Leitsatz (amtlich)

Die Vorschrift des SchwBG § 36 über die bevorzugte Berufszulassung ist auch bei der Auswahlentscheidung nach ZO-Ärzte § 18 (britische Zone) anzuwenden.

 

Normenkette

RVO § 368a Fassung: 1955-08-17; SchwbG § 36

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das am 30. November 1955 verkündete Urteil des Landessozialgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten. Im übrigen haben die Beteiligten einander Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Um die Zulassung zur Kassenpraxis als Facharzt für Lungenkrankheiten für den Ortsteil H bewarben sich u. a. der Kläger und die Beigeladene. Der Kläger ist am 4. Oktober 1912 geboren, wurde am 29. November 1940 als Arzt approbiert, am 17. Mai 1950 als Facharzt anerkannt und am 5. August 1950 in das Arztregister eingetragen. Die Beigeladene ist am 1. Januar 1917 geboren, seit dem 7. März 1942 approbiert, seit dem 22. Dezember 1950 als Fachärztin anerkannt und seit dem 1. März 1952 im Arztregister eingetragen. Der Zulassungsausschuß für den Arztregisterbezirk Hamburg hat durch Beschluß vom 24. Februar 1954 die Beigeladene zur Kassenpraxis zugelassen: Der Ehemann der Beigeladenen, der in Rußland als Truppenarzt eingesetzt war, sei seit dem Jahre 1944 vermißt; dieser Umstand sei so schwerwiegend, daß er für die Beigeladene, die für zwei Kinder zu sorgen habe, gegenüber allen anderen Bewerbern, auch soweit sie - wie der Kläger - ein höheres Approbations- und Lebensalter hätten, einen unbedingten Vorrang begründe. Die nicht wesentlich frühere Anerkennung des Klägers als Facharzt spiele keine Rolle, weil die fachärztliche Eignung bei beiden Bewerbern gleichwertig sei; die Beigeladene könne außer einer über dreijährigen klinischen Tätigkeit im Lungenfach eine mehr als fünfjährige Tätigkeit in der Tbc.-Fürsorge nachweisen. Der Kläger habe eine Bescheinigung der Hauptfürsorgestelle für Schwerbeschädigte vom 20. Februar 1954 vorgelegt, nach der er als Kriegsbeschädigter mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v. H. gemäß § 2 Abs. 1 des Schwerbeschädigtengesetzes (SchwBG) vom 16. Juni 1953 den Schwerbeschädigten gleichgestellt sei. Trotzdem gebühre der Beigeladenen der Vorzug gegenüber dem Kläger, weil ihr Schicksal schwerer wiege.

Gegen diesen Beschluß legten der Kläger und zwei weitere vom Zulassungsausschuß abgelehnte Bewerber beim beklagten Berufungsausschuß gemäß § 29 Abs. 2 der Zulassungsordnung für Ärzte (britische Zone) - ZulO brit. Zone - Berufung ein, die durch Beschluß vom 12. Mai 1954 zurückgewiesen wurde. In der Begründung seines Beschlusses führte der Berufungsausschuß aus, der Kläger könne zwar als Schwerbeschädigter gemäß § 18 ZulO brit. Zone in der Regel einen Vorrang beanspruchen. Dieser Vorrang sei aber dadurch aufgewogen, daß nicht nur der Ehemann der Beigeladenen vermißt sei, sondern daß sie auch allein für ihre zwei Kinder zu sorgen habe. Das höhere Lebens- und Approbationsalter des Klägers werde auch dadurch ausgeglichen, daß die Beigeladene von 1943 bis 1945 als kriegsdienstverpflichtete Ärztin in P eine Kassenarztpraxis geführt und sich dadurch bereits erhebliche Kenntnisse in der kassenärztlichen Tätigkeit angeeignet habe. Wenn schon diese Umstände ein gewisses Übergewicht zugunsten der Beigeladenen ergäben, so sei schließlich noch zu berücksichtigen, daß die Zulassung einer Fachärztin für Lungenkrankheiten auch im Interesse der Versicherten, besonders der weiblichen Versicherten, liege; denn bisher sei im gesamten Arztregisterbezirk H nur eine Lungenfachärztin zur Kassenpraxis zugelassen, was dem sonstigen Verhältnis zwischen Ärzten und Ärztinnen, auch auf dem Gebiet der Lungenheilkunde, nicht entspreche.

Der Kläger erhob beim Sozialgericht Hamburg Klage mit dem Antrag, den Beschluß des beklagten Berufungsausschusses vom 12. Mai 1954 und den Beschluß des Zulassungsausschusses vom 24. Februar 1954 aufzuheben: Die Zulassungsinstanzen hätten von dem ihnen nach § 18 ZulO brit. Zone eingeräumten Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht. Er, der Kläger, sei als Kriegsbeschädigter mit einer MdE. um 40 v. H. gemäß § 2 SchwBG den Schwerbeschädigten gleichgestellt und gehöre deshalb zu den bevorrechtigten Bewerbern. Der Umstand, daß der Ehemann der Beigeladenen vermißt sei, könne nur im Rahmen des Familienstandes berücksichtigt werden, er begründe aber keinen Vorrang. Während des Krieges und der Kriegsgefangenschaft habe der Kläger sich eine Lungen-Tbc zugezogen, bis 1950 sei seine Erwerbsfähigkeit um 70 v. H. gemindert gewesen. Damals sei seine Bewerbung um eine Kassenarztpraxis in Schleswig-Holstein mit der Begründung abgelehnt worden, er sei wegen seiner erheblichen Erkrankung den Anforderungen einer Kassenpraxis nicht gewachsen. Sein Angestelltenverhältnis zur Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein habe am 31. Januar 1954 geendet. Am 1. Februar 1954 habe er sich als Arzt niedergelassen, habe aber so gut wie keine Einnahmen, so daß seine Ehefrau mit berufstätig sein müsse, um den Lebensunterhalt zu erwerben. Während er trotz seines Alters infolge des Kriegsdienstes noch keine gesicherte Stellung habe erlangen können, sei die beigeladene Ärztin beim Gesundheitsamt Hamburg-Wandsbek gegen ein Gehalt von monatlich 880.- DM beschäftigt. Seine Approbation und Facharztanerkennung hätten sich im übrigen dadurch verzögert, daß er sein Studium wegen des Wehrdienstes zweimal habe unterbrechen müssen. Die Beigeladene habe dagegen während des Krieges sogar in Trimestern studieren können. Er habe während des Krieges - in den Jahren 1941/42 - vertretungsweise eine Kassenpraxis ausgeübt. Innerhalb der letzten vier Jahre bewerbe er sich zum fünften Male um eine Kassenpraxis, während sich die Beigeladene erst zum zweiten Male innerhalb eines Jahres beworben habe. Die Beigeladene trug noch ergänzend vor, sie sei infolge einer Lungen-Tbc ebenfalls in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert und zwar um 30 v. H.; ihr Anstellungsverhältnis beim Gesundheitsamt sei nunmehr beendet.

Das Sozialgericht wies durch Urteil vom 15. Dezember 1955 die Klage im wesentlichen aus folgenden Gründen ab: Es sei nicht dargetan, daß der beklagte Berufungsausschuß die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten habe. Seine Erwägungen seien nicht sachfremd. Es sei den Zulassungsinstanzen nicht verwehrt, den Vorrang, den ein Schwerbeschädigter "in der Regel" habe, durch besondere Umstände als ausgeglichen anzusehen. -

Der Kläger legte gegen dieses Urteil beim Landessozialgericht Hamburg Berufung ein. Er wiederholte sein bisheriges Vorbringen und machte weiter geltend, die Klägerin habe ihre Stelle beim Gesundheitsamt nur deshalb erhalten, weil ihr Ehemann vermißt sei; ihre wirtschaftliche Lage sei zur Zeit der Entscheidung der Zulassungsinstanzen gesichert gewesen; das habe der Berufungsausschuß auch in einer früheren Entscheidung über die Zulassung für einen anderen Ortsteil ausgeführt. Seine Tätigkeit als Truppenarzt und Vertreter eines Kassenarztes sei nicht berücksichtigt worden, während der Kassenarzttätigkeit der Beigeladenen besondere Bedeutung beigelegt worden sei.

Das Landessozialgericht hat die Berufung durch das am 30. November 1955 verkündete Urteil zurückgewiesen: Der Kläger könne zwar, da er durch Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 20. Februar 1954 den Schwerbeschädigten gleichgestellt sei, gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZulO. "in der Regel" einen Vorrang beanspruchen, aber auch die Beigeladene sei als Ehefrau eines Verschollenen in dem Zulassungsverfahren nach § 36 SchwBG mit Vorrang zu berücksichtigen. Entgegen der in dem Erlaß des Bundesarbeitsministers vom 16. Februar 1954 (Äm. 1954 S. 237) vertretenen Auffassung sei diese Vorschrift auch bei der Zulassung zur kassenärztlichen Praxis anzuwenden. Da somit beide Bewerber bevorrechtigt seien, verliere der Vorrang seine Wirkung. Die Auswahlentscheidung sei dann aus der Gesamtsituation unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen zu treffen. Zugunsten des Klägers sprächen sein höheres Lebensalter, seine frühere Approbation und seine frühere Anerkennung als Facharzt, andererseits habe die Beigeladene für zwei minderjährige Kinder zu sorgen. Sie habe nicht nur ihren Ehemann verloren, sondern im Jahre 1947 gleichfalls eine Lungen-Tbc durchgemacht, so daß für sie die zweifache Belastung als Ärztin und als Mutter besonders schwer ins Gewicht falle. Ihre vertretungsweise Kassenarzttätigkeit in den Jahren 1944/45 könne allerdings nicht als besonderer Vorrang gewertet werden, weil der Kläger während der gleichen Zeit Dienst als Truppenarzt geleistet habe. Die Auffassung des Klägers, er müsse auf jeden Fall vor der Beigeladenen berücksichtigt werden, weil diese eine feste Anstellung im hamburgischen Staatsdienst gehabt habe, sei abwegig. Anderenfalls würden angestellte Ärzte praktisch von der Zulassung ausgeschlossen sein, weil sie bei jeder Bewerbung einem nicht angestellten Arzt gegenüberständen. Jeder Arzt müsse aber die Möglichkeit haben, eine eigene Praxis zu eröffnen. Da der Kläger einen besonderen Vorrang, der den beklagten Berufungsausschuß bei seinem Ermessen rechtlich binde, nicht geltend machen könne, sei es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Zulassungsinstanzen der Tatsache, daß der Ehemann der Beigeladenen verschollen ist, eine so schwerwiegende Bedeutung beigelegt hätten. Die Zulassungsinstanzen hätten ihre Entscheidung nach sorgfältiger Abwägung unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände getroffen; wenn auch der Berufungsrichter, sofern ihm die Ermessensentscheidung über die Zulassung zustände, vielleicht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, so könne er doch jedenfalls nicht feststellen, daß der Berufungsausschuß die gesetzlichen Grenzen seines Ermessens überschritten habe. Das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts, das ihm am 12. Dezember 1955 zugestellt worden ist, am 5. Januar 1956 Revision eingelegt und sie in demselben Schriftsatz begründet. Er beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des Urteils des Sozialgerichts Hamburg vom 5. Dezember 1954 den Beschluß des Beklagten vom 12. Mai 1954 und den Beschluß des Zulassungsausschusses vom 24. Februar 1954 aufzuheben. Zur Begründung der Revision macht er im wesentlichen folgendes geltend: Das Berufungsgericht habe die Vorschrift des § 36 SchwBG unrichtig zu Gunsten der Beigeladenen ausgelegt; die Kassenarzttätigkeit sei kein Beruf im Sinne dieser Vorschrift, denn der Kassenarzt übe seine Tätigkeit innerhalb des Arztberufs aus. Der Vorrang des Klägers als Schwerbeschädigter ergebe sich aus § 18 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZulO brit. Zone.

Der beklagte Berufungsausschuß und die Beigeladene beantragen die Zurückweisung der Revision.

Der Beklagte teilt die Auffassung des Klägers, daß sich die Beigeladene nicht auf § 36 SchwBG berufen könne. Er ist weiter der Meinung, daß aber auch dem Kläger kein Vorrang nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZulO brit. Zone zustehe, weil er nur um 40 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und daher nicht Schwerbeschädigter sei (vgl. § 1 Abs. 1 SchwBG). Die Gleichstellung nach § 2 SchwBG sei nur für Personen vorgesehen, die sich ohne Hilfe des Gesetzes einen geeigneten Arbeitsplatz nicht verschaffen oder erhalten könnten. Wenn die Gleichstellung - wie es § 2 Abs. 3 SchwBG vorschreibe - auf bestimmte Betriebe oder Arbeitsplätze beschränkt werden solle, könne sie sich nur auf eine abhängige Berufstätigkeit (als Arbeiter oder Angestellter beziehen; eine Gleichstellung zum Zwecke einer bevorzugten Berufszulassung sei weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn des § 2 SchwBG vereinbar.

Auch die Beigeladene ist der Ansicht, daß der Kläger, der gemäß § 2 Abs. 1 SchwBG den Schwerbeschädigten gleichgestellt sei, Rechte nur im Rahmen dieser Vorschrift, also nur zur Beschaffung eines Arbeitsplatzes habe, bei der Bewerbung um eine Kassenpraxis dagegen nicht bevorzugt berücksichtigt werden dürfe.

II.

Die Revision ist statthaft, weil sie das Landessozialgericht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden, konnte jedoch keinen Erfolg haben.

Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung des beklagten Berufungsausschusses ist das Landessozialgericht mit Recht davon ausgegangen, daß der beigeladenen Ärztin als Ehefrau eines Verschollenen bei der Bewerbung um die Kassenarztpraxis die Vorschrift des § 36 SchwBG vom 16. Juni 1953 (BGBl. I S. 389) zur Seite steht. Nach dieser Vorschrift soll, soweit für die Ausübung eines Berufs eine Zulassung erforderlich ist, Schwerbeschädigten sowie Witwen und Ehefrauen im Sinne des § 8 Abs. 1 des Gesetzes (u. a. Ehefrauen von Verschollenen) bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen die Zulassung bevorzugt erteilt werden. Das Gesetz will den Schwerbeschädigten und den sonst bevorzugten Personen, u. a. den erwerbsfähigen Ehefrauen von Verschollenen, auch bei Begründung einer selbständigen Berufsposition gewisse Vorteile zukommen lassen, durch die ihre körperlichen oder sonstige Benachteiligungen nach Möglichkeit ausgeglichen werden. Der Vorrang bei der Zulassung gilt nach der Fassung des § 36 SchwBG ohne Einschränkung für alle Berufe, für die eine Zulassung erforderlich ist. Wie das Landessozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Begriff "Zulassung für die Ausübung eines Berufs" im Sinne dieser Vorschrift nicht eng auszulegen; er bezieht sich vielmehr nach Auffassung des Senats auch auf Tätigkeiten, die im Rahmen eines selbständigen Berufs nur auf Grund einer besonderen Zulassung (Erlaubnis, Konzession) ausgeübt werden dürfen.

Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. Februar 1956 (BSG. 2 S. 201 (214 ff.)) entschieden hat, stellt die kassenärztliche Tätigkeit als solche nicht die Ausübung eines "Berufs" im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG dar, sie ist vielmehr Erfüllung einer besonderen öffentlichen Aufgabe im Rahmen des ärztlichen Berufs. Die Vorschrift des § 36 SchwBG kann aber nach ihrem Sinn und Zwecke nicht dahin verstanden werden, daß sie sich nur auf die Zulassung zu einem Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG bezieht. Sie will Schwerbeschädigten und den übrigen begünstigten Personen die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit erleichtern, sofern diese Tätigkeit von einer öffentlich-rechtlichen Zulassung abhängig ist, und sie erhält besondere Bedeutung, wenn - wie bei der Zulassung zur Kassenpraxis - im Rahmen einer Auswahlentscheidung von mehreren Bewerbern nur einer zugelassen werden kann.

Für die weite Auslegung des § 36 SchwBG spricht auch die vom Landessozialgericht zutreffend wiedergegebene Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift. Während der Gesetzesentwurf (§ 33) sich auf den Kreis der Schwerbeschädigten beschränkte und nur die Zulassung für einen "freien Beruf" regeln wollte (vgl. BT-Drucksache 1. Wahlperiode Nr. 3430), schlug der Bundesrat neben der Änderung der Überschrift in "bevorzugte Berufszulassung" im Text die Streichung des Wortes "freien" vor Beruf vor (vgl. Änderungsvorschläge des Bundesrates Anl. 2 zu BT-Drucksache Nr. 3430). In der Begründung zu diesen Änderungsvorschlägen heißt es: "Die Änderung erscheint erforderlich, um die Vergünstigung auszudehnen." Ihre endgültige Fassung erhielt die Vorschrift (nunmehr § 36 SchwBG) durch die Beratungen im Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen (BT-Drucksache Nr. 4292). Hiernach wurden unter Berücksichtigung der Vorschläge des Bundesrates noch die Worte "sowie Witwen und Ehefrauen im Sinne des § 8 Abs. 1" eingefügt. Es kann demnach nicht zweifelhaft sein, daß der Gesetzgeber Schwerbeschädigte und die anderen von dieser Vorschrift betroffenen Personen bei der Zulassung zur Ausübung selbständiger beruflicher Tätigkeiten in möglichst umfassender Weise begünstigen wollte. Der gegenteiligen Auffassung des Bundesministers für Arbeit, die in dem Erlaß vom 16. Februar 1954 - II b 2 - 168/54 - (abgedruckt in ÄM. 1954 S. 237) zum Ausdruck kommt, vermag der Senat nicht beizutreten. Der Wortlaut des § 36 SchwBG ist zwan nicht völlig eindeutig. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift und nach ihrer Entstehungsgeschichte umfaßt er aber auch die im Rahmen eines Berufs ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, deren Ausübung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften von einer Zulassung abhängig ist (ebenso die Kommentare zum Schwerbeschädigtengesetz von Becker, § 36 Anm. 1; Rohwer-Mann, § 36 Anm. III 5; Sellmann, § 36 Anm. 1 u. 3; Wilrodt-Gotzen, § 36 Anm. 6; Zigan, § 36 Anm. 3; Monjau, § 36 Anm. 1; Rewolle, § 36 Anm. 1). Die Vorschrift des § 36 SchwBG über die bevorzugte Berufszulassung ist somit auch von den Zulassungsinstanzen bei Auswahlentscheidungen nach § 18 ZulO brit. Zone anzuwenden, so daß der Beigeladenen als Ehefrau eines Verschollenen (§ 8 Abs. I Buchst. b SchwBG i. Verb. mit § 52 des Bundesversorgungsgesetzes) ein Vorrang zusteht.

Der Kläger ist nicht Schwerbeschädigter im Sinne des § 1 SchwBG, er ist vielmehr einem Schwerbeschädigten gleichgestellt worden (§ 2 SchwBG). Ob der Kläger als Gleichgestellter zu den Schwerbeschädigten im Sinne des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b ZulO brit. Zone zählt, oder ob er auf Grund der Gleichstellung, die nach § 2 Abs. 3 Satz 2 SchwBG auf bestimmte Betriebe oder Arbeitsplätze (vgl. hierzu § 5 SchwBG) beschränkt werden soll, bei der Zulassung gemäß § 36 SchwBG bevorzugt berücksichtigt werden kann (vgl. auch § 21 Abs. 1 letzter Satz SchwBG), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn selbst wenn der Kläger, wie der Berufungsausschuß und die Vorinstanz angenommen haben, wegen der Gleichstellung einen solchen Vorrang hätte, so würde er durch den Vorrang der Beigeladenen, der ihr nach § 36 SchwBG zusteht, ausgeglichen sein; die danach bei der Auswahlentscheidung nur noch in Betracht kommenden Gesichtspunkte des § 18 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 ZulO brit. Zone sind aber - wie das LSG. zutreffend ausführt - von dem Berufungsausschuß erschöpfend gewürdigt worden. Eine über die Rechtskontrolle hinausgehende Nachprüfung der Ermessensentscheidungen der Zulassungsinstanzen ist den Gerichten versagt (vgl. § 54 Abs. 2 SGG). Sie sind nicht befugt, ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens der Zulassungsinstanzen zu setzen. Wenn der beklagte Berufungsausschuß dem Familienstand der Beigeladenen größeres Gewicht als dem Lebens-, Approbations- und Facharztalter des kinderlosen Klägers beigelegt und zu ihren Gunsten auch berücksichtigt hat, daß bisher im gesamten Arztregisterbezirk H nur eine Lungenfachärztin zur Kassenpraxis zugelassen ist, so hat er die Grenzen des ihm nach § 18 ZulO eingeräumten Ermessens nicht überschritten. Dem Berufungsgericht ist auch darin beizutreten, daß die zur Zeit der Entscheidung der Zulassungsinstanzen noch bestehende Anstellung der Beigeladenen im hamburgischen Staatsdienst bei der Auswahlentscheidung grundsätzlich nicht zu ihren Ungunsten berücksichtigt zu werden brauchte.

Nach der Entscheidung des Senats vom 3. Juli 1957 - 6 RKa 2/55 - (SozR. ZulO f. Ärzte (brit. Zone) Bl. Aa 2 Nr. 5) können Änderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die nach der Auswahlentscheidung des Berufungsausschusses eingetreten sind, im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Deshalb kann im vorliegenden Fall auch die neue Zulassungsordnung für Kassenärzte vom 28. Mai 1957 (BGBl. I S. 572), wonach bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern in erster Linie die berufliche Eignung, das Approbationsalter und die Dauer der ärztlichen Tätigkeit, sodann bei der Erstzulassung des Bewerbers seine Eigenschaft als "Schwerbeschädigter im Sinne des § 1 SchwBG" zu berücksichtigen sind (§ 22 Abs. 2), nicht angewendet werden.

Die Revision ist hiernach als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 95

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