Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbstständige Tätigkeit. Sperrminorität. Gesellschaftsvertrag. Gesellschafter-Geschäftsführer. Kapitalbeteiligung. Höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Divergenz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist.

2. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben.

3. Divergenz liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; SGB IV §§ 7a, 28p

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 24.10.2018; Aktenzeichen L 8 R 617/17)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.06.2017; Aktenzeichen S 45 R 2678/14)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens darüber, ob der Kläger als Minderheitsgesellschafter ohne Sperrminorität und Geschäftsführer der zu 2. beigeladenen GmbH vom 1.2.1998 bis 31.12.1999 und vom 1.1.2010 bis 13.4.2015 der Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung und in der Zeit vom 1.1.2000 bis 31.12.2009 nur in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag (Bescheid vom 9.7.2014, Widerspruchsbescheid vom 1.12.2014, am 19.12.2016 angenommenes Teilanerkenntnis vom 2.6.2016, SG Urteil vom 20.6.2017, Änderungsbescheid vom 24.10.2018). Das LSG hat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, das am 21.1.2014 durchgeführte und am gleichen Tag durch Summenbescheid abgeschlossene Betriebsprüfungsverfahren sperre das Statusfeststellungsverfahren nicht. Eine Bindung der Beklagten an eine Mitteilung des betriebsprüfenden Rentenversicherungsträgers an den Unfallversicherungsträger über die Einschätzung, dass der Kläger selbstständig tätig sei, bestehe nicht. Der Kläger verfüge nur über ein Viertel des Stammkapitals der Beigeladenen zu 2. eine Sperrminorität fehle. Der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen zu 2. geschlossene Anstellungsvertrag weise maßgebliche Gesichtspunkte einer abhängigen Beschäftigung auf. Der Kläger sei mit den anderen Gesellschaftern der Beigeladenen zu 2. nicht familiär verbunden, so dass ein schutzwürdiges Vertrauen in die Rechtsprechung des BSG zur faktischen Weisungsfreiheit in Familienbetrieben nicht in Betracht komme (Urteil vom 24.10.2018). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

II

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24.10.2018 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 21.2.2019 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und das Vorliegen von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG Beschluss vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31 S 48). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger wirft auf Seite 5 der Beschwerdebegründung folgende Fragen auf:

"Kann sich eine für die Annahme eine selbstständige Tätigkeit begründende 'echte'/'qualifizierte' Sperrminorität aus den Regelungen des notariellen Gesellschaftsvertrags für den Gesellschafter-Geschäftsführer auch dann ergeben, wenn dieser Gesellschafter-Geschäftsführer zwar weder aufgrund seiner Kapitalbeteiligung nicht mindestens 50 vH der Anteile am Stammkapital hält bzw. ihm bei geringerer Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine 'echte'/'qualifizierte' Sperrminorität nicht ausdrücklich eingeräumt wurde, er aber faktisch aufgrund der weiteren Regelungen im Gesellschaftervertrag ihm unliebsame Beschlüsse dauerhaft umfassend verhindern kann?"

"Kann sich eine für die Annahme eine selbstständige Tätigkeit begründende 'echte'/'qualifizierte' Sperrminorität aus den Regelungen des notariellen Gesellschaftsvertrages für den Gesellschafter-Geschäftsführer auch dann ergeben, wenn dieser Gesellschafter-Geschäftsführer zwar nicht aufgrund seiner Kapitalbeteiligung mindestens 50 vH der Anteile am Stammkapital hält, er jedoch allein aufgrund der im notariellen Gesellschaftsvertrag enthaltenen weiteren Regelungen das Zustandekommen und die Umsetzung von Gesellschafterbeschlüssen dauerhaft - bis zu seiner Abberufung als Geschäftsführer - verhindern kann?"

Der Kläger legt die Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht hinreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN).

Der Kläger hätte konkret auf die bereits vom LSG zitierte jüngere Rechtsprechung des 12. Senats des BSG zum sozialversicherungsrechtlichen Status von Gesellschafter-Geschäftsführern (BSG Urteil vom 29.8.2012 - B 12 KR 25/10 R - BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17 ≪Schönwetter-Selbstständigkeit≫; BSG Urteil vom 29.7.2015 - B 12 KR 23/13 R - BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24 ≪Aufgabe "Kopf und Seele"-Rechtsprechung≫; BSG Urteile vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26 und B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28 ≪jeweils zu Stimmbindungsverträgen≫, BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 35, zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen ≪zu den Anforderungen an eine Sperrminorität ≫) eingehen und darlegen müssen, dass sich die von ihm formulierten Fragen nicht bereits auf der Grundlage dieser einschlägigen Rechtsprechung des BSG beantworten lassen. Daran fehlt es.

Der Senat hat in seinem Urteil vom 29.8.2012 (B 12 KR 25/10 R, aaO, RdNr 31 ff) im Ergebnis zwar noch offengelassen, ob ein Geschäftsführer einer Familiengesellschaft ohne Unternehmensanteile mindestens im Umfang einer Sperrminorität aufgrund anderer Umstände möglicherweise doch als Selbstständiger angesehen werden könnte. Jedoch hat der Senat im Urteil vom 29.7.2015 (B 12 KR 23/13 R, aaO, RdNr 28 ff) geklärt, dass die sog "Kopf und Seele"-Rechtsprechung für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs 1 SGB IV nicht (mehr) heranzuziehen ist, und hat klargestellt, dass auch die Möglichkeit einer jederzeitigen einseitigen Beendigung des Anstellungsverhältnisses (Kündigung, Abberufung als Geschäftsführer) durch die Gesellschafter die Rechtsmacht ausschließt, unliebsame Weisungen umfassend zu verhindern (vgl auch BSG Urteile vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26, B 12 R 2/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 27, B 12 KR 10/14 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 28 ≪Gesellschafter-Geschäftsführer mit 30 % des Stammkapitals≫; BSG Urteile vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 35, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, B 12 R 5/16 R - Juris). Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger darlegen müssen, dass diese BSG-Urteile keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihm formulierten Fragen enthalten.

Es fehlt auch an einer hinreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren. Dies ist auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu beurteilen, weshalb sich auch die Darlegungen zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung auf die im angegriffenen Urteil mit Bindungswirkung für das BSG (§ 163 SGG) festgestellten Tatsachen beziehen müssen. Daran fehlt es hier. Der Kläger hätte darlegen müssen, dass es unter Berücksichtigung der Feststellungen des LSG auf die Konkretisierung der Rechtsprechung des BSG ankommt. Dazu hätte er darstellen müssen, dass nach den Feststellungen des LSG im Gesellschaftsvertrag eine Regelung getroffen wurde, die ihm die Rechtsmacht einräumte, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Daran fehlt es. Soweit der Kläger vorträgt, er habe durch Verweigerung der Unterschrift unter die Protokolle der Gesellschafterversammlung das Zustandekommen von Gesellschafterbeschlüssen verhindern können, legt er nicht dar, dass das LSG ein solches Vetorecht festgestellt habe.

2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt voraus, dass das angefochtene Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine solche Abweichung ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage zum Bundesrecht die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Insoweit genügt es nicht darauf hinzuweisen, dass das LSG seiner Entscheidung nicht die höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde gelegt hätte. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz. Sie liegt daher nicht schon dann vor, wenn das angefochtene Urteil nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG entwickelt hat, sondern erst dann, wenn das LSG diesen Kriterien auch widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe bei seiner Entscheidung herangezogen hat (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN).

Der Kläger macht auf S 9 f der Beschwerdebegründung geltend, dass das LSG übersehen habe, dass es sich beim Anstellungsvertrag um einen "Etikettenschwindel" gehandelt habe und dass es einen Stimmbindungsvertrag gegeben habe. Damit bezeichnet er die Divergenz nicht hinreichend, denn er behauptet damit die Unrichtigkeit des zugrunde gelegten Sachverhalts und nicht die Abweichung im Grundsätzlichen.

Auf S 12 seiner Beschwerdebegründung führt der Kläger aus, das LSG habe den Rechtssatz aufgestellt, dass Beschäftigte aus einer Prüfmitteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 28p SGB IV gegenüber dem Arbeitgeber keine Rechte herleiten könnten, die einer späteren Statusfeststellung nach § 7a SGB IV für den gleichen Zeitraum entgegenstünden. Es weiche damit von der Rechtsprechung des BSG ab, die eine personenbezogene, für bestimmte Zeiträume durchgeführte Betriebsprüfung verlange. Damit legt der Kläger keine voneinander abweichenden Rechtssätze dar, die von ihm angeführte Aussage des LSG greift einen anderen Aspekt der Bindungswirkung von Betriebsprüfungsbescheiden heraus als der vermeintliche Rechtssatz des BSG.

Soweit der Kläger auf S 13 ff seine Auslegung der Betriebsprüfungsmitteilungen an die Stelle derjenigen des LSG setzt, macht er die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG geltend. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18 = Juris RdNr 9).

3. Auch einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG hat der Kläger nicht hinreichend bezeichnet. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann ein Verfahrensmangel gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Mit der Beschwerdebegründung wurde schon nicht aufgezeigt, im Verfahren vor dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt zu haben.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI13287169

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