Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschaftsgeld, Bezug von. Erziehungsgeld, Bezug von. Lohnersatzleistung. Arbeitslosenhilfe. Unterbrechung. Kindererziehung. Kinderbetreuung. Anwartschaftszeit. gleichgestellte Zeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die neben dem Erziehungsgeld gezahlte Arbeitslosenhilfe ist keine Lohnersatzleistung iS des § 107 S 1 Nr. 5 Buchst c AFG.

2. Der Bezug von Erziehungsgeld verliert durch den gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosenhilfe nicht die anwartschaftsbegründende Wirkung für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

 

Normenkette

AFG § 107 S. 1 Nr. 5 Buchst. c Fassung: 6.12.1985; BErzGG § 2 Abs. 2 Sätze 2, 3 (Fassung; 6.12.1985)

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.06.1994; Aktenzeichen L 12 Ar 142/92)

SG Detmold (Entscheidung vom 17.06.1992; Aktenzeichen S 11 Ar 73/90)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Juni 1994 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die 1960 geborene Klägerin begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab 24. April 1989.

Vom 15. Juni 1985 bis 30. September 1987 war sie Studienreferendarin (Beamtin auf Widerruf); danach bezog sie vom 1. Oktober 1987 bis zum 25. Februar 1988 Arbeitslosenhilfe (Alhi), vom 26. Februar bis zum 4. Juni 1988 Mutterschaftsgeld (Mug) und vom 9. April 1988, dem Tag der Geburt ihres Kindes, bis 8. April 1989 Erziehungsgeld (Erzg); das in der Zeit vom 9. April bis zum 4. Juni 1988 gezahlte niedrigere Mug wurde auf das höhere Erzg angerechnet. Vom 6. Juni bis 26. Oktober 1988 wurde ihr neben dem Erzg Alhi gewährt.

Am 24. April 1989 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alg. Sie stellte sich der Arbeitsvermittlung für eine wöchentliche Beschäftigung von 30 Stunden vormittags zur Verfügung; insoweit war für die Tochter eine Betreuungsperson vorhanden.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Alg ab, weil die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren nicht mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe; die Zeit des Bezugs von Erzg stehe nämlich dann den Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung nicht gleich (§ 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c Arbeitsförderungsgesetz ≪AFG≫), wenn daneben Alhi gezahlt werde. In der Zeit vom 6. Juni bis 26. Oktober 1988 sei somit weder eine beitragspflichtige Beschäftigung noch eine laufende Lohnersatzleistung nach dem AFG unterbrochen worden (Bescheid vom 3. Juli 1989; Widerspruchsbescheid vom 22. März 1990).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17. Juni 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alg ab 24. April 1989 zu zahlen (Urteil vom 8. Juni 1994). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, alle Voraussetzungen für die Gewährung von Alg lägen vor. Insbesondere habe die Klägerin in der dreijährigen Rahmenfrist (24. April 1986 bis 23. April 1989) die erforderliche Anwartschaftszeit von 360 Kalendertagen (§ 104 AFG) durch den Bezug von Mug und Erzg erfüllt (§ 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst b und c AFG). Dem stehe nicht entgegen, daß vom 6. Juni bis 26. Oktober 1988 neben dem Erzg Alhi gezahlt worden sei. Der vom Gesetz geforderte Tatbestand der Unterbrechung einer Lohnersatzleistung nach dem AFG sei gleichwohl für diesen Zeitraum zu bejahen.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG, Die Auffassung des LSG sei mit Wortlaut und Zweck dieser Vorschrift nicht vereinbar. Unterbrochen sei eine Lohnersatzleistung nur, wenn und soweit diese tatsächlich eingestellt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist im wesentlichen auf die Entscheidung des LSG.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), weil es an für eine abschließende Entscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 3. Juli 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 1990, gegen den sich die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) wendet. Inhaltlich geht es um die Gewährung von Alg ab 24. April 1989; unklar ist indes der Leistungszeitraum. Dem Vorbringen der Klägerin kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß sie iS eines Grundurteils nach § 130 SGG nur eine Entscheidung über das Bestehen eines Anspruchs als solchen am 24. April 1989 erstrebt hat; demgemäß enthalten weder Tenor noch Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils eine entsprechende Beschränkung. Es fehlen andererseits Hinweise darauf, für welche Zeit insgesamt der Klägerin Alg zustehen soll. Das LSG mag bei seiner erneuten Entscheidung das Begehren der Klägerin, die nach ihrer Angabe beim LSG vom 20. August 1990 bis 21. Oktober 1991 und ab 1. Oktober 1992 beruflich tätig war, einer näheren Überprüfung unterziehen.

Allerdings verlangt die Klägerin nicht, auch nicht hilfsweise, die Zahlung von Alhi. Die Beklagte hat bislang ausschließlich über Alg entschieden; dies zeigt sich darin, daß sie im angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 1989 um Rücksendung eines beigefügten Alhi-Antragsformulars gebeten hat. Da die Klägerin dem nicht nachgekommen ist und weder im Widerspruchs- noch im Klage- und Berufungsverfahren hilfsweise einen Alhi-Anspruch geltend gemacht hat, muß – selbst unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl. BSGE 74, 77, 79 mwN = SozR 3-4100 § 104 Nr. 11) – davon ausgegangen werden, daß sie keine Entscheidung über Alhi begehrt.

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Insbesondere hat die Klägerin die Berufung nach Einlegung nicht gemäß § 156 Abs. 1 SGG teilweise zurückgenommen. Zwar hat sie im Berufungsverfahren zunächst die uneingeschränkte Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Alg, hilfsweise zur Zahlung von Alg Zug um Zug gegen Rückzahlung der in der Zeit vom 6. Juni bis 26. Oktober 1988 gezahlten Alhi beantragt und danach im Schriftsatz nur noch den Hilfsantrag unter Rückgriff auf das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begründet. Daß damit aber auf die Geltendmachung eines unmittelbar aus den §§ 100 ff AFG resultierenden Alg-Anspruchs verzichtet werden sollte, kann vernünftigerweise nicht angenommen werden. Zu Recht hat deshalb das LSG, das ohnedies an die Fassung der Anträge nicht gebunden war (§§ 153 Abs. 1, 123 SGG), keine Veranlassung gesehen, die Beklagte nur zur Zahlung von Alg Zug um Zug gegen Rückzahlung der gewährten Alhi zu verurteilen, sondern über den weiter gehenden, in der mündlichen Verhandlung erneuerten Antrag entschieden. Ein teilweiser Verlust des Rechtsmittels der Berufung (§ 156 Abs. 2 SGG) war nicht eingetreten.

Die Berufung der Klägerin war auch statthaft, da die Berufungsausschlußgründe der §§ 144, 147 SGG in der (wegen Art. 14 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 – BGBl I 50) bis 28. Februar 1993 geltenden Fassung nicht eingreifen (§ 143 SGG). Es handelt sich nicht um eine Streitigkeit wegen eines Anspruchs auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten) – § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG aF –, da die Dauer des Alg-Anspruchs gemäß § 106 Abs. 1 Satz 1 AFG (in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Verlängerung des Versicherungsschutzes bei Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit vom 27. Juni 1987 – BGBl I 1542) mindestens 156 Tage beantragen würde und die Klägerin die gesetzliche Anspruchsdauer nutzen wollte.

Ob ihr Alg gemäß § 100 AFG unter den in weiteren Vorschriften genannten Voraussetzungen zusteht, bedarf noch näherer Prüfung durch das LSG, wenngleich der Anspruch nicht an der fehlenden Anwartschaftszeit iS des § 104 AFG (hier idF des Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes vom 15. Oktober 1984 – BGBl I 1277) scheitern dürfte. Danach hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) gestanden hat (Abs. 1 Satz 1); die Rahmenfrist geht dem ersten Tag der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg erfüllt sind (Abs. 2). Sie beträgt drei Jahre und reicht nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hinein, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (Abs. 3). Den Zeiten einer beitragspflichtigen Beschäftigung stehen gemäß § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst b AFG seit 1. Januar 1984 (vgl. Haushaltsbegleitgesetz vom 22. Dezember 1983 – BGBl I 1532) Zeiten des Bezugs von Mug und gemäß § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG seit 1. Januar 1986 (vgl. Gesetz über die Gewährung von Erzg und Erziehungsurlaub vom 6. Dezember 1985 ≪BErzGG≫ – BGBl I 2154) Zeiten des Bezugs von Erzg gleich, wenn durch die Schwangerschaft oder Mutterschaft (beim Mug) bzw durch die Betreuung und Erziehung des Kindes (beim Erzg) eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung oder der Bezug einer laufenden Lohnersatzleistung nach dem AFG unterbrochen worden ist.

Innerhalb der (bei Bejahung aller sonstigen Anspruchsvoraussetzungen am 24. April 1989) geltenden Rahmenfrist vom 24. April 1986 bis 23. April 1989 hat die Klägerin mehr als 360 Tage an anwartschaftsbegründenden Zeiten aufzuweisen. Sie war zwar nicht beitragspflichtig beschäftigt; die Tätigkeit als Studienreferendarin (bis 30. September 1987) war gemäß § 169 AFG (idF des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – vom 18. August 1980 – BGBl I 1469) iVm dem bis 31. Dezember 1988 geltenden § 172 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung beitragsfrei. Die Klägerin hat jedoch insgesamt mehr als 360 Kalendertage Mug und Erzg bezogen und die für die anwartschaftsbegründende Wirkung dieser Bezugszeiten erforderlichen Voraussetzungen (§ 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst b und c AFG) erfüllt. Durch die Schwangerschaft und Mutterschaft sowie die anschließende Betreuung und Erziehung des Kindes wurde eine laufende Lohnersatzleistung nach dem AFG im gesamten Zeitraum vom 26. Februar 1988 bis 8. April 1989 unterbrochen.

Unmittelbar vor Erhalt des Mug bezog die Klägerin mit der Alhi eine laufende Lohnersatzleistung nach dem AFG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Unterbrechungstatbestand bei dieser Sachlage gewahrt, wenn sich – wie hier – mehrere mit der Betreuung und Erziehung eines Kindes und dessen Geburt zusammenhängende gleichgestellte Zeiten aneinanderreihen, sich die erste Zeit an den Bezug einer Lohnersatzleistung nach dem AFG anschließt und nach der letzten gleichgestellten Zeit eine Arbeitslosmeldung erfolgt (BSGE 72, 177, 181 = SozR 3-4100 § 112 Nr. 13; BSGE 74, 28, 33 ff = SozR 3-4100 § 107 Nr. 6; BSGE 74, 77, 88 f = SozR 3-4100 § 104 Nr. 11). Dabei ist unerheblich, daß sich die Klägerin nicht im unmittelbaren Anschluß an das Ende des Erzg-Bezugs, sondern erst etwa zwei Wochen danach arbeitslos gemeldet hat. § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG kennt nämlich anschlußwahrende Überbrückungszeiten, wie die der Erziehung und Betreuung des Kindes in dessen (zumindest) ersten drei Lebensjahren (vgl. BSGE 74, 28, 34 ff = SozR 3-4100 § 107 Nr. 6).

Schließlich steht der Anwendung des § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG für die Zeit vom 6. Juni bis 26. Oktober 1988 nach dem Willen des Gesetzgebers nicht der gleichzeitige Bezug von Alhi entgegen. Anders ausgedrückt: Auch die Zeit eines gleichzeitigen Bezugs von Erzg und Alhi ist anwartschaftsbegründend, da die Alhi keine Lohnersatzleistung iS des § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG darstellt. Insoweit rechtfertigt die Entstehungsgeschichte der durch das BErzGG eingefügten Vorschrift eine teleologische Reduktion der Norm.

Der Entwurf der Bundesregierung zum BErzGG gebrauchte den Begriff der Lohnersatzleistung nicht nur in § 107 Satz 1 Nr. 5 Bucht c AFG (vgl. § 24), sondern auch in § 2 Abs. 2 BErzGG (BT-Drucks 10/3792). Danach stand einer den Anspruch auf Erzg ausschließenden Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit der Bezug einer Lohnersatzleistung gleich, wenn der Bemessung dieser Leistung ein Arbeitsentgelt für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung iS des AFG oder ein entsprechendes Arbeitseinkommen zugrunde lag. Da der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 27. September 1985 (BT-Drucks 10/3926) um Überprüfung gebeten hatte, wurde der Terminus der Lohnersatzleistung durch eine Aufzählung von Leistungen in § 2 Abs. 2 Satz 2 BErzGG ersetzt (vgl. BT-Drucks 10/4039; BT-Drucks 10/4148; BT-Drucks 10/4212 S 5), wobei die Alhi ausgenommen war (vgl. zur Fortschreibung dieser Rechtslage durch das Erste Gesetz zur Änderung des BErzGG vom 17. Dezember 1990 – BGBl I 2823 – die BT-Drucks 11/7103). Dies geschah nur scheinbar alleine für den Fall der unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 2 Satz 3 BErzGG damaliger Fassung zu zahlenden Leistung, Danach wurde der Anspruch auf Alhi während des Bezugs von Erzg nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer wegen der Betreuung und Erziehung eines Kindes die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 AFG nicht erfüllte. Tatsächlich schuf aber gerade diese Vorschrift mit ihrer Fiktion der objektiven und subjektiven Verfügbarkeit von Arbeitslosen (BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 8) und der daraus resultierenden vereinfachten Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erst die Grundlage für den gleichzeitigen Bezug von Alhi und Erzg.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 10/3792) hatte diese Möglichkeit noch nicht vorgesehen; vielmehr sollte sich nach dem ursprünglichen Willen der Bundesregierung ein Arbeitsloser entscheiden, ob er Erzg beziehen oder als Alhi-Voraussetzung für eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen wolle (BT-Drucks 10/4039 zu § 2). Abweichend hiervon befürwortete dann der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit die später im Gesetz vorgesehene Kumulation von Alhi und Erzg, nicht aber von Alg und Erzg (Ausschußbericht vom 12. November 1985, BT-Drucks 10/4212 S 3 und 5), Die Bezieher von Alhi sollten bei Bestehen von Erzg-Ansprüchen Sozialhilfeempfängern gleichgestellt werden, ohne den Weg zum Sozialamt wählen zu müssen, zumal dies zu erheblichen Mehrbelastungen für die Sozialhilfeträger geführt hätte (BT-Drucks 10/4212 S 3). Rechtssystematische Bedenken zur Unvereinbarkeit von Alhi als einer eigentlichen Lohnersatzleistung nach dem AFG und Erzg haben sich im Gesetzgebungsverfahren ebensowenig durchgesetzt wie der Hinweis der Bundesregierung auf die nachteiligen Folgen des gleichzeitigen Bezugs von Erzg und Alhi für die Begründung eines neuen Anspruchs auf Alg (Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks 10/4039; vgl. auch BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 8). Der Gesetzgeber hat sich durch Übernahme der vom Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit vorgeschlagenen Formulierung bewußt hierüber hinweggesetzt (BT-Drucks 10/4212 S 3), so daß die Beklagte zu Unrecht davon ausgeht, die Gegenäußerung der Bundesregierung gebe den Willen des Gesetzgebers wieder. Für die Gesetz gewordene Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 3 BErzGG idF vom 6. Dezember 1985 (jetzt § 2 Abs. 4 BErzGG idF der Bekanntmachung vom 31. Januar 1994 – BGBl I 180) fand sich eine Mehrheit, weil die Alhi – ähnlich wie die Sozialhilfe – von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängt und bei ihr die Lohnersatzfunktion weniger ausgeprägt ist als beim Alg (BT-Drucks 10/4212 S 5), Mit der Vorschrift war mithin – neben der Verteilung der Kostenlast zwischen Bund und Sozialhilfeträgern (vgl. BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 8) – eine Gleichstellung von Alhi-Empfängern und Sozialhilfeempfängern bezweckt (BT-Drucks 10/4212 S 3; BSG SozR 3-4100 § 134 Nr. 8); unterschiedliche Rechtspositionen bei der anwartschaftsbegründenden Wirkung des Erzg-Bezugs wären damit unvereinbar.

Die neben dem Erzg gezahlte Alhi kann unter diesen Umständen, gleichgültig, ob sie von wirklicher oder fiktiver Verfügbarkeit ausgeht, nicht als Lohnersatzleistung iS von § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG verstanden werden. Darauf läßt zudem die spätere Einfügung des (jetzigen) § 107 Satz 2 AFG durch das Gesetz zur Änderung des BErzGG und anderer Vorschriften vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1297) schließen. Danach gilt für den (wegen des neuen § 2 Abs. 3 BErzGG nunmehr ausnahmsweise möglichen) gleichzeitigen Bezug von Alg und Erzg § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG ausdrücklich nicht. Trotz Zahlung von Alg hat also der Gesetzgeber offenbar eine anwartschaftsbegründende Wirkung des Erzg-Bezugs für möglich gehalten, diese andererseits für die Kombination von Alhi und Erzg nicht ausgeschlossen.

Ziel des § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG war es ohnedies, den Bezug von Erzg grundsätzlich einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichzustellen; die im Gesetz enthaltene Einschränkung, daß durch die (den Erzg-Bezug auslösende) Betreuung und Erziehung des Kindes eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung oder der Bezug einer laufenden Lohnersatzleistung nach dem AFG unterbrochen sein muß, sollte lediglich verhindern, daß auch solche Erzg-Bezieher Anwartschaftszeiten erwerben können, die bereits aus der Solidargemeinschaft der Beitragszahler ausgeschieden sind (BSGE 74, 28, 34 = SozR 3-4100 § 107 Nr. 6). Diesen Anforderungen wird die gewählte Auslegung des § 107 Satz 1 Nr. 5 Buchst c AFG in vollem Umfang gerecht.

Das LSG, dessen tatsächliche Feststellungen allenfalls zur Bejahung des Antrags, der Arbeitslosmeldung und der Arbeitslosigkeit als Voraussetzungen des Alg-Anspruchs genügen, wird indes noch Feststellungen zur Verfügbarkeit der Klägerin (§ 103 AFG) während des – zu bestimmenden – streitigen Leistungszeitraums zu treffen haben. Dies gilt vornehmlich – aber nicht nur – für die Frage der Erreichbarkeit der Klägerin iS des § 103 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 AFG, zu der die angefochtene Entscheidung keinerlei Aussage trifft. Das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1996, 669

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