Leitsatz (amtlich)

1. Zu Tatsachen, die als gerichtskundig angesehen werden, müssen sich die Beteiligten äußern können (vergleiche BSG 1964-10-01 11/1 RA 174/62 = BSGE 22, 19 und 1972-11-16 11 RA 42/72 = SozR Nr 91 zu SGG § 128).

2. Die Kosten eines begründeten Beschwerdeverfahrens folgen den Kosten der Hauptsache.

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; SGG §§ 193, 62, 128 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Januar 1975 zugelassen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgen den Kosten der Hauptsache.

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Berufungsgerichts vom 15. Januar 1975 ist begründet. Die Revision ist zuzulassen.

Der Kläger rügt u. a. als Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -; Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und der Vorschrift des § 128 Abs. 2 SGG, das Landessozialgericht (LSG) habe sich bei seiner Entscheidung mit folgenden Sätzen auf seine Gerichtskunde berufen:

"Arbeitsplätze für derartige Tätigkeiten im erlernten Beruf gibt es in Industrie und Gewerbe in hinreichender Zahl, wie der Senat aus seiner Kenntnis des Arbeitslebens und der aus zahlreichen Streitfällen gewonnenen Erfahrung weiß und daher ohne erneute Beweisaufnahme feststellen kann."

Das LSG habe aber nicht zu erkennen gegeben, daß es die in anderen Verfahren erhobenen Beweise oder das Ergebnis dieser Beweisaufnahmen als gerichtskundig in das Verfahren habe einführen wollen. Den Beteiligten sei die Gerichtskunde vom Berufungsgericht nicht mitgeteilt worden. Er, der Kläger, habe daher keine Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen. Auf diesem Verfahrensfehler beruhe das Urteil. Das LSG hätte vermutlich anders entschieden, wenn es ihm, dem Kläger, Gelegenheit gegeben hätte, sich zu der vom LSG als gerichtskundig angesehenen Tatsache mit Gegenbeweis zu erklären.

Die vom Kläger erhobene Rüge ist begründet. Die von ihm zutreffend zitierte Berufung des LSG auf seine Gerichtskunde hätte den Beteiligten vor der Entscheidung mitgeteilt werden müssen, um ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Das ist unterblieben. Daher hat das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Damit hat es auch gegen § 128 Abs. 2 SGG verstoßen, wie dies der Kläger ebenfalls zutreffend geltend macht. Nach dieser Vorschrift darf nämlich das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern können (BSGE 22, 19; BSG SozR Nrn. 70 und 91 zu § 128 SGG). Daß das Urteil auch auf diesem Verfahrensmangel beruht, ergibt sich aus seinen Entscheidungsgründen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgen den Kosten der Hauptsache (§ 193 SGG; vgl. Weyreuther, Revisionszulassung und Nichtzulassungsbeschwerde in der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, 1971, Rdnr. 250, S. 108 mit Nachweisen).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653063

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