Entscheidungsstichwort (Thema)

Parodontose

 

Leitsatz (amtlich)

An der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, daß die unselbständige Anschlußberufung nicht durch - protokollierten - mündlichen Vortrag in der Verhandlung vor dem Berufungsgericht wirksam eingelegt werden kann, wird festgehalten (Festhaltung BSG 1956-03-01 4 RJ 129/54 = BSGE 2, 229).

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Konstitution und den Zivilisationseinflüssen kommt ein erheblicher Anteil an einer Parodontose zu. Werden aber bei der Wehrmacht die Zähne nicht konservierend behandelt, sondern sofort alle entfernt, so ist dieser Zahnschaden eine Schädigungsfolge iS der Verschlimmerung.

 

Normenkette

SGG § 151 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 522a Abs. 1; BVG § 1 Abs. 3 Fassung: 1950-12-20

 

Tenor

1. Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Februar 1955 wird wie folgt abgeändert:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 10. Mai 1954 wird zurückgewiesen, die Anschlußberufung des Klägers gegen dieses Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

2. Im übrigen wird die Revision des Beklagten zurückgewiesen.

3. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu einem Drittel zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der 1901 geborene Kläger leistete von August 1939 bis August 1940 und von Dezember 1941 bis Februar 1945 Wehrdienst und war anschließend bis Juli 1948 in russischer Kriegsgefangenschaft. Auf seinen Versorgungsantrag vom Dezember 1950 erkannte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 11. Februar 1952 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) als Schädigungsfolge mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) unter 25 v. H. an: Magenkatarrh bei herabgeminderter Säurebildung des Magensafts, durch den Wehrdienst verschlimmert, Herzinsuffizienz nach Dystrophie, durch den Wehrdienst hervorgerufen. Dagegen lehnte es die Anerkennung des Zahnverlustes ab, weil er auf anlagebedingte Paradentose zurückzuführen sei. Im Berufungsverfahren (alten Rechts), das am 1. Januar 1954 in ein Klageverfahren (neuen Rechts) übergegangen war, beantragte der Kläger, Zahnverlust als Wehrdienstschädigung im Sinne der Verschlimmerung anzuerkennen. Den Grad der MdE. stellte er in das Ermessen des Gerichts. Das Sozialgericht (SG.) Speyer änderte mit Urteil vom 10. Mai 1954 den angefochtenen Bescheid dahin ab, daß Zahnschaden im Sinne der Verschlimmerung als weitere Dienstbeschädigung anerkannt und dem Kläger ab 1. November 1950 eine Versorgungsrente wegen einer MdE. um 30 % gewährt wurde. Die Erhöhung der MdE. begründete das SG. damit, daß bei der Schwere der Magenerkrankung des Klägers Diätkost notwendig sei. Der Beklagte legte gegen das ihm am 11. Juni 1954 zugestellte Urteil Berufung ein. Im Verhandlungstermin vor dem Landessozialgericht (LSG.) am 9. Februar 1955 schloß sich der Kläger mündlich der Berufung an mit dem Antrag, unter Abänderung des Urteils des SG. Zahnverlust im Sinne der Entstehung als Wehrdienstschädigung anzuerkennen. Das LSG. wies mit Urteil vom 9. Februar 1955 die Berufung des Beklagten zurück und änderte auf die Anschlußberufung des Klägers das Urteil des SG. dahin ab, daß der totale Zahnverlust im Sinne der Entstehung anerkannt wurde. Es führte aus: Die Berufung des Beklagten sei nicht begründet, weil der Wehrdienst, insbesondere der Rußlandeinsatz die Entwicklung der Paradentose erheblich beeinflußt und 1944 zum totalen Zahnverlust geführt habe. Die Anschlußberufung des Klägers sei zulässig und begründet. Die Entfernung sämtlicher Zähne hätte sich unter friedensmäßigen Umständen wahrscheinlich vermeiden oder hinausschieben lassen. Da der Zahnschaden im Verlust der Zähne bestehe, sei er ebenso wie der Verlust eines Gliedes nicht nur verschlimmert, sondern hervorgerufen worden. Der Zahnverlust sei durch die Paradentose in Verbindung mit der kriegsbedingten Unterlassung einer erhaltenden Zahnbehandlung und durch die in der militärärztlichen Zahnstation durchgeführte Entfernung sämtlicher Zähne entstanden und deshalb als Wehrdienstschädigung im Sinne der Entstehung anzuerkennen. Revision wurde zugelassen.

Der Beklagte hat gegen das Urteil des LSG. Revision eingelegt und beantragt, unter Aufhebung der vorausgegangenen Entscheidungen die Berufung gegen den Bescheid vom 11. Februar 1952 abzuweisen. Die Revision führt aus: Die Paradentose sei ein Leiden, das sich vorwiegend auf konstitutionell bedingter Anlage entwickle. Es sei nicht außergewöhnlich, daß bei einem 43-Jährigen Paradentose zum Verlust aller Zähne führe. Das Gutachten der Universitätsklinik M habe sich offenbar nur für eine vorübergehende Verschlimmerung ausgesprochen. Der Schaden sei durch die Gewährung einer Prothese ausgeglichen. Durch gänzliche Außerachtlassung des konstitutionellen Faktors habe das LSG. mit der Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne der Entstehung § 1 BVG verletzt. Die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Zahnverlust und Wehrdienst sei fehlerhaft, weil nicht der 1 1/2 Jahre dauernde Einsatz in Rußland und die wehrmachtsärztliche Behandlung in erheblichem Maße zum Zahnverlust beigetragen hätten, sondern eine konstitutionsbedingte fortgeschrittene Paradentose, die sich durch eine konservative Behandlung nicht wesentlich hätte beeinflussen lassen. Mit Schriftsatz vom 9. Juli 1957, eingegangen am 13. Juli 1957, rügt der Beklagte als Verfahrensmangel die Einlegung der Anschlußberufung in mündlicher Form, die protokollierte Erklärung in der mündlichen Verhandlung ersetze nicht die für die Anschlußberufung zwingend vorgeschriebene Einreichung einer Anschlußschrift beim Berufungsgericht.

Der Kläger hat beantragt, die Revision des Beklagten zurückzuweisen und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und mit Schriftsatz vom 2. August 1955 form- und fristgerecht begründet worden.

Die Revision ist somit zulässig.

Bei einer zugelassenen Revision ist das angefochtene Urteil über die Revisionsrügen hinaus von Amts wegen in vollem Umfange sachlich-rechtlich (BSG. 3 S. 180) und verfahrensrechtlich dahingehend nachzuprüfen, ob ein in der Revisionsinstanz fortwirkender Verstoß gegen einen verfahrensrechtlichen Grundsatz vorliegt, der im öffentlichen Interesse zu beachten und dessen Befolgung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist (BSG. 2 S. 245). In diesem Umfange sind auch die weiteren in dem erst nach Ablauf der Begründungsfrist eingegangenen Schriftsatz vom 9. Juli 1957 erhobenen Revisionsrügen zu berücksichtigen.

Ob die Anschlußberufung des Klägers formgerecht und damit rechtswirksam eingelegt wurde, ist in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. Baumbach, ZPO, 25. Aufl, § 521 Anm. 1 B). Die nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegte unselbständige Anschlußberufung ist ihrem Wesen nach ein Antrag innerhalb der Berufung des Berufungsklägers. Sie ermöglicht es dem Berufungsbeklagten, den Streitstoff zu erweitern und das Verbot der reformatio in peius außer Wirkung zu setzen. Sie bildet durch die Bestimmung des Streitstoffs mit die Grundlage für die Entscheidung des LSG. und damit auch des Revisionsgerichts. Die Einhaltung der für die Anschlußberufung gesetzlich vorgeschriebenen Form steht nicht im Belieben der Beteiligten, sondern ist zwingend.

Der Senat hält an der bisherigen Rechtsprechung des BSG. (BSG. 2 S. 229) fest, daß die - unselbständige - Anschlußberufung nach § 202 SGG, § 522a Abs. 1 ZPO durch Einreichung einer Berufungsanschlußschrift beim Berufungsgericht einzulegen ist. Die gegen diese Auffassung in der Literatur, insbesondere von Wende in KOV. 1957 S. 121 erhobenen Einwände vermögen nicht zu überzeugen.

Wie bereits das Urteil des 4. Senats in BSG. 2 S. 229 hervorhebt, regelt das SGG das Rechtsmittel der Berufung keineswegs abschließend und vollständig; zur Beantwortung einer Reihe von gerade im Berufungsverfahren auftauchenden Zweifelsfragen müssen deshalb die Vorschriften der ZPO über § 202 SGG herangezogen werden. Das gilt erst recht für die - unselbständige - Anschlußberufung. Da diese in den Vorschriften des SGG nicht erwähnt ist, müßte ohne Einführung über § 202 SGG auf dieses Rechtsinstitut im sozialgerichtlichen Verfahren überhaupt verzichtet werden. Die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten verbieten es aber nicht, die unselbständige Anschlußberufung auch im sozialgerichtlichen Prozeß zuzulassen.

Es ist nur folgerichtig und sinnvoll, mangels jeder Regelung im SGG auch für die Form der Anschlußberufung die Vorschriften der ZPO (§ 522a Abs. 1) zu übernehmen. Dies wird - entgegen der Ansicht von Wende - auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß vor dem LSG. im Gegensatz zum Land- oder Oberlandesgericht kein Vertretungszwang besteht; denn auch die Rechtsprechung zu § 522 a ZPO läßt nicht zu, daß die vorgeschriebene Schriftform durch Vortrag in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Schriftführers ersetzt wird (RGZ. 142, 307 (311) und 171, 129 (131); Stein-Jonas-Pohle, ZPO, 18. Aufl. 1956, § 522a Anm. II 2; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 135 V 2 e S. 647).

Gegen das Formerfordernis einer Anschlußberufungsschrift kann auch nicht eingewandt werden, daß diese Formstrenge unzweckmäßig sei. Gerade, weil das Verfahrensrecht nicht Selbstzweck, sondern dazu bestimmt ist, eine Entscheidung über Rechtsansprüche herbeizuführen, ist bei Anwendung und Auslegung einer Verfahrensvorschrift auch auf die Zweckmäßigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Schriftform gibt die beste Gewähr dafür, daß sie den Willen des Berufungsgegners für alle Prozeßbeteiligten und das Gericht einwandfrei erkennbar zum Ausdruck bringt, während eine nur zur Niederschrift des Schriftführers in der Verhandlung abgegebene mündliche Erklärung nicht immer in gleicher Weise auf ihren Inhalt überprüft werden wird, weil § 122 Abs. 1 SGG nicht zwingend vorschreibt, Parteianträge zu verlesen. Da sich die Beweiskraft der Niederschrift auch auf den Inhalt der Anträge bezieht (Rohwer-Kahlmann, SGG § 122 Anm. 9), könnte die Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit ihrer Wiedergabe im Protokoll nur durch den Nachweis der Fälschung des Protokolls bewiesen werden (§ 164 ZPO). Diese erschwerte Beweisführung für den Fall einer unzutreffenden Niederschrift wäre für die Prozeßbeteiligten ein erheblicher Rechtsnachteil, weshalb für die Anschlußberufung die Schriftform auch aus Gründen der Zweckmäßigkeit vorzuziehen ist.

Die nur durch mündlichen Vortrag in der Verhandlung vor dem LSG. eingelegte Anschlußberufung ist nicht rechtswirksam erhoben, da die durch § 522a Abs. 1 ZPO vorgeschriebene Anschlußschrift nicht vorliegt. Ob die Anschließung - in analoger Anwendung des § 151 Abs. 1 SGG - auch durch Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle wirksam erklärt werden könnte, brauchte wie in BSG. 2 S. 229 nicht entschieden zu werden, weil die protokollierte Erklärung in der mündlichen Verhandlung der Erklärung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht gleichgestellt werden kann. Die Anschlußberufung des Klägers war somit nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form erhoben und deshalb unzulässig, das LSG. durfte über sie nicht sachlich entscheiden. Die Sachentscheidung über die formwidrig erhobene Anschlußberufung stellt einen wesentlichen Mangel im Verfahren dar. Das angefochtene Urteil war daher insoweit, als es auf die - unzulässige - Anschlußberufung die Anerkennung des Zahnverlustes im Sinne der Entstehung aussprach, abzuändern.

Der Senat konnte über die Anschlußberufung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG selbst entscheiden. Sie war als unzulässig zu verwerfen. Bei dieser Sachlage brauchte nicht mehr geprüft zu werden, ob die Anschlußberufung im sozialgerichtlichen Verfahren ebenso wie im bürgerlich-rechtlichen Streitverfahren eine Beschwer nicht voraussetzt oder ob sie auch wegen fehlender Beschwer des Klägers - seinem vor dem SG. gestellten Antrag auf Anerkennung des Zahnverlustes als durch den Wehrdienst verschlimmertes Leiden war entsprochen worden - unzulässig war. Durch die Unzulässigkeit der Anschlußberufung ist es dem Senat auch verwehrt, in eine sachlich-rechtliche Prüfung darüber einzutreten, ob der vom LSG vertretenen Auffassung, Zahnverlust sei dem Gliederverlust gleichzusetzen und müsse deshalb als Wehrdienstschädigung im Sinne der Entstehung anerkannt werden, generell oder im vorliegenden Fall zuzustimmen ist.

Bei der Prüfung, ob die Entscheidung des LSG. über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG. dem Gesetz entspricht, ist zu trennen zwischen der Feststellung des Sachverhalts und der Anwendung des § 1 BVG auf diesen. Die Feststellung, ob ein ursächlicher Zusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn zwischen den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen und dem Zahnverlust besteht, ist Tatbestandsfeststellung. Die Beurteilung, ob ein solcher Zusammenhang auch einen ursächlichen Zusammenhang im Rechtssinne nach der Kausalitätsnorm der Kriegsopferversorgung darstellt, betrifft die Anwendung materiellen Rechts (vgl. BSG. 1 S. 268, 6 S. 192 und 7 S. 288).

Die Revision hat die Feststellungen des LSG. nicht angegriffen, daß der Kläger 1944 an Paradentose litt, daß ihm zu diesem Zeitpunkt nur einige Backenzähne fehlten und sich die anderen gelockert hatten, und daß ihm in der Zahnstation eines Kriegslazaretts an der russischen Front sämtliche Zähne entfernt wurden. Diese Feststellungen binden das Revisionsgericht (§ 163 SGG). Das LSG. hat einen ursächlichen Zusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen und im Rechtssinn zwischen wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen und dem totalen Zahnverlust aus verschiedenen Gründen bejaht.

Die Vorinstanz hält die Paradentose zwar für anlagebedingt, rechnet aber den Belastungen durch den Wehrdienst einen erheblichen Einfluß auf die schnelle Entwicklung der Paradentose zu, indem es den gutachtlichen Ausführungen folgt, die eine Verschlimmerung dieses Leidens durch das Kriegsgeschehen grundsätzlich nicht ablehnen. Solche Belastungen sieht das LSG. einmal in der langjährigen Dienstzeit als Soldat, davon 1 1/2 Jahre Einsatz in Rußland, ferner in dem Fehlen einer konservierenden Paradentosebehandlung, und endlich in den Verhältnissen an der russischen Front 1944, die eine zeitraubende erhaltende Zahnbehandlung nicht mehr erlaubten und die Radikalentfernung der Zähne als einzige Behandlungsmethode zuließen. Dadurch, daß das LSG. diesen Umständen, insbesondere den Faktoren des militärischen Einsatzes im Osten, eine wesentlich verschlimmernde Wirkung auf die Entwicklung der Paradentose zurechnete, hat es die im Versorgungsrecht geltende Kausalitätsnorm nicht verletzt. Dies gilt insbesondere von der Beanstandung der Revision, das LSG. habe allein daraus, daß über eine Erkrankung des Klägers an Paradentose vor seiner Einberufung nichts bekannt sei, einen Einfluß des Wehrdienstes auf den Krankheitsverlauf hergeleitet. Dieser Umstand ist nur einer der Gründe, keineswegs der einzige und ausschlaggebende, die das Urteil der Berufungsinstanz seiner Schlußfolgerung zugrunde gelegt hat.

Auch den aus einem der ärztlichen Gutachten ersichtlichen Hinweis, daß die Entwicklung der Paradentose durch Behandlung nur schwer zu beeinflussen sei, hat das LSG. nicht verkannt; denn erst nach Abwägen der verschiedenen auf die Entstehung und Fortentwicklung der Paradentose einwirkenden Faktoren ist die Vorinstanz zu der Überzeugung gelangt, daß den wehrdienstlichen Einflüssen die Bedeutung einer wesentlichen Mitursache wenigstens im Ausmaß einer Verschlimmerung des Leidens zukommt. Das LSG. hat in diesem Zusammenhang festgestellt, daß die Zähne in einem Kriegslazarett entfernt wurden, und daß gleichzeitig eine erhaltende Zahnbehandlung unterlassen worden ist. Die Unterwerfung unter militärärztliche Behandlung hat das frühere Reichsversorgungsgericht (RVGer.) in ständiger Rechtsprechung als Ausfluß der militärdiensteigentümlichen Verhältnisse angesehen (RVGer. 2 S. 38, 3 S. 45), weil der Soldat sich der Behandlung durch den Militärarzt unterziehen muß und keine Freiheit bei der Auswahl des Arztes und der Art der Behandlung genießt. Bei einem Gesundheitsschaden als Folge eines militärärztlichen Kunstfehlers kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit, wegen der der Patient behandelt wird (hier die Paradentose), eine Schädigungsfolge im Sinne des Versorgungsrechts ist oder nicht. Diese Grundsätze gelten auch nach dem BVG; denn dessen Vorschriften stimmen insoweit mit denen des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) überein. Eine ärztliche Behandlung dient der Behebung oder Besserung von Gesundheitsstörungen. Wird sie fachgemäß durchgeführt, so stellt sie keine gesundheitliche Schädigung dar. Eine durch Versorgung zu entschädigende gesundheitliche Schädigung liegt nur dann vor, wenn die Behandlung den Gesundheitszustand des Klägers verschlechtert hat und wenn sie nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt ist (vgl. RVGer. 5 S. 145). Das LSG. hat hier eine nicht sachgemäße Behandlung darin gesehen, daß sofort alle Zähne entfernt und nicht konservierend behandelt wurden. Ein Erfahrungssatz, 1944 habe es an Zeit und Gelegenheit zu konservierender Zahnbehandlung allgemein gefehlt, besteht zwar in dieser Unbedingtheit nicht. Aber die Vorinstanz hat ohne Rechtsirrtum einen wesentlichen Einfluß wehrdiensteigentümlicher Umstände auf die Entwicklung des Zahnschadens bejahen könne, weil die schwierigen sanitären Verhältnisse der Truppen im Osteinsatz auch auf den Kläger zutrafen.

Der Bescheid des Versorgungsamt hat angenommen, daß die MdE. des Klägers unter 25 v.H. liegt und hat damit die Ablehnung einer Rentenleistung begründet. Das SG. hat den Grad der MdE. auf 30 v.H. erhöht, weil bei der Schwere der Magenerkrankung des Klägers Diätkost notwendig sei. Mit einer MdE. von 30 v.H. hat das SG. danach auch den Verlust der Zähne im Sinne der Verschlimmerung mit als abgegolten angesehen. Da der Verlust erheblicher Teile des Alveolarfortsatzes mit Verlust aller Zähne allein aber mit einer MdE. von 20 - 30 v.H. regelmäßig zu bewerten ist (Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen 1958 S. 175), ergibt sich, daß das LSG. dem wehrdienstlichen Verschlimmerungsfaktor für den Zahnverlust nur einen geringen Grad der MdE. zugerechnet hat, weil es sonst zu einer höheren Gesamt-MdE. hätte gelangen müssen. Die Richtigkeit dieser Schlußfolgerung wird dadurch bestätigt, daß das LSG. grundsätzlich dem Gutachten der Universitätsklinik M gefolgt ist, das eine Verschlimmerung durch den Wehrdienst nur mit der Einschränkung einräumt, daß der Konstitution und den Zivilisationseinflüssen ein erheblicher Anteil an der Paradentose und damit am Zahnverlust zukommt. Die Bewertung der MdE. beweist somit, daß das LSG. der Konstitution und den Zivilisationseinflüssen den Hauptanteil an der Paradentose zugemessen, die Krankheitsanlage also nicht, wie die Revision rügt, unberücksichtigt gelassen hat.

Die mit der Zurückweisung der Berufung des Beklagten getroffene Entscheidung des LSG., der Zahnschaden sei Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung, verstößt mithin weder gegen § 1 BVG, noch gegen einen Erfahrungssatz oder gegen Denkgesetze. Sie wird von dem ermittelten Sachverhalt getragen. Das LSG. hat damit das Gesetz nicht verletzt. Die Revision des Beklagten war insoweit unbegründet und zurückzuweisen, als sie die Aufhebung der vom LSG. ausgesprochenen Bestätigung des Urteils erster Instanz zum Ziele hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325674

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