Leitsatz (amtlich)

Hat ein arbeitsloser Versicherter eine geringfügige Beschäftigung ausgeübt und während dieser Zeit einerseits weiter Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten, andererseits aber Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet, so bleiben diese bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage unberücksichtigt (§ 1255 Abs 7 S 2 RVO). Sie stehen einer Anrechnung dieser Zeit als Ausfallzeit nicht entgegen (Anschluß an BSG 1973-05-17 12 RJ 190/72 = SozR Nr 13 zu § 1255 RVO).

 

Normenkette

RVO § 1255 Abs 7 S 2 Fassung: 1971-12-22, § 1259 Abs 1 S 1 Nr 3 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.09.1981; Aktenzeichen L 10 J 105/81)

SG Oldenburg (Entscheidung vom 13.02.1981; Aktenzeichen S 8 J 609/79)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von Ausfallzeiten.

Auf Antrag des Klägers stellte die Beklagte am 10. November 1977 dessen Versicherungsverlauf in Form eines Bescheides fest. Hierbei sind ua die Zeiten von Mai 1952 bis Juni 1957, von Oktober 1957 bis zum 13. Juli 1958 und von November 1958 bis zum 22. August 1959 entsprechend den Eintragungen in den Versicherungskarten als Pflichtbeitragszeiten aufgeführt. Während dieser Zeiten war der Kläger arbeitslos gemeldet, er bezog nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) "Arbeitslosengeld bzw Arbeitslosenhilfe und übte geringfügig entlohnte Beschäftigungen in landwirtschaftlichen Betrieben aus". Dieser Nebenverdienst soll auf die aus der Arbeitslosenversicherung gewährten Leistungen angerechnet worden sein.

Nachdem der Kläger geltend gemacht hatte, während der streitigen Zeiträume versicherungsfrei gewesen zu sein, stellte die Beklagte weitere Ermittlungen an. Sie teilte ihm durch Bescheid vom 26. Oktober 1979 mit, daß § 1255 Abs 7 S 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) hier keine Anwendung finde; mit Pflichtbeiträgen belegte Zeiten der Arbeitslosigkeit seien keine Ausfallzeiten. Als sie während des anschließenden Klageverfahrens mit Bescheid vom 17. Januar 1980 Altersruhegeld gewährte, legte sie die streitigen Zeiten ebenfalls als Beitragszeiten zugrunde; den Bescheid vom 26. Oktober 1979 hob sie auf.

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts -SG- Oldenburg vom 13. Februar 1981 und des LSG Niedersachsen vom 24. September 1981). Das LSG hat ausgeführt, der Feststellungsbescheid vom 10. November 1977 stehe einer gerichtlichen Überprüfung des Anspruchs nicht entgegen, weil die Beklagte mit Bescheid vom 26. Oktober 1979 über die strittigen Zeiten erneut entschieden habe, ohne sich auf die Bindungswirkung des früheren Bescheides zu berufen. Dieser Bescheid und der ihn ersetzende Altersruhegeldbescheid seien jedoch rechtmäßig. Die Pflichtbeitragszeit verdränge eine Ausfallzeit. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 17. Mai 1973 - 12 RJ 190/72 - (= SozR Nr 13 zu § 1255 RVO) entschieden, daß dann, wenn niedrige Beiträge während einer geringfügigen Beschäftigung entrichtet worden seien, der Ausfallzeit in Anwendung des § 1255 Abs 7 RVO der Vorrang zukomme. Indessen enthalte die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 9. Dezember 1975 - GS 1/75 - (= BSGE 41, 41 = SozR 2200 § 1259 Nr 13) insoweit eine Klarstellung, daß Beiträge, die während eines fortbestehenden Ausfallzeittatbestandes geleistet seien, nach § 1255 Abs 7 RVO nur berücksichtigt werden könnten, wenn dies ausdrücklich angeordnet sei oder wenn eine Abweichung vom Prinzip des Vorrangs der Beitragszeiten in Wahrheit nicht vorliege. Es bestehe aber keine Regelung, daß eine Pflichtbeitragszeit mit sehr niedriger Beitragshöhe eine Ausfallzeit nicht verdränge.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die unrichtige Anwendung materiellen Rechts. Er habe während fortbestehender Arbeitslosigkeit mit seiner geringfügigen Beschäftigung wöchentlich 9,- DM bei einer Arbeitszeit von 15 Stunden verdient. Ein derartiger Sachverhalt werde von § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO erfaßt, denn die Vorschrift solle verhindern, daß wertlose oder niedrige Beiträge die persönliche Bemessungsgrundlage minderten. Die Entscheidung des Großen Senats habe einen anderen Sachverhalt betroffen.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24.9.1981, das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg aufzuheben und den Bescheid der Beklagten dahingehend abzuändern, daß die Zeiten vom 1. Mai 1952 bis zum 31. Dezember 1956, vom 1. Januar 1957 bis zum 30. Juni 1957, vom 1. Januar 1958 bis zum 13. Juli 1958 und vom 1. November 1958 bis zum 22. August 1959 als weitere Ausfallzeiten bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen und die in dieser Zeit entrichteten Pflichtbeiträge als Höherversicherungsbeiträge anzurechnen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist zum wesentlichen Teil begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß die strittigen im Zeitraum zwischen dem 1. Mai 1952 und dem 22. August 1959 zurückgelegten Zeiten der Arbeitslosigkeit bis auf zwei Teilmonate bei der Berechnung des Altersruhegeldes als Ausfallzeiten berücksichtigt und die in der Zeit geleisteten Beiträge - soweit nach dem 31. Dezember 1956 entrichtet - als Höherversicherungsbeiträge iS des § 1260a RVO angerechnet werden.

Der gerichtlichen Überprüfung steht der von der Beklagten als Bescheid deklarierte, am 10. November 1977 erteilte Versicherungsverlauf nicht entgegen, denn nach § 17 Abs 3 der hier anzuwendenden Datenerfassungs-Verordnung - DEVO - vom 24. November 1972 (BGBl I, 2159) ist der Versicherungsverlauf kein die Beteiligten bindender Verwaltungsakt (vgl auch Urteil des erkennenden Senats vom 31. August 1978 - 4/5 RJ 102/76 - = SozR 7290 § 74 Nr 1). Ob unter besonderen Umständen in der Erteilung (Übersendung) des Versicherungsverlaufs zugleich eine die Beteiligten bindende "Vormerkung" liegen kann, wie dies in der Entscheidung des 11. Senats des BSG angenommen worden ist (Urteil vom 31. Januar 1980 - 11 RA 2/79 = BSGE 49, 258, 261), bedarf in diesem Fall keiner Prüfung, weil irgendwelche besonderen Umstände hier nicht vorliegen; der Kläger hat lediglich antragsgemäß den Versicherungsverlauf erhalten. Im übrigen wäre, selbst wenn man von einem bindend gewordenen Feststellungsbescheid vom 10. November 1977 ausginge, der geltend gemachte Anspruch dennoch uneingeschränkt nachprüfbar. Das LSG weist zutreffend darauf hin, daß die Beklagte ihren mit der Klage angegriffenen Bescheid vom 26. Oktober 1979 aufgrund weiterer Ermittlungen und erneuter Sachprüfung erteilt und sich zudem nicht auf die (etwaige) Bindung des früheren Bescheides berufen hat; sie hat also einen sogenannten Zweitbescheid erteilt (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 2. Aufl, Anm 9 nach § 54 und die dort zitierte Rechtsprechung).

Der Anspruch gründet sich auf § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO. Diese Vorschrift, die idF des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes 1957 zunächst nur bestimmt hatte, daß die in der Zeit vom 1. Oktober 1921 bis zum 31. Dezember 1923 entrichteten Beiträge bei Anwendung der Abs 1 und 3 (Errechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage) unberücksichtigt bleiben, gewann durch den mit dem 1. Rentenversicherungs-Änderungsgesetz -1. RVÄndG- vom 9. Juni 1965 (BGBl I, 476) angefügten Satz 2 einen neuen, weitergehenden Regelungsinhalt: Nunmehr galt Satz 1 auch für die "während einer anzurechnenden Ausfall- oder Zurechnungszeit entrichteten Beiträge". Damit wurde gegenüber der die Inflationsbeiträge betreffenden, letztlich nur versicherungstechnischen Regelung eine Vorschrift geschaffen, die im Zusammenhang mit der Konzeption des 1. RVÄndG gesehen werden muß, nämlich nach Möglichkeit Härten zu beseitigen, die bei der Bewertung beitragsloser Zeiten aufgetreten waren. Gleichzeitig sollten Rentenberechtigte vor Nachteilen geschützt werden, die entstehen könnten, wenn ausnahmslos die während solcher Zeiten geleisteten Beiträge berücksichtigt würden (vgl BSG, Urteil vom 17. Mai 1973 - 12 RJ 190/72 - = SozR Nr 13 zu § 1255 RVO unter Hinweis auf BT-Drucks IV/2572, Begründung zu Nr 12 S 25; ferner Gellhorn, BArbl 1965, S 588, 591 und Pappai aaO S 599, 600). Dementsprechend lautete die Begründung des Ausschusses für Sozialpolitik, auf dessen Initiative die Vorschrift aufgenommen wurde (BT-Drucks IV/3233 S 4,5): "Die Ergänzung des Absatzes 7 soll ein Absinken des für die Berechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage maßgebenden Vomhundertsatzes vermeiden. Die Bewertung der Beiträge erfolgt nach § 1260a".

Aufgrund des Wortlauts, des Normzwecks und der Entwicklungsgeschichte des § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO müssen die streitigen Zeiten, für die während der Arbeitslosigkeit Beiträge geleistet wurden, als Pflichtbeitragszeiten bei der Rentenberechnung außer Ansatz bleiben und als Ausfallzeiten gewertet werden. Diese Beiträge sind während einer anzurechnenden Ausfallzeit entrichtet. Der 12. Senat des BSG hat in dem bereits erwähnten Urteil (SozR Nr 13 zu § 1255 RVO) entschieden, daß bei der Errechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung unberücksichtigt bleiben, wenn sie während einer als Ausfallzeit anrechenbaren Zeit der Arbeitslosigkeit aufgrund geringfügiger Beschäftigung iS des § 75 Abs 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) entrichtet worden sind. Dem schließt sich der erkennende Senat an, da - wie vorliegend - die Arbeitslosigkeit trotz Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung fortbestanden hat, weil es sich um eine geringfügige Beschäftigung handelte (§ 66 Abs 2 Nr 2 iVm § 75 Abs 2 AVAVG idF vom 3. April 1957 - BGBl I, 321, 706 -, vorher § 75a AVAVG aF iVm § 87a AVAVG). Dabei lag die Geringfügigkeitsgrenze nach § 75a AVAVG aF bei 10,- RM/DM wöchentlich oder 45,- RM/DM monatlich, nach § 66 AVAVG iVm § 3 der am 1. April 1957 in Kraft getretenen Ersten Verordnung zur Durchführung des AVAVG (BGBl I, 365) bei 15,- DM wöchentlich oder 65,- DM monatlich. In der gesetzlichen Rentenversicherung bestanden inhaltlich und hinsichtlich der Betragsgrenzen andere Regelungen für die Pflichtversicherung. Dies erklärt, daß der Kläger dort als versicherungspflichtig angesehen und zur Beitragsleistung herangezogen worden ist, was im übrigen jetzt und in diesem Verfahren nicht mehr nachgeprüft werden kann (vgl § 1423 Abs 2 RVO). Der Grund hierfür liegt darin, daß Personen, die "berufsmäßig" eine Lohnarbeit (versicherungspflichtige Beschäftigung) ausübten, in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht schon allein wegen der Geringfügigkeit ihres Arbeitseinkommens von der weiteren Versicherungspflicht befreit sein sollten; dies hätte möglicherweise zur Folge gehabt, daß sie die für den Erwerb von Versicherungsansprüchen vorgeschriebene Wartezeit nicht erreicht hätten (vgl hierzu Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 18. Dezember 1934, AN 1936 S IV 17 Nr 4933). Hingegen bestand im Hinblick auf die andere Zielsetzung der Arbeitslosenversicherung dort weder dafür Veranlassung, die Beitragspflicht auch während einer geringfügigen Beschäftigung andauern zu lassen, noch dafür, einen solchen Sachverhalt als leistungshindernd anzusehen. Den Prinzipien der Arbeitslosenversicherung ist vielmehr hinreichend dadurch entsprochen worden, daß das während des Leistungsbezugs erzielte Arbeitsentgelt im Rahmen gewisser Freigrenzen zur Anrechnung gelangte. Indessen sind diese unterschiedlichen Regelungsinhalte hinsichtlich der Bewertung geringfügiger Beschäftigungen kein Hinderungsgrund, den Begriff "Arbeitslosigkeit" in derselben Bedeutung und unter denselben Voraussetzungen bei der Ausfallzeitvorschrift des § 1259 Abs 1 Nr 3 RVO anzuwenden, wie er im jeweils geltenden Recht der Arbeitslosenversicherung geregelt war. Wenn - wie hier - eine Beschäftigung wegen ihres niedrigen Entgelts für den Tatbestand "Arbeitslosigkeit" in der Arbeitslosenversicherung unbeachtlich war, müssen auch in der Rentenversicherung die an das Bestehen von Arbeitslosigkeit geknüpften Folgen hinsichtlich der Rentenberechnung eintreten. Ein Versicherter, der sich sozialadäquat verhält und versucht, seiner Arbeitslosigkeit zu begegnen, indem er mit Genehmigung des Arbeitsamtes eine geringfügige Beschäftigung aufnimmt und so den Unterstützungsbetrag senken hilft, darf dadurch in der gesetzlichen Rentenversicherung keinen Nachteil erleiden und nicht schlechter gestellt sein als eine Vergleichsperson, die "nur" arbeitslos ist.

Dem gewonnenen Ergebnis steht der Beschluß des Großen Senats vom 9. Dezember 1975 nicht entgegen. Insbesondere ist durch jene Entscheidung das oben erwähnte Urteil des 12. Senats weder "überholt", wie die Beklagte annimmt, noch hat der Beschluß eine Klarstellung in dieser Richtung gebracht. Seine Bindungswirkung ist aus der Anfrage und der Antwort zu ermitteln. In der Entscheidung des Großen Senats in BSGE 41, 41 ging es darum, ob Beiträge, die für einen Teilmonat während einer für denselben Kalendermonat anzurechnenden Ausfallzeit wegen Arbeitsunfähigkeit aufgrund des nach einem Tarifvertrag im Baugewerbe während der Wintermonate als Lohnersatzleistung gezahlten Entgelts entrichtet worden sind, gemäß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO zu berücksichtigen sind. Es handelte sich also um ein Rechtsfrage, die weder mit der vom erkennenden Senat zu entscheidenden identisch ist, noch mit derjenigen, die Gegenstand des erwähnten Urteils des 12. Senats war. Deshalb bedarf es vorliegend auch keiner Erörterung, ob die Aufzählung von Fallgruppen, auf die § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO anzuwenden sein soll, als erschöpfend aufzufassen ist; der Senat neigt dazu, dies zu verneinen. Die Formulierungen "Es wird (wurde) angenommen, daß ...." sind eher berichtend als entscheidend zu verstehen. Jedenfalls hat der Große Senat die vom 12. Senat entschiedene Rechtsfrage nicht im negativen Sinne erwähnt (obgleich jenes Urteil in anderem Zusammenhang - aa0 S 55 - zitiert ist), so daß es sich nach der Ansicht des erkennenden Senats verbietet, daraus Folgerungen in der einen oder anderen Richtung zu ziehen.

Auch der erkennende Senat geht davon aus, daß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO eng auszulegen ist. Dem Wortlaut allein ist zwar keine Einschränkung zu entnehmen, so daß der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger im Gegensatz zu seiner jetzt vertretenen Auffassung (VDR-Komm zur RVO Stand 1. Januar 1981, § 1255 RVO Anm 23) zunächst die während einer Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 RVO entrichteten Beiträge stets hatte unberücksichtigt lassen wollen (Rdschr 100/65 des VDR, Frage 95). Indessen bleibt zu beachten, daß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO eine Ausnahmevorschrift darstellt, die an sich systemwidrig ist, weil sie dem Grundsatz zuwiderläuft, daß die stärkere die schwächere Zeit verdrängt und eine Zeit, die Beitragszeit ist, begrifflich nicht (zugleich) Ausfallzeit sein kann (vgl GS aaO 51, BSGE 42, 123, 125 = SozR 2200 § 1259 Nr 19; SozR aaO Nr 12). Andererseits bleibt aber auch anzumerken, daß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO eine Berechnungsvorschrift ist, die an der Funktion der Beitragszeit für den Leistungserwerb nichts ändert. Es kommt darauf an, unter welchen Kriterien die einengende Auslegung vorgenommen und welche Fallgruppe von ihr erfaßt werden soll. Die Auffassung des Großen Senats, Ausnahmen (von der Berechnung als Beitragszeit) nur dort zuzulassen, wo sie entweder ausdrücklich angeordnet seien oder wo eine Abweichung von dem Prinzip des Vorrangs von Beitragszeiten wegen besonderer Sachgestaltung in Wahrheit nicht vorliege, führen noch nicht zu einer befriedigenden Lösung; die in diesem Zusammenhang nur erwähnte Entscheidung in BSGE 19, 239, 240 betrifft einen Fall, in dem nach der Ansicht des Revisionsgerichts überhaupt keine Ausfallzeit vorlag, so daß sich auch die Frage des § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO nicht stellen konnte.

Der Senat vertritt, wie in anderem Zusammenhang bereits dargelegt, jedenfalls die Ansicht, daß § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO nicht allein deshalb unanwendbar ist, weil während einer anzurechnenden Ausfallzeit Beiträge aufgrund einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet worden sind. Das für freiwillige Beiträge herangezogene Merkmal, sie seien nicht geeignet, den Fortbestand einer Ausfallzeit zu verhindern und berührten den Ausfallzeittatbestand in keiner Weise (GS aaO S 55), gilt auch für die während fortbestehender Arbeitslosigkeit aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung im Sinn des AVAVG entrichteten Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Überdies sanktioniert § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO selbst einen - vom GS unerörtert gelassenen - Anwendungsfall, in dem Pflichtbeiträge unberücksichtigt bleiben. Durch das Gesetz zur Änderung des Reichsknappschaftsgesetzes und anderer Gesetze vom 22. Dezember 1971 (BGBl I, 2110) sind in § 1255 Abs 7 Satz 2 die Worte "sowie die während des Bezuges von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus" eingefügt worden. Die Richtlinien über die Gewährung von Anpassungsgeld an Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus vom 13. Dezember 1971 (BAnz Nr 233), zuletzt geändert am 31. Oktober 1978 (BAnz Nr 209), sehen in § 5 Abs 5 vor, daß bei Aufnahme einer mehr als geringfügigen Beschäftigung in einem nichtknappschaftlichen Betrieb oder einer Bergbauspezialgesellschaft das Anpassungsgeld für die Dauer dieser Beschäftigung oder Tätigkeit nur noch in Höhe von 40 vH gewährt wird. Daraus ergibt sich, daß die Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung den Bezug des Anpassungsgeldes dem Grunde nach unberührt läßt. So heißt es auch in der Begründung zu dem oben erwählten Änderungsgesetz vom 22. Dezember 1971 (BT-Drucks VI/2900): "Die Neufassung regelt die versicherungsmäßige Behandlung der Arbeitsentgelte, die Bezieher von Anpassungsgeld durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung erzielen. Mit Rücksicht darauf, daß Bezieher von Anpassungsgeld grundsätzlich so gestellt werden, als ob sie ihre bisherige knappschaftliche Tätigkeit fortsetzen, bleiben diese Entgelte bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage außer Betracht. Die Regelung rechtfertig sich aus der Überlegung, daß die Bezieher von Anpassungsgeld außerhalb des Bergbaus ihre bisherigen Entgelte nicht erreichen werden....".

Nach alledem gelangt der Senat zu dem Ergebnis, daß die vom Kläger während der durch Arbeitslosigkeit bedingten Ausfallzeit entrichteten Pflichtbeiträge nach § 1255 Abs 7 Satz 2 RVO für die persönliche Rentenbemessungsgrundlage außer Ansatz bleiben. Dabei ist bereits im Bereich des AVAVG bzw AFG durch eindeutige gesetzliche Abgrenzungskriterien dafür Sorge getragen, daß es sich um typischerweise sehr niedrige Beiträge handelt, die für den Fall ihrer Berücksichtigung in aller Regel zu einer Verminderung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage führen würden. Wäre in einem - wohl sehr seltenen - Einzelfall innerhalb der Fallgruppe, über die der Senat entscheidet, die Anrechnung als Beitragszeit günstiger, müßte es allerdings ebenfalls bei der Berücksichtigung als Ausfallzeit bleiben, weil eine Meistbegünstigung nicht möglich ist (hierzu ua BSG, Urteil vom 14. November 1976 - 1 RA 131/75 = SozR 2200 § 1255 Nr 6).

Keinen Erfolg konnte die Revision hinsichtlich der Teilmonate vom 1. bis zum 13. Juli 1958 sowie vom 1. bis zum 22. August 1959 haben. Da diese Kalendermonate bereits mit Pflichtbeiträgen außerhalb der Arbeitslosigkeit belegt sind, können sie bei der Rentenberechnung nur als Beitragsmonate in Ansatz kommen (vgl Urteile des 12. Senats aaO, des erkennenden Senats vom 14. Januar 1982 - 4 RJ 89/80 - und zuletzt des 1. Senats vom 1. Juni 1982 - 1 RA 95/81 -).

Bleiben mithin die während der im Urteilstenor genannten Ausfallzeiten entrichteten Pflichtbeiträge nach § 1255 Abs 7 RVO unberücksichtigt, so sind sie als Höherversicherungsbeiträge iS des § 1260a RVO zu bewerten. Entgegen dem Revisionsantrag gilt dies aber gemäß § 1260a RVO nicht für sämtliche strittigen Zeiten, sondern nur insoweit, als die Beiträge nach dem 31. Dezember 1956 liegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; eine Kostenteilung erschien nicht angemessen, weil der Kläger nur zu einem ganz geringen Teil unterliegt.

 

Fundstellen

BSGE, 125

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