Leitsatz (redaktionell)

1. Ist ein Bescheid bezüglich der Anerkennung eines Leidens als Schädigungsfolge iS der Entstehung zweifellos unrichtig, so kann er hinsichtlich der Rentenhöhe nach KOV-VfG § 41 nur berichtigt werden, wenn und soweit die bisher anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit zweifelsfrei auch nicht durch eine Verschlimmerung gerechtfertigt war.

2. Die im Urteil des BSG vom 1963-01-31 9 RV 538/59 = VersorgB 1963 RsprNr 48 aufgestellten Grundsätze, wonach neben der Anerkennung der Schädigungsfolge auch die Zubilligung der Rente in dem früheren Bescheid nur unter den Voraussetzungen der KOV-VfG §§ 41, 42 zurückgenommen werden kann, gelten gleichermaßen bei einer Berichtigung nach KBLG Art 30 Abs 4.

 

Normenkette

BVG § 86 Abs. 3 Fassung: 1953-08-07; KOVVfG § 41 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02, § 42 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1960 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Nach vorausgegangener versorgungsärztlicher Begutachtung durch Dr. ... wurden beim Kläger mit zwei Bescheiden vom 28. Juni 1951 Ischialgie links bei Osteochondrose der Lendenwirbelsäule (LWS) und Verdacht auf Nusleus-pulposus-Hernie sowie Beckenstecksplitter als Schädigungsfolgen im Sinne des Bayerischen Körperbeschädigten- Leistungsgesetzes (BKBLG) und des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) anerkannt und ab 1. April 1949 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Huntert (v. H.) gewährt. Im August/September 1953 ließ das Versorgungsamt (VersorgA) den Kläger durch die Ärzte Dr. G und Dr. B nachuntersuchen. Am 18. März 1954 erließ es einen Zuungunstenbescheid, wonach die Anerkennung der Ischialgie bei Osteochondrose der LWS und Verdacht auf Nueleus-pulposus-Hernie mit Sicherheit auf einem ärztlichen Irrtum beruhe. Mit Wirkung vom 1. April 1949 wurde daher im Bereich der LWS nur noch ein Bandscheibenschaden mit linksseitiger Ischialgie in Sinne der einmaligen Verschlimmerung anerkannt. Die dadurch und durch Stecksplitter bedingte MdE wurde mit 25 v. H. festgestellt, die Rente jedoch gemäß § 60 BVG bis Ende April 1954 nach einer MdE um 50 v. H. gewährt. Ab 1. Mai 1954 wurde eine Grundrente von 15,- DM (nach einer MdE um 25 v. H.) zugebilligt, jedoch zur Hälfte wegen einer Überzahlung von 90,- DM einbehalten. Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 14. Juni 1954 zurückgewiesen. Im Klageverfahren wurden Gutachten von Dr. G und Dr. B Dr. ... eingeholt. Durch Urteil vom 15. Dezember 1955 wies das Sozialgericht (SG) die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers änderte das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 28. Juni 1960 das Urteil des SG ab und hob den Bescheid vom 18. März 1954 insoweit auf, als die Rente von 50 v. H. auf 25 v. H. herabgesetzt worden war. Im übrigen wies es die Berufung zurück. Es stehe zwar zweifelsfrei fest, daß die Ischialgie links bei Osteochondrose der LWS und der Bandscheibenschaden durch Schädigungen im Sinne der Versorgungsgesetze nicht entstanden seien, weshalb die Bescheide vom 18. März 1954 und 14. Juni 1954 insoweit bestätigt würden, als darin die Anerkennung im Sinne der Entstehung widerrufen worden sei. Dagegen sei nicht mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit erwiesen, daß die nunmehr anerkannte Verschlimmerung des Bandscheibenprozesses nicht weit höher zu bewerten und die mit den Bescheiden vom 28. Juni 1951 der Rentenzahlung zugrunde gelegte MdE um 50 v. H. unrichtig im Sinne des Art. 30 Abs. 4 BKBLG gewesen sei. Dr. F sei in seinem Gutachten vom 9. November 1950 (richtig wohl 19 49 ), dem sich der leitende Versorgungsarzt Dr. B angeschlossen habe, nur von der Möglichkeit einer Verschlimmerung ausgegangen, habe aber doch die insgesamt bestehende MdE um 50 v. H. als Folge der Schädigung angesehen. Der Umstand, daß die später gehörten Ärzte den Verschlimmerungsanteil nur mit 25 bis 30 v. H. eingeschätzt hätten, lasse die ursprüngliche Bewertung mit 50 v. H. nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als unrichtig erscheinen. Der Bescheid könne auch nicht in einen Bescheid nach § 86 Abs. 3 BVG oder - mangels Nachweises einer wesentlichen Besserung - in einen solchen nach § 62 BVG umgedeutet werden. Das LSG ließ die Revision zu.

Mit der Revision rügt der Beklagte Verletzung des Art. 30 Abs. 4 BKBLG in Verbindung mit § 84 Abs. 3 BVG sowie Verletzung des § 86 Abs. 3 BVG. Das LSG habe sich für seine Ansicht zu Unrecht auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 6. April 1960 (11 RV 240/59) bezogen. Dort sei nur entschieden, bei Erlaß eines Zuungunstenbescheides sei auch zu prüfen, ob das Leiden durch den Wehrdienst nicht verschlimmert worden sei. Die Urteilsgründe ließen nicht unmißverständlich erkennen, daß auch in der Frage der Verschlimmerung zweifelsfreie Unrichtigkeit gefordert werde. In diesem Fall könnte eine im Sinne der Entstehung anerkannte Schädigungsfolge niemals dahin berichtigt werden, daß sie durch den Militärdienst nur verschlimmert wurde. Noch viel weniger könne aus dem zitierten Urteil geschlossen werden, es müsse zweifelsfrei feststehen, daß die Verschlimmerung zu hoch bewertet worden sei. Bei Prüfung der Frage einer bloßen Verschlimmerung sei wie bei der erstmaligen Anerkennung von der Wahrscheinlichkeit auszugehen. Eine andere Auffassung würde den bösgläubigen Rentenbewerber, der wissentlich unrichtige Angaben gemacht habe, begünstigen. Auch die MdE-Bewertung müsse bei der Berichtigung nach diesen Grundsätzen erfolgen. Im übrigen hätte der Bescheid vom 18. März 1954 vom LSG in einen Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG umgedeutet werden müssen, da die ärztliche Untersuchung vom 9. November 1949 nur als Grundlage für den KBLG-Bescheid gedient habe.

Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers unter Aufhebung des Urteils des LSG zurückzuweisen, soweit dies nicht bereits geschehen ist; hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das LSG sei offenbar davon ausgegangen, daß auch im Umanerkennungsbescheid eine mehrfache Regelung getroffen sei, nämlich die Feststellung der Schädigungsfolgen und Grades der MdE mit der daraus sichtergebenden Rente. Zutreffend habe daher das LSG beide Regelungen gesondert geprüft. Wegen der Frage der Umdeutung des Zuungunstenbescheides nach § 86 Abs. 3 BVG könne es im Hinblick auf BSG in SozR BVG § 86 Ca 9 Nr. 11 zweifelhaft sein, ob der Umanerkennungsbescheid vom 28. Juni 1951 auf Grund ärztlicher Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG ergangen sei. Er könne aber nicht in einen Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG umgedeutet werden, weil diese Vorschrift ermöglichen solle, Änderungen im Leidenszustand gegenüber dem Altbescheid, die im Zuge der Umanerkennung nicht berücksichtigt worden seien, Rechnung zu tragen. Der Zuungunstenbescheid habe dagegen zur Voraussetzung, daß schon der Altbescheid zur Zeit seines Erlasses unrichtig war; er regele daher etwas wesentlich anderes und erschwere auch die Rechtsverteidigung des Klägers.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Sachlich ist sie nicht begründet.

Da nur der Beklagte Revision eingelegt hat, war von der bindenden Feststellung des LSG (§ 163 SGG) auszugehen, daß der Beklagte die Anerkennung der Ischialgie links bei Osteochondrose der LWS und Bandscheibenschaden nach Art. 30 Abs. 4 BKBLG rechtswirksam widerrufen hat und daß diese Schädigungsfolge nur noch im Sinne einmaliger Verschlimmerung anerkannt ist. Die Revision sieht eine Verletzung des Art. 30 Abs. 4 BKBLG darin, daß das LSG die Voraussetzung der zweifellosen Unrichtigkeit (vgl. BSG 1, 56, 60; BSG in SozR KBLG Art. 30 Ca, 2, 3 Nr. 7) nicht nur auf die Anerkennung der Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung, sondern auch auf die in den Bescheiden vom 28. Juni 1951 der Rentenzahlung zugrunde gelegte MdE bezogen hat. Diese Rüge greift nicht durch, denn das LSG hat Art. 30 Abs. 4 BKBLG insoweit zutreffend angewandt. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob sich das LSG für seine Rechtsauffassung auf die Entscheidung des BSG vom 6. April 1960 - 11 RV 240/59 - (SozR VerwVG § 41 Ca 8 Nr. 12), die einen anderen Sachverhalt betraf, stützen konnte. Denn der erkennende Senat hat nicht in seinem Urteil vom 31. Januar 1963 - 9 RV 538/59 - (SozR VerwVG § 41 Ca 15/16 Nr. 20) zu dem rechtsähnlichen Fall eines Zuungunstenbescheides nach § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) bereits entschieden, daß neben der Anerkennung der Schädigungsfolge auch die Zubilligung der Rente in den früheren Bescheiden nur unter den Voraussetzungen der §§ 41, 42 VerwVG zurückgenommen werden kann und daß eine Rücknahme der begünstigenden Bescheide nur erfolgen darf, wenn diese auch in dem die Rente betreffenden Verfügungssatz im Zeitpunkt ihres Erlasses zweifellos unrichtig gewesen sind, daß "also auch der Verfügungssatz zur Höhe der MdE ... sich als zweifellos unrichtig" erweisen muß. Diese Grundsätze müssen gleichermaßen bei einer Berichtigung nach Art. 30 Abs. 4 BKBLG angewandt werden, da sich diese Vorschrift insoweit nicht von der des § 41 VerwVG unterscheidet (vgl. auch BSG 1, 56, 61).

Zu Unrecht wendet die Revision hiergegen ein, bösgläubige Rentenbewerber, die wissentlich unrichtige Angaben gemacht haben, würden bei Ablehnung der von ihr vertretenen Rechtsauffassung begünstigt; für Fälle dieser Art gibt § 42 VerwVG der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, erneut zu entscheiden. Das LSG hat sonach zu Recht auch geprüft, ob die der Rentenzahlung zugrunde gelegte MdE um 50 v. H. zweifellos unrichtig im Sinne des Art. 30 Abs. 4 BKBLG gewesen ist. Seine Feststellung, daß dies mit Rücksicht auf das Gutachten des Dr. F zu verneinen sei, ist von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden, weshalb sie gemäß § 163 SGG für das Revisionsgericht bindend ist.

Zutreffend hat das LSG auch die Umdeutung des Bescheides vom 18. März 1954 in einen Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG für unzulässig angesehen. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Umanerkennungsbescheid vom 28. Juni 1951 mit Rücksicht auf das Gutachten vom 9. November 1949, das mit einem Prüfungsvermerk des leitenden Arztes vom 18. November 19 50 versehen ist, auf Grund ärztlicher Nachuntersuchung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG ergangen ist. Die Umdeutung scheitert hier schon deshalb, weil sie das vom Beklagten erstrebte Ziel nicht erreichen kann. Denn die mit dem Bescheid vom 18. März 1954 erstrebte Beseitigung der Anerkennung im Sinne der Entstehung läßt sich durch einen Bescheid nach § 86 Abs. 3 BVG nicht erzielen. Dasselbe gilt für die Herabsetzung der der Rentengewährung zugrunde gelegten MdE wegen Änderung der Anerkennung im Sinne der Entscheidung in eine Anerkennung im Sinne der Verschlimmerung. In dem Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG kann zwar jede Änderung des Leidenszustandes berücksichtigt werden, die gegenüber dem Altbescheid festzustellen ist, ohne Rücksicht darauf, wann sie eingetreten ist. Der Bescheid nach § 86 Abs. 3 BVG muß aber von diesem Altbescheid ausgehen. Er kann einen darin anerkannten Leidenszustand nur dann entfallen lassen, wenn dieser nicht mehr besteht (vgl. BSG 2, 113; 2, 264); er kann bei fortbestehendem Leidenszustand aber nicht feststellen, daß dieser nicht mehr im Sinne der Entstehung, sondern nur im Sinne der Verschlimmerung Schädigungsfolge ist. Enthält der Altbescheid eine Anerkennung im Sinne der Entstehung, so ist diese gemäß § 85 Satz 1 BVG für die Umanerkennung nach vorangegangener ärztlicher Untersuchung rechtsverbindlich; die nachgeholte Neufeststellung im Sinne des § 86 Abs. 3 BVG unterliegt der gleichen Bindung und ist nur von dem Nachweis einer Änderung der Verhältnisse und von der Einhaltung der zweijährigen Schutzfrist des § 62 Abs. 2 Satz 1 BVG befreit. Eine Umdeutung des Zuungunstenbescheides vom 18. März 1954 in einen Neufeststellungsbescheid nach § 86 Abs. 3 BVG wäre sonach nur dann in Betracht gekommen, wenn er unter Beibehaltung der früheren Anerkennung ohne Rücksicht auf die Zusammenhangsfragen eine niedrigere MdE festgesetzt hätte. Da dies beachtet wurde, hat das LSG die Umdeutung mit Recht abgelehnt.

Nach alledem war das Urteil des LSG nicht zu beanstanden. Zwar hat es in seinem Urteilstenor nur den Bescheid des VersorgA vom 18. März 1954 teilweise aufgehoben und den Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1954 nicht erwähnt. In den Urteilsgründen, die zur Ergänzung des Urteilstenors heranzuziehen sind (vgl. BSG 6, 98) ist jedoch festgestellt worden, daß beide Bescheide hinsichtlich des Widerrufs der Anerkennung eines Zusammenhangs im Sinne der Entstehung zu bestätigen seien. Außerdem mußte das LSG den Widerspruchsbescheid auch nicht unbedingt im Tenor aufführen, denn es hat beide Bescheide teilweise als rechtmäßig angesehen und nur die Herabsetzung der MdE von 50 auf 25 v. H., die in dem Bescheid vom 18. März 1954 verfügt worden ist, beseitigt. Der Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 1954 hat den Bescheid des VersorgA nicht verändert (vgl. § 95 SGG), sondern entschieden, daß er zu Recht bestehe. Bei dieser Sachlage konnte sich das LSG darauf beschränken, lediglich den Bescheid des VersorgA vom 18. März 1954 im Tenor teilweise aufzuheben. Daher kann unerörtert bleiben, ob der erkennende Senat den Tenor des angefochtenen Urteils ohne Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius berichtigen konnte.

Nach alledem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290823

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