Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzung eines Herstellungsanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Zur "an sich zulässigen Amtshandlung" als Voraussetzung eines Herstellungsanspruchs.

 

Orientierungssatz

Voraussetzung eines Herstellungsanspruchs:

Für einen Beamten, der die durch Scheidung entstandene Minderung seiner Rentenanwartschaft - Versorgungsausgleich - mit freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung ausgleicht, ist hinsichtlich der Rückerstattung dieser Beiträge ein Herstellungsanspruch zu verneinen, weil in Beachtung des § 55 BeamtVG diesem die Beitragsentrichtung keinen Nachteil bringt.

 

Normenkette

SGB 1 § 14 Fassung: 1975-12-11; SGB 4 § 26 Fassung: 1976-12-23; AVG § 82; RVO § 1303; AVG § 83a Abs. 6 Fassung: 1976-06-14; RVO § 1304a Abs. 6 Fassung: 1976-06-14; BeamtVG § 55

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 05.04.1984; Aktenzeichen L 5 A 84/83)

SG Mainz (Entscheidung vom 19.08.1983; Aktenzeichen S 6 A 69/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob rechtmäßig entrichtete Beiträge aufgrund eines Herstellungsanspruches zurückzugewähren sind.

Der Kläger ist 1937 geboren und seit 1967 Beamter. Bei Scheidung seiner Ehe wurden im Wege des Versorgungsausgleichs ua Rentenanwartschaften auf das Konto seiner geschiedenen Ehefrau übertragen. Die Beklagte machte den Kläger darauf aufmerksam, daß er gemäß § 83a Abs 6 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) die Minderung seiner Rentenanwartschaft durch eine Entrichtung von Beiträgen in Höhe von 7.246,22 DM ausgleichen könne. Überweisung und Gutschrift dieses Betrages erfolgten im November 1981. Im Januar 1982 beantragte der Kläger (ua) die Rücküberweisung, weil er ungünstige Auswirkungen bei der späteren Anwendung des § 55 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) annahm. Die Beklagte lehnte das ab (Bescheid vom 19. November 1982; Widerspruchsbescheid vom 21. April 1983). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. August 1983); das Landessozialgericht (LSG) hat dagegen die Beklagte verurteilt, 7.246,22 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 1. März 1982 an den Kläger zu zahlen. Es hielt die Beklagte aufgrund eines Herstellungsanspruchs zur Rückzahlung für verpflichtet. Bei ihrem Hinweis auf die Ausgleichsmöglichkeit hätte sie den Kläger auch auf die für seine spätere Gesamtversorgung bedeutsame Ruhensvorschrift des § 55 BeamtVG aufmerksam machen müssen. Wenn der Kläger das dort vorgesehene Höchstruhegehalt erreiche, kämen die Versorgungsbezüge in voller Höhe der Rente zum Ruhen. Dabei spiele es keine Rolle, daß er zur Abwendung einer Minderung seiner Rente von der Ausgleichsmöglichkeit nach § 83a Abs 6 AVG Gebrauch gemacht habe; sie bringe ihm keinen wirtschaftlichen Vorteil und stelle ihn nicht besser als ohne die Nachentrichtung. Die Verzinsungspflicht ergebe sich aus der entsprechenden Anwendung des § 27 Abs 1 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte, es sei nicht Aufgabe des Rentenversicherungsträgers, Hinweise auf außerhalb des Sozialversicherungsrechts liegende Gesetzesbestimmungen zu geben; zudem führe die Beitragsentrichtung zu einer Rentenerhöhung, ohne daß sich der nach § 55 BeamtVG anzurechnende Rentenbetrag erhöhe.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten war das die Klage abweisende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen. Das LSG hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, an den Kläger 7.246,22 DM zu zahlen. Das ist weder aufgrund der gesetzlichen Vorschriften über eine Beitragserstattung noch unter dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs gerechtfertigt.

Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des LSG hat der Kläger den genannten Betrag entrichtet, um die durch den Versorgungsausgleich bewirkte Minderung seiner Rentenanwartschaft auszugleichen. Hierzu war er nach § 83a Abs 6 AVG befugt. Da es sich somit um rechtmäßig entrichtete Beiträge handelt, scheidet als Rechtsgrundlage für eine Erstattung § 26 SGB IV von vornherein aus, weil die Vorschrift die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge regelt. Auf § 82 AVG, der eine Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge vorsieht, kann das Klagebegehren ebenfalls nicht gestützt werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen des § 82 Abs 1 AVG erfüllt wären; die Vorschrift gestattet es jedenfalls nicht, den Erstattungsantrag auf einen Teil der nach dem 20.6.1948 im Bundesgebiet entrichteten Beiträge zu beschränken (§ 82 Abs 5 AVG), außerdem läßt sie außer bei Höherversicherungsbeiträgen nur die Erstattung der Hälfte der Beiträge zu. Der Kläger begehrt hingegen die vollständige Rückzahlung des Ausgleichsbetrages unter Aufrechterhaltung der Rentenanwartschaft im übrigen. Hierfür gibt es keine gesetzliche Grundlage.

Entgegen der Auffassung des LSG kommt als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers aber auch der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht in Betracht. Ein Herstellungsanspruch besteht, wenn ein Leistungsträger Pflichten aus einem sozialrechtlichen Verhältnis verletzt und dadurch einen Schaden bewirkt, den er durch eine - gesetzlich zulässige - Amtshandlung ausgleichen kann (BSGE 52, 145, 147 ff = SozR 1200 § 14 Nr 12 mwN). An diesen Voraussetzungen fehlt es schon deshalb, weil die vollständige Rückzahlung bzw Erstattung rechtmäßig entrichteter Beiträge keine "an sich zulässige Amtshandlung" ist, wie der Senat im Urteil vom 18. August 1983 (BSGE 55, 261 = SozR 2200 § 1303 Nr 27) bereits entschieden hat. Hiernach kann nur eine Amtshandlung begehrt werden, die außer in ihrer Bezeichnung auch in ihrer wesentlichen Struktur im Gesetz vorgesehen ist. Eine solche Strukturähnlichkeit hat die volle Erstattung rechtmäßig, aber unwirtschaftlich entrichteter Beiträge weder mit der in § 26 SGB IV noch der in § 82 AVG geregelten Beitragserstattung. Das gilt auch für eine als unzweckmäßig empfundene Beitragsentrichtung nach § 83a Abs 6 AVG. Mit ihrer Erstattung ist zwar keine Korrektur der Versicherungszeit zu verbinden, da schon die Beitragsentrichtung nicht zeitbezogen ist; erforderlich ist jedoch eine Korrektur der Rentenanwartschaft, die im Gegensatz zu § 82 AVG nicht vollständig erlischt.

Das Urteil des Senats vom 18. August 1983 ist allerdings auf Kritik gestoßen (Plagemann, SGb 1984, 208; vgl auch Scheerer, SGb 1985, 300, 301). Hierauf sieht sich der Senat indessen nicht veranlaßt, von den beschriebenen Erfordernissen der "an sich zulässigen Amtshandlung" Abstriche zu machen. Es ließe sich jedoch fragen, ob überhaupt eine Amtshandlung gefordert werden soll, wenn es - wie hier - lediglich darum geht, einen früheren Zustand (status quo ante) wiederherzustellen. In solchen Fällen gleicht nämlich der aus pflichtwidrigem Verwaltungshandeln entstandene Herstellungsanspruch im wesentlichen einem durch rechtswidrigen Verwaltungsakt (zB Beitragsbescheid) entstandenen Folgenbeseitigungsanspruch, bei dem sich die zu beseitigenden Folgen auch durch schlichtes Verwaltungshandeln (zB Beitragsrückzahlung) ausgleichen lassen (vgl § 131 Abs 1 SGG). Das könnte es nahelegen, bei einem lediglich auf die Wiederherstellung eines früheren Zustandes abzielenden Herstellungsanspruch ebenfalls schlichtes Verwaltungshandeln als Herstellungsmaßnahme zuzulassen. Selbst wenn von daher aber keine Bedenken gegen die schlichte Beitragsrückzahlung, wie sie das LSG wollte, bestünden, bliebe die Frage, ob schon damit der Zustand vor der Beitragsentrichtung wieder hergestellt wäre; dazu müßte nämlich auch die wiedererworbene Rentenanwartschaft entfallen sein.

Der Senat braucht jedoch nicht weiter zu erörtern, ob eine Rückzahlung des entrichteten Ausgleichsbetrages diese Wirkung hätte oder haben müßte. Denn ein Herstellungsanspruch ist letztlich jedenfalls deshalb zu verneinen, weil die Beitragsentrichtung dem Kläger auch in Ansehung des § 55 BeamtVG keinen Nachteil (Schaden) bringt. Aufgrund welcher Erwägungen das LSG zu einer anderen Beurteilung gelangt, wird nicht ohne weiteres einsichtig. Das LSG meint, wenn der Berechnung der Versorgungsbezüge bereits das Endgrundgehalt und der Höchstruhegehaltssatz zugrunde liege, würde die Gesamtversorgung, bestehend aus Rente und Pension, die Beamtenversorgung um den vollen Betrag der Rente übersteigen und daher die Versorgungsbezüge auch in voller Höhe der anrechnungspflichtigen Rente zum Ruhen bringen. Dem liegt wohl die Vorstellung zugrunde, daß jede Erhöhung des Rentenzahlbetrags zu einer entsprechenden Minderung des Versorgungsanspruchs führe, auch wenn die Rentenerhöhung auf einer Beitragsentrichtung nach § 83a Abs 6 AVG beruhe. Dabei verkennt das LSG nicht, daß nach § 55 BeamtVG im Falle eines durch den Versorgungsausgleich verminderten Rentenzahlbetrags nicht dieser, sondern der vor Durchführung des Versorgungsausgleichs bestehende höhere (fiktive) Rentenanspruch zu berücksichtigen ist. Das bedeutet, daß sich durch eine Beitragsentrichtung nach § 83a Abs 6 AVG zur Auffüllung der Rentenanwartschaft der Zahlbetrag der Rente erhöht, ohne daß sich der fiktive Anrechnungsbetrag bei der Versorgung und somit deren Höhe verändert. Insoweit ist die Überlegung des LSG möglicherweise in dem Sinne zu verstehen, daß neben dem fiktiven (ohne Versorgungsausgleich bestehenden) Rentenanspruch zusätzlich die Erhöhung des Rentenzahlbetrages aufgrund der Beitragsentrichtung nach § 83a Abs 6 AVG versorgungsmindernd zu berücksichtigen sei. Eine solche Auslegung findet indes weder im Wortlaut noch in Sinn und Zweck des § 55 BeamtVG eine ausreichende Stütze. Wenn diese Vorschrift an die vor Durchführung des Versorgungsausgleichs bestehenden Rentenansprüche anknüpft und damit die Kürzung der Versorgungsbezüge unabhängig von einem Versorgungsausgleich regelt, so muß folgerichtig die Kürzung der Versorgungsbezüge auch unabhängig von einer Kompensation des Versorgungsausgleichs erfolgen. Somit erhöht die Sonderzahlung den Rentenzahlbetrag, ohne den Versorgungsanspruch zu mindern.

Da es hiernach auch im Hinblick auf § 55 BeamtVG an einer nachteiligen Folge - einem bei der Versorgung eintretenden Schaden - fehlt, braucht nicht mehr darauf eingegangen zu werden, ob andernfalls ein Beratungsmangel (vgl § 14 SGB I) seitens der Beklagten vorgelegen und zur Schadensabwendung dann ein bloßer Hinweis auf § 55 BeamtVG, wie das LSG meint, genügt hätte.

Die vom LSG ausgesprochene Verurteilung der Beklagten kann nach alledem keinen Bestand haben; dies gilt auch für die ohne Hauptanspruch gegenstandslose Zinsverpflichtung (vgl dazu im übrigen BSGE 55, 40).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663565

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