Verfahrensgang

SG Augsburg (Urteil vom 11.08.1989)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. August 1989 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Leistungen für Zahnersatz auf der Grundlage der Vorschriften des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversicherung -(SGB V) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477).

Am 31. August 1988 hatte die Beklagte das zahnärztliche Honorar für einen Zahnersatz der Klägerin entsprechend der Gebührenvorausberechnung im Heil- und Kostenplan der Zahnärztin Dr. F. … (Dr. F) vom 28. August 1988 übernommen und den Zuschuß zu den entsprechend dem Vertrag berechneten Material- und Laborkosten auf 60 vH bzw 9,– DM pro Krone/

Brückenglied festgesetzt. Die Behandlung konnte aber wegen einer gesundheitsbedingten Verhinderung der Klägerin nicht mehr im Laufe des Jahres 1988 begonnen werden.

Mit Bescheid vom 12. Januar 1989 teilte die Beklagte der Klägerin mit, ihr Leistungsanspruch werde ab 1. Januar 1989 durch die Vorschriften des SGB V eingeschränkt. Die Genehmigung auf dem alten Heil- und Kostenplan sei damit entfallen. Soweit noch nicht geschehen, sei ein neuer Heil- und Kostenplan auszustellen, der neu genehmigt werden müsse. Der Zuschuß betrage entsprechend den neuen Vorschriften 60% der Gesamtkosten des Zahnarztes. Ausgenommen seien Metallkosten, für die nach wie vor 9,– DM je Krone bzw Brückenglied übernommen würden.

Mit ihrem Widerspruch und der Klage hat die Klägerin keinen Erfolg gehabt. Das Sozialgericht (SG) hat ausgeführt, die Beklagte habe ihre Entscheidung vom 31. August 1988 zu Recht aufgehoben. Sie sei dazu nach § 48 Abs 1 Satz 1 zweite Alternative des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren -(SGB X) befugt gewesen. Wie sich aus einer Auskunft der Frau Dr. F ergebe, erschöpfe sich die Bewilligung nicht in der einmaligen Gestaltung der Rechtslage, sondern betreffe eine aus einem Bündel von Einzelleistungen bestehende Maßnahme und stelle damit einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar. Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes sei im übrigen durch die Übergangsregelung des Art 60 des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) Rechnung getragen.

Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und macht geltend, die Leistungszusage zum Heil- und Kostenplan sei als einmaliger Akt zu werten. Die Genehmigung habe keinen Vorbehalt enthalten, obwohl bereits das Inkrafttreten des GRG zum 1. Januar 1989 bekanntgewesen sei. Gemäß § 47 Abs 1 Nr 1 SGB X dürfe ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft nur widerrufen werden, soweit der Widerruf durch Rechtsvorschriften zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten sei. Beides sei hier nicht gegeben.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. August 1989 und den angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 1989 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist, wie das SG zutreffend entschieden hat, rechtmäßig.

Durch den Bescheid vom 12. Januar 1989 hat die Beklagte ihren Bescheid vom 31. August 1988 wirksam aufgehoben. Die Beklagte weist in dem Bescheid darauf hin, daß der Klägerin im Jahre 1988 ein Zuschuß zum Zahnersatz genehmigt worden sei. Mit dem SG ist dem Bescheid vom 12. Januar 1989 zu entnehmen, daß diese Zusage keine Gültigkeit mehr haben solle.

Ferner soll der Kassenzuschuß nur noch 60 % der Gesamtkosten des Zahnersatzes betragen.

Der Verwaltungsakt vom 12. Januar 1989 ist rechtmäßig.

Nach dem am 31. August 1988 geltenden Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) hatten Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen Anspruch auf zahnärztliche Behandlung (§ 182 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst d RVO). Um diese Leistung geht es im vorliegenden Rechtsstreit, denn die Zuschüsse zu den Material- und Laborkosten sind nicht streitig. Die Vorschrift des § 182 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO ist durch Art 5 Nr 2 des GRG gestrichen worden. Nach den Bestimmungen des § 27 Satz 2 Nr 2 iVm § 30 SGB V, die am 1. Januar 1989 in Kraft getreten sind (Art 79 Abs 1 GRG), erstatten die Kassen den Versicherten bei Versorgung mit Zahnersatz auch für die zahnärztliche Behandlung nur einen bestimmten Teil der Kosten. Der zu erstattende Teil beläuft sich in keinem Fall wie nach der Zusage vom 31. August 1988 auf 100 %. Es ist nicht erkennbar, daß eine Festsetzung auf 60 % der Gesamtkosten des Zahnersatzes in Anwendung der Vorschriften des SGB V rechtswidrig ist.

Ein Anspruch der Klägerin nach den am 31. Dezember 1988 geltenden Vorschriften ergibt sich nicht aus den Übergangsvorschriften des GRG. Art 60 GRG lautet:

Versicherte, deren zahnärztliche Behandlung zur Versorgung mit Zahnersatz oder Zahnkronen oder deren kieferorthopädische Behandlung vor dem 1. Januar 1989 begonnen hat, haben Anspruch nach den am 31. Dezember 1988 geltenden Rechtsvorschriften, wenn die Krankenkasse vor dem 27. April 1988 über den Anspruch bereits schriftlich entschieden hat.

Aus dieser Vorschrift kann die Klägerin ihren Anspruch nicht herleiten, weil die Behandlung weder vor dem 1. Januar 1989 begonnen hatte noch über den Anspruch vor dem 27. April 1988 entschieden worden war.

Die Aufhebung der Vorschrift des § 182 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Buchst d RVO mit Wirkung vom 1. Januar 1989 ist nicht verfassungswidrig. Es bedurfte insoweit auch keiner weitergehenden Übergangsregelung als in Art 60 GRG.

Nicht verletzt ist Art 14 Grundgesetz (GG). Voraussetzung des Eigentumsschutzes sozialversicherungsrechtlicher Positionen ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist; die Rechtsposition genießt die Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht und zudem der Sicherung seiner Existenz dient. Im Sozialversicherungsrecht werden vielfach Ansprüche auf Leistungen von ersichtlich nicht existentieller Bedeutung eingeräumt; solche Ansprüche unterliegen nicht der Eigentumsgarantie. Nicht jede sozialversicherungsrechtliche Position ist an Art 14 GG zu messen mit der Folge, daß sich die Grenzen für gesetzliche Eingriffe nur noch aus Art 14 Abs 1 Satz 2 GG herleiten ließen (BVerfG SozR 2200 § 165 Nr 81 = S 125; BVerfG SozR 4100 § 104 Nr 13 = S 12).

Durch das SGB V ist der Anspruch der Klägerin auf zahnärztliche Behandlung bei der Versorgung mit Zahnersatz beschränkt worden. Dieser konkrete Anspruch hat aber nicht der Existenzsicherung gedient. Seine Einschränkung berührt die freiheitssichernde Funktion der Eigentumsgarantie nicht wesentlich.

Die neue Regelung durch das GRG hinsichtlich des Zahnersatzes entfaltet durch ihre Einwirkung auf gegenwärtig noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen eine unechte Rückwirkung. Sie ist aber auch insoweit nicht verfassungswidrig. Grundsätzlich ist eine unechte Rückwirkung mit der Verfassung vereinbar. Sie ist verfassungswidrig, wenn das Gesetz in einen Vertrauenstatbestand entwertend eingreift und die Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für die Allgemeinheit das Interesse des einzelnen am Fortbestand des bisherigen Zustands nicht übersteigt (BSG SozR 2200 § 200 Nr 12 mwN). Am 27. April 1988 hatte die Bundesregierung den Entwurf des GRG beschlossen und ihn unter dem 29. April 1988 dem Bundesrat zugeleitet (BR-Drucks 200/88). Das Vertrauen der Versicherten, die nach diesem Zeitpunkt Leistungszusagen erhalten hatten, konnte billigerweise keine Rücksichtnahme beanspruchen im Hinblick auf das Anliegen des Gesetzgebers des GRG, die Krankenkassen zu entlasten und Beitragssenkungen zu ermöglichen. Diesem Anliegen entsprach die Anwendung des neuen Rechts vom 1. Januar 1989 an und die Einbeziehung aller noch nicht abgeschlossenen Leistungen im Rahmen des Art 60 GRG.

Die Klägerin kann Leistungen entsprechend der Zusage vom 31. August 1988 auch nicht aufgrund eines Herstellungsanspruchs verlangen. Selbst wenn die Beklagte sie mit der Zusage auf die mögliche Änderung der Rechtslage hätte hinweisen müssen, wäre sie doch nicht deshalb an der Zusage festzuhalten. Die Beklagte hat durch das Unterlassen eines solchen Hinweises jedenfalls keine nachteiligen Folgen für die Rechtsstellung der Klägerin herbeigeführt. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich insbesondere, daß der Zahnersatz auch bei einem Hinweis auf die mögliche Änderung des Gesetzes nicht bereits im Jahr 1988 eingegliedert worden wäre.

Mit der Aufhebung des alten Bescheides mit Wirkung vom 1. Januar 1989 hat die Beklagte demnach nur den materiellen Rechtszustand hergestellt, wie er durch die Regelungen des GRG festgelegt wurde. Ob sie zur formellen Aufhebung schon aufgrund der Übergangsbestimmung des Art 60 GRG oder aber nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X berechtigt war, kann hier dahinstehen, da jedenfalls eine der beiden Bestimmungen als Rechtsgrundlage diente.

Wenn Art 60 GRG nicht zugleich die Ermächtigung zu der streitigen Aufhebung enthalten sollte, dann diente dafür jedenfalls § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Aufhebung nach dieser Bestimmung setzt keine Ermessensausübung voraus; bei der Zusage der Versorgung mit Zahnersatz hat es sich, wie sich jedenfalls aus der Formulierung „begonnen hat” in Art 60 GRG ergibt, um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gehandelt.

Entgegen der Meinung der Klägerin ist die Aufhebung nicht nach § 47 SGB X rechtswidrig. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse ist – hier abgesehen von Art 60 GRG – in § 48 SGB X geregelt, soweit nicht die Voraussetzungen des § 47 Abs 1 Nr 1 oder 2 vorliegen, also bei rechtmäßigen Verwaltungsakten ohne gesetzliches Widerrufsrecht, ohne Widerrufsvorbehalt und ohne Verbindung mit einer Auflage (Schneider-Danwitz in Sozialversicherung Gesamtkomm § 47 SGB X Anm 3 a); im vorliegenden Fall handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit dem Inhalt gemäß § 47 Abs 1 Nr 1 oder Nr 2 SGB X.

Die Kostenentscheidung wird auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes gestützt.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173689

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