Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 12.05.1992)

SG Nürnberg (Urteil vom 14.02.1991)

 

Tenor

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist gewährt.

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Mai 1992 aufgehoben, soweit die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 14. Februar 1991 auch für den streitigen Leistungszeitraum vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989 zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Weitergewährung eines Kinderzuschusses für die Tochter Ute-Andrea des Klägers.

Der im Jahre 1912 geborene Kläger erhält von der Beklagten Altersruhegeld; bis Juli 1987 wurde ihm hierzu ein Kinderzuschuß in Höhe von 168,10 DM gewährt. Dessen Weiterzahlung lehnte die Beklagte zunächst ab, weil die erforderlichen Nachweise für die behauptete Berufsausbildung nicht beigebracht worden seien. Die Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Nürnberg vom 14. Februar 1991). Im Berufungsverfahren hat die Beklagte durch Bescheid vom 9. Oktober 1991 dem Kläger Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. August 1987 bis zum 31. Januar 1988 und vom 1. September 1989 bis zum 31. August 1991 bewilligt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurück- und die Klage gegen den Bescheid vom 9. Oktober 1991 abgewiesen (Urteil vom 12. Mai 1992). Im Tatbestand des LSG-Urteils ist mitgeteilt, der Kläger halte die Berufung auch für die Zeit vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989 aufrecht, weil Berufsausbildung vorgelegen habe. Er habe mitgeteilt, falls seine Angaben nicht ausreichten, „so ziehe er die Klage bezüglich der noch offenen Zeiten aus den Jahren 1987 und 1988 zurück”. Der Kläger habe ua beantragt, unter Abänderung der entgegenstehenden Entscheidungen der Beklagten und des SG „den Kinderzuschuß auch für die Zeit vom 1. September 1991 bis zum 31. August 1992 zu gewähren”. In den Entscheidungsgründen des LSG-Urteils heißt es: „Den Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989 macht der Kläger ohnehin nicht mehr geltend, so daß sich hierüber Ausführungen erübrigen”.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat auf die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des LSG die Revision „hinsichtlich der streitigen Zahlung von Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989” zugelassen, weil hierzu entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Entscheidungsgründe fehlen. Der Zulassungsbeschluß ist dem Kläger am 11. Dezember 1992 zugestellt worden.

Mit einem am 29. Januar 1993 beim BSG eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger einen Revisionsantrag gestellt und ausgeführt, er begründe „die mit Schriftsatz vom 23. Dezember 1992 eingelegte Revision wie folgt …”. Auf den am 5. Februar 1993 zur Post gegebenen Hinweis des BSG, ein Schriftsatz vom 23. Dezember 1993 sei beim Revisionsgericht nicht eingegangen, hat der Kläger am 18. Februar 1993 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und ausgeführt, er lege gegen das Urteil des LSG Revision ein. Den Nichteingang der Revisionsschrift könne er nur so erklären, daß dieser bei der Post in der Weihnachtszeit verloren gegangen sei. Der Kläger hat eine Fotokopie des Abdrucks jenes Schriftsatzes und ua eine Fotokopie aus seinem Fristenkalender vorgelegt, in dem für den 23. Dezember 1992 für seine Streitsache gegen die BfA eine „Verfahrensfrist für Revision BSG” notiert und abgehakt worden ist.

In der Hauptsache beantragt der Kläger schriftsätzlich sinngemäß,

die Urteile des Bayerischen LSG vom 12. Mai 1992 und des SG Nürnberg vom 14. Februar 1991 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 31. Oktober 1988 und 29. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. November 1989 zu verurteilen, dem Kläger Kinderzuschuß auch für die Zeit vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise,

das Urteil des Bayerischen LSG vom 12. Mai 1992 in dem aus dem Zulassungsbeschluß des BSG vom 17. November 1992 erkennbaren Umfang aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie trägt vor, nach ihrer Auffassung sei ein Wiedereinsetzungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Sollte jedoch Wiedereinsetzung gewährt werden, so sei der Hilfsantrag begründet. Das LSG müßte bezüglich der noch streitigen Kinderzuschußgewährung von Februar 1988 bis August 1989 weitere tatsächliche Feststellungen treffen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II

1. Dem Kläger ist gemäß § 67 Abs 1 SGG Wiedereinsetzung in die Revisionseinlegungsfrist (§ 164 Abs 1 Satz 1 SGG) zu gewähren. Der Senat hält es für glaubhaft, daß er unter dem 23. Dezember 1992 eine Revisionsschrift gefertigt und mit einfachem Brief zur Post gegeben hat, bei der sie verloren gegangen ist. Seinen in sich schlüssigen Vortrag hat der Kläger durch Übersendung einer Fotokopie des Abdrucks jener Revisionsschrift sowie eines Auszuges aus seinem Fristenkalender noch ausreichend belegt. Da die Revisionseinlegungsfrist erst am 11. Januar 1993 abgelaufen wäre, hatte er vor Weihnachten 1992 noch keine erhöhten Sorgfaltspflichten zu beachten.

2. Die Revision des Klägers ist in dem Umfang statthaft, in dem sie durch das BSG im Beschluß vom 17. November 1992 zugelassen worden ist. Das zulässige Rechtsmittel ist iS der Teilaufhebung des Urteils des LSG, soweit dieses den streitigen Leistungszeitraum vom 1. Februar 1988 bis zum 31. August 1989 betrifft, und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgerichts begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Die Entscheidung des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG), weil entgegen § 136 Abs 1 Nr 6 SGG Entscheidungsgründe dazu fehlen, weshalb der Kläger Kinderzuschuß für den vorgenannten Zeitraum „ohnehin nicht mehr geltend macht”, obwohl er ausdrücklich erklärt hat, er halte die Berufung insoweit aufrecht, und ferner den Antrag auf Verurteilung der Beklagten gestellt hat, den Kinderzuschuß „auch” für einen späteren Zeitraum zu gewähren. Daß die im Tatbestand des LSG-Urteils angedeutete bedingte Klagerücknahme für den streitigen Zeitraum prozeßrechtlich unwirksam ist, bedarf keiner Darlegung; auch hierzu hat aber das LSG Entscheidungsgründe nicht mitgeteilt.

Eine den Rechtsstreit abschließende Sachentscheidung ist dem BSG nicht möglich, weil das Berufungsgericht keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen hat. Insbesondere ist weder ersichtlich, daß das Berufungsgericht Anstrengungen unternommen hat, eine ladungsfähige Anschrift der Tochter des Klägers zu ermitteln und diese als Zeugin zu vernehmen, noch erkennbar, daß die Unerreichbarkeit dieser Zeugin festgestellt ist. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, daß das Berufungsgericht nach Ermittlung der ladungsfähigen Anschrift der Tochter des Klägers zu prüfen haben wird, ob es an seiner Ansicht (vgl dazu Bl 39 der LSG-Akte) festhalten darf, den Kläger treffe eine verfahrensrechtliche Pflicht, die Anspruchsvoraussetzungen nachzuweisen; gleichfalls wird das LSG zu überdenken haben, ob ein „Vorabverzicht” der Tochter des Klägers auf ein Zeugnisverweigerungsrecht rechtlich zulässig ist und ob dessen Beibringung vom Kläger verlangt werden kann; darüber hinaus wird das LSG sich eine Rechtsauffassung dazu bilden müssen, ob der Tochter des Klägers überhaupt ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht oder ob sie gemäß § 118 Abs 1 SGG iVm § 385 Abs 1 Nr 3 der Zivilprozeßordnung zum Zeugnis verpflichtet ist; hierbei wird es ggf die einschlägige Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit würdigen müssen.

Nach alledem ist das Urteil des LSG im vorgenannten Umfang aufzuheben und der Rechtsstreit insoweit an dieses Gericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird abschließend auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173872

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