Leitsatz (amtlich)

Eine Zivilperson, die auf dem Heimweg von der Erfassung (WPflG § 15) einen Unfall erleidet, kann wegen der Verletzungsfolgen keine Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften beanspruchen, die das angeordnete Erscheinen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit (Musterung), Eignungsprüfung und Wehrüberwachung einer militärischen Dienstverrichtung gleichstellen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Ausschluß der Wehrerfassung vom Versorgungsschutz ist mit dem Gleichheitsgrundsatz GG Art 3 vereinbar.

 

Orientierungssatz

Das Erscheinen zur Wehrerfassung unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen staatsbürgerlichen Pflichten, wie sich für eine Wohnung anzumelden und zur Ausstellung oder Überprüfung eines Personalausweises zu erscheinen. Andererseits ist der Zusammenhang mit dem Wehrdienst nicht so eng wie bei Heranziehungsmaßnahmen, durch welche die Wehrpflicht konkretisiert wird. Es muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, ob er ein versorgungs- oder ein unfallversicherungsrechtliches Entschädigungssystem wählt.

 

Normenkette

SVG § 80 Fassung: 1957-07-26, § 80 Fassung: 1961-09-08, § 80 Fassung: 1964-08-08, § 80 Fassung: 1967-02-20, § 80 Fassung: 1971-09-01, § 81 Fassung: 1957-07-26, § 81 Fassung: 1961-09-08, § 81 Fassung: 1964-08-08, § 81 Fassung: 1967-02-20, § 81 Fassung: 1971-09-01; BVG § 3 Abs. 1 Buchst. a Fassung: 1950-12-20; RVO § 539 Abs. 1 Nr. 13 Fassung: 1963-04-30; WehrPflG § 15

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juni 1973 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1948 geborene Kläger war für den 9. November 1966, 12.00 Uhr, zum Zweck der Wehrerfassung zur Gemeindeverwaltung W bestellt. Er fuhr mit seinem Personenwagen an diesem Tag von B, wo er als Arbeiter bei einer Brauerei beschäftigt war, zu seiner Wohnung im Elternhaus und von dort zur Wehrerfassung. Nach deren Beendigung wollte er zur Wohnung zurückfahren, um sich umzuziehen, die Erfassungsunterlagen zurückzubringen und das Mittagessen einzunehmen. Auf dem direkten Weg zu seinem Elternhaus verunglückte er gegen 12.15 Uhr. Er erlitt Verletzungen am Kopf und linken Bein und war bis zum 12. Juni 1967 arbeitsunfähig. Am 5. November 1968 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt M die Anerkennung der Gesundheitsstörungen als Wehrdienstbeschädigung und eine Entschädigung, weil eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 25 v. H. bestehe. Das Versorgungsamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Erfassung gehöre nicht zu den nach §§ 80 und 81 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) für Zivilisten versorgungsrechtlich geschützten Tatbeständen (Bescheid vom 4. Dezember 1968). Über den dagegen eingelegten Widerspruch hat die Versorgungsverwaltung nicht entschieden, weil der Kläger um Aussetzung bis zur Entscheidung über einen Antrag auf Unfallentschädigung bat, den er an die Berufsgenossenschaft für Nahrungsmittel und Gaststätten (BG) richtete. Die BG lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 12. März 1969). Die dagegen gerichtete Klage nahm der Kläger später zurück. Das Sozialgericht (SG) Münster lud das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Landesversorgungsamt, die Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung und die Ausführungsbehörde für Unfallversicherung des Landes Nordrhein-Westfalen zum Verfahren bei. Entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag verurteilte das SG das Land Nordrhein-Westfalen unter Aufhebung des Bescheides des Versorgungsamtes vom 4. Dezember 1968, dem Kläger für die Folgen des am 9. November 1966 erlittenen Unfalles eine Entschädigung nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu gewähren (Urteil vom 23. März 1971). Das Land Nordrhein-Westfalen, das dagegen Berufung eingelegt hat, ist mit Einwilligung der übrigen Beteiligten in das Berufungsverfahren als Beklagter eingetreten. Das Landessozialgericht (LSG), das die BG und die Bundesausführungsbehörde aus dem Verfahren entließ, hat das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen (Urteil vom 6. Juni 1973): Die auch ohne Vorverfahren zulässige Klage sei nicht begründet; der Kläger habe wegen der Folgen des Unfalles, den er als Zivilist auf dem Heimweg von der Erfassung erlitten habe, weder einen Anspruch auf Versorgung gegen das beklagte Land noch einen Anspruch auf Versicherungsleistungen gegen die beigeladene Ausführungsbehörde für Unfallversicherung. Eine Zivilperson könne nur dann Versorgung wegen Unfallfolgen beanspruchen, wenn sie einer Anordnung zur Feststellung der Wehrtauglichkeit, zu einer Eignungsprüfung oder zur Wehrüberwachung gefolgt sei (§ 80 Abs. 2 Nr. 2 SVG idF zur Zeit des Unfalles, § 81 Abs. 3 Nr. 1 SVG nF; für den Wegeunfall: § 80 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz SVG aF, § 81 Abs. 3 Nr. 4 SVG nF). Die Erfassung gehöre nicht zur Feststellung der Wehrtauglichkeit; beide Maßnahmen dienten nach dem Wehrpflichtgesetz unter schiedlichen Zwecken und seien in verschiedenen Unterabschnitten des Abschnittes über das Wehrersatzwesen geregelt. Die Erfassung, die der Gesetzgeber bewußt nicht in die Vorschriften des SVG über den Versorgungsschutz einbezogen habe, gehöre zur Zuständigkeit der Länder, und der Schutz solle augenscheinlich erst dort beginnen, wo die Zuständigkeit der für die übrige Wehrerfassung zuständigen Bundesbehörden anfange und eine enge Beziehung zum Wehrdienst bestehe. Bestätigt werde diese Auslegung durch eine inhaltliche gleiche Regelung in § 3 Abs. 1 Buchst. a BVG. Eine Gesetzeslücke, die durch eine erweiternde Auslegung oder Analogie zu schließen sei, bestehe nicht. Die Erfassung gehöre zum ordnungspolizeilichen Meldewesen der Länder; wenn ein allgemein meldepflichtiger Bürger bei der Meldebehörde erscheinen müsse, sei der Weg ebenfalls nicht geschützt. Auch ein Versicherungsschutz nach den §§ 539, 548, 550 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehe auf Wegen zur und von der Erfassung nicht, wohl bei der Erfüllung anderer Meldepflichten.

Der Kläger rügt mit der zugelassenen Revision sinngemäß eine unrichtige Anwendung des § 81 SVG. Er sei einem hoheitlichen Befehl nachgekommen; ihm sei im Interesse der Allgemeinheit ein Sonderopfer abverlangt worden, für das ihm die notwendigen Auslagen und der Verdienstausfall erstattet würden. Dann müßten auch die durch das Erscheinen zur Erfassung entstehenden Körperschäden entschädigt werden. Bei solchen Aufopferungsfällen dürfe es nach § 5 des Entwurfes eines Allgemeinen Teiles des Sozialgesetzbuches keine gesetzliche Lücke geben. Das angeordnete Erscheinen zur Erfassung sei nach dem sozialstaatlichen Solidaritätsgedanken als "Wehrdienstverrichtung" im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG zu werten; die Erfassung sei eine conditio sine qua non des Wehrdienstes. Eine Verweisung auf zivilrechtliche Schadenersatzansprüche sei nicht ausreichend.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 23. März 1971 zurückzuweisen.

Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie treten der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung bei.

Vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) ist eine im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Verteidigung (BMVg) erstattete Auskunft über nicht veröffentlichte Gesetzesmaterialien zum SVG und zum BVG eingeholt worden, vom Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen eine Auskunft über Vorschriften, die die Anmeldung schulpflichtiger Kinder regeln.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig (§§ 164, 166, 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - a. F.), aber sachlich nicht begründet. Das LSG hat mit Recht die Klage abgewiesen.

Dem Kläger steht wegen der Unfallfolgen keine Versorgung nach dem SVG iVm dem BVG zu. Da ein solcher Anspruch frühestens mit dem Antragsmonat (November 1968) entstehen könnte (§ 83 SVG vom 26. Juli 1957 - BGBl I S. 785 - SVG 1957 -, § 83 Abs. 2 SVG idF vom 8. September 1961 - BGBl I S. 1686 - SVG 1961 -, § 60 Abs. 1 BVG), ist das seit dieser Zeit geltende Recht anzuwenden. Ein Versorgungsanspruch wegen einer Schädigung durch eine Wehrdienstverrichtung ist deshalb eindeutig ausgeschlossen, weil der Kläger nicht als Soldat, d. h. während eines Wehrdienstes in der Bundeswehr, verunglückte (§§ 80, 81 Abs. 1-5 SVG idF der Bekanntmachung vom 20. Februar 1967 - BGBl I S. 201 - SVG 1967 -, §§ 80, 81 Abs. 1 SVG idF des 6. Änderungsgesetzes vom 10. August 1971 - BGBl I S. 1273 - und der Bekanntmachung der Neufassung vom 1. September 1971 - BGBl I S. 1481 - SVG 1971 -). Auch die Vorschriften, die bestimmte Umstände des Zivillebens solchen des Wehrdienstes gleichstellen, begründen keinen Anspruch für den Kläger.

Nach § 81 Abs. 6 Nr. 2 SVG 1967 galten für eine Zivilperson, die zur Feststellung der Wehrtauglichkeit, zu einer Eignungsprüfung oder zur Wehrüberwachung der Anordnung einer zuständigen Dienststelle folgte, die Vorschriften, nach denen Soldaten wegen der Folgen gesundheitlicher Schädigungen durch eine Wehrdienstbeschädigung Versorgung nach dem BVG beanspruchen können (§ 80 Satz 1, § 81 Abs. 1 - 5 SVG 1967), entsprechend. Das könnte auch für Unfälle auf dem Weg, der zu diesem Ziel führen sollte, und auf dem Rückweg gegolten haben (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SVG 1957, SVG 1961 und SVG vom 8. August 1964 - BGBl I S. 649 - SVG 1964 -, § 3 Abs. 1 Buchst. a, § 4 BVG; dazu BSG 7, 243). Nach § 80 Satz 2 SVG 1971 erhält eine Zivilperson, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, Versorgung entsprechend den für Soldaten geltenden Vorschriften. Nach § 81 Abs. 3 Nr. 1 SVG 1971 gehört zum Wehrdienst in diesem Sinn auch das Erscheinen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit, zu einer Eignungsprüfung oder zur Wehrüberwachung auf Anordnung der zuständigen Dienststelle, nach Nr. 4 Satz 1 außerdem das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle oder nach dem oder vom Bestimmungsort. Dieser Versorgungsschutz umfaßt nicht die Erfassung und damit ebensowenig den Weg zur Erfassungsbehörde wie den Rückweg, auf dem der Kläger verunglückte (Bremenkamp, Soldatenversorgungsgesetz, 3. Aufl. 1969, § 81 Anm. VIII, 2, wie schon: Eigenwillig in der 2. Aufl. 1963, § 80, Anm. II, 2 und Nr. 3 Abs. 2 der Verwaltungsvorschriften 1963, aaO, 612, S. 79; 1967, Nr. 12 Abs. 2, Bremenkamp S. 94). Das folgt aus dem Wortlaut der genannten Vorschriften und wird durch deren Auslegung bestätigt.

Die Erfassung ist eine selbständige, gesonderte Maßnahme des Wehrersatzwesens neben denjenigen, die im SVG ausdrücklich versorgungsrechtlich geschützt werden. Sie ist in § 15 Wehrpflichtgesetz (vom 21. Juli 1956 - BGBl I S. 651 - sowie in den hier maßgebenden Fassungen vom 14. Mai 1965 - BGBl I S. 391 -, 28. September 1969 - BGBl I S. 1773 - und 8. Dezember 1972 - BGBl I S. 2277-, die nicht einschlägig geändert worden sind) in einem eigenen Unterabschnitt (2.) vor den übrigen Tatbeständen (§§ 16 ff im 3. bis 5. Unterabschnitt) innerhalb des Abschnittes II über das Wehrersatzwesen geregelt. Der Feststellung der Wehrtauglichkeit und den weiteren Fallgruppen des Wehrersatzwesens, die vom SVG erfaßt sind, ist die Erfassung zeitlich und organisatorisch vorgeschaltet, und sie ist sachlich von ihnen unterschieden. Dann kann die Erfassung nicht unter einen der anderen Tatbestände fallen. Das Gesetz kann auch nicht erweiternd ausgelegt werden und enthält keine Lücke, die die Rechtsprechung zugunsten des Klägers durch eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften schließen dürfte und müßte.

Eine Gesetzeslücke als Voraussetzung für eine solche Rechtsfortbildung müßte nach der übrigen Rechtsordnung als eine planwidrige Unvollständigkeit des positiven Gesetzes festzustellen sein (BVerfGE 34, 269, 286 f; BSG 25, 150, 151 = SozR Nr. 2 zu § 2 AVAVG; BSG 36, 229, 230 f = SozR Nr. 5 zu § 17 BVG; BSG Urt. vom 19.12.1974, 8 RU 18/74; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl, 1969, S. 342 ff). Das ist nicht der Fall. Der Gesetzgeber hat die Fälle der Erfassung nicht erkennbar übersehen und damit nicht unbewußt eine von der Rechtsprechung zu schließende Lücke entstehen lassen.

Wohl mag bei der Entstehung des SVG - ebenso wie schon der ähnlichen Vorschrift des § 3 Abs. 1 Buchst. a BVG - nicht erörtert worden sein, warum die Erfassung nicht in den Versorgungsschutz einbezogen wurde; ausdrückliche Erklärungen dazu enthalten weder die veröffentlichten Gesetzesmaterialien zum SVG und zum BVG noch weitere Unterlagen, wie die im Einvernehmen mit dem BMVg vom BMA erteilte Auskunft ergibt. Gleichwohl ist der Versorgungsschutz für die Gesamtheit der Tatbestände des Wehrersatzwesens mit den Schädigungen im Zusammenhang mit der Feststellung der Wehrtauglichkeit, der Eignungsprüfung und der Wehrüberwachung nach dem Willen des Gesetzes als abschließend geregelt anzusehen. In diesem Sinn ist das Schweigen des Gesetzes bezüglich der Erfassung als "beredt" zu deuten (BSG 23, 283, 287 ff; BSG SozR Nr. 6 zu § 7 BVG; Larenz, aaO, S. 350, 357). Das ist vor allem aus der geschichtlichen Entwicklung der Kriegsopfer- und Soldatenversorgung zu schließen.

In verschiedenen Entwicklungsstufen sind allmählich einige Organisationsvorgänge des Wehrersatzwesens, die militärischen Dienstleistungen vorausgehen, dem Versorgungsschutz unterstellt worden, die Erfassung jedoch gerade nicht. Das Mannschaftsversorgungsgesetz vom 31. Mai 1906 (RGBl S. 593) gewährte lediglich Versorgung wegen der Folgen einer Dienstbeschädigung im engeren Sinn (§ 3), schloß dagegen sogar die Teilnahme an der Musterung von den geschützten militärdienstlichen Verrichtungen aus, weil die musterungspflichtigen Personen noch nicht zum aktiven Heer gehörten (Meier/Demmig, Behörden-Handbuch zum Mannschaftsversorgungsgesetz vom 31. Mai 1906, 4. Aufl. 1920, § 3, Anm. 13 mit Fußnote). Erst das Reichsversorgungsgesetz vom 12. Mai 1920 (RGBl I S. 989) fand nach § 88 Satz 1 Nr. 2 (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 idF der Bekanntmachung vom 30. Juni 1923 - RGBl I S. 523 -) entsprechende Anwendung auf Personen, die zur Feststellung ihrer Kriegsbrauchbarkeit einer militärischen Anordnung gefolgt waren. Damit waren nach den Ausführungsbestimmungen (vgl. Handbuch der Reichsversorgung, herausgegeben vom Reichsarbeitsministerium, Bd. I, 1932, Stand von 1943) lediglich die Personen gemeint, die während des Krieges zur Musterung aufgefordert worden waren. Nach dem entsprechenden Wehrrecht der Zeit vor 1918 hatten sich aber darüber hinaus die Wehrpflichtigen bei den zuständigen Behörden zur Aushebung zu "gestellen" und hatten zu Terminen, die von den Ersatzbehörden bestimmt waren, zu erscheinen (§§ 10, 12, 33 Reichs-Militärgesetz vom 2. Mai 1874 - RGBl S. 45 -/22. Juli 1913 - RGBl I S. 593 -) und sich zu Kontrollen einzufinden (Wehrpflichtgesetz idF vom 11. Februar 1888 - RGBl S. 11). Weder diese Tatbestände noch die Tauglichkeitsuntersuchung im Frieden wurden im damaligen Versorgungsrecht berücksichtigt.

Nach § 68 Buchst. b Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz vom 26. August 1938 (RGBl I S. 1077) erhielten Zivilpersonen, die zur Feststellung ihrer Tauglichkeit, zu einer Eignungsprüfung oder zur Wehrüberwachung der Anordnung einer Dienststelle der Wehrmacht folgten und eine Wehrdienstbeschädigung (§ 4) erlitten, Fürsorge und Versorgung wie Soldaten nach § 66. Nach den dazu erlassenen Durchführungsbestimmungen vom 29. September 1938 (RGBl I S. 1293) fielen darunter Personen während der Musterung, Aushebung, Eignungsprüfung und Wehrversammlung. Diese erweiterte Schutzvorschrift war auf das in jener Zeit geltende Wehrpflichtrecht abgestellt und schloß wiederum die Teilnahme an der Erfassung vom Versorgungsschutz aus. Innerhalb des Wehrersatz- und -überwachungswesens (§§ 12 und 19 Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 - RGBl I S. 609 -; Erlaß des Führers vom 22. Mai 1935 - RGBl I S. 615) war aber die Erfassung schon 3 Jahre zuvor, nämlich zum ersten Mal durch die Verordnung des Reichsministers des Inneren vom 22. Mai 1935 (RGBl I S. 615) und 15. Februar 1937 (RGBl I S. 205) als Aufgabe der allgemeinen und inneren Verwaltung (§ 2 der Verordnung vom 22. Mai 1935; § 34 der Verordnung über die Musterung und Aushebung vom 21. März 1936 - RGBl I S. 201), gesondert von der Musterung (§§ 1, 2, 35 ff der Verordnung vom 21. März 1936) und der anschließenden Aushebung, d. h. der Entscheidung über die Heranziehung der einzelnen Wehrpflichtigen zum Wehrdienst (§§ 55 ff) geregelt worden; (Absolon, Wehrgesetz und Wehrdienst 1935 - 1945, 1960, S. 129 ff). Die Wehrüberwachung betraf die Wehrpflichtigen des Beurlaubtenstandes (§ 1 der Verordnung des Reichskriegsministers und Oberen Befehlshabers der Wehrmacht sowie des Reichsministers des Inneren über die Wehrüberwachung vom 24. November 1937 - RGBl I S. 1273 - und vom 14. April 1939 - RGBl I S. 767 -) und begann mit dem Musterungsbescheid (Absolon, aaO, S. 137). Den seit 1938 für die Wehrpflichtigen begründeten Versorgungsschutz, der also eindeutig die Erfassung nicht berücksichtigte, setzt das BVG vom 20. Dezember 1950 (BGBl I S. 791) fort; nach § 3 Abs. 1 Buchst. a gilt das von einer Wehrmachtsdienststelle angeordnete Erscheinen zur Feststellung der Wehrtauglichkeit, zur Eignungsprüfung oder Wehrüberwachung als militärähnlicher Dienst im Sinne des § 1 Abs. 1. Das bezieht sich ebenfalls auf jenes bis 1945 geltende Wehrpflichtrecht. Diese Rechtstradition hat das SVG nach dem Entstehen der Bundeswehr übernommen. Vor 1967 waren nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 SVG 1957, 1961 und 1964 Beschädigungen eines Zivilisten bei der Teilnahme an bestimmten anderen Maßnahmen des Wehrersatzwesens als der Erfassung mit den Wehrdienstbeschädigungen der Soldaten gleichgestellt. Dieses ältere wie jenes neuere Versorgungsrecht, das eingangs genannt ist, sind auf das zuvor dargelegte Wehrpflichtrecht der Bundeswehr abgestimmt.

Weshalb die Erfassung bisher in den verschiedentlich erweiterten Schutz durch das Versorgungsrecht noch nicht einbezogen worden ist, läßt sich im wesentlichen aus der Begründung zum Entwurf der Bundesregierung zum Wehrpflichtgesetz (BT-Drucks. II/2303 - Anlage 1, Abschn. II, S. 22 f) erkennen. Die darin für die besondere Organisation der Erfassung dargelegten Gründe sind auch für die hier zu entscheidende versorgungsrechtliche Streitfrage bedeutsam. Durch die Erfassung werden lediglich karteimäßige Personennachweise aller Wehrpflichtigen für die Wehrersatzbehörden des Bundes (§ 14 Wehrpflichtgesetz) geschaffen (§ 15 Abs. 1 und 4). Sie ist deshalb als eine typisch zivile Ordnungsaufgabe den Ländern übertragen worden, die sie durch die Meldebehörden der allgemeinen und inneren Verwaltung erfüllen (§ 15 Abs. 3 Satz 1 und 2 Wehrpflichtgesetz). Diese Dienststellen verfügen über die wichtigsten Aufzeichnungen über alle Bundesbürger und damit auch über alle Wehrpflichtigen, d. h. über alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche sind und sich ständig im Bundesgebiet aufhalten (§ 1 Wehrpflichtgesetz; vgl. dazu Erfassungsvorschriften, abgedruckt in: Scherer/Flor/Krekeler, Wehrpflichtgesetz, 2. Aufl. 1962, S. 311 ff). Obwohl die Erfassung als eine notwendige Bedingung der ordnungsmäßigen Ergänzung der Streitkräfte, dem Zweck und dem Ziel des Wehrersatzwesens, dient, ist sie nicht mit militärischen Auswirkungen unmittelbar verbunden. Aus dem Kreis der erfaßten Wehrpflichtigen werden erst im späteren Heranziehungsverfahren, das der Erfüllung der Wehrpflicht (§ 3 Abs. 1 Satz 1) vorausgeht, diejenigen, die zur Ableistung des Wehr-(oder Ersatz-)dienstes verfügbar sind, von den Wehrersatzbehörden des Bundes ausgewählt. Damit wird die vorher nur abstrakt gesetzlich festgelegte Wehrpflicht für den einzelnen Bürger konkretisiert (Scherer/Flor/Krekeler, § 1, Anm. I, 1). Über die erforderliche Verfügbarkeit (§ 6 Abs. 2, §§ 8a-13b, § 17 Abs. 4 und 5 Wehrpflichtgesetz) wird erst durch die Musterung entschieden (§§ 16 ff). Sie und die anschließende Wehrüberwachung stehen somit in einer wesentlich engeren Beziehung zur Ableistung des Wehrdienstes, des eigentlichen Anknüpfungspunktes für Versorgungsansprüche, als die Erfassung. Schließlich kommt hinzu, daß bei der Erfassung als einem rein büromäßigen Geschehen von medizinischen Untersuchungen (§ 17 Abs. 4 Wehrpflichtgesetz) oder sonstigen, mit einem besonderen Risiko behafteten Maßnahmen noch gar keine Rede ist. Alle diese Unterschiede zwischen der Erfassung und den übrigen Tatbeständen des Wehrersatzwesens sind gewichtiger als gewisse Gemeinsamkeiten: Wenn nach § 3 Abs. 1 Satz 2 die Wehrpflicht als Nebenpflichten (Scherer/Flor/Krekeler, § 3, Anm. I, 3; § 1, Anm. I, 1) außer der Pflicht, sich auf die geistige und körperliche Tauglichkeit untersuchen sowie auf die Eignung für bestimmte Verwendungen prüfen zu lassen, und außer anderen mit dem Wehrdienst unmittelbar zusammenhängenden Verpflichtungen auch die Pflicht umfaßt, sich zu melden, sich zu stellen und Auskünfte zu erteilen, und wenn sich diese letztgenannte Pflicht u. a. auf die Erfassung beziehen kann, so ändert dies nichts an den verschiedenartigen Funktionen der Erfassung einerseits und der versorgungsrechtlich geschützten Heranziehungsmaßnahmen andererseits. Gleiches gilt für den Ersatz von Lohnausfall und Auslagen, der für die Teilnahme sowohl an der Erfassung als an den anderen Maßnahmen des Wehrersatzwesens vorgeschrieben ist (§ 15 Abs. 5, § 19 Abs. 8 Satz 2 und 3; § 20 a Abs. 1 Satz 3, § 24 Abs. 6 Nr. 3 Wehrpflichtgesetz), und für einen gewissen gemeinsamen Zwang: Die Pflicht zum Erscheinen bei der Erfassungsstelle (§ 15 Abs. 2) kann - ebenso wie für Musterung, Eignungsprüfung und sonstige Anordnungen der Wehrersatzbehörden - zwangsweise durch eine Vorführung (§ 44 Abs. 2) oder durch Geldbußen (§ 45) durchgesetzt werden.

Wenn nach alledem zwischen Erfassung und Dienstleistung kein derart enger Zusammenhang besteht, daß schon bei der jetzigen Gesetzeslage die Erfassung in den Versorgungsschutz einbezogen werden müßte, spricht gegen eine solche Rechtsfortbildung die Rechtslage in ähnlichen Fällen, in denen Staatsbürger bei Behörden erscheinen müssen. Die Mitwirkung bei der Erfassung unterscheidet sich nicht grundlegend von der Erfüllung der Meldepflicht derjenigen, die Wohnungen beziehen und auf Verlangen der Meldebehörde persönlich erscheinen müssen (z. B. § 1 Abs. 1, § 7 Meldegesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 1960 - GVNW S. 81), von der Pflicht der Erziehungsberechtigten, ihre von einem bestimmten Alter an schulpflichtigen Kinder bei der zuständigen Schule persönlich anzumelden (z. B. § 1 Abs. 1, § 16 Abs. 1 Schulpflichtgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 1966 - GVNW S. 365 - iVm der Auskunft des Kultusministers), und von der Pflicht, Vorladungen zwecks Ausstellung und Überprüfung eines nach Vollendung des 16. Lebensjahres von allen Meldepflichtigen zu führenden Personalausweises zu befolgen (§ 1 des Bundesgesetzes über Personalausweise vom 19. Dezember 1950 - BGBl I 807 = BGBl III 210 - 1 - iVm § 4 Abs. 4 Buchst. b, c, d, § 7 Buchst. d des nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes zum Bundesgesetz über Personalausweise vom 18. Dezember 1951 - GVBl 1952, 1 -; Allg. AO d. Inn. Min. NRW vom 25. Januar 1952 - MinBl NRW 1952 Sp. 149, insbesondere Nr. 13 Abs. 1 und 3 - Sp. 152 -, Nr. 20 Abs. 4 - Sp. 156 -). Auch in diesen Fällen sind jeweils für bestimmte, im Gesetz umschriebene Personenkreise allgemeine staatsbürgerliche Pflichten festgelegt, deren Erfüllung sehr stark im öffentlichen Interesse liegt, mag auch der Schulbesuch außerdem den Kindern der Erziehungsberechtigten persönlich nützen und der Besitz eines Personalausweises in vielen Lebenslagen vorteilhaft sein. In allen diesen Fällen werden Schädigungen, die bei der Befolgung der Anordnung entstehen, nicht öffentlich-rechtlich entschädigt.

Der Ausschluß der Erfassung vom Versorgungsschutz ist mit dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz - GG -) vereinbar; denn verschiedenartige Tatbestände, wie sie zuvor gegeneinander abgegrenzt worden sind, dürfen ungleich behandelt werden (ständige Rechtsprechung des BVerfG und des BSG, z. B. BSG 4, 75, 83 f). Der bisher gesetzlich geschaffene Versorgungsschutz kann nicht allein deshalb, weil er sozialpolitisch als unzureichend empfunden wird, durch eine gesetzesberichtigende Rechtsprechung (BSG 14, 238, 245 = SozR Nr. 2 zu § 1291 RVO; BSG 21, 68, 70 f = SozR Nr. 5 zu § 1252 RVO; BSG 25, 41, 43 = SozR Nr. 3 zu § 312 RVO; BSG 25, 55, 58 = SozR Nr. 2 zu § 2 KGKG) auf die Erfassung erstreckt werden.

Die vom Kläger angestrebte Gesetzesergänzung läßt sich auch nicht mit dem Aufopferungsgrundsatz rechtfertigen. Ansprüche wegen eines Sonderopfers für die Allgemeinheit im Zusammenhang mit Kriegsgeschehen und militärischem oder militärähnlichen Dienst, die als Ausdruck des allgemeinen Aufopferungsgedankens anzusehen sind (Rüfner, Zeitschrift für Sozialreform 1973, 565, 566 f mit weiteren Nachweisen), müssen grundsätzlich durch Gesetz begründet sein (vgl. z. B. §§ 51 und 52 Bundesseuchengesetz). Die geplante Regelung des § 5 des Entwurfes eines Allgemeinen Teiles des Sozialgesetzbuches (BR-Drucks. 305/72), nach der ein Versorgungsanspruch zugestanden wird, sofern jemand einen Gesundheitsschaden erleidet, für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht, bestimmt nicht selbst, in welchen Fällen diese Voraussetzung gegeben ist; dies festzulegen, ist im allgemeinen dem Gesetzgeber vorbehalten. Das gilt insbesondere für Schädigungen, die - wie bei der Erfassung - infolge von "Ausstrahlungen" der versorgungsrechtlich geschützten Dienstleistung in deren weitem "Vorfeld" entstehen.

Bei der gegenwärtigen Gesetzeslage läßt sich der Klageanspruch schließlich nicht durch eine entsprechende Anwendung von Tatbeständen des § 539 Abs. 1 RVO begründen (BSG 36, 39 = SozR Nr. 41 zu § 539 RVO, inzwischen überholt allein für bestimmte Fälle durch § 539 Abs. 1 Nr. 17 Buchst. c RVO idF des § 21 Nr. 37 des Gesetzes über die Angleichungen der Leistungen der Rehabilitation vom 7. August 1974 - BGBl I S. 1881). Der Kläger macht auch im Revisionsverfahren einen Anspruch aus der Unfallversicherung nicht mehr geltend.

Der - allerdings nur ziemlich lose - Zusammenhang zwischen Erfassung und Wehrdienst könnte es immerhin nahelegen, auch Folgen von Unfällen auf dem Weg zur oder von der Erfassungsstelle öffentlich-rechtlich zu entschädigen. Jedoch darf die Rechtsprechung wegen des Gewaltentrennungsgrundsatzes dies nicht im Wege der Lückenschließung entscheiden; denn eine soziale Absicherung gegen Gesundheitsschäden auf Wegen nach und von der Meldebehörde könnte nicht allein versorgungsrechtlich (durch Erweiterung des § 81 SVG), sondern auch unfallversicherungsrechtlich (durch eine Erweiterung der Tatbestände der "unechten" Unfallversicherung in § 539 Abs. 1 RVO; vgl. hierzu aber kritisch: Rüfner aaO) geschaffen werden; die Entscheidung darüber muß dem Ermessen des Gesetzgebers überlassen bleiben.

Die mithin unbegründete Revision muß zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 130

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