Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 07.09.1988; Aktenzeichen L 4 Kr 57/87)

SG Osnabrück (Urteil vom 25.06.1987; Aktenzeichen S 3 Kr 38/85)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. September 1988 – L 4 Kr 57/87 – aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. Juni 1987 – S 3 Kr 38/85 – wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse dem klagenden Sozialhilfeträger Krankenhilfekosten zu erstatten hat oder ob der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 111 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) wegen Fristablaufs ausgeschlossen ist.

Die Klägerin hat die streitigen Kosten für die am 15. Januar 1983 nichtehelich geborene Tochter des bei der Beklagten versicherten Beigeladenen bis Mitte Juni 1983 aufgewendet, bevor im April 1984 dessen Vaterschaft festgestellt wurde. Sie hat ihren Erstattungsanspruch am 22. August 1984 geltend gemacht. Die Beklagte hat den Ersatz der streitigen Kosten unter Hinweis auf die einjährige Ausschlußfrist des § 111 SGB X abgelehnt. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage (hinsichtlich des hier noch streitigen Betrages) stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage mit der Begründung abgewiesen, daß der Zeitpunkt der Feststellung der Vaterschaft trotz der auf diesen Zeitpunkt abhebenden Vorschrift des § 1600a Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für das Entstehen des Ersatzanspruches nicht maßgebend sei und daher auch als Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn des § 111 SGB X auszuscheiden habe. Die Klägerin hat Revision eingelegt.

Sie beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 7. September 1988 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist begründet.

Der klagende Sozialhilfeträger hat einen Ersatzanspruch gegen die beklagte Kasse nach § 104 SGB X in Höhe der streitigen Forderung dann, wenn sie für die (am 15. Januar 1983 geborene) Tochter des Beigeladenen Leistungen erbrachte, welche die Beklagte nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als sogenannte Familienkrankenhilfe gegenüber dem Beigeladenen als ihrem Versicherten zu erbringen verpflichtet war.

Nach § 111 Satz 1 SGB X ist der Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Als die Klägerin den Erstattungsanspruch am 22. August 1984 geltend machte, waren seit ihren Leistungen, die sie letztmals Mitte Juni 1983 erbracht hatte, jedenfalls über 12 Monate vergangen. Die Klägerin kann demnach mit ihrem Erstattungsanspruch nur durchdringen, wenn die zwölfmonatige Ausschlußfrist nicht schon mit den Mitte Juni 1983 erbrachten letzten Leistungen, sondern erst nach dem – dem Datum der Geltendmachung um 12 Monate vorausgegangenen – 22. August 1983 begonnen hatte. Die Klägerin meint, die Ausschlußfrist habe erst mit der Feststellung der Vaterschaft im April 1984 zu laufen begonnen (so daß sie zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs am 22. August 1984 noch nicht abgelaufen gewesen sei), da nach § 1600a Satz 2 BGB bei nichtehelichen Kindern die Rechtswirkungen der Vaterschaft erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können.

Wie das LSG zutreffend ausführte, entsteht der für den Familienhilfeanspruch (§ 205 RVO) maßgebliche Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes gegen den Vater schon vor dem Zeitpunkt der Vaterschaftsfeststellung (vgl § 1615d BGB und Palandt, Komm BGB, 48. Aufl, Anm 4 zu § 1600a).

Dementsprechend hat auch schon vor der Anerkennung eine wenn auch nicht durchsetzbare Leistungsverpflichtung der Beklagten nach § 205 RVO bestanden, so daß die Voraussetzungen des Ersatzanspruchs hier gegeben sind.

Der Sinn des § 111 SGB X geht dahin, die Ersatzverpflichtung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers aus Gründen der Rechtssicherheit dann entfallen zu lassen, wenn der ersatzberechtigte Leistungsträger zwölf Monate nach der Entstehung des Ersatzanspruchs diesen nicht geltend gemacht hat, ihn aber objektiv hätte geltend machen können. Der gleiche Normsinn gebietet es aber, dieselbe Fristdauer dem ersatzberechtigten Leistungsträger dann einzuräumen, wenn er zwar einen Ersatzanspruch hatte, ihn aber aus allgemeinen Rechtsgründen gar nicht durchsetzen konnte. Verhindert die Vorschrift des § 1600a BGB zwar nicht das frühere Entstehen des Unterhaltsanspruchs, so bewirkt sie doch, daß der Unterhaltsanspruch nicht vor der Feststellung der Vaterschaft geltend gemacht werden kann. Daraus folgt aber, daß auch der Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X selbst dann nicht vor diesem Zeitpunkt gegen den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltend gemacht werden kann, wenn man berücksichtigt, daß der Beklagten zuvor zwar keine konkrete Leistungsverpflichtung oblag, sie die Leistung aber doch in abstrakter Weise schuldete. Demnach ist es geboten, den Satz des § 111 Satz 2 SGB X, wonach der Lauf der Frist frühestens mit der Entstehung des Erstattungsanspruchs beginnt, im Wege der Analogie dahin zu ergänzen, daß der Lauf der Frist auch dann nicht beginnt, wenn der Ersatzanspruch zwar entstanden ist, aber aus allgemeinen Rechtsgründen nicht durchgesetzt werden kann.

Die Ausschlußfrist des § 111 SGB X war demnach hier nicht abgelaufen. Der Frage, ob die Klägerin in Kenntnis der Nichtehelichkeit des Kindes und möglicherweise des Beigeladenen als des mutmaßlichen Vaters einen Erstattungsanspruch für den Fall einer späteren Anerkennung bzw Feststellung der Vaterschaft hätte vorsorglich anmelden können, war hier nicht nachzugehen. Mit dem Begriff der Geltendmachung iS des § 111 Satz 1 SGB X ist ein unbedingtes Einfordern der Leistung gemeint, nicht ein bloß vorsorgliches Anmelden, durch das der Fristablauf also gar nicht aufgehalten werden konnte.

Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG, das der Klage in dem hier noch streitigen Umfang stattgegeben hatte, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 246

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