Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Leistungsausschluss. Kieferorthopädische Behandlung. Volljährigkeit. Behandlungsnotwendigkeit

 

Orientierungssatz

Der umfassend geregelte gesetzliche Leistungsausschluss nach § 28 Abs 2 S 6 SGB 5 gilt grundsätzlich unabhängig von den Gründen, die zu einer Behandlungsnotwendigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres geführt haben.

 

Normenkette

SGB 5 § 28 Abs. 2 S. 6

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 13.11.2003; Aktenzeichen L 5 KR 106/03)

SG Düsseldorf (Urteil vom 23.05.2003; Aktenzeichen S 34 KR 127/01)

 

Gründe

Die seit 2001 bei der beklagten Ersatzkasse versicherte, 1969 geborene Klägerin begehrt - bisher erfolglos - die Gewährung einer kieferorthopädischen Behandlung gemäß einem privatzahnärztlichen Heil- und Kostenplan vom 12. Juni 2002. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen und zur Begründung gemäß § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf dieses Urteil Bezug genommen: Wegen der Regelungen in § 28 Abs 2 Satz 6 und 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe kein Anspruch auf kieferorthopädische Leistungen nach Vollendung des 18. Lebensjahres. Der Leistungskatalog des § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V sei abschließend und der gesetzliche Leistungsausschluss gelte unabhängig davon, weshalb im konkreten Fall die Behandlungsnotwendigkeit erst im Erwachsenenalter eingetreten sei. Der von der Klägerin zusätzlich gestellte Hilfsantrag (gerichtet auf rückwirkende Beendigung des Versicherungsverhältnisses und Beitragserstattung) sei eine unzulässige Klageänderung (Beschluss vom 13. November 2003).

Der nunmehr gestellte Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, muss abgelehnt werden. Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe setzt nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) neben der Bedürftigkeit des Antragstellers voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es kann dahinstehen, ob die Klägerin die Kosten der Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann bzw nur über geschütztes Vermögen verfügt (§§ 114, 115 Abs 2 ZPO iVm § 73a SGG); denn jedenfalls fehlt ihrer weiteren Rechtsverfolgung die erforderliche Erfolgsaussicht. Die Erfolgsaussicht ist bei der Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht nur danach zu beurteilen, ob die Beschwerde erfolgreich sein würde. Prozesskostenhilfe ist auch dann zu versagen, wenn klar auf der Hand liegt, dass der Antragsteller letztlich nicht dasjenige erreichen kann, was er mit dem Prozess in der Hauptsache anstrebt; denn Prozesskostenhilfe ermöglicht es einem Bedürftigen nicht, Verfahren durchzuführen, welche im Ergebnis nicht zu seinen Gunsten ausgehen können, die also ein verständiger Rechtsuchender nicht auch auf eigene Kosten führen würde (vgl BSG SozR 3-6610 Art 5 Nr 1 S 2 mwN). So verhält es sich hier.

Die Klägerin könnte in einem Revisionsverfahren aller Voraussicht nach unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt obsiegen, wie schon die Vorinstanzen zutreffend dargelegt haben: Nach § 28 Abs 2 Satz 6 SGB V gehört die kieferorthopädische Behandlung von Versicherten, die - wie die Klägerin - bei Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Ausnahmen sieht Satz 7 der Regelung nur für Versicherte mit schweren Kieferanomalien vor, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert; ein derartiger Sachverhalt liegt nicht vor. Aus dem Vortrag der Klägerin, die Beklagte sei für ein früheres schadensstiftendes Behandlungsgeschehen verantwortlich zu machen, lässt sich ebenfalls keine Leistungspflicht in Bezug auf die begehrte kieferorthopädische Versorgung herleiten; denn der umfassend geregelte gesetzliche Leistungsausschluss gilt grundsätzlich unabhängig von den Gründen, die im konkreten Fall zu einer Behandlungsnotwendigkeit erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres geführt haben. Eine Rechtsgrundlage für die Einstandspflicht der Beklagten für frühere (zahn)ärztliche Behandlungsfehler ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Leistungsausschluss kann schließlich nicht als verfassungswidrig angesehen werden, weil es - wie der Senat gerade in Bezug auf Zahnbehandlungen wiederholt entschieden hat - einem weiten gesetzgeberischen Ermessen unterliegt, welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden (vgl zB BSGE 88, 166, 168 ff = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 ff; BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 39 ff; BSGE 76, 40, 42 f = SozR 3-2500 § 30 Nr 5 S 14; BSGE 86, 54, 65 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 71 jeweils mwN).

Dass das LSG den auf rückwirkende Beendigung des Versicherungsverhältnisses und Beitragserstattung gerichteten Hilfsantrag der Klägerin als unzulässig abgewiesen hat, begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Da die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. August 2002 lediglich über die Kostenübernahme für kieferorthopädische Behandlung entschieden hatte und darauf bezogen das erstinstanzliche Urteil ergangen ist, stellte der mit dem Ziel der Beitragserstattung im LSG-Verfahren gestellte Hilfsantrag eine unzulässige Klageänderung (§ 99 Abs 1 SGG) dar, sodass eine sachliche Entscheidung des LSG darüber nicht ergehen durfte.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755825

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