Leitsatz (redaktionell)

1. Die Bindungswirkung eines SVD-Bescheides entfällt nicht mit Inkrafttreten des BVG. Zwar werden SVD-Entscheidungen mit diesem Zeitpunkt wirkungslos. Soweit sie aber über den ursächlichen Zusammenhang entschieden haben, bleiben sie nach BVG § 85 für den zeitlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes rechtsverbindlich. Dabei ist das Wesen der Bindung ebenso wie das der Rechtskraft grundsätzlich durch das Verbot geprägt, in derselben Sache nochmals zu entscheiden.

2. Ein Bescheid, der ein Leiden ohne Begründung wegläßt, das in der Leidensbezeichnung des vorangegangenen Bescheides enthalten gewesen ist, regelt das Versorgungsverhältnis nicht erschöpfend; es liegt darin auch keine Rücknahme der Anerkennung des Leidens. Denn die Rücknahme, wie auch jede andere Regelung durch Verwaltungsakt, kann im (früheren und heutigen) Versorgungsrecht nicht stillschweigend erfolgen. Sie muß so gestaltet sein, daß der Betroffene die (ihm ungünstige) Rechtsfolge klar und unzweideutig erkennen kann. Hierzu gehört der Ausspruch, daß der frühere Bescheid unrichtig ist, inwiefern er unrichtig ist, und daß er ganz oder teilweise aufgehoben wird.

Hat demnach ein SVD-Bescheid die Anerkennung eines früher anerkannten Leidens nur weggelassen, aber nicht ausdrücklich zurückgenommen, so wirkt die Anerkennung des vorangegangenen Bescheides nach BVG § 85 weiter, und zwar auch über einen bindenden Umanerkennungsbescheid hinaus.

 

Normenkette

BVG § 85 Fassung: 1950-12-20; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 22 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 25. März 1960 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der am 11. Februar 1921 geborene Kläger, von Beruf Rangierer und später Weichensteller bei der Deutschen Bundesbahn, leistete von 1941 bis 1945 Wehrdienst; er ist mehrfach verwundet und einmal verschüttet worden. 1946 beantragte er bei der damals zuständigen Reichsbahn-Versicherungsanstalt Versorgung wegen seiner Verletzungsfolgen am linken Oberschenkel, an der rechten Kopfseite und am linken Fuß sowie wegen der Folgen einer bei der Verschüttung erlittenen Kopfverletzung und Gehirnerschütterung. Bei der Untersuchung des Klägers am 22. Januar 1946 stellte Dr. Sch reizlose Narben am linken Oberschenkel und rechten Unterkiefer ohne wesentliche Folgeerscheinungen, Zustand nach Schußbruch des linken Fußes mit Versteifung der Großzehe und Neigung zu rückfälligen Entzündungen fest; am selben Tage wurde dem Kläger eine Bescheinigung ausgestellt, in der die vorgenannten Körperschäden als Wehrdienstbeschädigungs- (WDB) Leiden bezeichnet wurden und festgestellt wurde, daß der Kläger der Versehrtenstufe 1 angehöre. Der Vertragsarzt K nahm in seinem versorgungsärztlichen Gutachten vom 4. Dezember 1947 neben den bereits genannten Verletzungsfolgen noch einen Zustand nach Gehirnerschütterung als WDB-Folge an. Erstmalig wies das neurologische Zusatzgutachten des Facharztes für Gemüts- und Nervenleiden Dr. O vom 14. Oktober 1947 in der Vorgeschichte auf eine Krankenhausbehandlung im Sommer 1947 ua wegen Gelenkrheumas hin, ohne daß diese Angabe von den Ärzten weiter gewürdigt worden wäre. Auch in seinem erneut vorgelegten Formularantrag vom 6. Februar 1948 erwähnte der Kläger eine rheumatische Erkrankung nicht.

Am 26. Mai 1948 erließ die Reichsbahn-Versicherungsanstalt einen Bescheid, in dem die Leiden:

1) Durchschuß durch das li. Großzehengrundgelenk mit Versteifung der li. Zehen u. Durchblutungsstörungen des li. Fußes,

2) Oberschenkelsteckschuß li., ohne Folgeerscheinungen, Narbenbildung,

3) Granatsplitterverletzung am Kinn ohne Folgeverschlimmerungen, Narbenbildung,

4) Zustand nach Gehirnerschütterung ohne Folgeerscheinungen,

5) Rheumatismus in beiden Schultern,

als durch unmittelbare Kriegseinwirkung entstanden anerkannt wurden; die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage jedoch weniger als 30 v. H., so daß eine Rente nicht gewährt werden könne. Der Kläger hat diesen Bescheid nicht angefochten.

Am 8. Januar 1949 erließ die Reichsbahn-Versicherungsanstalt einen weiteren Bescheid, in dem die Gesundheitsschäden:

Zustand nach Gehirnerschütterung; Narbe an der rechten Kinnseite und am linken Oberschenkel; Zustand nach Schußbruch der linken Großzehe und der linken 2. Zehe mit Versteifung des Grundgelenks dieser Zehen; Narbe an der linken Fußsohle

als infolge Kriegseinwirkung entstanden anerkannt und dem Kläger weiterhin rückwirkend vom 1. August 1947 an Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 v. H. zuerkannt wurden. Der Kläger hat auch diesen Bescheid, der im Gegensatz zu dem vom 26. Mai 1948 eine Anerkennung des Rheumaleidens nicht mehr enthielt, nicht angefochten.

Anläßlich einer Nachuntersuchung am 18. August 1950 wies der Kläger jedoch wiederum auf die Krankenhausbehandlung wegen Rheumas im Jahre 1947 und seine späteren rheumatischen Beschwerden hin, ohne daß er aber auch einen Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen ausdrücklich behauptete; der Sachverständige lehnte einen Zusammenhang dieser Krankheit mit dem Wehrdienst ohne weitere Begründung ab und nahm im übrigen keine Änderung in den anerkannten Schädigungsfolgen an.

Am 24. März 1952 erließ das inzwischen zuständig gewordene Versorgungsamt (VersorgA) Soest einen Umanerkennungsbescheid, in dem die Bezeichnung der Schädigungsfolgen und die Höhe der MdE unverändert aus dem Bescheid vom 8. Januar 1949 übernommen wurden; lediglich die Gehirnerschütterungsfolge wurde nicht mehr als Schädigungsfolge anerkannt. Der im Bescheid vom 26. Mai 1948 aufgeführt gewesene Rheumatismus wurde auch hier nicht erwähnt.

Bei einer erneuten Nachuntersuchung des Klägers am 12. Januar 1953 konnte Dr. O auf seinem Fachgebiet Schädigungsfolgen nicht mehr feststellen; der ärztliche Dienst des VersorgA schätzte sodann die MdE wegen der sonst noch bestehenden Schädigungsfolgen auf weniger als 25 v. H. Darauf entzog das VersorgA Soest mit Bescheid vom 23. März 1953 die bisher gewährte Beschädigtenrente mit Wirkung vom 1. Juni 1953 an und faßte die Bezeichnung der als Schädigungsfolgen anerkannten Leiden wie folgt neu:

Narbe am Kinn und am linken Oberschenkel. Versteifung der Grundgelenke der linken 1. und 2. Zehen nach Schußbruch, Narbe an der linken Fußsohle.

Der Rheumatismus des Klägers wurde wie schon vorher als anerkannte Schädigungsfolge nicht aufgeführt.

Mit seinem gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, daß er sein Rheumaleiden aus dem Kriege mitgebracht habe und dieses im Bescheid vom 26. Mai 1948 als Schädigungsfolge anerkannt worden sei. Der Beschwerdeausschuß des VersorgA Soest wies den Einspruch am 23. Dezember 1953 mit der Begründung zurück, der Gelenkrheumatismus sei erst nach dem Kriege aufgetreten und keine Schädigungsfolge; auf die vom Kläger behauptete ausdrückliche Anerkennung dieses Leidens im Bescheid vom 26. Mai 1948 ging die Einspruchsentscheidung nicht ein.

In dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund hat der Kläger den Bescheid vom 26. Mai 1948 im Original vorgelegt. Das SG hat darauf den Bescheid vom 23. Dezember 1953 aufgehoben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 23. März 1953 verurteilt, "Gelenkrheumatismus" als weitere Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger, beginnend mit dem 1. August 1955, vorläufig eine Rente nach einer MdE um 50 v. H. zu zahlen. Der Bescheid vom 26. Mai 1948, mit dem der Gelenkrheumatismus des Klägers als Schädigungsfolge anerkannt worden sei, sei rechtskräftig geworden und daher ohne Rücksicht darauf, ob der ursächliche Zusammenhang wahrscheinlich sei, gemäß § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für den Beklagten rechtsverbindlich; diese Anerkennung sei auch durch den Bescheid vom 8. Januar 1949 nicht aufgehoben worden, da er keine Hinweise auf einen diesbezüglichen Willen enthalte; die Nichterwähnung des Rheumaleidens des Klägers in dem Bescheid vom 8. Januar 1949 könne daher nur als Versehen gewürdigt werden.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung mit der Begründung eingelegt, die Bescheide vom 8. Januar 1949 und vom 24. März 1952 seien als Berichtigungsbescheide anzusehen; diese hätten die unrichtige Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers beseitigt. Mit Urteil vom 25. März 1960 hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen das angefochtene Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat den vom Kläger vorgelegten Bescheid vom 26. Mai 1948 entgegen den vom Beklagten geäußerten Zweifeln für echt angesehen, hat den Bescheid vom 8. Januar 1949 jedoch dahin ausgelegt, daß hierdurch der vorausgegangene Bescheid - vom 26. Mai 1948 - aufgehoben und das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers von Grund auf neu geregelt worden sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses ihm am 22. Juli 1960 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Juli 1960 Revision eingelegt. Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Mit seiner nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 22. Oktober 1960 am 21. Oktober 1960 eingegangenen Revisionsbegründung rügt der Kläger, das LSG habe Nr. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11, §§ 85 BVG und 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts verletzt. Seiner Ansicht nach genügt der Bescheid vom 8. Januar 1949 nicht den an einen Berichtigungsbescheid zu stellenden formalen und sachlichen Mindestanforderungen, weil hierin der Wille, den Bescheid vom 26. Mai 1948 hinsichtlich der Anerkennung des Rheumaleidens zurückzunehmen, keinen hinreichend klaren Ausdruck gefunden habe. Der Beklagte sei daher an die gemäß § 85 BVG auch für den zeitlichen Geltungsbereich des BVG rechtsverbindliche Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers gebunden.

Der Beklagte beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Er schließt sich im wesentlichen dem angefochtenen Urteil an.

Die durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist mithin zulässig.

Die Revision ist auch begründet. Denn entgegen der Ansicht des LSG ist der Beklagte gemäß § 85 BVG an die im Bescheid vom 26. Mai 1948 ausgesprochene Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge gebunden, so daß der angefochtene Neufeststellungsbescheid insoweit rechtswidrig ist, als er bei der Entziehung der Rente die sich aus dem anerkannten Rheumaleiden des Klägers ergebende MdE nicht berücksichtigt hat.

In dem Bescheid vom 26. Mai 1948 hat die Reichsbahn-Versicherungsanstalt ua anerkannt, daß "Rheumatismus in beiden Schultern" durch unmittelbare Kriegseinwirkung entstanden ist. Diese Anerkennung ist ein in sich selbständiger, den Kläger begünstigender Verwaltungsakt, der unabhängig von etwaigen weiteren, in demselben Bescheid enthaltenen Verfügungssätzen - etwa über die Gewährung oder Nichtgewährung von Rente, Pflegezulage, Heilbehandlung etc. - der Bindung fähig ist und daher mit seinem Erlaß bzw. mit Eintritt der Unanfechtbarkeit für die Beteiligten in der Sache bindend geworden ist (std. Rechtspr., vgl. insbesondere BSG 9, 80 mit weiteren Nachweisen). Dem Eintritt der Bindung steht nicht entgegen, daß der Bescheid schon vor Inkrafttreten des SGG (§ 77) und des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG - (§ 24) erlassen worden ist; denn bindende Wirkung kam einem derartigen Bescheid auch schon vor Inkrafttreten dieser Vorschriften zu (vgl. BSG 10, 167, 168). Die Bindungswirkung ist auch nicht etwa mit Inkrafttreten des BVG entfallen. Es entspricht zwar der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), daß das BVG das Versorgungsrecht von Grund auf neu geordnet hat, und daß mit der Aufhebung der dem BVG zeitlich vorangegangenen Gesetze die während ihrer Geltung getroffenen Entscheidungen wirkungslos geworden sind, soweit nicht das neue Gesetz ihnen ausdrücklich fortwirkende Kraft beilegt (BSG 1, 210; 215; 3, 251, 255; 4, 21, 23; 4, 272, 274). Da aber in dem Bescheid vom 26. Mai 1948 insoweit über den ursächlichen Zusammenhang des Rheumaleidens mit einem schädigenden Vorgang im Sinne des BVG entschieden worden ist, bleibt diese Anerkennung trotz der im übrigen eingetretenen Wirkungslosigkeit früherer versorgungsrechtlicher Bescheide kraft der ausdrücklichen Vorschrift des § 85 BVG auch für den zeitlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes rechtsverbindlich.

Dabei ist das Wesen der Bindung ebenso wie das der Rechtskraft gerichtlicher Urteile grundsätzlich durch das Verbot geprägt, in derselben Sache nochmals zu entscheiden. Trotzdem kann die Bindungswirkung von Verwaltungsakten unter bestimmten Voraussetzungen durchbrochen werden (vgl. §§ 77 letzter Halbsatz SGG, 24 Abs. 1 letzter Halbsatz VerwVG; §§ 62 BVG, 40 bis 42 VerwVG, Nr. 26 SVA Nr. 11, Art. 30 Abs. 4 KBLG). So wäre nach der hier verbindlichen Norm der Nr. 26 SVA Nr. 11 die Reichsbahn-Versicherungsanstalt berechtigt gewesen, die Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge im Bescheid vom 26. Mai 1948 aufzuheben, wenn sich die Voraussetzungen dieser Anerkennung als unzutreffend erwiesen hätten. Das LSG hat in dem Bescheid vom 8. Januar 1949 auch eine solche bindend gewordene Rücknahme der Anerkennung vom 26. Mai 1948 gesehen. Dies ist aber nicht frei von Rechtsirrtum.

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der erkennende Senat zu einer Nachprüfung des Inhalts und der rechtlichen Tragweite des Bescheides vom 8. Januar 1949 befugt. Zwar binden ihn gemäß § 163 SGG die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, sofern hiergegen nicht zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht worden sind. Solche hat der Kläger hier nicht erhoben, sondern das angefochtene Urteil nur in materiell-rechtlicher Hinsicht zur Nachprüfung gestellt. Soweit das LSG aber über den Inhalt und die Tragweite des Bescheides vom 8. Januar 1949 entschieden hat, handelt es sich um eine Entscheidung, die im wesentlichen nicht von tatsächlichen, sondern von rechtlichen Erwägungen getragen wird. Hier hat das LSG Vorschriften angewendet oder hätte sie anwenden müssen, die der Rechtskontrolle des BSG unterliegen (§ 162 Abs. 2 SGG); daher ist das Revisionsgericht auch befugt, die vom LSG vorgenommene Würdigung des Bescheides vom 8. Januar 1949 nachzuprüfen (BSG 7, 53, 56).

Ein Berichtigungsbescheid - als einen solchen hat das LSG den Bescheid vom 8. Januar 1949 gewürdigt - besteht seiner Natur nach aus zwei in sich selbständigen und wesensmäßig verschiedenen Verwaltungsakten, aus der Rücknahme des früheren und dem Erlaß eines neuen, den Gegenstand des früheren erneut regelnden Bescheides. Hierbei ist die Rücknahme der früheren Regelung die zwingende und unumgängliche Voraussetzung für den Erlaß der neuen; denn wegen des in der Bindungswirkung enthaltenen Verbots, über einen bereits unanfechtbar geregelten Anspruch nochmals zu entscheiden, ist für eine beabsichtigte Neuregelung des Versorgungsrechtsverhältnisses nur dann Raum, wenn der frühere Bescheid rechtswirksam aufgehoben worden ist. Auch das LSG hat diese Voraussetzung nicht verkannt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Verwaltungsbehörde mit dem Bescheid vom 8. Januar 1949 aber die im Bescheid vom 26. Mai 1948 enthaltene Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge nicht aufgehoben. Denn es kann nicht entscheidend darauf ankommen, ob die Rechtsvorgängerin des Beklagten den Bescheid vom 8. Januar 1949 in Kenntnis des vorausgegangenen Bescheides vom 26. Mai 1948 und mit dem Willen erlassen hat, diesen aufzuheben, soweit er der getroffenen Neuregelung entgegenstand. Ein solcher vom LSG in tatsächlicher Hinsicht bindend (§ 163 SGG) festgestellter Wille hätte vielmehr nur dann und nur insoweit rechtliche Bedeutung erlangen können, wenn er ausdrücklich in der Form eines Verwaltungsakts und damit in einer dem Kläger erkennbaren Weise Ausdruck gefunden hätte. Das ist hier aber entgegen der Ansicht des LSG nicht geschehen.

Jeder versorgungsrechtliche Verwaltungsakt ist in der Form eines schriftlichen Bescheides zu erlassen und in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu begründen (§§ 1, 2 SVD Nr. 27, §§ 1583 ff RVO; heute § 22 VerwVG). Daraus folgt, daß stillschweigende Regelungen jedenfalls im Versorgungsrecht unzulässig und wegen Formmangels nichtig sind (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts 7. Aufl. S. 218, 219). Der Auffassung des LSG, der Bescheid vom 8. Januar 1949 enthalte im Ergebnis (stillschweigend) die Aufhebung der im Bescheid vom 26. Mai 1948 ausgesprochenen Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge, kann daher nicht gefolgt werden. Vielmehr hätte es hierzu eines ausdrücklichen, in sich selbständigen und von etwaigen weiteren in dem Bescheid enthaltenen Verfügungssätzen getrennten oder doch trennbaren Verwaltungsakts bedurft. Es entspricht weiterhin anerkannten Rechtsgrundsätzen, daß der Verwaltungsakt als die Festlegung von Rechten und Pflichten für den Einzelfall klar und bestimmt sein muß, daß er also insbesondere dem Betroffenen bündigen Aufschluß darüber geben muß, was für ihn rechtens sein soll (vgl. BSG 3, 217, 274; BSG SozR SGG § 148 Bl. Da 4 Nr. 13; Forsthoff aaO S. 201, 202). Diese Anforderungen sind insbesondere an einen belastenden Verwaltungsakt zu stellen, der die Rechtslage für den Betroffenen ungünstiger als bisher gestaltet. Besteht die Beschwer darin, daß dem Betroffenen eine ihm günstige Rechtsstellung, die er auf Grund eines früheren Verwaltungsakts innehat, durch Rücknahme desselben entzogen werden soll, so muß der diese Rücknahme aussprechende Verwaltungsakt so gestaltet sein, daß der Betroffene diese ihm ungünstige Rechtsfolge klar und unzweideutig erkennen kann. Hierzu gehört, wie schon das Reichsversorgungsgericht (RVG) entschieden hat, daß ausdrücklich ausgesprochen wird, daß der frühere Bescheid unrichtig ist, inwiefern er unrichtig ist, und daß er ganz oder teilweise als unrichtig aufgehoben wird (RVG 5, 218, 219 mit weiteren Nachweisen). Diese Forderung ergibt sich zwanglos aus der erhöhten Bestandskraft, die unanfechtbaren versorgungsrechtlichen Verwaltungsakten nach den §§ 77 SGG, 24 VerwVG zukommt; seine nach den vorgenannten Vorschriften bestehende Bindung kann deshalb nur durch einen Verwaltungsakt durchbrochen werden, der den vorstehend dargelegten Anforderungen entspricht, insbesondere also die beabsichtigte Rechtsfolge der Rücknahme des früheren Verwaltungsakts in einer dem Betroffenen unzweifelhaft erkennbaren Weise ausspricht. Das ergibt sich im übrigen auch aus dem Anspruch des Betroffenen auf umfassenden Rechtsschutz gegen rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt in seinem privaten Lebensbereich, wie er durch das Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4) und das SGG (§§ 78 ff, 51 ff) verbürgt ist. Der Verwaltungsakt, durch den in den Rechtsbereich des Betroffenen eingegriffen wird, muß somit so ausgestaltet sein, daß der Umfang und Tragweite der in ihm ausgesprochenen Beschwer voll erkennen läßt, nicht zuletzt auch deshalb, damit der Betroffene sein weiteres Handeln entsprechend einrichten kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie vorliegend in einem Bescheid mehrere Verfügungssätze enthalten sind, die den Betroffenen teils begünstigen, teils belasten. Hier erfordert es die Pflicht der Verwaltung zu einer klaren und bestimmten Ausdrucksform noch mehr als sonst, daß die in dem Gesamtbescheid mitenthaltene belastende Regelung in einer Weise kenntlich gemacht wird, daß bei dem Betroffenen unter Berücksichtigung der weithin zu unterstellenden Rechtsunkenntnis kein Zweifel über die Tragweite und die Auswirkungen dieses Teiles des Bescheides auf seine Rechtssphäre bestehen kann. Hierzu kommt schließlich die gesetzlich besonders normierte Begründungspflicht für versorgungsrechtliche Bescheide, aus denen sich ergeben muß, welche Umstände die an strenge Voraussetzungen geknüpfte Rücknahme einer früheren, den Betroffenen günstigen Regelung rechtfertigen.

Diesen Anforderungen, die an jeden versorgungsrechtlichen Verwaltungsakt zu stellen sind, insbesondere aber an einen solchen, durch den dem Betroffenen eine ihm früher verliehene günstige Rechtsposition entzogen werden soll, genügt der Bescheid vom 8. Januar 1949 hinsichtlich der angeblich beabsichtigt gewesenen Rücknahme der Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers im Bescheid vom 26. Mai 1948 nicht. Der Bescheid ist weder als "Berichtigungsbescheid" oder ähnlich unzweideutig überschrieben, noch hat sonstwie in ihm der vom LSG angenommene Wille der Rechtsvorgängerin des Beklagten zur Rücknahme dieser Anerkennung in einer dem Kläger erkennbaren Weise Ausdruck gefunden. Er enthält auch nicht die gesetzlich gebotene Begründung, inwiefern die strengen Voraussetzungen für die Aufhebung der früheren Anerkennung als erfüllt angesehen worden sind. Zwar zeigt ein Vergleich der Bescheide vom 26. Mai 1948 und vom 8. Januar 1949 hinsichtlich der aufgeführten Schädigungsfolgen, daß dieser das 1948 noch aufgeführte Rheumaleiden des Klägers nicht mehr erwähnt hat. Hieraus allein kann aber nicht der rechtliche Schluß gezogen werden, daß die bindend gewordene Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge rechtswirksam aufgehoben werden sollte. Jedenfalls konnte eine solche Anerkennung nicht durch stillschweigende Auslassung der Aufführung dieser Schädigungsfolge in dem neuen Bescheid aufgehoben werden; vielmehr hätte es hierzu, wie ausgeführt, eines selbständigen, diese Rechtsfolge mit unmißverständlicher Deutlichkeit aussprechenden Verwaltungsakts bedurft. Da weder der Bescheid vom 8. Januar 1949 noch einer der nachfolgenden Bescheide einen solchen Verwaltungsakt darstellen, hat die Rechtsvorgängerin des Beklagten - entgegen ihrer angeblichen Absicht - das Rheumaleiden des Klägers als Schädigungsfolge nicht rechtswirksam aberkannt, so daß die Anerkennung über den 8. Januar 1949 hinaus und gemäß § 85 BVG auch im zeitlichen Geltungsbereich des BVG für die Beteiligten, hier also insbesondere für den Beklagten, bindend fortbestanden hat. Daher hat der Beklagte sowohl im Bescheid vom 8. Januar 1949 wie auch in den nachfolgenden Bescheiden, insbesondere in dem hier streitigen Bescheid vom 23. März 1953, das Versorgungsverhältnis des Klägers nicht erschöpfend geregelt; er hätte das Rheumaleiden bei der Festsetzung der Rente berücksichtigen müssen.

Der Kläger hat mit seiner Klage die Änderung aller dieser Bescheide nicht begehrt, sondern seinen Klageantrag auf die Aufhebung des Neufeststellungsbescheides vom 23. März 1953 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Dezember 1953 und die Gewährung von Beschädigtenrente nach einer MdE um 50 v. H. über den 31. Mai 1953 hinaus beschränkt. Aber auch bei diesem Klageanspruch konnte das Urteil des LSG keinen Bestand haben, weil es in rechtlich unzutreffender Weise davon ausgegangen ist, daß der Bescheid vom 8. Januar 1949 die Anerkennung des Rheumaleidens des Klägers als Schädigungsfolge wirksam zurückgenommen hat, und weil es damit den rechtlichen Fortbestand dieser Anerkennung zu Unrecht verneint hat. Der Senat hat es jedoch als untunlich angesehen, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG), zumal tatsächliche Feststellungen des LSG über die Höhe der auch unter Berücksichtigung des Rheumaleidens des Klägers bestehenden MdE des Klägers für die Zeit vom 1. Juni 1953 an fehlen. Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325585

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