Tenor

Der Ablehnungsantrag des Klägers gegen die für die Sache 9a RVs 5/84 zuständigen Berufsrichter wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I

In der mündlichen Verhandlung vom 24. April 1985 erklärte der Bevollmächtigte des Klägers:

„Ich lehne die Berufsrichter des 9a Senats wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil sie es gebilligt haben, daß die Geschäftsstelle des Senats den Beklagten darauf hingewiesen hat, daß die Formalien der Sprungrevision nicht in Ordnung waren.”

Nach einer entsprechenden Rückfrage erklärte der Bevollmächtigte:

„Ich beschränke meinen Ablehnungsantrag auf die für die Sache 9a RVs 5/84 zuständigen Berufsrichter.”

Anlaß für die Richterablehnung war folgendes Geschehen: Nachdem das Landesversorgungsamt am 15. Mai 1984 gegen das am 9. Mai 1984 zugestellte Urteil des Sozialgerichts (SG) Sprungrevision eingelegt hatte, wurde es von der Geschäftsstelle des 9a Senats wie folgt angeschrieben:

„In pp bestehen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision. Nach der Niederschrift des SG hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers erklärt, daß er dem Antrag des Beklagten auf Revisionszulassung zustimme. Nach § 161 Sozialgerichtsgesetz (SGG) muß jedoch der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt werden (vgl. SozR 1500 § 161 Nr. 29).”

Daraufhin schrieb der jetzige Prozeßbevollmächtigte des Klägers an den Vorsitzenden des 9a Senats, er bitte um Aufklärung, wer die Geschäftsstelle angewiesen habe, dem Beklagten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Revision anzuzeigen. Dieses Handeln begünstige eine Prozeßpartei. Sie sei mit der unparteiischen Stellung des Gerichts unvereinbar und habe den Kläger in seinen Rechten beeinträchtigt. Auf Grund des Hinweises habe sich der Beklagte vom früheren Prozeßbevollmächtigten des Klägers die schriftliche Einverständniserklärung vom 25. Mai 1984 geben lassen. Dieser habe zu dem Zeitpunkt nicht gewußt, daß die Sprungrevision bereits eingelegt war. Wäre ihm dies bekannt gewesen, hätte er sein Einverständnis nicht erklärt und dem Kläger davon abgeraten, dies zu tun, so daß die Sprungrevision mangels schriftlichen Einverständnisses als unzulässig hätte verworfen werden müssen.

Der Vorsitzende des 9a Senats, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht Dr. S., teilte den Prozeßbevollmächtigten des Klägers mit, daß der beanstandete Hinweis auf § 106 Abs. 1 SGG (iVm §§ 155, 165 SGG) beruhe. In seiner dienstlichen Äußerung (§ 60 Abs. 1 SGG iVm § 44 Abs. 3 Zivilprozeßordnung –ZPO–) hat er erklärt, nach seiner Meinung entspreche der Vorgang dem auch im Revisionsverfahren geltenden § 106 Abs. 1 SGG; danach habe der Vorsitzende ua darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt werden. Die Geschäftsstelle des 9a Senats sei angewiesen, den Vorsitzenden bei der Erfüllung dieser Aufgabe zu unterstützen.

Diese Regelung komme vor allem Klägern – insbesondere Versorgungsberechtigten – zugute. Dies gelte auch dann, wenn die Kläger von Verbandsvertretern oder Rechtsanwälten vertreten seien, denen die Formerfordernisse des Revisionsverfahrens oft nicht geläufig seien. Von dem Hinweis nach § 106 Abs. 1 SGG würden aber nicht diejenigen ausgenommen, von denen angenommen werden könne, daß sie das Revisionsrecht beherrschten. Er glaube nicht, daß er den Anschein einer Parteilichkeit erweckt habe.

Richter am BSG Dr. W. hat erklärt, er halte sich nicht für befangen.

Der Richter am BSG W. hat erklärt, er sehe keinen Grund, der geeignet sei, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

 

Entscheidungsgründe

II

Über den Ablehnungsantrag entscheidet der 9a Senat (§ 171 Abs. 1 SGG) ohne Mitwirkung der durch die Ablehnung betroffenen Richter unter Hinzuziehung des für diese Entscheidung nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundessozialgerichts zuständigen Richters am BSG Dr. V.. Die hier beschließenden Richter sind weder kraft Gesetzes ausgeschlossen, noch hat ein Richter von einem Verhältnis Anzeige gemacht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte (§ 60 SGG iVm § 48 Abs. 1 ZPO, § 41 ZPO).

Obwohl die mündliche Verhandlung eröffnet, der Sachverhalt dargestellt (§ 112 Abs. 1 SGG) und auch bereits von dem Revisionskläger zur Sache vorgetragen worden war, hat der Kläger sein Ablehnungsrecht nicht verloren (§ 60 I SGG iVm § 43 ZPO), da er weder Anträge gestellt noch sich in eine Verhandlung eingelassen hatte.

Der Ablehnungsantrag des Klägers ist zulässig. Zwar hat der Kläger ursprünglich erklärt, er lehne die Berufsrichter des 9a Senats ab. Hierin hätte eine mißbräuchliche und deshalb unzulässige Ablehnung sämtlicher Mitglieder des Senats (BVerfGE 11, 1, 5; 37, 67, 75; BSG SozR Nr. 5 zu § 42 ZPO) liegen können. Der Kläger hat jedoch auf den richterlichen Hinweis, daß nicht alle Berufsrichter des Senats für die Entscheidung in der Sache berufen seien und die Ablehnung sich immer nur auf einen bestimmten Rechtsstreit (Meyer-Ladewig, SGG 2 Aufl § 60 Anm. 3) beziehe, seinen Antrag auf die zuständigen Berufsrichter beschränkt. Dieser Antrag ist dahin, auszulegen, daß die einzelnen Richter, nicht aber der Spruchkörper insgesamt, abgelehnt werden sollen.

Die Ablehnung, des Vorsitzenden Richters am BSG Dr. S., des Richters am BSG Dr. W. und des Richters am BSG W. wegen Besorgnis der Befangenheit ist nicht begründet. Es liegt kein Grund vor, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des einzelnen Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).

Für diese Feststellung ist nicht genügend, daß die Richter tatsächlich weder befangen sind noch sich selbst für befangen halten (BVerfGE Bd. 35, 171, 172). Ebensowenig ist es allerdings ausreichend, daß eine Besorgnis der Befangenheit seitens des Antragstellers tatsächlich vorliegt. Es ist auch alle Vorsicht geboten, allein wegen der subjektiven Einstellung eines Beteiligten die Ablehnung eines Richters stattfinden zu lassen, wenn weder Parteilichkeit oder Voreingenommenheit des Richters vorliegen noch Gründe, die objektiv eine solche Besorgnis rechtfertigen. Es darf nämlich nicht außer acht gelassen werden, daß durch Stattgabe des Ablehnungsgesuches ein anderer als der gesetzlich vorgesehene Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz –GG–) ohne oder gegen den Willen des anderen Beteiligten zur Entscheidung berufen wird. Maßgeblich ist allein, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (BVerfGE 20, 9, 14; 43, 126, 127, st Rspr). Das Gesetz setzt allgemein die Unbefangenheit des Richters voraus (BVerfGE 46, 38, 39). Auf dieser Grundlage kann es den Richter mit Aufgaben betrauen, die unter Umständen die Prozeßchancen einer Partei verringern (BVerfGE 42, 64, 78; Zöller, ZPO § 42 Anm. 26). Ein im Rahmen der Gesetze gebotenes richterliches Verhalten kann keinen die Ablehnung rechtfertigenden Grund iS des § 42 Abs. 2 ZPO ergeben, weil jeder Richter nach Art. 97 Abs. 1 GG dem Gesetz unterworfen ist (vgl. auch Meyer-Ladewig, SGG § 106 Anm. 5; Zeihe, Das Sozialgerichtsgesetz, § 106 Abs. 1 Anm. 2, Zöller, ZPO § 42 Anm. 26). Der Richter hat nach § 106 Abs. 1 SGG darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt werden (inhaltlich ebenso § 86 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung, § 139 Abs. 2 ZPO). Er kann insbesondere dazu auffordern, eine Prozeßvollmacht vorzulegen, einen Verweisungsantrag zu stellen (Meyer-Ladewig, aaO), eine fehlende Unterschrift unter der Berufungsschrift nachzuholen (Zeihe, aaO) oder den Antragsteller anhalten, eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 117 Abs. 2 ZPO) vorzulegen. Zu diesen Hinweisen ist der Richter im Rahmen seiner prozessualen Fürsorgepflicht (BVerfGE 52, 131, 144) angehalten; dazu gehört es auch, auf Bedenken hinsichtlich der erforderlichen gegnerischen Zustimmungserklärung für die Einlegung der Sprungrevision unter Übergehung der Berufungsinstanz (§ 161 Abs. 1 SGG) nach § 106 Abs. 1 SGG hinzuweisen.

Der Richter der Sozialgerichtsbarkeit kann im Interesse der Rechtsuchenden seine Fürsorgepflicht nach § 106 Abs. 1 SGG nicht restriktiv auslegen. Ohne diese ungehinderte, mit der Befangenheitsfrage nicht befrachtete Möglichkeit der Belehrung, müßte eine nicht geringe Zahl der Verfahren bereits im Formellen scheitern. Indessen bedürfen der Hinweise auf die formellen gesetzlichen Erfordernisse nicht nur die rechtsunkundigen, sondern ebenso die durch Rechtsanwälte, Verbandsvertreter oder eigene Verwaltungsangestellte vertretenen Beteiligten. Erfahrungsgemäß unterlaufen auch diesen im Revisionsverfahren noch behebbare formelle Fehler oder Versehen. Die Zustimmungserklärung zur Sprungrevision wird nicht selten auch von den Sozialgerichten falsch formuliert; das müßte ohne entsprechende Hinweise zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels führen.

Die Form des Hinweises der Senatsgeschäftsstelle zur Zustimmungserklärung und deren Billigung durch die vom Kläger abgelehnten Richter, rechtfertigen ebenfalls kein Mißtrauen in die Unparteilichkeit dieser Richter. Durch die allgemeine Anordnung ist gewährleistet, daß der Hinweis nicht auf eine bestimmte Person oder Institution abgestellt ist, sondern gleichermaßen für alle Beteiligten gilt.

Im übrigen trifft es nicht zu, daß der Kläger durch Verweigerung der Zustimmungserklärung das für ihn günstige Urteil der ersten Instanz hätte rechtskräftig werden lassen können. Denn gegen dieses Urteil war sowohl die Berufung als auch die Sprungrevision zulässig. Für den Fall, daß der Kläger die Zustimmung zur Sprungrevision nicht hätte geben wollen, konnte der Beklagte jedenfalls Berufung einlegen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921570

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