. Die Versorgungsbehörde ist bei Vorliegen der in KOVVfG § 42 aufgeführten Verfahrensmängel berechtigt und verpflichtet, über den Versorgungsanspruch in einem Verfahren, das frei von den früheren Mängeln ist, erneut zu entscheiden, ohne daß es darauf ankommt, ob der frühere Bescheid materiell-rechtlich richtig war oder nicht; es muß allein deshalb neu entschieden werden, weil das frühere Verfahren mangelhaft gewesen ist.

3. Die neue Entscheidung kann materiell-rechtlich den gleichen Inhalt haben wie die frühere, sie kann aber auch zugunsten oder zuungunsten des Versorgungsberechtigten von dieser abweichen.

4. Eine abweichende Entscheidung ist nicht an die Voraussetzungen der KOVVfG §§ 40 und 41 gebunden.

 

Normenkette

KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02, § 42 Fassung: 1955-05-02, § 40

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. Oktober 1956 wird aufgehoben.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Februar 1956 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Berufungs- und der Revisionsinstanz zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin beantragte am 19. Juli 1949 Versorgungsrente wegen Versteifung des linken Ellenbogens. Sie gab an, sie sei am 3. Mai 1945 gestürzt, als in dem Werk, in dem sie beschäftigt war, durch Fliegerbeschuß eine Explosion erfolgte und habe sich dabei am Ellenbogen verletzt.

Die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein gewährte mit Bescheid vom 17. November 1949 Rente nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 wegen völliger Versteifung des linken Ellenbogengelenks im Winkel von 90°, Muskelschwund des linken Armes, Herabsetzung der groben Kraft links nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 30 v.H.. Der Beschwerdeausschuß wies den Einspruch der Klägerin mit Entscheidung vom 12. Mai 1950 zurück. Die anerkannten Schädigungsfolgen wurden mit der gleichen MdE. in den nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erteilten Umanerkennungsbescheid vom 24. Februar 1951 übernommen. Beide Bescheide sind rechtskräftig.

Am 29. Juni 1951 beantragte die Klägerin zusätzlich Versorgung wegen Nervenentzündung im linken Arm. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 28. Mai 1952 abgelehnt. Im Widerspruchsverfahren stellte die Versorgungsbehörde aus früheren Krankenakten und ärztlichen Gutachten fest, daß die Klägerin im Laufe der Jahre über die Entstehung der Versteifung des linken Ellenbogens und frühere Erkrankungen unterschiedliche Angaben gemacht habe. Mit Entscheidung vom 15. März 1954 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben. Während des Verfahrens hob das Versorgungsamt mit Berichtigungsbescheid vom 28. Dezember 1955 die Bescheide vom 17. November 1949 und 24. Februar 1951 gemäß § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (VerwVG) auf und entzog mit Ablauf des Februar 1956 die Rente. Es führte aus, die Anerkennung der obengenannten Körperschäden sei zu Unrecht erfolgt, sie seien in Wahrheit auf einen Sportunfall im Jahre 1943 zurückzuführen. Schädigungsfolgen im Sinne des BVG beständen nicht. Das Sozialgericht betrachtete auch diesen Bescheid als Gegenstand des Verfahrens nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin beschränkte ihren Klageantrag auf Aufhebung des Bescheids vom 28. Dezember 1955. Diesem Antrag entsprach das Sozialgericht mit Urteil vom 27. Februar 1956. Es führte aus: Es stehe nicht fest, daß die aufgehobenen Bescheide zweifelsfrei tatsächlich und rechtlich unrichtig waren. Die unterschiedlichen Angaben der Klägerin, auf die sich der Beklagte ausschließlich stütze, könnten keinen derartigen Schluß zulassen. Überhaupt handele es sich bei den Angaben der Klägerin um solche, die zur Vorgeschichte bei ärztlichen Untersuchungen gemacht würden, und nicht um echte Vernehmungen, die verfahrensmäßig verwertet werden könnten. Es möge sein, daß heute Zweifel an dem ursächlichen Zusammenhang bestehen könnten. Jedenfalls sei offenbare Unrichtigkeit der Bescheide im Sinne des § 41 VerwVG nicht erwiesen.

Auf die Berufung der Beklagten erholte das Landessozialgericht ein weiteres medizinisches Gutachten und vernahm die Klägerin. Der vom Landessozialgericht gehörte Facharzt für innere Krankheiten Dr. D... nahm an, die beiden ersten Voraussetzungen für den Ursachenzusammenhang seien gegeben, nämlich Sicherung des Unfallereignisses als solches und körperliche Einwirkung auf den Ort der späteren Erkrankung, dagegen äußerte er Bedenken, ob das schädigende Ereignis schwerwiegend genug gewesen sei, um die spätere Erkrankung zu verursachen. Er verneinte die letzte Voraussetzung des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und Auftreten der Erkrankung, weil die erste ärztliche Behandlung erst im Januar 1946, also neun Monate nach dem Unfallereignis stattgefunden habe.

Mit Urteil vom 12. Oktober 1956 hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht hat ausgeführt, die Vorschrift des § 41 VerwVG, die Unrichtigkeit müsse außer Zweifel sein, bedeute nicht absolute Sicherheit. Es werde vom Gesetz keine offenbare oder offensichtliche Unrichtigkeit verlangt. Ein sicherer Beweis im Sinne einer logisch oder mathematisch genauen Beweisführung werde nicht gefordert. Es genüge, daß bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der Erkenntnismittel der ärztlichen Wissenschaft eine andere Auffassung ausgeschlossen sei. Da die theoretische oder abstrakte Möglichkeit einer anderen Sachlage niemals gänzlich ausgeschlossen werden könne, müsse diese bei Beurteilung der Frage, ob der Bescheid außer Zweifel unrichtig sei, ausscheiden. Wenn das materielle Recht als rechtsbegründende Tatsache des Versorgungsanspruchs die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigungsvorgang und Gesundheitsstörung oder Tod ausreichend sein lasse, so könne insoweit das Verfahrensrecht keinen strengeren Nachweis für das Nichtbestehen des Ursachenzusammenhangs fordern. Hiernach sieht das Landessozialgericht es als wahrscheinlich an, daß bei Anerkennung der Schädigungsfolgen von unrichtigen Tatsachen ausgegangen wurde. Es könne auch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Klägerin die ihr ungünstigen Tatsachen, nämlich die Entstehung ihres Leidens 1942 oder 1943, wissentlich verschwiegen habe. Danach sei die Versorgungsbehörde berechtigt gewesen, eine neue Entscheidung über den Versorgungsanspruch der Klägerin zu treffen. Revision wurde zugelassen.

Die Klägerin hat mit der Revision beantragt, den Berichtigungsbescheid des Versorgungsamts Schleswig vom 28. Dezember 1955 unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Schleswig vom 12. Oktober 1956 aufzuheben. Sie rügt eine Verkennung des Begriffs "außer Zweifel stehen" in § 41 VerwVG. Er bedeute absolute Sicherheit. Mit absoluter Sicherheit stehe es jedoch nicht außer Zweifel, daß die aufgehobenen Bescheide tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen waren.

Der Beklagte hat Zurückweisung der Revision beantragt.

Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist auch sachlich begründet.

Das Bundessozialgericht hatte zu entscheiden, ob die Versorgungsbehörde die Bescheide vom 17. November 1949 und 24. Februar 1951, mit denen Schädigungsfolgen nach der SVD Nr. 27 und dem BVG anerkannt und Versorgung gewährt war, zu Recht aufgehoben und eine Anerkennung von Schädigungsfolgen und Rentengewährung für die Zukunft abgelehnt hat.

Der Bescheid vom 28. Dezember 1955 ist nach Inkrafttreten (1.4.1955) des VerwVG vom 2. Mai 1955 (BGBl. I S. 202) ergangen und daher nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu beurteilen. Danach kann die Versorgungsbehörde einen bindend gewordenen Bescheid (§ 24 VerwVG) - abgesehen von den hier nicht in Frage kommenden Fällen der Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse (§ 62 BVG) und des Zugunstenbescheides (§ 40 VerwVG) - nur nach §§ 41 und 42 VerwVG zu Ungunsten des Berechtigten aufheben oder abändern.

Nach § 41 VerwVG können Bescheide über Rechtsansprüche zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten durch einen neuen Bescheid nur geändert oder aufgehoben werden, wenn ihre tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht. Nach § 42 Abs. 1 Nr. 3 VerwVG ist auf Antrag oder von Amts wegen erneut zu entscheiden, wenn Tatsachen, die für die Entscheidung von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen worden sind.

§ 41 VerwVG betrifft demnach den materiell-rechtlichen Inhalt des früheren Bescheids. Ob das Verfahren, das zu seinem Erlaß geführt hat, ordnungsgemäß war oder nicht, ist für die Anwendung dieser Vorschrift ohne Bedeutung. Im Gegensatz dazu erfaßt § 42 VerwVG nicht den materiell-rechtlichen Inhalt des früheren Bescheids, sondern das ihm vorangegangene Verfahren. Diese Bestimmung setzt voraus, daß das Verfahren, in dem der frühere Bescheid ergangen ist, bestimmte, in § 42 VerwVG aufgeführte Mängel aufweist. Die Versorgungsbehörde ist bei Vorliegen dieser Verfahrensmängel berechtigt und verpflichtet, über den Versorgungsanspruch in einem Verfahren, das frei von den früheren Mängeln ist, erneut zu entscheiden. Bei § 42 VerwVG kommt es nicht darauf an, ob der frühere Bescheid materiellrechtlich richtig war oder nicht, es muß allein deshalb neu entschieden werden, weil das frühere Verfahren mangelhaft gewesen ist. § 42 VerwVG sichert aus rechtsstaatlichem Grunde die Ordnungsmäßigkeit des Verwaltungsverfahrens. Die neue Entscheidung kann materiell-rechtlich den gleichen Inhalt haben wie die frühere, sie kann aber auch zu Gunsten oder zu Ungunsten des Versorgungsberechtigten von dieser abweichen. Eine abweichende Entscheidung ist nicht an die Voraussetzungen der §§ 40 und 41 VerwVG gebunden.

Der Beklagte hat den Bescheid vom 28. Dezember 1955 mit § 41 VerwVG begründet. Zwar hat die Versorgungsbehörde durch Verfügung vom 30. Juli 1955 eine "Überprüfung nach § 42 des Verfahrensgesetzes eingeleitet", der Klägerin wurde dies aber nicht mitgeteilt. In einer zweiten Verfügung vom 10. Dezember 1955 hat der Beklagte vermerkt, "ein arglistiges Verschweigen auf Seiten der Beschädigten... lasse sich... nicht sicher nachweisen". Es kann dahingestellt bleiben, ob die Versorgungsbehörde mit der ersten Verfügung das Verfahren fristgerecht (§ 43 a.a.O.) wieder aufgenommen hat, jedenfalls hat sie durch die zweite Verfügung kundgetan, daß sie mit dem Bescheid vom 28. Dezember 1955 nicht "erneut" im Sinne des § 42 VerwVG über den Versorgungsanspruch entscheiden wollte. Da die Bescheide vom 17. November 1949 und 24. Februar 1951 infolge Nichtanfechtung bindend geworden sind, stand der Versorgungsbehörde die Entschließung zu, ob sie nach § 41 oder nach § 42 VerwVG verfahren wollte. Diese Entscheidung der Versorgungsbehörde bindet das Gericht. Deshalb konnte der Bescheid vom 28. Dezember 1955 entgegen seinem eindeutigen Wortlaut nicht daraufhin überprüft werden, ob etwa die Verneinung von Schädigungsfolgen als erneute Entscheidung über den Versorgungsanspruch gemäß § 42 VerwVG zulässig gewesen wäre, sondern nur daraufhin, ob er den Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 VerwVG entsprach, d.h. ob die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit der begünstigenden Bescheide vom 17. November 1949 und 24. Februar 1951 im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel stand.

Diese Unrichtigkeit ist als Tatbestand festzustellen. Die Vorschrift, die Unrichtigkeit müsse außer Zweifel stehen, wendet sich an die Überzeugungsbildung des Entscheidenden bei Feststellung der Tatsachen, aus denen die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit hergeleitet wird. Sie beantwortet die Frage, welcher Grad subjektiver Sicherheit dafür zu fordern ist, damit eine Überzeugung von der Unrichtigkeit vorliegt, auf die die Aufhebung gegründet werden kann (vgl. Leipziger Zeitschrift 1933 Spalte 273). Die Anforderungen, die an die Überzeugung des Richters, ob rechtserhebliche Tatsachen vorliegen, gestellt werden, sind nach den gesetzlichen Vorschriften verschieden streng, wie Glaubhaftmachung, Wahrscheinlichkeit, hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, Gewißheit, offenbare Unmöglichkeit, und in § 41 VerwVG "außer Zweifel stehen". Vorschriften dieser Art sind verfahrensrechtliche Hilfsmittel für die Entscheidung, wann eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist (vgl. Wieczorek, ZPO, D zu § 282; Rosenberg, ZPO, 7. Aufl., § 111 I 1 und 2; Baumbach, ZPO, 24. Aufl. 2 B und C zu § 286; Löwe-Rosenberg, StPO, 20. Aufl., Anm. 5 zu § 261; RGZ. 95 S. 249, 15 S. 339; Lindenmaier-Möhring, Nr. 4 zu § 286 (A) ZPO, Nr. 2, 3, 6, 14 zu § 261 StPO; Warn 1909 Nr. 158, JW. 1933 S. 454 Nr. 45). Der Richter trifft seine tatsächliche Feststellung im Rahmen seines freien Entscheidungsrechts. Das Revisionsgericht hat zu prüfen, ob er dabei die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens, die ihm in den gesetzlichen Vorschriften, hier in § 41 VerwVG mit den Worten "außer Zweifel stehen", gesetzt sind, eingehalten, d.h. ob er den Begriff "außer Zweifel stehen" richtig erkannt und dementsprechend zutreffend angewandt hat (vgl. Baumbach a.a.O. Nr. 5 der Einführung zu §§ 282 bis 294; NJW. 1952 S. 1171 Nr. 5).

Das Landessozialgericht hat festgestellt, daß das Unfallereignis am 3. Mai 1945 stattgefunden hat, daß die schädigende Körpereinwirkung den Ort der späteren Erkrankung getroffen hat und daß die erste ärztliche Behandlung im Januar 1946 erfolgt ist. Die fragliche Tatsache, von der es abhängt, ob die Bescheide vom 17. November 1949 und 24. Februar 1951 tatsächlich und rechtlich unrichtig sind, ist der ursächliche Zusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn zwischen den körperlichen Einwirkungen auf den linken Ellenbogen beim Sturz am 3. Mai 1945 und der späteren Versteifung dieses Gelenkes.

Bei der Feststellung eines Sachverhalts handelt es sich um einen historischen Beweis, der kaum je mit absoluter Gewißheit, wie etwa ein logischer Beweis mathematischer Sätze, geführt werden kann. Dies gilt insbesondere für die Ermittlung von Vorgängen innerer Art, wie die Erforschung des ursächlichen Zusammenhangs. Ein absolut sicheres Wissen, demgegenüber das Vorliegen eines gegenteiligen Sachverhalts absolut ausgeschlossen wäre, ist jedenfalls bei derartigen Feststellungen in Anbetracht der Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnis nicht möglich (vgl. Rosenberg, ZPO a.a.O. § 111 I 2 a). Deshalb ist dem Richter bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs mehrfach in gesetzlichen Bestimmungen eine freiere Stellung eingeräumt, z.B. in § 287 ZPO und § 1 Abs. 3 BVG (vgl. Löwe-Rosenberg, a.a.O. in Anm. 5 zu § 261 StPO). Die Vorschrift des § 41 VerwVG "außer Zweifel stehen" kann demnach nicht mit "absoluter Gewißheit" gleichgesetzt werden, da eine solche bei historischem Nachweis praktisch nie erreicht werden kann, was eine Anwendung der Bestimmung überhaupt ausschließen würde. Insoweit ist den Ausführungen des Landessozialgerichts beizutreten. Das abstrakte Wissen des Entscheidenden, daß es eine absolute Gewißheit des historischen Beweises nicht gibt, stellt daher noch keinen "Zweifel" dar, der die Anwendung des § 41 VerwVG ausschließt. Unter Zweifel im Sinne dieser Vorschrift ist vielmehr jede Erwägung einer konkreten, in dem ermittelten Sachverhalt gegebenen, wenn auch fernliegenden Möglichkeit zu verstehen, daß es anders sein könne. Ein Zweifel besteht dann, wenn der Entscheidende eine solche, in der besonderen Beschaffenheit des Einzelfalls liegende andere Möglichkeit nicht als ausgeschlossen ansieht (vgl. Leipziger Zeitschrift a.a.O., Löwe-Rosenberg, a.a.O. Anm. 5 zu § 261 StPO). Ist dies der Fall, so steht die Unrichtigkeit des aufzuhebenden Bescheids nicht "außer Zweifel". Ob ein solcher Zweifel bezüglich des medizinischen Ursachenzusammenhangs noch besteht oder ob er durch ärztliches Sachverständigengutachten ausgeräumt ist, hat der Entscheidende nach dem Stand der wissenschaftlichen Forschung und Erfahrung festzustellen. Dabei kann das Wissen vom ständigen Fortschreiten der Forschung, wodurch Erkenntnisse, die jetzt als gesichert erscheinen, sich kurze Zeit später als unzutreffend erweisen, allein einen Zweifel nicht begründen, wenn nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Erkenntnis als gesichert erscheint (vgl. Lindenmaier-Möhring, Nr. 13 zu § 261 StPO). Bei dieser Prüfung ist nach § 41 VerwVG auch zu beachten, daß die Unrichtigkeit nach dem Stand der wissenschaftlichen Forschung im Zeitpunkt des Erlasses des aufzuhebenden Bescheides zu beurteilen ist, daß also Änderungen in der wissenschaftlichen Erkenntnis in der Zeit zwischen Erlaß des aufzuhebenden und des Berichtigungs-Bescheids nicht berücksichtigt werden und eine Aufhebung nicht begründen können.

Das Landessozialgericht unterscheidet bei der Beweiswürdigung mit Recht zwischen der Beurteilung nichtmedizinischer Sachverhalte und der Ursachenermittlung. Seine weiteren Ausführungen, wenn nach § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs als rechtsbegründende Tatsache ausreiche, könne für den Nachweis des Nichtbestehens eines ursächlichen Zusammenhangs im Verfahrensrecht kein strengerer Maßstab angelegt werden, sind jedoch nicht frei von Rechtsirrtum. Ihre Anwendung bedeutet, daß die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung über den Kausalzusammenhang gleich sind, ob über den Versorgungsantrag nach § 1 BVG entschieden wird, oder ob ein bindend gewordener zusprechender Bescheid gemäß § 41 VerwVG aufgehoben werden soll. Dies kann grundsätzlich nicht zutreffen. In BSG. 1 S. 56 hat das Bundessozialgericht zu Art. 30 Abs. 4 des Bayerischen Gesetzes über Leistungen an Körperbeschädigte (KBLG) entschieden, daß die Aufhebung bindend gewordener Bescheide als Durchbrechung des Schutzes der Rechtskraft eine Ausnahme darstellt, die im Interesse des Rechtsfriedens, der Rechtssicherheit und des Vertrauens des Rechtssuchenden nur in engen Grenzen zugelassen werden kann. Dieser Grundsatz hat auch für § 41 VerwVG zu gelten. Wenn an die Aufhebung bindend gewordener Bescheide hinsichtlich der Überzeugungsbildung des Entscheidenden (Verwaltung oder Gericht) keine strengeren Anforderungen als bei der Anerkennung des Anspruchs gestellt würden - und das tut die Vorinstanz mit den Worten: "Diese Wahrscheinlichkeit (des fehlenden Zusammenhangs) gilt als Beweis" -, wäre ein wesentlicher Teil der Rechtskraftwirkung ausgeschaltet. Auch der unterschiedliche Wortlaut der Vorschriften, die sich an die Überzeugungsbildung wenden - in § 1 Abs. 3 BVG: ".... genügt die Wahrscheinlichkeit...." und in § 41 VerwVG: "außer Zweifel stehen" - verbietet eine Auslegung, die im Ergebnis beide Vorschriften, soweit es sich um den ursächlichen Zusammenhang handelt, gleichstellt.

Die weiteren Darlegungen des Landessozialgerichts, es genüge, daß nach dem Stand der ärztlichen Wissenschaft ein an Gewißheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit für das Nichtbestehen eines ursächlichen Zusammenhangs spreche, schränken zwar die Ausführungen über § 1 Abs. 3 BVG und das Verfahrensrecht insofern ein, als offenbar nicht schon "Wahrscheinlichkeit" als ausreichend angesehen, sondern ein "an Gewißheit grenzender Grad von Wahrscheinlichkeit" verlangt wird. Es ist aber nicht zu erkennen, ob das Landessozialgericht unter dem an Gewißheit grenzenden Grad von Wahrscheinlichkeit die Beseitigung aller konkreten Zweifel im dargelegten Sinn versteht, oder ob nach seiner Ansicht ein, wenn auch entfernter, aber konkreter Zweifel, der nicht beseitigt ist, einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht mehr entgegensteht. Die letztgenannte Rechtsauffassung wäre mit dem Gesetz, das ausdrücklich das "außer Zweifel stehen" verlangt, nicht vereinbar. Hinzu kommt, daß das Landessozialgericht den Ausdruck "außer Zweifel" bzw. "kein Zweifel" auch im Zusammenhang mit der Wertung des Verhaltens der Klägerin verwendet, also die Tatbestände des § 42 VerwVG, der hier keine Anwendung finden kann, und des § 41 VerwVG nicht scharf genug getrennt hat. Es besteht somit die zweifache Möglichkeit, daß das Landessozialgericht den Begriff des Außerzweifelstehens verkannt hat, und daß das Urteil auf diesem Rechtsirrtum beruht. Dies führt allein bereits zur Aufhebung des Urteils.

Aus den Ausführungen des Urteils nach Würdigung des Gutachtens des Dr. Dorn ergibt sich weiter, daß die Unrichtigkeit der Bescheide allein auf Grund der medizinischen Gutachten für das Landessozialgericht in Wahrheit nicht außer Zweifel stand, sondern daß es diese Zweifel nur mit den anderslautenden Angaben der Klägerin vor Antragstellung 1949 ausgeräumt hat. Die Darlegungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. D... auf dessen Gutachten das Urteil allein Bezug nimmt, überzeugten das Landessozialgericht nicht völlig, es hatte noch Zweifel, ob medizinisch der Sturz 1945 nicht doch die Osteomyelitis des Ellenbogens beeinflußt haben könnte. Diese Zweifel waren um so mehr berechtigt, wenn man die Rechtsprechung der Oberversicherungsämter aus der Zeit der Bescheide - 1949 und 1951 - vgl. Urteile der Oberversicherungsämter Münster und Aachen in Breithaupt 1951, S. 88, 1953 S. 1149 - und die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden ärztlichen Gutachten berücksichtigt. Die Lehre von der Ursächlichkeit der Osteomyelitis war damals jedenfalls durchaus umstritten, sie ist auch heute ärztlich noch nicht endgültig geklärt (vgl. hierzu Monatsschrift für Unfallheilkunde und Versicherungsmedizin 1957, Heft 7, S. 220). Hinzu kommt weiter, daß auch hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs zwischen Unfalltrauma und Erkrankung sich aus dem Tatbestand des Urteils des Landessozialgerichts selbst Bedenken gegen das Gutachten des Dr. D... ergeben. Denn die Klägerin hat nach den Feststellungen der Vorinstanz angegeben, daß es im Mai 1945 zu einer Anschwellung und Schmerzen im linken Ellenbogengelenk gekommen sei, und daß sich im August die Schwellungserscheinungen mit Fieber verschlimmert hätten, eine Bestrahlung hätte keine Besserung, sondern eine Verschlimmerung gebracht. Die - vom Landessozialgericht übernommene - Annahme des ärztlichen Gutachtens, der zeitliche Zusammenhang von sechs Monaten zwischen Schädigung und Auftreten der Erkrankung sei nicht gewahrt, erscheint unter diesen Umständen höchst bedenklich, zumal viele Patienten erfahrungsgemäß den Arzt spät aufsuchen und in den Jahren 1945/46 internierten Personen Ärzte nicht unbeschränkt zur Verfügung standen. Wenn danach das Landessozialgericht mit Recht auf medizinischem Gebiet liegende Zweifel an der Unrichtigkeit der strittigen Bescheide hatte, so konnte es diese Zweifel erst recht nicht mit Überlegungen ausräumen, die auf einem ganz anderen Gebiete lagen, nämlich mit den wechselnden Angaben der Klägerin über frühere Erkrankungen des linken Ellenbogens.

Das Bundessozialgericht konnte in der Sache selbst entscheiden, weil die vom Landessozialgericht zum Ursachenzusammenhang getroffenen Feststellungen hierzu ausreichen. Das Landessozialgericht hat das Unfallereignis vom Mai 1945 und die Gesundheitsstörung nicht in Zweifel gezogen. Es hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß es für den Berichtigungsbescheid genüge, wenn mit Wahrscheinlichkeit ein Zusammenhang zwischen Unfall und festgestellter Gesundheitsstörung nicht bestehe; es hat weiter dargelegt, daß selbst diese Wahrscheinlichkeit nicht in vollem Umfange vorliege. Damit hat das Landessozialgericht selbst festgestellt, daß die Unrichtigkeit der Bescheide im Zeitpunkte ihres Erlasses nach den ärztlichen Gutachten nicht außer Zweifel steht.

Der Senat hat keine Bedenken, diese Feststellung seiner Entscheidung gemäß § 163 SGG zugrunde zu legen, um so mehr als insoweit auch von keinem der Beteiligten gegen diese Feststellung Rügen erhoben worden sind. Da weitere Feststellungen tatsächlicher Art nicht erforderlich sind und die Sache entscheidungsreif ist, war unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG. Sie konnte sich auf die Kosten der zweiten und dritten Instanz beschränken, weil im Urteil des Sozialgerichts über die Kosten des ersten Rechtszuges bereits entschieden ist.

 

Fundstellen

BSGE, 106

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