Leitsatz (amtlich)

Auch wenn die Witwe des verstorbenen Versicherten wegen ihres Aufenthaltes im Ausland nur eine niedrige Rente ausgezahlt bekommt, ist die Hinterbliebenenrente der geschiedenen Frau nach § 69 Abs 4 RKG (= § 1268 Abs 4 RVO) zu kürzen (Abgrenzung von BSG 26.5.1971 5 RJ 154/70 = BSGE 33, 7 = SozR Nr 20 zu § 1268 RVO).

 

Normenkette

RKG § 69 Abs 4; RVO § 1268 Abs 4

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 14.03.1985; Aktenzeichen L 5 Kn 18/84)

SG Koblenz (Entscheidung vom 23.11.1984; Aktenzeichen S 5 Kn 76/83)

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Höhe einer Hinterbliebenenrente, der sog Geschiedenen-Witwenrente.

Der am 3. September 1977 verstorbene Versicherte P. war von 1937 bis 1951 mit der Klägerin verheiratet. Diese Ehe wurde geschieden. Die Beigeladene zu 1), mit dem Versicherten seit dem 29. September 1951 verheiratet, ist seine Witwe. Sie ist rumänische Staatsangehörige und wohnt in Rumänien. Die Beklagte bewilligte zunächst irrtümlich der Klägerin eine erhöhte Witwenrente nach § 69 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Nachdem die Beklagte erfahren hatte, daß die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten geschieden war, gewährte sie ihr Hinterbliebenenrente gem § 65 RKG (Bescheid vom 15. November 1978). Der Beigeladenen zu 1) erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Februar 1983 ab 1. Januar 1982 erhöhte Witwenrente zu. Diese Rente betrug damals, da sie nach Rumänien gezahlt wird und somit das Auslandsrentenrecht anzuwenden ist, nur 23,50 DM. Die Rente der Klägerin setzte die Beklagte nun, weil eine weitere Berechtigte zu berücksichtigen sei, durch Bescheid vom 15. Februar 1983 ab 1. April 1983 von 1.182,90 DM auf 414,50 DM herab. Der dagegen gerichtete Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. August 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. Februar 1983 verurteilt, der Klägerin ab 1. April 1983 die volle Hinterbliebenenrente abzüglich des nicht ruhenden Teils der Witwenrente der Beigeladenen zu 1) zu gewähren (Urteil vom 23. November 1984). Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 14. März 1985). Es hat ausgeführt: Habe ein Versicherter mehrere anspruchsberechtigte Ehegatten hinterlassen, so habe der Versicherungsträger als Gesamtbetrag nur soviel zu leisten, wie er zahlen müßte, wenn nur einmal die volle Witwenrente zu zahlen wäre. Bei einer Aufteilung der Witwenrente unter mehrere Berechtigte solle der Versicherungsträger vor einer höheren Leistungspflicht geschützt werden. Das erlaube es aber nicht, unter Umständen weniger als eine volle Witwenrente zu zahlen. Der ruhende Teil eines Anspruchs belaste den Versicherungsträger nicht. Er könne daher auch nicht Grund und Maßstab für die Aufteilung der Rente unter mehrere Berechtigte sein.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 69 Abs 4 RKG.

Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beigeladene zu 2) beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Rechtsstreits gem § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin kann eine höhere als die im angefochtenen Bescheid festgestellte Hinterbliebenenrente nicht beanspruchen.

Aus der Versicherung des P. steht der Klägerin eine Hinterbliebenenrente nach § 65 RKG und der Beigeladenen zu 1) eine Witwenrente nach § 64 RKG zu. Nachdem festgestellt worden war, daß die Beigeladene zu 1) berechtigt ist, Witwenrente zu beziehen, mußte die Beklagte die der Klägerin bereits gewährte Rente - ohne Beachtung der Bindungswirkung des bisherigen Leistungsbescheides - gem § 69 Abs 4 Satz 2 RKG neu feststellen (vgl hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juni 1979 - 5a RKn 34/77 -). Das ist im angefochtenen Bescheid vom 15. Februar 1983 geschehen. Wie zu verfahren ist, wenn mehrere Berechtigte nach den §§ 64 und 65 RKG vorhanden sind, ist in § 69 Abs 4 Satz 1 RKG geregelt. Danach erhält jeder Berechtigte nur den Teil der für ihn nach den Abs 1 bis 3 dieser Vorschrift zu berechnenden Rente, der im Verhältnis zu den anderen Berechtigten der Dauer seiner Ehe mit dem Versicherten entspricht. Die Klägerin hat somit Anspruch auf sechs Zehntel der nach § 53 Abs 3 RKG berechneten Versichertenrente (Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit), soweit diese auf die Zeit ihrer Ehe mit dem Versicherten entfällt. Die so berechnete anteilige Hinterbliebenenrente erhält die Klägerin.

Darüber hinaus begehrt die Klägerin einen Teil der Witwenrente, welcher der Beigeladenen zu 1) nicht gezahlt werden kann, weil diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des RKG hat, sondern als rumänische Staatsangehörige in Rumänien lebt. Bei dieser Witwenrente handelt es sich folglich um eine Auslandsrente, auf die die Vorschriften der §§ 105 ff RKG (= §§ 1315 ff Reichsversicherungsordnung -RVO-) anzuwenden sind. Für den Jahresbetrag einer solchen Rente werden gem § 106 Abs 2 Satz 2 iVm § 108 Abs 1 RKG von den anrechnungsfähigen Versicherungsjahren nur diejenigen berücksichtigt, für die im Geltungsbereich des RKG Beitragszeiten zurückgelegt worden sind. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits die Modalitäten der Rentenaufteilung in § 1268 Abs 4 RVO (= § 69 Abs 4 RKG) als klar geregelt angesehen. Maßgebend ist das Verhältnis der jeweiligen Ehedauer (vgl BSGE 51, 1, 2 = SozR 2200 § 1268 Nr 18). Hier sind mehrere Berechtigte vorhanden, die Klägerin und die Beigeladene zu 1). Es "erhält jeder von ihnen nur den Teil der für ihn ... zu berechnenden Rente". Der Wortlaut des § 69 Abs 4 Satz 1 RKG läßt also unterschiedliche Rentenberechnungen zu und räumt jeder Berechtigten nur einen Anspruch auf einen Teil "ihrer" Rente ein. Die Besonderheit besteht hier darin, daß zwei volle, aber unterschiedlich hohe Renten zu berechnen sind, eine Inlandsrente für den Anteil der Klägerin und eine - niedrigere - Auslandsrente für den der Beigeladenen zu 1). Auch bei letzterer Rente handelt es sich um eine "volle" Witwenrente, deren Höhe jedoch maßgebend vom Auslandsrentenrecht bestimmt wird. Hingegen basiert die Hinterbliebenenrente der Klägerin hauptsächlich auf Fremdrentenzeiten, denn der Versicherte hat sich erst seit 1969 im Bundesgebiet aufgehalten. Die eindeutige gesetzliche Regelung in § 69 Abs 4 RKG läßt es nicht zu, einen Teil der für die Beigeladene zu 1) berechneten Rente der Klägerin zu gewähren. Wenn die Beklagte für Fremdrentenzeiten nichts ins Ausland zu leisten hat, so ist das eine Auswirkung des Auslandsrentenrechts, die unabhängig von der Rentenaufteilung nach § 69 Abs 4 RKG eintritt.

Das LSG hat nicht verkannt, daß jede der berechtigten Hinterbliebenen einen eigenen, selbständigen Rentenanspruch hat. Auch die Rente der Beigeladenen zu 1) war zunächst so zu berechnen, wie das zu geschehen hätte, wenn sie sich gewöhnlich im Inland aufhielte (§ 106 Abs 2 Satz 1 RKG). Für die Höhe des Zahlbetrages sind dann jedoch nur die im Geltungsbereich des RKG zurückgelegten Beitragszeiten maßgebend (§§ 106 Abs 2 Satz 2, 108 Abs 1 RKG). Der von der nach § 106 Abs 2 Satz 1 RKG berechneten Rente einschließlich der Fremdrentenzeiten nicht ins Ausland zu zahlende Betrag muß nach Auffassung der Vorinstanzen der Klägerin zugute kommen. Dafür beruft sich das LSG auf die Entscheidung des 5. Senats des BSG vom 26. Mai 1971 (BSGE 33,7 = SozR Nr 20 zu § 1268 RVO). Danach ist die Rente der im Bundesgebiet wohnenden Witwe nicht zu kürzen, solange die Hinterbliebenenrente der geschiedenen Ehefrau des Versicherten nicht zu zahlen ist, weil diese ihren Wohnsitz nicht im Geltungsbereich der RVO hat. Das BSG hat dazu ausgeführt (BSGE aaO S 8), der Versicherungsträger habe unabhängig von der Zahl anspruchsberechtigter Ehegatten als Gesamtbetrag nur soviel zu leisten, wie er beim Vorhandensein einer hinterbliebenen Ehefrau zu leisten hätte. Die Aufteilung dieser einen Witwenrente habe die Funktion, den Versicherungsträger vor einer höheren Leistungspflicht zu schützen. Dieser gesetzgeberische Zweck erlaube es nicht, aus der Vorschrift des § 1268 Abs 4 RVO (= § 69 Abs 4 RKG) abzuleiten, unter Umständen sei weniger als eine volle Witwenrente zu zahlen. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, daß jede dieser Berechtigten nicht nur einen Stammanspruch auf die Rente habe, sondern auch einen Anspruch auf die wiederkehrenden Einzelleistungen. Nach § 1268 Abs 4 Satz 2 RVO (= § 69 Abs 4 Satz 2 RKG) mache nur ein weiterer Berechtigter, der zu berücksichtigen sei, eine Neufeststellung der Rente erforderlich. Das habe jedoch nur dann zu geschehen, wenn an mehrere hinterbliebene Ehegatten gezahlt werden müsse, nicht dagegen, wenn der Versicherungsträger einen unberücksichtigt lassen könne. Die Vorschrift habe nicht den Zweck, den Versicherungsträger darüber hinaus zu entlasten und besser zu stellen (vgl auch BSGE 53, 235, 241 = SozR 2200 § 1268 Nr 20).

Es kann hier dahingestellt bleiben, ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Berechtigter iS des § 69 Abs 4 RKG nur derjenige ist, der zu "berücksichtigen" ist, weil ihm tatsächlich eine Rente ausgezahlt wird, so trifft das hier zu. Von dem der Entscheidung des BSG vom 26. Mai 1971 (aaO) zugrunde liegenden Sachverhalt unterscheidet sich der Fall der Klägerin insoweit, als die Beigeladene zu 1) eine - wenn auch nur geringe - Rente erhält. Sie ist demnach - ebenso wie die Klägerin - Berechtigte, die zu berücksichtigen ist. Hier bleibt somit die Frage, ob der Versicherungsträger unter Umständen an beide Berechtigten zusammen weniger als die volle Witwenrente zu zahlen hat, wenn auf die Witwe das Auslandsrentenrecht anzuwenden ist. Das wird vom erkennenden Senat bejaht.

Seit der Neuregelung des Auslandsrentenrechts durch das Gesetz über die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1982 (RAG 1982) vom 1. Dezember 1981 (BGBl I 1205) spricht der Gesetzgeber nicht mehr vom Ruhen der Rente beim Auslandsaufenthalt wie früher in den §§ 105 ff RKG aF. Jetzt ist in den neuen Vorschriften der §§ 105 ff RKG geregelt, wann Rente und ggf in welcher Höhe zu zahlen ist. Die Abkehr vom Begriff des Ruhens ist hier jedoch nicht von Bedeutung, weil es für die Beantwortung der in diesem Fall ausschlaggebenden Rechtsfrage keinen Unterschied macht, ob ein Teil der Rente ruht, ob er nicht auszuzahlen ist oder ob insoweit überhaupt kein Anspruch besteht.

Sind Hinterbliebenenrenten an mehrere Berechtigte zu zahlen, so kommen - soweit hier von Interesse - drei Möglichkeiten in Betracht: alle Rentenbezieher halten sich im Geltungsbereich des RKG auf, bei allen handelt es sich um Fälle mit "Auslandsberührung" oder es sind sowohl Renten im Inland, als auch ins Ausland zu zahlen. Nur bei der dritten Möglichkeit kann von einer "Entlastung" des Versicherungsträgers die Rede sein, aber auch nur dann, wenn zum Vergleich die Rentenzahlung im Bundesgebiet herangezogen wird. Beim gewöhnlichen Aufenthalt des oder der Berechtigten nicht im Geltungsbereich des RKG wird die Beklagte zB nicht mit Fremdrentenzeiten "belastet". Was also die "volle" Witwenrente ist, kann von der Fallgestaltung abhängen. Da jedoch auch bei "Auslandsberührung" die Rente zunächst wie bei gewöhnlichem Aufenthalt im Geltungsbereich des RKG zu berechnen ist, kann man jedoch vom Ergebnis dieser Berechnung ausgehen. Der Senat sieht allerdings keine Handhabe, der Klägerin denjenigen Teil dieser Rente zuzubilligen, den die Beigeladene zu 1) wegen des anzuwendenden Auslandsrentenrechts nicht erhält.

Die Regelung in § 69 Abs 4 RKG hat die Funktion, den Versicherungsträger vor einer höheren Leistungspflicht zu schützen. Daraus kann einerseits nicht abgeleitet werden, daß er uU weniger als die volle Witwenrente zu zahlen hat, andererseits aber auch nicht, daß er in jedem Fall den gesamten Betrag erbringen muß. Eine gesetzliche Bestimmung, der der Klägerin das bei der Beigeladenen zu 1) "Ersparte" zuerkennen würde, existiert nicht. Insoweit ist auch keine planwidrige Lücke im Gesetz erkennbar, die der Senat ausfüllen könnte. Es kommt für die in § 69 Abs 4 RKG geregelte Aufteilung der Witwenrente allein darauf an, ob mehrere Berechtigte vorhanden sind, nicht dagegen darauf, ob ihnen ihr jeweiliger Anteil auch auszuzahlen ist.

Geht man mit der Entscheidung des BSG vom 26. Mai 1971 (aaO) davon aus, derjenige der nichts erhalte, sei auch nicht Berechtigter iS des § 69 Abs 4 RKG, so ist es doch hier gerade nicht so; denn die Beigeladene zu 1) erhält Leistungen. Mag der Zahlbetrag auch gering sein, so kann deshalb nicht von dem zwingend vorgeschriebenen Aufteilungsmodus - Dauer der Ehe - abgewichen werden. Das Gesetz kennt die Auszahlung der Witwenrente an nur eine Berechtigte oder aber die Teilung gem der genannten Vorschrift. Nicht vorgesehen ist eine inländische Hinterbliebenenrente, deren Höhe sich aus der vollen Rente abzüglich des ins Ausland zu zahlenden Teils ergibt.

Es kann hier nicht darauf abgestellt werden, die Beklagte würde ungerechtfertigt "entlastet". Dieser Effekt tritt bei der Anwendung der §§ 106 Abs 2, 108 Abs 1 RKG immer ein, wenn zB im Inland Fremdrentenzeiten sich auf den Zahlbetrag auswirken. Das ist beabsichtigt. Unabhängig davon ist die Aufteilung nach § 69 Abs 4 RKG vorzunehmen, wenn mehrere Renten zu zahlen sind. Das Eingliederungsprinzip des Fremdrentenrechts, das die von ihm erfaßten Personen so stellt, als ob sie hier beschäftigt und versichert gewesen seien, bewirkt keine Verpflichtung der Solidargemeinschaft aller Versicherten für Fremdrentenzeiten gegenüber der Beigeladenen zu 1) einzustehen. Es führt aber auch nicht dazu, die Klägerin besser zu stellen, als sie stehen würde, wenn die Aufteilung der Witwenrente unter zwei Berechtigte im Bundesgebiet vorzunehmen wäre.

Die Urteile der Vorinstanzen mußten daher aufgehoben werden und die Klage war abzuweisen (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 110

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