Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzliche Bedeutung. Rechtssache. Abstrakte Rechtsfrage. Klärungsbedürftigkeit. Klärungsfähigkeit Vorläufiger Bescheid. Abschließende Entscheidung. Rechtsschutz. Abweichung. Verfahrensmangel. Rechtliches Gehör

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine vorläufige Bewilligung zielt ausschließlich auf eine Zwischenlösung und ist demgemäß auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung nach Wegfall der Vorläufigkeitsvoraussetzungen angelegt, ohne dass die vorläufige Bewilligung eine Bindungswirkung für die endgültige Leistung entfaltet.

2. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht nachgekommen ist, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

 

Normenkette

SGG §§ 62, 160 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 S. 2; GG Art. 103 Abs. 1; SGB III § 328

 

Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 24.03.2016; Aktenzeichen L 2 AS 48/16 ZVW)

SG Leipzig (Aktenzeichen S 23 AS 4596/10)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG), weil der Kläger keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe in der Begründung seiner Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap RdNr 65 f). Es ist darzulegen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Frage: "Gilt die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes für einen vorläufigen Bescheid nach § 328 l Nr. 3 SGB III auch dann, wenn keine Gründe mehr vorliegen, die laut Vorläufigkeitsvermerk einer abschließenden Entscheidung entgegenstehen, mit anderen Worten: muss auf die Fortführung gerichtlichen Rechtsschutzes gegen vorläufige Entscheidungen zugunsten der (bloßen) Einleitung eines abschließenden Verwaltungsverfahrens verzichtet werden?"

Die Beschwerdebegründung macht nicht hinreichend deutlich, inwieweit nach der in ihr referierten Rechtsprechung des Senats (BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9; BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 13/14 R - BSGE 119, 265 = SozR 4-4200 § 22 Nr 86) noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint. Der Senat hat sowohl bereits entschieden, dass eine vorläufige Bewilligung ausschließlich auf eine Zwischenlösung zielt und demgemäß auf die Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung nach Wegfall der Vorläufigkeitsvoraussetzungen angelegt ist, ohne dass die vorläufige Bewilligung eine Bindungswirkung für die endgültige Leistung entfaltet (BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - aaO RdNr 21 ff), als auch, dass keine Entscheidung über eine vorläufige, sondern über eine endgültige Leistungsbewilligung erfolgen muss, wenn die Voraussetzungen der Bewilligung nur vorläufiger Leistungen im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG nicht mehr erfüllt sind: Sind die spezifischen Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung nicht mehr erfüllt, liegt kein Grund für eine gerichtliche Entscheidung über vorläufige Leistungen anstelle einer endgültigen Klärung des Streits vor (BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 13/14 R - aaO RdNr 15 f). Welcher weiteren Klärung es in einem Revisionsverfahren zur Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage bedarf, ist mit dem Beschwerdevorbringen nicht schlüssig dargelegt.

Für die Bezeichnung einer Abweichung (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29, 54 und 67; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34).

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht, weil sich ihr schon nicht entnehmen lässt, ob das LSG sich in seinen Entscheidungsgründen mit den vom Beschwerdeführer benannten drei Entscheidungen des BSG (BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21; BSG Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9; BSG Urteil vom 19.8.2015 - B 14 AS 13/14 R - BSGE 119, 265 = SozR 4-4200 § 22 Nr 86) überhaupt befasst hat. Erst recht ist deshalb mit dem Beschwerdevorbringen nicht schlüssig bezeichnet, dass das LSG dem BSG widersprochen hat, indem es in Abweichung von rechtlichen Aussagen des BSG eigene rechtliche Aussagen formuliert hat.

Auch ein Verfahrensmangel ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen, auf dem iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG die angefochtene Entscheidung des LSG beruhen kann. Soweit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) dadurch gerügt wird, dass schriftsätzlicher Vortrag im Berufungsverfahren sowie Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG von diesem unberücksichtigt gelassen worden sei, ist die Beschwerdebegründung schon jeweils unschlüssig. Zum einen wird als Verfahrensmangel gerügt, das LSG habe den Hinweis des Klägers auf das Urteil des BSG vom 6.4.2011 (B 4 AS 119/10 R - BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21) nicht berücksichtigt, zum anderen wird eine Abweichung des LSG von diesem Urteil gerügt. Und einerseits wird als Verfahrensmangel gerügt, das LSG habe den Vortrag des Klägers zu seinem fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnis nicht berücksichtigt, andererseits wird mit der Beschwerde ausgeführt, das LSG habe ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis verneint, weil die Voraussetzungen der Vorläufigkeit nicht mehr vorlägen und höhere vorläufige Leistungen nicht mehr in Betracht kämen. Jeweils kann nicht beides zugleich zutreffend sein.

Zudem ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht seiner Pflicht nachgekommen ist, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Nur dann, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, ist der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (vgl hierzu letztens etwa BVerfG Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - juris-RdNr 13 ff; BVerfG Beschluss vom 14.09.2016 - 1 BvR 1304/13 - juris-RdNr 20 ff; jeweils mit Nachweisen zu älterer Rechtsprechung). Solche besonderen Umstände lassen sich der Beschwerdebegründung indes nicht entnehmen.

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10448912

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