Entscheidungsstichwort (Thema)

Bemessung des Arbeitslosengeldes bei Leistungsminderung

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bemessung (Höhe) des Arbeitslosengeldes von Arbeitslosen, die nach AFG § 103 Abs 1 S 2 Nr 1 iVm Abs 2 S 2 idF vom 1969-06-25 als verfügbar für die Arbeitsvermittlung anzusehen sind (sogenannte Nahtlosigkeitsfälle).

 

Orientierungssatz

AFG § 103 Abs 1 S 2 Nr 1 iVm Abs 2 S 2 fingiert keine Volleistungsfähigkeit des Arbeitslosen, sondern grundsätzlich nur die Fähigkeit, im Rahmen seines Berufs oder zumutbarer Verweisungsberufe die Hälfte des Einkommens eines vergleichbaren gesunden Versicherten zu erzielen (vgl BSG 1977-05-26 12 RAr 13/77 = BSGE 44, 29 mwN). Bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes ist es deshalb gerechtfertigt, insoweit von einer gerade über der Geringfügigkeitsgrenze des AFG § 102 liegenden Wochenstundenzahl auszugehen.

 

Normenkette

AFG § 102 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 103 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Fassung: 1969-06-25, Abs. 2 S. 2 Fassung: 1969-06-25, § 112 Abs. 8 Fassung: 1969-06-25; RVO § 1246 Fassung: 1957-02-23; AFG § 112 Abs. 8 S. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 30.01.1978; Aktenzeichen L 1 Ar 765/77)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.05.1977; Aktenzeichen S 16/18 Ar176/74)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. Januar 1978 zu Ziffer II und III aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1977 wird abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg).

Der 1921 geborene und am 21. Juli 1976 verstorbene Ehemann der Klägerin (Rudolf M.) war zuletzt bis Juli 1973 bei einer Bauunternehmung als Hilfsarbeiter beschäftigt. Anschließend war er bis zum 23. November 1973 arbeitsunfähig erkrankt. Er litt an einer Bulbärparalyse im Rahmen einer alyotrophen Lateralsklerose, die sich in zunehmenden Sprachstörungen, Schluckbeschwerden und weiteren Symptomen äußerte und schließlich zum Ableben führte.

Am 15. November 1973 meldete sich Rudolf M. beim Arbeitsamt arbeitslos und beantragte Alg. Er gab im Antrag an, aus gesundheitlichen Gründen täglich nur noch sechs Stunden arbeiten zu können. Demgegenüber kam die Amtsärztin der Beklagten zu dem Ergebnis, daß Rudolf M. unter gewissen Einschränkungen noch ganztags arbeiten könne. Da Rudolf M. auch nach der arbeitsärztlichen Untersuchung bei seiner Meinung blieb, nur noch sechs Stunden täglich arbeiten zu können, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. März 1974 die Gewährung von Alg ab. Sie begründete die Ablehnung mit der mangelnden Verfügbarkeit des Rudolf M., da dieser nicht bereit sei, jede ihm mögliche Arbeit auszuüben. Aufgrund seiner Erklärung im Widerspruchsverfahren, daß er mit der Einschränkung auf sechs Stunden täglich lediglich die Ansicht seines Hausarztes wiedergegeben habe, er vielmehr bereit sei, eine vollschichtige Beschäftigung anzunehmen, gewährte ihm die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1974 Alg ab 5. März 1974. Im übrigen wies sie den Widerspruch zurück.

Dagegen erhob Rudolf M. Klage. Nach seinem Tode wurde der Rechtsstreit von seiner Ehefrau als Klägerin fortgesetzt. Bereits am 29. Mai 1974 hatte Rudolf M. bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Hessen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) beantragt, welche diese mit Bescheid vom 30. Januar 1975 ab 1. Mai 1974 bewilligte. Die LVA stellte den Eintritt des Versicherungsfalles am 13. August 1973 fest. Der behandelnde Arzt gab auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) in seinem Befundbericht vom 28. März 1977 an, daß Rudolf M. ab November 1973 nicht mehr in der Lage gewesen sei, irgendeine Arbeit zu verrichten. Das SG Frankfurt (Main) hob mit Urteil vom 27. Mai 1977 die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte diese, Alg für die Zeit vom 26. November 1973 bis 4. März 1974 an die Ehefrau des Rudolf M. als dessen Rechtsnachfolgerin zu gewähren. Das SG stützte sich zur Begründung vor allem darauf, daß die Beklagte den Rentenversicherungsträger gemäß § 103 Abs 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) hätte einschalten müssen, um die bereits im November 1973 bestehende EU feststellen zu lassen.

Hiergegen legte die Beklagte am 29. Juli 1977 die vom SG zugelassene Berufung ein. Durch Bescheid vom 26. August 1977 entschied sie sich jedoch zur Bewilligung von Alg ab 26. November 1973 für 312 Wochentage auf der Grundlage einer Wochenarbeitszeit von 21 Stunden (wöchentlicher Leistungssatz: 103,20 DM). Sie berief sich dafür auf eine abschließende ärztliche Begutachtung durch ihren leitenden Arzt, wonach der verstorbene Rudolf M. in dem maßgeblichen Zeitraum lediglich Arbeiten mit einer täglichen Arbeitszeit von einer bis höchstens drei Stunden hätte verrichten können. Die Beklagte hielt damit zwar den Rechtsstreit für erledigt, beantragte jedoch in der mündlichen Verhandlung, die Klage gegen den Bescheid vom 26. August 1977 abzuweisen.

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. August 1977 verurteilt, Alg auf der Grundlage einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden zu gewähren (Urteil vom 30. Januar 1978). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, daß der Bewilligungsbescheid vom 26. August 1977 gemäß §§ 153 Abs 1, 96 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sei. Der Rechtsstreit sei jedoch durch den den Anspruch dem Grunde nach anerkennenden Bescheid nicht erledigt worden, da die Klägerin das Anerkenntnis nicht angenommen habe (§ 101 Abs 2 SGG). Die Berufung sei unbegründet, wovon auch die Beklagte ausgehe. Der Klage, die auf die Zahlung des Alg in voller Höhe gerichtet sei, sei stattzugeben gewesen. Insoweit werde nicht auf eine Berufung, sondern auf eine Klage hin entschieden. Nach den tatsächlichen Feststellungen sei das Leistungsvermögen von Rudolf M. derart eingeschränkt gewesen, daß er keine Arbeitsleistung von mehr als geringfügiger Dauer habe erbringen können. Es komme daher § 103 Abs 2 AFG zur Anwendung. Bei der Anwendung dieser Vorschrift müsse § 112 Abs 8 AFG so ausgelegt werden, daß der Arbeitslose eine Arbeitszeit in üblichem zeitlichem Umfange zu leisten in der Lage sei. Der Umfang der für Rudolf M. in Betracht gekommenen Arbeiten betrage nach den einschlägigen tariflichen Vorschriften regelmäßig 40 Stunden wöchentlich. Auf die - wie im vorliegenden Falle - sehr unterschiedlichen Einschätzungen des Arbeitsvermögens eines Arbeitslosen könne im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung nicht abgestellt werden. Die Leistungshöhe dürfe auch nicht von Zufälligkeiten wie zB der eigenen Einschätzung des Leistungsvermögens durch den Arbeitslosen selbst abhängen. Diese Auslegung des § 112 Abs 8 AFG müsse jedenfalls in den Fällen stattfinden, in denen der Arbeitslose selbst von einer Arbeitsfähigkeit in mehr als geringfügigem Umfange ausgehe und in denen die ärztlichen Beurteilungen schwankten.

Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen § 112 Abs 8 iVm § 103 Abs 2 Satz 2 AFG und führt hierzu aus: Die Auslegung des LSG könne aus dem Urteil des 12. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 26. Mai 1977 (BSGE 44, 29), auf das sich das LSG gestützt habe, nicht entnommen werden. Dort sei vielmehr zum Ausdruck gekommen, daß bei der Fiktion des § 103 Abs 2 AFG von der Fähigkeit des Arbeitslosen auszugehen sei, die Hälfte des Einkommens eines Gesunden zu erzielen, nicht jedoch "mindestens" die Hälfte. Es sei danach in Fällen der vorliegenden Art lediglich die Fähigkeit zu bejahen, eine der Art - und nicht dem zeitlichen Umfang nach - auf dem Arbeitsmarkt übliche Tätigkeit zu verrichten. Im übrigen müsse nach der Rechtsauffassung des LSG einem Arbeitslosen, der deshalb unter die Regelung des § 103 Abs 2 AFG falle, weil er nur noch weniger als 20 Stunden wöchentlich arbeiten könne, Alg auf der Grundlage von 40 Wochenstunden gewährt werden, während ein Arbeitsloser mit einer Arbeitsfähigkeit von zB 30 Stunden gemäß § 112 Abs 8 AFG nur ein auf dieser Grundlage berechnetes Alg erhalten könnte.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 27. Mai 1977 insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als die Beklagte verurteilt worden ist, Arbeitslosengeld nach einer höheren Wochenarbeitszeit als 21 Stunden zu gewähren.

Die Klägerin war im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Klägerin, die als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes (§ 56 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil - SGB 1 -) den Rechtsstreit fortgesetzt hat (§ 239 Zivilprozeßordnung - ZPO -), steht eine höhere Leistung, als sie die Beklagte für Rudolf M. nachträglich bewilligt hat, nicht zu.

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist nur noch der Bescheid der Beklagten vom 26. August 1977, durch den diese zugunsten von Rudolf M. ab 26. November 1973 Alg für 312 Wochentage bewilligte, wobei sie für die Höhe des Alg von einer möglichen Wochenarbeitszeit von 21 Stunden ausging. Das LSG hat insofern zutreffend erstinstanzlich entschieden, denn der Bescheid ist erst während des Berufungsverfahrens ergangen und nach § 96 SGG (iVm § 153 Abs 1 SGG) Gegenstand des Verfahrens vor dem LSG geworden, so daß er als mit der Klage angefochten gilt (vgl BSGE 18, 231, 234). Die Beklagte hat das Berufungsurteil nur in Bezug auf die Entscheidung des LSG über jenen Bescheid angefochten, so daß die weitergehende Entscheidung des LSG rechtskräftig geworden ist.

Zu Unrecht hat das LSG jedoch den Bescheid der Beklagten vom 26. August 1977 abgeändert und die Beklagte verurteilt, das Rudolf M. seit 26. November 1973 zustehende Alg nach einer höheren Wochenarbeitszeit (40 Stunden) als nach 21 Stunden zu bemessen. Nach den - insoweit nicht angegriffenen-Feststellungen des LSG war Rudolf M. bereits bei Eintritt seiner Arbeitslosigkeit im November 1973 wegen seiner Krankheiten in seiner Leistungsfähigkeit derart gemindert, daß er nicht mehr in der Lage war, mehr als ein bis drei Stunden täglich zu arbeiten. Die für den Anspruch auf Alg erforderliche Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung von Rudolf M. richtet sich deshalb nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG in der Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl I 582), denn die Änderung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur im Geltungsbereich des AFG und des Bundesversorgungsgesetzes - HStruktG-AFG - vom 18. Dezember 1975 (BGBl I 3113) trat erst am 1. Januar 1976 in Kraft (Art 5 § 1 HStruktG-AFG). Die übrigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg (§ 100 Abs 1 AFG) hatte Rudolf M. nach den Feststellungen des LSG erfüllt.

Nach § 103 Abs 1 AFG steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer 1.) eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf sowie 2.) bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann. Satz 2 der Vorschrift lautet sodann: "Nummer 1 gilt nicht hinsichtlich der Arbeitszeit; der Arbeitsvermittlung steht jedoch nicht zur Verfügung, wer nur geringfügige Beschäftigungen (§ 102) ausüben kann oder darf, weil er

1.

in seiner Leistungsfähigkeit gemindert und berufsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung ist oder

2.

tatsächlich oder rechtlich gebunden ist."

Danach trifft das Gesetz zwar hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit, für die der Arbeitslose (noch) der Vermittlung zur Verfügung steht, eine Ausnahmeregelung, indem er diese grundsätzlich von dem Obersatz in § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG in der Weise löst, daß die Dauer der Arbeitszeit nicht den üblichen Bedingungen zu entsprechen braucht (BSG SozR 4100 § 103 Nr 6; vgl auch BSG SozR 4100 § 103 Nr 17). Diese Ausnahme gilt allerdings, wie Satz 2 des § 103 Abs 1 AFG zeigt, prinzipiell nur bis zur Grenze der Geringfügigkeit der Arbeitszeitdauer iS von § 102 AFG, dh bis zu einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden; denn nach § 102 Abs 1 Satz 1 AFG in der hier maßgeblichen (oa) Fassung vom 25. Juni 1969 ist eine Beschäftigung geringfügig, die auf nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich der Natur der Sache nach beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch einen Arbeitsvertrag beschränkt ist. Die Herabsetzung dieser Geringfügigkeitsgrenze des § 102 Abs 1 Satz 1 AFG auf "weniger als 20 Stunden wöchentlich" durch das Einführungsgesetz zum Einkommensteuerreformgesetz vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656 - EG-EStRG) kommt hier nicht zum Tragen, da sie erst ab 1. Januar 1975 in Kraft trat (Artikel 50 Abs 1 EG-EStRG). Die Worte "geringfügig" in §§ 102 und 103 AFG wurden - wie auch in anderen Vorschriften - ab 1. Juli 1977 durch die Worte "kurzzeitig" ersetzt, ohne daß hierdurch eine sachliche Änderung eingetreten ist (vgl Art II § 9 Nr 1 iVm § 21 Abs 1 des Sozialgesetzbuches, Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB 4 - vom 23. Dezember 1976 - BGBl I 3845).

Derjenige Arbeitslose, der - wie Rudolf M. - nur noch in der Lage ist, eine wöchentliche Arbeitszeit von bis zu 20 Stunden zu leisten, erfüllt das für seinen Alg-Anspruch erforderliche Merkmal der Verfügbarkeit nach der Einschränkung in § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG lediglich dann, wenn dieser Umstand auf eine Minderung seiner Leistungsfähigkeit zurückzuführen und er berufsunfähig iS der gesetzlichen Rentenversicherung ist. Der § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 2 AFG sieht insoweit einen weiteren - hier aber nicht einschlägigen - Tatbestand vor (tatsächliche oder rechtliche Bindung als Ursache für eine lediglich bis zur Geringfügigkeitsgrenze reichende Arbeitszeitdauer). Für den Anwendungsbereich des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG kommt es nicht darauf an, welchen Umfang die dem Arbeitslosen noch mögliche Arbeitszeit unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze besitzt. Auch zugunsten desjenigen, der wegen Leistungsminderung überhaupt nicht mehr arbeiten kann (sog Null-Fall), gilt nach der Entscheidung des 12. Senats des BSG vom 26. Mai 1977 die Fiktion seiner Verfügbarkeit im Rahmen dieser Vorschrift (vgl BSGE 44, 29 = SozR 4100 § 103 Nr 4). Der 12. Senat hat in diesem Urteil, dem der erkennende Senat folgt, im übrigen ausgesprochen, daß sich diese Fiktion grundsätzlich auch auf den Begriff der Arbeitslosigkeit iS von § 101 AFG erstreckt.

Die Entscheidung darüber, ob ein leistungsgeminderter Arbeitsloser berufsunfähig ist oder nicht und ob er deshalb nicht oder doch als verfügbar anzusehen ist, trifft mit verbindlicher Wirkung für die Arbeitsverwaltung der zuständige Rentenversicherungsträger (§ 103 Abs 2 Satz 1 AFG). Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber divergierenden Entscheidungen zwischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung entgegenwirken, um zu verhindern, daß dem Arbeitslosen durch unterschiedliche Beurteilungen seines Leistungsvermögens der Versicherungsschutz aus beiden Versicherungszweigen vorenthalten bleibt (vgl Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit, zu BT-Drucks V/4110, Begründung zu § 94 Abs 2 - S 18 -).

Für die im vorliegenden Falle streitbefangene Zeit vom 26. November 1973 an hat die zuständige LVA nicht nur Berufsunfähigkeit (BU), sondern sogar EU des leistungsgeminderten Rudolf M. bejaht. Diese Entscheidung betrifft gleichwohl den Tatbestand des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG, denn die für die Verfügbarkeit maßgebliche rentenrechtliche Beurteilung beschränkt sich nach dem Gesetzes- und Sinnzusammenhang nicht auf den Begriff der BU, sondern erstreckt sich auch auf den Begriff der EU, wie schon der 12. Senat (aaO) mit zutreffenden Erwägungen entschieden hat. Da die Entscheidung des Rentenversicherungsträgers jedoch erst am 30. Januar 1975 ergangen ist, war Rudolf M. bis dahin als verfügbar iS von § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG anzusehen; denn § 103 Abs 2 Satz 2 AFG bestimmt, daß der Arbeitslose bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers nicht als berufsunfähig gilt, so daß bis dahin der Umstand der Nichtverfügbarkeit als Folge einer bestehenden BU nicht angenommen werden darf. Mit dieser auch zeitlichen Abhängigkeit der rechtlichen Beurteilung eines Anspruchsmerkmals für das Alg von dem Zeitpunkt (und Inhalt) der Entscheidung des Rentenversicherungsträgers wollte der Gesetzgeber den "nahtlosen" Anschluß zwischen den Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung sicherstellen (vgl BT-Drucks V/4110 aaO), was ihm allerdings nicht vollständig gelungen ist (vgl Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, Anm 7 zu § 103).

Obwohl sonach davon auszugehen ist, daß Rudolf M. für den streitbefangenen Zeitraum verfügbar iS von § 103 Abs 1 AFG war, ergibt sich daraus unmittelbar noch nichts über die Höhe des ihm zustehenden Leistungsanspruchs. § 103 AFG befaßt sich insgesamt nur mit der für den Anspruch auf Alg erforderlichen (§ 100 Abs 1 AFG) Voraussetzung der Verfügbarkeit des arbeitslosen Antragstellers für die Arbeitsvermittlung. Auch und insbesondere die hier maßgebliche Bestimmung des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG enthält ihrem Regelungsinhalt nach keine Aussage über die gesetzliche Leistungshöhe. Diese richtet sich nach den Bestimmungen der §§ 111 ff AFG, hier wesentlich nach § 112 AFG. Grundsätzlich kommt es dafür auf das von dem Arbeitslosen auf der Basis der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit zuletzt in der Stunde erzielte Entgelt an (§ 112 Abs 2 AFG).

Für die Bemessung des hier streitigen Alg ist jedoch ferner von § 112 Abs 8 Satz 1 AFG auszugehen. In Fällen, in denen der Arbeitslose (ua) in Folge einer Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr die Zahl von Arbeitsstunden leisten kann, die sich als Durchschnitt der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Beschäftigungsverhältnisse im Bemessungszeitraum ergibt, ist nach § 112 Abs 8 Satz 1 AFG bei der Feststellung des Arbeitsentgelts nach § 112 Abs 2 für die Zeit, während der die Minderung der Leistungsfähigkeit vorliegt, statt des Durchschnitts der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit die Zahl von Arbeitsstunden zugrunde zu legen, die der Arbeitslose wöchentlich zu leisten imstande ist. Während also für die Feststellung des Bemessungsentgelts bei dem Arbeitslosen, der noch Vollzeitarbeit leisten kann, der von ihm in der Arbeitsstunde im Bemessungszeitraum - also zuletzt vor Eintritt der Arbeitslosigkeit - tatsächlich erzielte Lohn mit der regelmäßigen tariflichen Wochenarbeitszeit multipliziert wird, ist bei dem Leistungsgeminderten hier eine seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Zahl wöchentlicher Arbeitsstunden einzusetzen. Diese Regelung geht offenbar von der Erwägung aus, daß die Lohnersatzleistung Alg grundsätzlich nicht höher sein dürfte als es dem Arbeitseinkommen entspricht, das der Arbeitslose erzielen würde, wenn er nicht arbeitslos wäre. Ihre wortgetreue Anwendung führte allerdings in Fällen, in denen - wie hier - nur noch eine Arbeitsfähigkeit erheblich unter 20 Wochenstunden festgestellt ist, erkennbar zu sinnwidrigen Ergebnissen. Bei Arbeitslosen ohne jegliche Leistungsfähigkeit (Null-Fällen), deren Anspruch lediglich nach Maßgabe des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG begründet ist, müßte sie praktisch die Versagung der Leistung auslösen. Damit wäre aber das mit der genannten Regelung in § 103 Abs 1 und Abs 2 AFG beabsichtigte Ziel der Herstellung einer Nahtlosigkeit zwischen Alg und Rentenleistung in diesen Fällen völlig und sonst weitgehend verfehlt (so auch der 12. Senat aaO).

Entgegen der Auffassung des LSG bedeutet dies jedoch nicht, daß § 112 Abs 8 AFG im Rahmen der Verfügbarkeitsfälle nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG vollständig außer Betracht zu bleiben hätte. Auf eine solche grundsätzlich nicht zulässige Nichtbeachtung einer gesetzlichen Vorschrift liefe aber die Überlegung des LSG hinaus (so auch Prochnow, SozSich 1979, 45, 47), daß sich die Bemessung hier nach der üblichen tariflichen Vollarbeitszeit von (idR) 40 Wochenstunden zu richten hätte; denn das wäre schon der Bemessungsmaßstab nach § 112 Abs 2 AFG.

Der § 112 Abs 8 AFG trifft auf die Fälle der Nahtlosigkeit iS von § 103 Abs 1 und 2 AFG insoweit ohne weiteres zu, als es die dortigen Rechtsvoraussetzungen einer tatsächlich eingeschränkten zeitlichen Arbeitsfähigkeit anbelangt. Lediglich an die Stelle des von § 112 Abs 8 AFG als Rechtsfolge bestimmten Maßstabes, nämlich eben derselben Restarbeitsfähigkeit, muß hier zur Vermeidung sinnwidriger Ergebnisse - wie schon dargelegt - ein anderer Wert treten. Nur insofern liegt eine Regelungslücke vor, die im Wege der Rechtsauslegung nach dem Plan des Gesetzes (vgl BSGE 39, 143, 146) zu schließen ist (aA Prochnow aaO). Nach Auffassung des Senats ist dafür am ehesten der von der Beklagten gewählte Wert von 21 Wochenstunden als (fiktiver) Bemessungsmaßstab geeignet. Die grundsätzlich zu beachtende Regelung des § 112 Abs 8 AFG wird damit nämlich für die "Nahtlosigkeitsfälle" in einen Unmittelbaren Zusammenhang mit der Bestimmung über die Verfügbarkeit der davon betroffenen Personen nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG gestellt, ohne ihres Sinngehaltes entkleidet zu sein. Für den vom LSG angenommenen Wert von 40 Stunden läßt sich dies hingegen nicht feststellen.

§ 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG fingiert keine Volleistungsfähigkeit des Arbeitslosen, sondern grundsätzlich nur die Fähigkeit, im Rahmen seines Berufs oder zumutbarer Verweisungsberufe die Hälfte des Einkommens eines vergleichbaren gesunden Versicherten zu erzielen (so schon der 12.Senat, BSGE 44, 29, 31 mwN). Das folgt einerseits aus dem Begriffsmerkmal der Berufsunfähigkeit (vgl § 1246 Abs 2 Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 23 Abs 2 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -), deren Verneinung nicht gleichzeitig stets "Berufsfähigkeit" iS einer bestimmten zeitlichen Arbeitsfähigkeit - schon gar nicht Volleistungsfähigkeit - bedeutet.

Da § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG andererseits eine nur bis zur Geringfügigkeit reichende zeitliche Arbeitsfähigkeit voraussetzt, weil Arbeitslose mit einer zeitlich darüber hinausgehenden - aber nicht mehr vollen - Leistungsfähigkeit bereits - wie dargelegt - nach der Grundregel des § 103 Abs 1 Satz 2 erster Halbsatz AFG verfügbar sind, besteht zwischen der Verfügbarkeitsfiktion des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG und der Frage der Berufsunfähigkeit iS der gesetzlichen Rentenversicherung keine volle Deckungsgleichheit; berufsunfähig iS der oa Vorschriften der RVO und des AVG können nämlich selbst solche Arbeitnehmer sein, die, wenn auch nicht in ihrem Beruf, aber sonst noch für eine Vollzeitarbeit in Betracht kommen, für die es lediglich an der Zumutbarkeit zur Verweisung in einen anderen Beruf fehlt (vgl dazu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III S 670a - 28. Nachtrag - Juni 1966 mwN; BSGE 38, 153; 41, 129; 43, 243; SozR 2200 § 1246 Nr 12).

Die Verneinung der Verfügbarkeit nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG setzt damit voraus, daß eine BU vorliegt, die darauf beruht, daß der Arbeitslose nur noch geringfügige Beschäftigungen ausüben kann. Beschränkt sich aber der Norminhalt des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG bezüglich der Verfügbarkeit auf den Tatbestand eines zeitlich nur noch bis zur Geringfügigkeitsgrenze reichenden Arbeitsvermögens, so erscheint es dem Senat bei der derzeitigen Gesetzeslage nicht angängig, die daraus im Zusammenhang mit Absatz 2 Satz 2 resultierende Fiktion der Anspruchserfüllung dem Grunde nach für die Anspruchsbemessung der Höhe nach (§ 112 Abs 8 AFG) schlechthin auf die Annahme eines vollzeitigen Arbeitsvermögens auszudehnen. Der Hinweis des LSG auf die nach tariflichen Regelungen übliche Arbeitszeit reicht dafür jedenfalls nicht aus; denn Tarifverträge haben stets die im Tarifbereich von den Tarifpartnern zugrundegelegte Vollarbeitszeit zum Inhalt, während es sowohl bei § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG als auch bei § 112 Abs 8 AFG gerade um eine davon abweichende niedrigere Arbeitszeit geht.

Die Übertragung des in § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG enthaltenen Gedankens, Arbeitslose mit keiner oder einer nur noch geringfügigen zeitlichen Leistungsfähigkeit im Wege der Fiktion zum Bezug des Alg zuzulassen, weil sie - solange ihre BU nicht festgestellt ist - noch für fähig gelten, jedenfalls die Hälfte des Einkommens eines gesunden Berufskollegen zu erzielen (vgl BSGE 44, 29, 31), auf den Grundgedanken des § 112 Abs 8 AFG, daß das Alg grundsätzlich nach der verbliebenen zeitlichen Restarbeitsfähigkeit zu bemessen ist, rechtfertigt es deshalb nur, insoweit von einer gerade über der Geringfügigkeitsgrenze des § 102 AFG liegenden Wochenstundenzahl auszugehen. Auch für § 112 Abs 8 AFG wird der nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG als verfügbar geltende Arbeitslose damit so behandelt wie dort; denn es wird hierbei ebenfalls unterstellt, daß er mit seinem (fingierten) Leistungsvermögen noch in der Lage ist, die genannte Lohnhälfte zu erzielen. Daß dies tatsächlich nicht möglich ist, gehört zum Wesen einer Fiktion. Wollte man aber für § 112 Abs 8 AFG ein noch höheres Leistungsvermögen unterstellen, etwa von 40 Wochenstunden wie das LSG, so würde das eine Ausdehnung der Fiktion des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG bedeuten, die dort nicht beabsichtigt sein konnte. Die Regelung des § 112 Abs 8 AFG bietet dafür überhaupt keinen Anhalt.

Für die vom Senat gebilligte Bemessung des Alg in diesen Fällen durch die Beklagte nach einer Zahl von 21 Wochenstunden sprechen eine Reihe weiterer Gründe. So weist die Beklagte zu Recht auf die Unbilligkeit hin, die bei einer Bemessung nach 40 Stunden im Verhältnis zu jenen Arbeitslosen entstehen würde, die zwar noch mehr als geringfügig, aber nicht mehr vollschichtig arbeiten können. Diese ohne weiteres verfügbaren Arbeitslosen müssen sich mit dem auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit berechneten Alg (§ 112 Abs 8 AFG) befrieden, während derjenige, der viel weniger, ggf überhaupt nicht mehr arbeiten kann, das volle Alg - nämlich auf der Grundlage der vollen tariflichen Arbeitszeit - erhielte. Der Senat hält dieses Ergebnis vom Grundsatz der Gleichbehandlung her in einem so hohen Maße für unerträglich, daß es allein von dem mit § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG verfolgten Prinzip der Nahtlosigkeit nicht gerechtfertigt werden kann. Eine andere Begründung stände hierfür aber nicht zur Verfügung.

Zu beachten ist ferner, daß die vom LSG vertretene Auffassung zu einer noch größeren Vernachlässigung des mit § 103 Abs 2 Satz 3 AFG verfolgten Zweckes führen würde, als es dieser Regelung ohnedies innewohnt. Nach § 103 Abs 2 Satz 3 AFG geht der Anspruch des nach § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 Satz 2 AFG als verfügbar geltenden Arbeitslosen auf Rente bis zur Höhe des für die Zeit bis zur Rentenbewilligung gewährten Alg auf die Bundesanstalt für Arbeit (BA) über. Darin zeigt sich ein wesentlicher Zweck der Nahtlosigkeitsregelung: Sie will verhindern, daß der Arbeitslose bis zur - zeitaufwendigeren (vgl BSGE 43, 75, 82) - Entscheidung des Rentenversicherungsträgers gänzlich ohne Leistungen bleibt und nur auf die Sozialhilfe angewiesen ist. Die BA wird zwar über die Fiktion der Verfügbarkeit zum vorrangig Leistungspflichtigen erklärt, wenngleich unter Inkaufnahme einer Systemverletzung; denn sie ist damit zuständig zur Leistungsgewährung an Personen, bei denen sie den Versicherungsfall Arbeitslosigkeit durch Vermittlung in Arbeit nicht beseitigen kann, wie es sonst ihre Aufgabe ist (vgl Hennig, SGb 1977, 427, 431; Prochnow, aaO, S 47). Dadurch, daß sie bei Rentengewährung letztlich ihre Leistungen wieder erstattet erhält, wird aber deutlich, daß sie in den Fällen der nachträglichen Rentengewährung im Grunde nur für den eigentlich zuständigen Rentenversicherungsträger eingetreten ist. Nur wenn die Rente wegen fehlender BU abgelehnt wird, bleibt die BA belastet; dann hat sie aber auch an einen prinzipiell vermittlungsfähigen, weil für eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich und nicht nur fiktiv in Betracht kommenden Arbeitslosen Alg gezahlt, die Grenzen des Arbeitslosenversicherungs-Systems somit nicht verlassen. An dieser grundsätzlichen Konzeption ändert es nichts, daß allerdings Fälle auftreten können, in denen eine Erstattung - ganz oder teilweise - ausfällt, zB, weil der Arbeitslose zwar berufsunfähig ist, aber aus sonstigen Gründen keinen Rentenanspruch besitzt, oder weil der Rentenzahlungsbeginn zeitlich nach dem Alg-Zahlungsbeginn liegt, etwa wegen verspäteter Rentenantragstellung (vgl § 1290 Abs 2 RVO).

Die "eigentliche" Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers in diesen Fällen wird im übrigen durch die Regelung in § 1283 Satz 2 Nr 1 RVO (§ 60 Satz 2 Nr 1 AVG) idF des 21. Rentenanpassungsgesetzes - 21. RAG - vom 25. Juli 1978 (BGBl I 1089) bestätigt. Während nach Satz 1 der genannten Bestimmungen das Alg im Wege des Ruhens der Rente auf diese angerechnet wird, bestimmt Satz 2 Nr 1 aaO insoweit eine Ausnahme für das in "Nahtlosigkeitsfällen" des § 103 Abs 1 AFG bis zur Rentenbewilligung gewährte Alg. Insoweit verbleibt es also bei der letztlich vorrangigen Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers aus § 103 Abs 2 Satz 3 AFG.

Würde allerdings das Alg in den "Nahtlosigkeitsfällen" nach einer Arbeitszeit von 40 Wochenstunden bemessen, müßte die BA häufig mit nicht erstattungsfähigen Anteilen ihrer Alg-Leistungen rechnen, auch wenn nachträglich BU-Rente gewährt wird; denn der volle Alg-Satz liegt wegen seines im Verhältnis zur BU-Rente günstigeren Bemessungsmaßstabes (vgl §§ 111 Abs 1, 112 Abs 2 AFG, §§ 1246 ff, insbesondere § 1253 Abs 1 RVO) in nicht seltenen Fällen - wenn nicht regelmäßig - betragsmäßig höher als die BU-Rente (vgl auch Wanka, AuB 1979 S 193). Enthält aber § 103 Abs 2 Satz 3 AFG im Grundsatz das Prinzip eines in der Regel vollen Leistungsausgleichs zu Lasten der Rentenversicherung, so würde die Bemessungsmethode für das Alg in "Nahtlosigkeitsfällen" nach der vollen tariflichen Arbeitszeit (40 Stunden) bereits aus sich heraus gegen diese gesetzliche Absicht verstoßen.

Die Erstattungsregelung des § 103 Abs 2 Satz 3 AFG gibt im übrigen Anlaß zu einer weiteren Erwägung, die gegen die vom LSG für richtig gehaltene Bemessung des Alg spricht. Der Übergang des Anspruchs auf Rente auf die BA hängt zeitlich und der Höhe nach von der Rentenbewilligung ab. Würde der leistungsgeminderte Arbeitslose in der Zeit bis dahin den vollen Alg-Satz nach § 112 Abs 2 AFG erhalten, so könnte sein Interesse an einer raschen Rentenentscheidung wegen des gegenüber dem Alg-Satz in diesen Fällen regelmäßig niedrigeren BU-Renten-Satzes beeinträchtigt sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß das AFG eine Vorschrift wie die des § 183 Abs 7 RVO nicht kennt. Selbst wenn jedoch die Arbeitsverwaltung die für § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG erforderliche Entscheidung des Rentenversicherungsträgers im Wege der Amtshilfe herbeiführen kann (§ 103 Abs 2 Satz 1 AFG), kann dessen Entscheidung gleichwohl zeitlich von der Mitwirkung des Arbeitslosen abhängig sein. Infolgedessen ist es nicht von der Hand zu weisen, daß die BA trotz nachträglicher Rentenbewilligung in einer von § 103 Abs 2 Satz 3 AFG nicht gewollten Weise zum Nachteil der Beitragszahler der Arbeitslosenversicherung belastet bleibt.

Insgesamt gesehen verdient deshalb nach Auffassung des Senats die von der Beklagten gewählte Bemessungsmethode den Vorzug. Der Senat verkennt dabei nicht, daß damit die mit § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 AFG beabsichtigte Nahtlosigkeit zwischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung von der Leistungshöhe her nicht voll hergestellt ist, weil das nach 21 Wochenstunden gemäß § 112 Abs 8 AFG bemessene Alg - praktisch das "halbe" Alg - häufig nicht ausreichen wird, den Lebensunterhalt des Arbeitslosen sicherzustellen, so daß er nach wie vor teilweise auf die Sozialhilfe angewiesen bleibt. Das ist jedoch ein Mangel, der der Regelung von Anfang an anhaftet und der vom Gesetzgeber entweder nicht erkannt worden oder bewußt in Kauf genommen worden ist. Nahtlosigkeit im richtigen Sinne dieses Wortes wäre erst gegeben, wenn der leistungsgeminderte Arbeitslose bis zur Entscheidung des Rentenversicherungsträgers einen Alg-Satz in der Höhe erhalten würde, die der späteren BU-Rente entspricht. Der von Wanka (aaO) gemachte Vorschlag, die Bemessung des Alg in diesen Fällen nach einem Satz von 30 Wochenstunden vorzunehmen, kommt diesem Ziel sicherlich nahe und könnte Grundlage für eine Entscheidung des Gesetzgebers de lege ferenda sein. De lege lata sah sich der Senat jedoch nicht in der Lage, ihm zu folgen; denn die von Wanka angenommene durchschnittliche Höhe der BU-Rente von ca 40% des letzten Nettoentgelts des Versicherten hat allenfalls eine rechtstechnische oder statistische Grundlage und dürfte wegen der Bemessungsfaktoren der BU-Rente im Einzelfall starken Abweichungen unterliegen. Erhebliche tatsächliche Unterschiede der durchschnittlichen BU-Renten ergeben sich schon im Vergleich der Arbeiterrentenversicherung zur Angestelltenrentenversicherung (vgl den Rentenanpassungsbericht 1979 der Bundesregierung S 16/17 und dazu die Ausführungen zur Rentenniveausicherung auf S 38, BR-Drucks 165/79). Eine Rückrechnung von den in dieser Weise bereits uneinheitlichen statistischen Durchschnittswerten der BU-Renten auf einen für den Einzelfall gültigen Wert und dessen Umdeutung durch die Gerichte in eine bestimmte Arbeitsstundenzahl, in der er erreicht werden kann, läßt die Regelung des § 112 Abs 8 AFG jedenfalls nicht zu.

Die vom LSG gefundene Lösung ergäbe sich dann, wenn die Regelung des § 112 Abs 8 AFG insgesamt nicht vorhanden wäre. Es erscheint in der Tat fraglich, ob diese Bemessungsregel rechtspolitisch allein mit der Erwägung gerechtfertigt werden kann, daß der leistungsgeminderte Arbeitslose während der Arbeitslosigkeit kein höheres Alg erhalten dürfe, als es seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht. Es mögen sich zwar Vermittlungsschwierigkeiten für die Arbeitsämter ergeben, wenn das auch in solchen Fällen nach der tariflichen Arbeitszeit bemessene Alg tatsächlich der Höhe eines zukünftig noch erzielbaren Arbeitseinkommens nahekommt oder es sogar übersteigt. Dabei darf aber nicht übersehen werden, daß das Alg ohnedies nur auf der Grundlage von 68% des letzten Nettoentgelts bemessen wird (§ 111 Abs 1 AFG), es also stets erheblich niedriger ist als jenes. Zum anderen besäße die BA mit der Regelung in § 119 AFG durchaus ein geeignetes Instrument, ungerechtfertigten Arbeitsablehnungen in solchen Fällen zu begegnen; denn unter besonderen Voraussetzungen ist es dem Arbeitslosen zumutbar, auch solche Arbeitsstellen anzunehmen, in denen er weniger verdient als es seinem bisherigen - vollen - Alg-Satz entspricht (vgl BSG SozR 4100 § 119 Nr 4 - S 23 -). Im übrigen widerspricht § 112 Abs 8 AFG eigentlich dem im Versicherungsrecht sonst allgemein geltenden Grundsatz, daß sich die Leistungshöhe im Schadensfall nach den vor seinem Eintritt geltenden Umständen zu richten habe, zumal dann, wenn sich hiernach auch die Beitragsleistung zur Versicherung gerichtet hat. So haben Änderungen in der Leistungsfähigkeit des Versicherten bei oder nach Eintritt des Versicherungsfalles in den übrigen Zweigen der Sozialversicherung grundsätzlich keinen Einfluß auf die Leistungshöhe (vgl §§ 180, 182 Abs 4 und 5 RVO; §§ 561, 568, 570 ff RVO; §§ 1241, 1241 b, 1253 ff, 1268 bis 1270 RVO).

Der Gesetzgeber hat sich gleichwohl bisher nicht entschließen können, die Regelung des § 112 Abs 8 AFG wenigstens für die "Nahtlosigkeitsfälle" des § 103 Abs 1 Satz 2 Nr 1 iVm Abs 2 AFG aufzugeben. Ein in dieser Richtung laufender Referentenentwurf der Bundesregierung wurde vom zuständigen Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung nicht akzeptiert, obwohl dieser die in der bisherigen gesetzlichen Regelung liegenden Auswirkungen erkannte. Der Ausschuß war vielmehr der Meinung, "daß die Frage der Verbesserung der Nahtlosigkeit zwischen Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit und der gesetzlichen Rentenversicherung noch eingehender Prüfung bedarf und ggf notwendige Änderungen des geltenden Rechts einer späteren gesetzlichen Regelung vorbehalten bleiben sollen." (vgl BT-Drucks 8/2275 - S 6 -; s auch Prochnow, aaO, S 48). Diese Auffassung eines am Gesetzgebungsverfahren wesentlich beteiligten Verfassungsorgans kann bei der Auslegung bestehender gesetzlicher Bestimmungen durch die Gerichte nicht schlechthin unbeachtet bleiben, zumal dann nicht, wenn die Auslegung darauf hinauslaufen müßte, geltendes Recht für nicht anwendbar zu erklären.

Aus diesen Gründen kann der Revision der Beklagten der Erfolg nicht versagt bleiben. Das LSG-Urteil ist in dem beantragten Umfange aufzuheben und die Klage dementsprechend abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 288

Breith. 1980, 789

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