Leitsatz (amtlich)

Das Instandsetzen eines für die Wege nach und von der Arbeitsstätte benutzten Fahrrades ist grundsätzlich auch dann dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen, wenn die Reparatur während einer Arbeitspause im Betrieb ausgeführt und dabei eine Betriebseinrichtung benutzt wird.

 

Normenkette

RVO § 542 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 2. März 1959 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Der Kläger beansprucht Entschädigung für die Folgen eines Unfalls vom 31. Januar 1955.

Über den Hergang des Unfalls enthält das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) folgende Feststellungen: Der Kläger, der als Gatterschneider in einem Sägewerk beschäftigt war, reinigte am 31. Januar 1955 während der Frühstückspause im Betrieb seine Fahrradkette mit einer Rotationsdrahtbürste, um die Kette reparieren zu können. Dabei verfing sich die Kette in der Bürste und wurde dem Kläger ins Gesicht geschleudert. Hierdurch erlitt er einen komplizierten Gesichtsschädelbruch.

Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 21. Oktober 1933 den Anspruch auf Entschädigung ab, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Das Reinigen der Fahrradkette sei eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, so daß der Kläger zur Zeit des Unfalls nicht unter Versicherungsschutz gestanden habe. Es sei auch nicht wahrscheinlich zu machen, daß der Unternehmer die Tätigkeit gebilligt habe. Gegen diesen Bescheid hat der Sohn des Klägers K F in Vollmacht seines Vaters bei der Berufsgenossenschaft "Einspruch" eingelegt.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 8. März 1957 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides verurteilt, den Unfall vom 31. Januar 1955 als Arbeitsunfall anzuerkennen und nach den gesetzlichen Vorschriften zu entschädigen.

Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Der Kläger sei wegen der ungünstigen Verkehrsverhältnisse und der großen Entfernung auf die Benutzung des Fahrrades angewiesen gewesen, das er annehmbar daneben kaum noch in bedeutendem Umfange für Privatzwecke benutze. Es sei im allgemeinen üblich, daß Betriebsangehörige im Bedarfsfalle Betriebseinrichtungen zur einfachen Instandsetzung ihrer Verkehrsmittel oder ihres Arbeitsgerätes benutzten. Es sei auch glaubhaft, daß die Inanspruchnahme einer Reparaturwerkstatt mit erheblichen Schwierigkeiten und Zeitverlust verbunden gewesen wäre. Aus den Äußerungen des Arbeitgebers sei nicht zu entnehmen, daß er mit der Benutzung der Schleifmaschine nicht einverstanden gewesen sei. Die Benutzung werde auch im allgemeinen nicht als besonders gefährlich angesehen. Vielleicht habe es eine Rolle gespielt, daß der Kläger im Gebrauch seiner Hände durch frühere Arbeitsunfälle beschränkt sei. Nach der Ansicht des SG sei das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach § 543 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht auszuschließen, da die Instandhaltung des Fahrrades erforderlich gewesen sei, damit der Kläger seiner Arbeit nachgehen konnte.

Die Beklagte hat beim LSG Niedersachsen Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 2. März 1959 hat der Kläger erklärt, das Entrosten sei notwendig gewesen, weil er einige Glieder der zu lang gewordenen Kette habe entfernen müssen. Ohne diese Reparatur hätte er den Weg zu seinem Wohnort nicht zurücklegen können. Daß die Kette zu lang geworden sei, habe er auf dem Hinweg bemerkt. Wegen starken Gegenwindes habe er stärker auf die Pedale treten müssen, Dabei sei ihm die Kette mehrmals abgesprungen.

Das LSG hat durch Urteil vom 2. März 1959 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.

Zur Begründung hat das LSG u. a. ausgeführt: Die Reparatur der Kette gehöre nicht zu den betrieblichen Tätigkeiten im Betrieb des Arbeitgebers. Das Reichsversicherungsamt (RVA) (Breith. Bd. 2 S. 88) habe zwar die Ansicht vertreten, es sei eine zu enge Auslegung, wenn jede Verwendung von Betriebsmitteln zu Zwecken, die mit dem eigentlichen Zweck des Unternehmens nicht unmittelbar zusammenfallen, von der Betriebstätigkeit unter allen Umständen als ausgeschlossen gelten sollte. Insbesondere sei das nicht zulässig, wenn der Unternehmer es gestatte, gelegentlich einmal die Betriebseinrichtung für eigene Zwecke zu benutzen. Durch eine derartige nur kurze Zeit in Anspruch nehmende Tätigkeit sei der Versicherte nicht aus dem regelmäßigen Arbeitsverhältnis ausgetreten. Dieser Auffassung des RVA könne nicht gefolgt werden. Das RVA verwende den Begriff der Unterbrechung zu Unrecht für die Abgrenzung dieser Frage. Verrichtungen, die privaten Interessen dienten, würden auch dann nicht zu einer betrieblichen Tätigkeit, wenn sie mit betrieblichen Mitteln durchgeführt würden. Das RVA habe auch seine Ansicht anscheinend in späterer Zeit aufgegeben (EuM 30 S. 320). Eine Ausnahme käme allenfalls in Betracht, wenn der Kläger vom Arbeitgeber den ausdrücklichen Auftrag erhalten hätte, die Reparatur durchzuführen (§ 544 aF RVO). Ob der Arbeitgeber ausdrücklich oder stillschweigend die Verwendung von betrieblichen Mitteln gestattet habe, sei unerheblich, da die Reparaturarbeiten nicht für den Betrieb geleistet worden seien. Unter dem Gesichtspunkt des § 542 aF RVO sei es auch unbeachtlich, daß die Instandhaltung des Fahrrades möglicherweise mittelbar für den Betrieb von Bedeutung gewesen sei, da der Kläger u. U. sonst nicht rechtzeitig zur Arbeit hätte erscheinen können. Auch § 543 Abs. 1 aF RVO sei nicht anwendbar. Er beziehe sich nur auf den Schutz bei der Zurücklegung des Weges. Was mit der Bereithaltung von Beförderungsmitteln zusammenhänge, müsse außer Betracht bleiben. Hierbei handele es sich um eine Vorbereitung für die versicherte Tätigkeit des Zurücklegens des Weges. Es mache deshalb keinen Unterschied, ob die vorbereitende Tätigkeit nach oder zwischen der Betriebstätigkeit und ob sie mit oder ohne Betriebsmittel ausgeführt werde. Daran würde auch nicht ändern, wenn die Reparaturbedürftigkeit möglicherweise erst auf der Hinfahrt zum Betrieb am Morgen des Unfalltages eingetreten sei. Ein Entschädigungsanspruch ergebe sich auch nicht aus § 543 Abs. 2 RVO aF. Ein Beförderungsmittel sei kein Arbeitsgerät. Die Revision sei zugelassen worden, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handele.

Der Kläger, dem das Urteil des LSG am 10. April 1959 zugestellt worden ist, hat gegen das Urteil durch seine Prozeßbevollmächtigten am 6. Mai 1959 Revision eingelegt mit dem Antrag:

das Urteil des LSG aufzuheben und nach dem Klageantrag zu entscheiden,

hilfsweise,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Zur Begründung trägt der Kläger vor: Das LSG wäre im Recht, wenn der Kläger seine Arbeitsstelle ohne Benutzung eines Fahrrades erreichen könnte und die Benutzung des Fahrrades nur als eine Bequemlichkeit angesehen werden müsse. Der Kläger müsse aber im Interesse des Betriebes für den Weg von rund 9 km das Fahrrad benutzen. Die Benutzung des Fahrrads liege deshalb überwiegend im Betriebsinteresse. Es sei einem Arbeitsgerät (§ 543 Abs. 2 aF RVO) gleichzusetzen. Am Unfalltage sei die Verkürzung der Fahrradkette für die weitere Benutzung dringend erforderlich gewesen. Andere Verkehrsmittel seien nicht vorhanden. Weder am Wohnort noch am Beschäftigungsort sei eine Reparaturwerkstatt. Der Kläger sei deshalb aus überwiegend betrieblichen Gründen gezwungen gewesen, die Reparatur innerhalb des Betriebes vorzunehmen. Es sei ein ähnlicher Fall wie der vom RVA in Breith. Bd. 2 S. 88 entschiedene. In der Benutzung der Maschine liege keine eigenwirtschaftlichen Zwecken dienende Tätigkeit und auch keine Fahrlässigkeit, da der Kläger die Maschine seit Jahren unfallfrei bedient habe.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des Klägers ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

Das LSG hat mit Recht entscheidendes Gewicht auf die Frage gelegt, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall vom 31. Januar 1933 ereignet hat, zu den Tätigkeiten gehörte, die der Kläger auf Grund seines Arbeitsverhältnisses im Unternehmen des Sägewerks zu verrichten hatte.

Der Unfall hat sich zwar, wenn auch während der Frühstückspause, die dem Kläger als Freizeit zur beliebigen Verwendung zur Verfügung stand, innerhalb der Arbeitszeit und auch auf der Betriebsstätte ereignet. Dieser zeitliche und örtliche Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit im Unternehmen des Sägewerks genügt jedoch für sich allein nicht, um auch einen rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang mit dieser Tätigkeit zu begründen. Ein solcher Zusammenhang wird auch nicht schon dadurch begründet, daß der Unfall sich bei der Benutzung einer Maschine des Betriebes ereignet hat, also durch eine für den Betrieb kennzeichnende Gefahr verursacht worden ist. Der Kläger hatte während der Frühstückspause den Raum aufgesucht, in dem sich die von einem Motor angetriebene Welle mit den Schleifscheiben und der rotierenden Drahtbürste befindet, um dort seine Fahrradkette zu entrosten. Er verrichtete also im Zeitpunkt des Unfalls keine Arbeit, die ihm auf Grund seines Arbeitsverhältnisses im Unternehmen des Sägewerks aufgetragen worden war. Er hatte auch nicht etwa seine Arbeit am bisherigen Arbeitsplatz fortgesetzt und in diese Tätigkeit lediglich ganz kurzfristig eine gleichartige, aber anderen Zwecken dienende Tätigkeit eingeschoben. Es bedarf deshalb auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung der Frage, ob unter derartigen Umständen ein Versicherungsschutz für die eingeschobene Tätigkeit ohne Rücksicht auf ihren Zweck zu bejahen sein würde. Im einzelnen wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Juli 1961 (BSG 14, 295 = SozR RVO Nr. 42 zu § 542 aF) Bezug genommen.

Im vorliegenden Fall ist entscheidend, ob die für den Unfall ursächliche Benutzung der Rotationsdrahtbürste einem Zweck diente, der mit der versicherten Arbeitstätigkeit in einem auch rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang stand.

Das Reinigen der Kette diente nicht unmittelbar den Zwecken des Unternehmens, denn es sollte es ermöglichen, das im Eigentum des Klägers stehende Fahrrad wieder betriebssicher zu machen, das der Kläger nicht unmittelbar für Zwecke des Unternehmens, sondern nur für die Fahrten nach und von der Arbeitsstätte benutzte. Daß das Zurücklegen dieser Wege nach § 543 Abs. 1 aF RVO der versicherten Arbeitstätigkeit gleichgestellt ist, begründet nicht ohne weiteres auch einen Versicherungsschutz für alle Tätigkeiten, die notwendig sind, um diese Wege zurückzulegen und damit auch um die Arbeit im Unternehmen verrichten zu können. Diese vorbereitenden Tätigkeiten, wie z. B. das Reparieren von Fahrzeugen, das Tanken usw. sind vielmehr grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Im einzelnen wird hierzu auf die Urteile des erkennenden Senats vom 26. Juni 1958 (BSG 7, 255) und vom 20. Dezember 1961 (BSG 16, 77 = SozR RVO Nr. 35 zu § 543 aF) Bezug genommen. Allerdings können Tätigkeiten, die den Zweck haben, ein für die Wege nach und von der Arbeitsstätte benutztes Fahrzeug betriebsfähig zu erhalten oder wieder betriebsfähig zu machen, mit dem Zurücklegen des versicherten Weges in einem auch rechtlich wesentlichen Zusammenhang stehen, wenn sich die Notwendigkeit (zu) einer solchen Reparatur während der Fahrt ergibt und die Fahrt ohne Behebung der Störung nicht fortgesetzt werden kann. Im einzelnen wird hierzu auf das Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 1962 (BSG 16, 245 = SozR RVO Nr. 36 zu § 543 aF) Bezug genommen. Derartige besonderen Umstände sind jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger bei sorgfältiger Pflege des Fahrrads nicht schon früher Veranlassung gehabt hätte, den Mangel zu beheben. Jedenfalls hatte der Kläger die Arbeitsstätte trotz des Mangels an der Kette erreichen können, und es war seiner Entscheidung überlassen, ob und in welchem Umfang er die Arbeitspausen oder die Zeit nach dem Ende der Arbeitsschicht für die Arbeit an der Kette verwenden oder für die Behebung des Schadens sich fremder Hilfe bedienen wollte. Unter diesen Umständen hat das LSG ohne Rechtsirrtum die Frage verneint, ob das Reinigen der Kette mit der versicherten Arbeitstätigkeit einschließlich des Zurücklegens der Wege nach und von der Arbeitsstätte in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang stand.

Ein Versicherungsschutz für das Reinigen der Kette ergibt sich auch nicht aus § 543 Abs. 2 aF RVO; denn ein nicht auch unmittelbar für Zwecke des Unternehmens, sondern nur für den Weg nach oder von der Arbeitsstätte benutztes, im Eigentum des Versicherten stehendes Fahrzeug ist, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, kein "Arbeitsgerät" im Sinne dieser Vorschrift.

Das Bestehen eines Versicherungsschutzes für den Unfall vom 31. Januar 1955 ist deshalb ohne Rechtsirrtum mit der Begründung verneint worden, daß die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, einem dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnenden Zwecke diente.

Die Revision des Klägers ist als unbegründet zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens ergeht auf Grund von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380100

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