Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache. erneute oder weitere Klärungsbedürftigkeit bei vorhandener höchstrichterlicher Rechtsprechung

 

Orientierungssatz

Liegt zu der Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, muss die Beschwerde aufzeigen, dass die Frage erneut oder weiter klärungsbedürftig ist. Dies ist ua dann der Fall, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und neue erhebliche Gesichtspunkte gegen sie vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl nur BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 62/21 B = juris RdNr 8 mwN).

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 26.11.2021; Aktenzeichen L 21 AS 1617/18)

SG Dortmund (Urteil vom 20.08.2018; Aktenzeichen S 29 AS 1952/17)

 

Tenor

Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. November 2021 werden als unzulässig verworfen.

Die Anträge der Kläger, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt M, D, beizuordnen, werden abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind unzulässig (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig. Die Kläger berufen sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, ohne die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrunds hinreichend darzulegen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16 S 27). Hierfür ist eine Auseinandersetzung mit den einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8). Liegt zu der Rechtsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vor, muss die Beschwerde aufzeigen, dass die Frage erneut oder weiter klärungsbedürftig ist. Dies ist ua dann der Fall, wenn der Rechtsprechung in nicht geringfügigem Umfang widersprochen wird und neue erhebliche Gesichtspunkte gegen sie vorgebracht werden, die zu einer über die bisherige Erörterung hinausgehenden Betrachtung der aufgeworfenen Fragestellung führen können und die Möglichkeit einer anderweitigen Entscheidung nicht offensichtlich ausschließen (vgl nur BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 62/21 B - RdNr 8 mwN).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachten die Kläger die Frage, ob bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnfläche der Umstand der Alleinerziehung Berücksichtigung finden muss. Diese Frage ist nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG zu verneinen. Danach führen persönliche Lebensumstände des Leistungsberechtigten wie der Umstand, alleinerziehend zu sein, nicht zu einer Veränderung bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Vergleichsmiete, sondern können bei der konkreten Angemessenheit - der Kostensenkungsobliegenheit - zu berücksichtigen sein (BSG vom 22.8.2012 - B 14 AS 13/12 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 64 RdNr 20 f; BSG vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - RdNr 14; vgl auch zB BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 35; BSG vom 5.8.2021 - B 4 AS 82/20 R - RdNr 21, vorgesehen für SozR; vgl zum zusätzlichen Wohnraumbedarf bei der Wahrnehmung des Umgangsrechts zuletzt BSG vom 29.8.2019 - B 14 AS 43/18 R - BSGE 129, 72 = SozR 4-4200 § 22 Nr 103, RdNr 27 ff). Warum diese Frage weiterhin oder erneut klärungsbedürftig sein sollte, lässt sich der Beschwerdebegründung nicht entnehmen. Allein der Hinweis der Kläger darauf, diese Rechtsprechung sei "nicht nachvollziehbar", weil sie in Widerspruch zum (pauschalierten) Mehrbedarf für Alleinerziehende (§ 21 Abs 3 SGB II) stehe und § 1 Abs 1 SGB I nicht hinreichend berücksichtige, genügt insoweit nicht.

PKH ist den Klägern nicht zu bewilligen, da ihre Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). Da die Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH haben, sind auch ihre Anträge auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).

Die Verwerfung der Beschwerden erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

S. Knickrehm Neumann Harich

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15641138

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