Entscheidungsstichwort (Thema)

Anrechnung einer Kapital-Lebensversicherung auf eine wiederaufgelebte Witwenrente

 

Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Streitig ist, in welcher Höhe eine Kapital-Lebensversicherung auf eine wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen ist.

Die Klägerin bezog nach dem Tod ihres ersten Ehemannes im Jahre 1975 bis zu ihrer Wiederverheiratung im April 1981 von der Beklagten Witwenrente. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes am 31. März 1986 zahlte die B. … (B.) -Lebensversicherung AG aus zugunsten der Klägerin abgeschlossenen Kapital-Lebensversicherungen ihres verstorbenen Mannes insgesamt 168.506,45 DM aus. Hiervon beglich die Klägerin noch fällige Beiträge in Höhe von 1.090,60 DM.

Mit Bescheid vom 6. August 1986 erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf die wiederaufgelebte Witwenrente an. Auf die monatliche Rente in Höhe von 1.170,76 DM rechnete die Beklagte Leistungen aus den Lebensversicherungen in Höhe von 959,80 DM monatlich an, wobei sie die Kapitalsumme von 167.415,85 DM durch den Rentendivisor 174,20 beruhend auf den Werten der Sterbetafel 1970/72 und einem Rechnungszins von 5,5 v.H., teilte.

Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, bei einer Verrentung des Lebensversicherungskapitals hätte sie von der B.-Lebensversicherung nur 649,85 DM monatlich an Rente erhalten. Das Sozialgericht Hamburg (SG) hat eine Auskunft des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen eingeholt, wonach die Tarifbeiträge bei den deutschen Versicherungsunternehmen nach den Allgemeinen Sterbetafeln 1949/51 mit einem Rechnungszins von 3 v.H. kalkuliert werden. Die von den Lebensversicherungsgesellschaften erzielten Überschüsse würden in der Regel durch eine jährliche Erhöhung der erreichten Rente gutgebracht. Diese jährliche Rentensteigerung liege im allgemeinen zwischen 3,5 und 4,5 v.H. der Rente. Durch Urteil vom 8. September 1987 hat das LSG den angefochtenen Bescheid abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im übrigen verurteilt, auf die wiederaufgelebte Witwenrente monatlich nur 649,85 DM anzurechnen.

Das Landessozialgericht Hamburg (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. März 1988). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, nach § 68 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes AVG) seien bei dem Wiederaufleben von Witwenrenten verschiedene aus der zweiten Ehe erworbene Ansprüche, zu denen auch solche aus Lebensversicherungen zählten (Hinweis auf BSGE 38, 183), anzurechnen. Die Beklagte habe zu Recht nach den auch im privaten Versicherungsgewerbe geltenden Prinzipien unter Berücksichtigung des Lebensalters der Klägerin und der Kapitalverzinsung die monatliche Rentenleistung ermittelt. Abgesehen davon bestünden Bedenken, aus einer bestimmten, hier sogar fiktiven Anlage des Kapitals aus Lebensversicherungen die monatliche Rente zu berechnen. Der Anrechnungsbetrag sei vielmehr möglichst nach objektiven Maßstäben zu bestimmen. Gegen die Berücksichtigung der Regelungen über die Abfindung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung oder der Verordnung über die Berechnung des Kapitalwertes nach § 1295 Reichsversicherungsordnung (RVO) spreche, daß diese sich auf dynamisierte Leistungen bezögen für die ein höheres Kapital erforderlich sei als bei gleichbleibenden Renten aus einer privaten Versicherung. Am ehesten sei eine Umrechnung nach dem Bewertungsgesetz, hier der Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz, möglich. Diese ergebe bei dem vorhandenen Kapitalwert eine Monatsrente von 976,44 DM, so daß die von der Beklagten vorgenommene Anrechnung von 959,80 DM nicht zu beanstanden sei.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 68 Abs. 2 AVG. Auf ihre wiederaufgelebte Witwenrente dürften Leistungen aus den Lebensversicherungen ihres verstorbenen zweiten Ehemannes nur in Höhe von 649,85 DM angerechnet werden. Die Berücksichtigung des Versicherungskapitals müsse sich wegen des Versorgungscharakters der Lebensversicherungen auf die Summe beschränken, die sie im Falle der Verrentung tatsächlich erhalten hätte. Eine entsprechende Anwendung des § 14 Bewertungsgesetz schneide bereits wegen des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aus. Die für die Abgabenermittlung maßgebenden Kriterien seien auf den privatrechtlich begründeten Versorgungsanspruch nicht anwendbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. März 1988 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. September 1987 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie führt ergänzend aus, die von ihr vertretene Methode bei der Anrechnung von Kapitallebensversicherungen sei nicht zu beanstanden. Dies ergebe sich aus der bereits von ihr vorgelegten Auskunft des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen, wonach bei einem Vergleich der von ihr verwendeten Verrentungsdivisoren mit den bei Lebensversicherungen geltenden Rechnungsgrundlagen nur verhältnismäßig geringe Abweichungen festgestellt worden seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 Halbs 1 AVG (= § 1291 Abs. 2 Satz 2 Halbs 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO) ist auf die wiederaufgelebte Witwenrente ein von der Witwe infolge Auflösung der - weiteren - Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch anzurechnen. Die durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S. 1450) eingefügte Vorschrift des § 58 AVG (Art 2 Nr. 22 a.a.O.), die das teilweise Ruhen der Witwen-/Witwerrente bestimmt, sofern nach § 18a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB 4) anzurechnendes Einkommen vorhanden ist, ist hier nicht anzuwenden, da der für die wiederaufgelebte Witwenrente der Klägerin maßgebende Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1980 liegt (Art 2 § 25 Abs. 3 Satz 1 Halbs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgsetzes - AnVNG, eingeführt durch Art 5 Nr. 6 HEZG).

Zu den nach § 68 Abs. 2 Satz 2 Halbs 1 AVG auf die wiederauflebende Witwenrente anzurechnenden Ansprüchen zählen auch solche aus Lebensversicherungsverträgen, die vom Verstorbenen zugunsten des Hinterbliebenen abgeschlossen worden sind (BSGE 38, 183, 184f. = SozR 2200 § 1291 Nr. 2). Der Grund hierfür liegt in dem subsidiären Charakter der wiederauflebenden Witwenrente. Sie soll nur wiederaufleben, wenn und soweit nach dem Ende der weiteren Ehe eine Versorgungslücke besteht. Davon kann regelmäßig nicht ausgegangen werden, sofern aus der zweiten Ehe Vermögenswerte anfallen die dazu bestimmt oder geeignet sind, den Unterhalt des überlebenden Ehegatten zu sichern. Für die Frage, ob Vermögenswerte aus Lebensversicherungsverträgen anzurechnen sind, ist ohne Belang, ob es sich um eine Lebensversicherung handelt, aus der wiederkehrende Rentenbeträge gezahlt werden, oder ob eine Kapital-Lebensversicherung abgeschlossen worden ist, bei der die Versicherungssumme beim Tod des Versicherten in einer Summe ausgeschüttet wird. Bei der letztgenannten Versicherung ist der Betrag anzurechnen, der sich bei einer Verrentung der Kapitalsumme ergeben würde (vgl. BSG SozR 2200 § 1291 Nr. 1; BSGE 38, 183 = SozR a.a.O. Nr. 2).

Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelung bestimmen und begrenzen nicht nur die Leistungen, die nach § 68 Abs. 2 Satz 2 Halbs 1 AVG anzurechnen sind. Sie wirken sich auch auf die Art und Weise aus, wie - falls sie nicht ohnehin feststeht - die Höhe der anzurechnenden Leistung zu ermitteln ist.

Bei der Feststellung des Betrages, der Bei einer Verrentung des Kapitals einer Lebensversicherung zugrunde zu legen ist, sind anhand objektiver Kriterien die monatlich üblicherweise zu erzielenden Einkünfte zu ermitteln. Maßgebend kann daher nicht sein, welche Monatsrente die jeweilige Lebensversicherungsgesellschaft, bei der die Lebensversicherung abgeschlossen war, auszahlen würde, da erhebliche Unterschiede zwischen den Leistungen der einzelnen Lebensversicherungsgesellschaften bestehen und, worauf das LSG bereits zutreffend hingewiesen hat, in der von der B.-Lebensversicherung genannten Monatsrente die von ihr zusätzlich ausgeschütteten Zinsüberschüsse und Überschußbeteiligungen nicht enthalten sind, die im allgemeinen zu einer jährlichen Rentensteigerung zwischen 3,5 und 4,5 v.H. der Rente führen. Die Höhe dieser Überschüsse hat bei den privaten Lebensversicherungsgesellschaften zwischenzeitlich eine Erhöhung des Rechnungszinses auf 3,5 v.H. nach sich gezogen.

Mit dem LSG ist weiter davon auszugehen, daß die für Sozialleistungen geltenden Regelungen für die Ermittlung von Kapitalwerten bei Abfindungen (vgl. Verordnung über die Berechnung des Kapitalwertes bei Abfindungen von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach den §§ 604 und 616 RVO vom 17. August 1965; s auch § 1295 RVO = § 72 AVG) nicht geeignet sind, auf die Verrentung von privatrechtlichen Kapital-Lebensversicherungen übertragen zu werden, da die ihnen zugrunde liegenden Umrechnungsfaktoren nicht zu einem versicherungsmathematisch berechneten Gegenwert für den Kapitalwert führen. Auch die Umrechnung in Werteinheiten nach Ziffer 5 der Rechengrößen zur Durchführung des Versorgungsausgleichs und der Errechnung der monatlichen Rentenanwartschaft nach Ziffer 2 der genannten Vorschrift (so der Vorschlag von Herzing, MittLVA Oberfr 1987, 371, 392) scheidet aus, u.a. dieser Umrechnungsvorgang auf das durchschnittliche Erwerbseinkommen der in der gesetzlichen Rentenversicherung Versicherten abstellt und damit keinen Bezug zum Rentenwert einer Kapital-Lebensversicherung aufweist.

Für die Ermittlung der anzurechnenden Monatsrente bei einer privaten Kapital-Lebensversicherung ist neben dem - feststehenden - Kapitalwert die im voraus nicht bekannte Lebensdauer des Leistungsberechtigten und die Höhe des Rechnungszinses - des Zinssatzes also der bei der Verzinsung des Kapitalwertes zugrunde gelegt wird - von ausschlaggebender Bedeutung. Es ist nicht zu beanstanden, daß die Beklagte ihrer Berechnung hinsichtlich der voraussichtlichen Lebensdauer des Leistungsberechtigten die beim Wiederaufleben der Witwenrente im Jahre 1986 und z.Zt. noch gültige Allgemeine Sterbetafel 1970/72 (Statistisches Jahrbuch zugrunde gelegt hat, da die Allgemeine deutsche Sterbetafel die aufgrund einer Volkszählung ermittelte durchschnittliche Lebenserwartung enthält. Gegen die im anderen Zusammenhang vom Bundessozialgericht (BSG SozR 4100 § 118 Nr. 13, S. 77) erwogene und vom LSG vorgeschlagene Heranziehung der Tabellenwerte aus Anlage 9 des § 14 Bewertungsgesetz spricht, daß sie auf einer überholten Sterbetafel, nämlich Allgemeinen Sterbetafel 1960/62, beruhen, und eine Aktualisierung der Anlage 9 - ersichtlich aus abgabenspezifischen Überlegungen - nicht erfolgt ist.

Es ist ferner sachgerecht der Berechnung der Monatsrente einen Rechnungszins von 5,5 v.H. zugrunde zu legen (ebenso Anl. 9 des § 14 Bewertungsgesetz). Zwar ist für die ebenfalls versicherungsmathematischen Grundsätzen folgende steuerliche Bewertung von Pensionsrückstellungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung ein Mindestrechnungszins von 6 v.H. vorgeschrieben (§ 6a Abs. 3 Einkommenssteuergesetz i.d.F. durch Art 26 Nr. 1 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22. Dezember 1981 - BGBl I S. 1523). Das zwingt aber nicht dazu, auch im vorliegenden Fall einer Rechnungszins von 6 v.H. anzuwenden.

Nach allem hat die Beklagte zu Recht den monatlichen Rentenwert der Kapitalsumme von 167.415, 85 DM durch Division mit dem Verrentungsdivisor von 174, 420 der sich auf die Werte der Allgemeinen Sterbetafel 1970/72 sowie auf einen Rechnungszins von 5,5 v.H. gründet, berechnet. Hieraus ergibt sich ein anzurechnender Betrag in Höhe von 959,80 DM monatlich.

Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518884

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