Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 28.09.1993)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1993 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger ist seit dem Jahre 1977 als Außendienstmitarbeiter eines Versandhauses tätig. Zu seinen Aufgaben gehört es, den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen dem Versandhaus und seinen Kunden innerhalb eines bestimmten regionalen Bezirks zu überwachen. Ihm obliegen neben den Kundenbesuchen auch Büroarbeiten, zu deren Verrichtung dem Kläger eine Telefonanlage, ein Datensichtgerät sowie ein Drucker zur Verfügung gestellt wurde. Nach der Auskunft der Versandfirma vom 11. April 1991 sind die Außendienstmitarbeiter gehalten, diese Arbeitsgeräte innerhalb der häuslichen Räume aufzustellen und für die anfallenden Büroarbeiten zu nutzen. Das Versandhaus übernimmt keine Kosten für eine Renovierung der Räume. Der Kläger hat in dem im Jahre 1987 bezogenen Eigenheim einen ca 9,5 qm großen Büroraum eingerichtet, wo die vom Versandhaus bereitgestellten Arbeitsgeräte stehen. Er verrichtet dort nach seinen Angaben an einem Wochentag ganztägig Büroarbeiten. An den übrigen Wochentagen fallen jeweils durchschnittlich zwei bis drei Stunden solche Arbeiten an. Im übrigen ist er außer Haus tätig.

Während des Weihnachtsurlaubs beabsichtigte der Kläger, am Nachmittag des 18. Dezember 1990 eine Wand seines häuslichen Büroraumes mit Tapeten zu überkleben, weil sich dort Schmutzstellen gebildet hatten. Er äußerte diese Absicht vormittags gegenüber seiner Ehefrau. Da alle Arbeitsmittel im Haus waren, sollten die Arbeiten nach seiner Schätzung etwa eine Stunde in Anspruch nehmen. Nachmittags stieg er auf den Dachboden, um die dort gelagerten Tapetenreste herbeizuholen, die zu den übrigen Tapeten im Büroraum paßten. Um an die Tapetenreste zu gelangen, mußte er eine Trittleiter besteigen. Nachdem er die Tapetenreste ergriffen hatte, rutschte er von der Leiter ab, stürzte zu Boden und verletzte sich am rechten Ellenbogen. Im Durchgangsarztbericht vom 1. Februar 1991 wurden eine tastbare Fehlstellung des rechten Ellenbogens mit Zwangshaltung in 90o Beugestellung sowie eine Bewegungsunfähigkeit im Ellenbogen festgestellt und eine Ellenbogenluxation rechts diagnostiziert. Im Entlassungsbericht des Knappschaftskrankenhauses B. … vom 9. April 1991 stellten Prof. Dr. V. … und Dr. M. … als weitere Folge ein deutliches Streckdefizit im rechten Ellenbogen fest und teilten mit, es sei mit einer dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit zu rechnen.

Mit Bescheid vom 26. Juni 1991 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlaß des Unfalles vom 18. Dezember 1990 ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Arbeitsunfall liege nicht vor, da aus den gesamten Umständen ein innerer Zusammenhang der beabsichtigten Renovierung der Privaträume mit der Tätigkeit für das Versandhaus nicht hergestellt werden könne. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1991 zurück, da ein örtlicher oder zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der beruflichen Tätigkeit fehle und auch ein innerer Zusammenhang nicht feststellbar sei. Das Tapezieren der Privaträume liege allein im privaten Interesse und sei nicht betriebsdienlich.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Januar 1993 die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 18. Dezember 1990 als Arbeitsunfall anzuerkennen und dem Kläger wegen der Folgen dieses Unfalles Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren (Urteil vom 8. Januar 1993). In den Entscheidungsgründen heißt es, der Kläger sei als Außendienstmitarbeiter des Versandhauses arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen, einen Arbeitsplatz in seinem Hause einzurichten. Mithin diene auch die Erhaltung einer sauberen und ordentlichen Arbeitsumgebung wesentlich betrieblichen Interessen. Beim Herunterholen der Tapetenreste vom Dachboden habe sich der Kläger auf einem versicherten Betriebsweg befunden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. September 1993). Es hat ua ausgeführt: Der Kläger habe eine Wand des Arbeitsraumes tapezieren wollen, in dem er die vom Versandhaus überlassenen Arbeitsgeräte aufgestellt und regelmäßig Büroarbeiten für den Arbeitgeber verrichtet habe. Daher sei die unfallbringende Tätigkeit als Vorbereitungshandlung der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Das Herbeiholen der Tapete habe ebenso wie das geplante Tapezieren der Wand des Arbeitsraumes einen konkreten und eindeutigen Bezug zur versicherten Tätigkeit des Klägers für das Versandhaus gehabt.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision macht die Beklagte weiterhin geltend, das Arbeitsverhältnis sei dadurch gekennzeichnet, daß die Unterbringung und Aufstellung der Geräte in dem häuslichen Bereich des Klägers der Teil sei, den der Kläger dazu beitragen müsse, um das Arbeitsverhältnis zu begründen und auch weiter fortzusetzen. Wenn der Kläger sich dazu entschlossen habe, für die Bürotätigkeiten einen eigenen Raum einzurichten, so sei das für die berufliche Tätigkeit des Unternehmens sicherlich förderlich. Gleichwohl erfülle der Kläger damit lediglich eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses, um so die anfallende Bürotätigkeit besser verrichten zu können. Man könne daher alle Tätigkeiten, die im Zusammenhang mit der Einrichtung des Büros stünden, nicht als versicherte Tätigkeit ansehen, weil aufgrund der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses der Kläger ein erhebliches eigenes Interesse daran habe. Derartige Tätigkeiten fielen nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung. Würde man aber das Tapezieren als versicherte Tätigkeit ansehen, so wäre die unfallbringende Tätigkeit lediglich eine Vorbereitungshandlung, die nicht der versicherten Tätigkeit selbst zuzurechnen sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1993 sowie das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 8. Januar 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Der Kläger hat, wie beide Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, am 18. Dezember 1990 einen Arbeitsunfall erlitten. Die zum Unfall führende Verrichtung hat im inneren Zusammenhang mit der nach § 548 Abs 1 Satz 1 iVm § 539 Abs 1 Nr 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten Tätigkeit des Klägers gestanden.

§ 548 RVO setzt voraus, daß sich ein Arbeitsunfall bei der versicherten Tätigkeit ereignet. Dazu ist in der Regel erforderlich, daß das Verhalten, bei dem sich der Unfall ereignet, einerseits zur versicherten Tätigkeit zu rechnen ist und daß diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Zunächst muß also eine sachliche Verbindung mit der Betriebstätigkeit und dem Beschäftigungsverhältnis bestehen, der sogenannte innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Eine solche Wertung nach dem Gesetz ist der Rechtsanwendung im Einzelfall vorbehalten (BSGE 63, 273, 274; BSG Urteil vom 25. Februar 1993 – 2 RU 12/92 –). Im vorliegenden Fall besteht dieser erforderliche innere Zusammenhang.

Ebenso wie einerseits der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit nicht allein schon deshalb begründet wird, weil die zum Unfall führende Verrichtung in Räumen des Betriebes ausgeführt worden ist, steht es andererseits dem inneren Zusammenhang grundsätzlich nicht entgegen, wenn eine wesentlich dem Unternehmen zu dienen bestimmte Handlung nicht in Räumen des Betriebes, sondern im privaten Wohnbereich des Versicherten verrichtet wird. Entscheidend ist vielmehr auch insoweit, ob die zum Unfall führende Verrichtung wesentlich allein privaten Interessen oder zumindest auch wesentlich betrieblichen Interessen zu dienen bestimmt ist. Im letzteren Fall ist Versicherungsschutz grundsätzlich auch dann gegeben, wenn sie örtlich nicht im Betrieb, sondern im privaten Wohnbereich des Versicherten durchgeführt wird (vgl ua BSG SozR Nr 13 zu § 548 RVO; SozR 2200 § 548 Nr 72).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen und deshalb für den Senat bindend sind, war der Kläger im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses verpflichtet, die vom Versandhaus zur Verfügung gestellte Telefonanlage, das Datensichtgerät und einen Drucker innerhalb der häuslichen Räume aufzustellen und für die anfallenden Büroarbeiten zu nutzen. Der Kläger ist dieser Verpflichtung dadurch nachgekommen, daß er diese Geräte in einem 9,5 qm großen Zimmer seines Hauses aufgestellt hat. Die Vorinstanzen sind mit Recht davon ausgegangen, daß dadurch das Zimmer jedenfalls wesentlich auch betrieblichen Zwecken diente. Entgegen der Auffassung der Revision hat es dem Kläger auch unfallversicherungsrechtlich freigestanden, sich hierfür entweder eine Arbeitsecke in einem wesentlich größeren Raum (s die Auskunft des Versandhauses vom 11. April 1991, Blatt 31 der Verwaltungsakte der Beklagten) oder ein kleineres Zimmer einzurichten. Daß auch der Kläger – wie alle Beschäftigten – ein persönliches Interesse an der Aufstellung und Benutzung der Geräte hatte, um damit seinen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen, rechtfertigt entgegen der Auffassung der Revision keine andere unfallversicherungsrechtliche Beurteilung. Mit dieser Argumentation könnte letztlich auch bei allen Verrichtungen am Arbeitsplatz im Betrieb der Unfallversicherungsschutz verneint werden, da sie stets auch dazu dienen, den Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nachzukommen.

Bei einem wesentlich der versicherten Tätigkeit dienenden Zimmer gehören jedoch auch die Verrichtungen zur versicherten Tätigkeit, die dazu bestimmt sind, das Arbeitszimmer in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten. Dem hat das Tapezieren einer Wand des Zimmers gegolten, auf der sich nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG Schmutzstellen gebildet hatten. Der somit versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt war wiederum das Holen der Tapete vom Dachboden, so daß auch dabei auf dem Weg dorthin und zurück Versicherungsschutz bestanden hat. Es hat sich insbesondere nicht – wie die Revision meint – um eine unfallversicherungsrechtlich noch nicht erfaßte Vorbereitungshandlung gehandelt (s hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-11. Aufl, S 480z I), sondern um eine unmittelbar der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmte Verrichtung.

Die von der Revision für ihre gegenteilige Auffassung zitierten Urteile des Senats vom 22. November 1984 (2 RU 41/83) und vom 30. Januar 1985 (SozR 2200 § 548 Nr 67 = Breithaupt 1986, 22) betreffen wesentlich andere Sachverhalte. Dort hatte es sich um die Inspektion bzw um die Reparatur eines Pkw gehandelt, der kein Arbeitsgerät iS des § 549 RVO war, und die Inspektion bzw die Reparatur dienten wesentlich allein privaten Zwecken. Im vorliegenden Fall handelt es sich dagegen um ein Zimmer, das zumindest wesentlich auch betrieblichen Zweken dient. Ebenso rechtfertigt das Urteil des Senats vom 25. Februar 1993 (2 RU 12/92) keine andere rechtliche Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites. Es betrifft den Weg einer Versicherten innerhalb der wesentlich allein privaten Zwecken dienenden Räume ihrer Wohnung zur Aufnahme der versicherten Tätigkeit außerhalb dieser Räume. Demgegenüber ist das Holen einer Tapetenrolle für das Tapezieren des jedenfalls wesentlich auch betrieblichen Zwecken dienenden Zimmers bereits Teil der oben dargelegten versicherten Tätigkeit. Auch die von der Revision zitierte Entscheidung des BGH (NJW 1994, 1480) führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Sie verneint den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 1 RVO, weil der Verletzte sich während der Reparatur seines Pkw in der Werkstatt allein aus eigenwirtschaftlichen Gründen aufgehalten hatte. Demgegenüber ist der Kläger bei einer Tätigkeit verunglückt, die wesentlich – jedenfalls auch – dazu bestimmt gewesen ist, betrieblichen Interessen zu dienen.

Soweit die Revision schließlich auf die Schwierigkeiten der tatsächlichen Feststellung in dem „schwer kontrollierbaren (häuslichen) Bereich” hinweist, begründet dies ebenfalls keine andere Entscheidung. Diese Schwierigkeiten treten allerdings verstärkt bei versicherten Tätigkeiten auf, die ein Versicherter verrichtet, der nicht im Betrieb, nicht ständig oder wenigstens laufend in Zusammenarbeit mit anderen Arbeitnehmern tätig wird, der vielmehr den Einsatz seiner Arbeit zeitlich und örtlich weitgehend selbst planen und gestalten kann. Die – vom Senat nicht unterschätzen – Schwierigkeiten sind auch in vielen anderen Bereichen häufig vorhanden, so wenn zB ein entsprechend selbständig tätiger Versicherter einen Verkehrsunfall erleidet und festzustellen ist, ob die Fahrt dazu bestimmt war, betrieblichen Interessen zu dienen.

Da nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG auch wahrscheinlich ist, daß der Arbeitsunfall des Klägers zu Entschädigungsleistungen der Beklagten führt (vgl BSG SozR Nr 4 zu § 130 Sozialgerichtsgesetz -SGG-; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, § 130 RdNr 2), war die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1173566

BB 1995, 782

NJW 1995, 1694

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