Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19.05.2017; Aktenzeichen L 14 R 1109/14)

SG Aachen (Entscheidung vom 17.10.2014; Aktenzeichen S 21 R 907/12)

 

Tenor

Die Beschwerden des Klägers und der Beigeladenen zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Mai 2017 werden als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

Mit Urteil vom 19.5.2017 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil haben der Kläger und die Beigeladene zu 1 jeweils Beschwerde beim BSG eingelegt. Der Kläger rügt die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und eine Abweichung von der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte, die Beigeladene zu 1 rügt neben der grundsätzlichen Bedeutung zusätzlich eine Rechtsprechungsabweichung (Divergenz).

Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet sind.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

Derartige Gründe werden in den Beschwerdebegründungen nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerden sind daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen werden die vorliegenden Beschwerdebegründungen nicht gerecht.

Der Kläger hat bereits grammatikalisch keinen Fragesatz formuliert und mit der Behauptung, es bedürfte einer Klarstellung durch das BSG lediglich selbst eine Aussage zum Inhalt des geltenden Rechts gemacht.

Die Beigeladene zu 1 hält als Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam:

"Reicht es für eine berufsspezifische Tätigkeit eines Architekten, der die Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI begehrt, aus, dass er eine der § 1 Abs. 1 und Abs. 5 BaukammerG NRW beschriebenen berufsspezifischen Tätigkeiten erfüllt oder müssen bestimmte Tätigkeiten immer erfüllt sein um von einer berufsspezifischen Tätigkeit auszugehen?"

Sie zeigt damit schon keine Rechtsfrage des revisiblen Rechts auf (BSG vom 11.2.2014 - B 12 KR 47/13 B - Juris RdNr 8 und Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 14a).

Beide Beschwerdebegründungen haben zudem jedenfalls die Klärungsfähigkeit, dh Entscheidungserheblichkeit der angesprochenen Fragen nicht schlüssig dargetan.

Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und nach weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BSG Beschluss vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris mwN). Insofern hätten die Beteiligten aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochene Problematik entschieden werden muss. Die Beteiligten geben bereits nicht den der Berufungsentscheidung zugrunde liegenden, vom LSG festgestellten Sachverhalt wieder. Zwar schildern sie einen Sachverhalt. Ob die dort angegebenen Tatsachen auf Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen, ist ihren Ausführungen nicht zu entnehmen. Fehlt jedoch die maßgebliche Sachverhaltsdarstellung, wird das Beschwerdegericht nicht in die Lage versetzt, allein anhand der jeweiligen Beschwerdebegründung zu beurteilen, ob die als grundsätzlich erachteten Rechtsfragen entscheidungserheblich sind. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des Beschwerdegerichts, sich die maßgeblichen Tatsachen aus der angegriffenen Entscheidung selbst herauszusuchen (Senatsbeschlüsse vom 16.5.2012 - B 5 R 442/11 B - BeckRS 2012, 70568 RdNr 13 und vom 21.2.2012 - B 5 R 222/11 B - BeckRS 2012, 69065 RdNr 9).

Auch die Divergenzrügen haben keinen Erfolg (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen werden die Begründungen nicht gerecht.

Die Beigeladene zu 1 hat schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG herausgestellt, mit dem dieses der Rechtsprechung des BSG widersprochen habe. Sie macht vielmehr geltend, das BSG (Urteil vom 31.10.2012 - B 12 R 3/11 R - BSGE 112, 108 = SozR 4-2600 § 6 Nr 9, RdNr 34) habe insbesondere auf die berufsrechtlichen Regelungen und deren Auslegung abgestellt. Dabei sei die Berufskammer die berufene Stelle, um die Rechtsfrage zu klären, ob eine bestimmte Berufstätigkeit noch unter die einschlägigen berufsrechtlichen Normen falle. Von dieser Rechtsprechung sei das LSG abgewichen, indem es die eigene Einschätzung über die der Berufskammer gestellt habe.

Mit diesem Vorbringen ist eine Divergenz iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht dargetan. Missversteht oder übersieht das Berufungsgericht einen höchstrichterlichen Rechtssatz und wendet deshalb das Recht fehlerhaft an, kann daraus nicht geschlossen werden, es habe einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt. Die Bezeichnung einer Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt vielmehr die Darlegung voraus, dass das LSG die höchstrichterliche Rechtsprechung im angefochtenen Urteil grundsätzlich infrage stellt. Dies ist nicht der Fall, wenn es eine höchstrichterliche Entscheidung in ihrer Tragweite für den entschiedenen Fall lediglich verkannt haben sollte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73 mwN).

Darüber hinaus zeigt die Beigeladene zu 1 auch nicht auf, dass die Entscheidung des LSG auf der behaupteten Divergenz beruht. Denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, dass das BSG in der herangezogenen Entscheidung auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden hat als das LSG im angefochtenen Urteil. Dafür genügt es keinesfalls, der Entscheidung des BSG isoliert einzelne Sätze zu entnehmen. Stattdessen ist der tatsächliche und rechtliche Kontext darzustellen, in dem der herangezogene höchstrichterliche Rechtssatz steht (vgl hierzu zB BSG Beschluss vom 7.2.2007 - B 6 KA 56/06 B - BeckRS 2007, 41946 RdNr 10 mwN). Zum Kontext der Entscheidung des BSG ist der Beschwerdebegründung aber schon deshalb nichts zu entnehmen, weil sie verschweigt, welchen Sachverhalt das BSG zu beurteilen hatte, sodass auch nicht deutlich wird, welche rechtlichen Aussagen es wirklich getroffen hat und welche Aussagen ggf auf einer Interpretation der Beigeladenen zu 1 beruhen. Eine konkrete Sachverhaltsdarstellung auch der Entscheidung des BSG gehört aber zu den Mindestvoraussetzungen, um die Entscheidungserheblichkeit der Divergenzrüge prüfen zu können. Denn eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung kann nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen, auf den dieselben Rechtsnormen anzuwenden sind.

Die Begründung des Klägers genügt den Anforderungen schon deshalb nicht, weil Entscheidungen der LSGe nach dem abschließenden Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht divergenzfähig sind.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI11903125

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