Entscheidungsstichwort (Thema)

Amtsermittlung. Anhörung. Beweiswürdigung. grobe Fahrlässigkeit. grobe Fehleinschätzung. Grundsatz der Mündlichkeit. Sachaufklärung. sachwidrige Erwägung. Überzeugungsbildung. Verfahrensmangel. Zulassungsgrund

 

Leitsatz (amtlich)

  • Entscheidet das Landessozialgericht unter Berufung auf § 153 Abs 4 SGG ohne mündliche Verhandlung, so läßt sich die Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit als Zulassungsgrund für die Revision nur bezeichnen, indem sachfremde Erwägungen oder grobe Fehleinschätzung des Landessozialgerichts dargetan werden.
  • Die Rüge, die mündliche Verhandlung sei für die Überzeugungsbildung des Landessozialgerichts erforderlich gewesen, ist nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht geeignet, einen Zulassungsgrund zu bezeichnen.
 

Normenkette

SGG §§ 103, 124 Abs. 1, §§ 128, 153 Abs. 4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; VwGO § 84 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.05.1995; Aktenzeichen L 12 Ar 1423/94)

SG Reutlingen (Entscheidung vom 26.05.1994; Aktenzeichen S 7 Ar 11/93)

 

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Mai 1995 Prozeßkostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt J.… beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluß wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 21. November 1991 bis 12. Februar 1992 und die Erstattung von Leistungen in Höhe von 3.571,20 DM. Er sucht um Prozeßkostenhilfe nach und macht gegenüber dem Beschluß des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 22. Mai 1995, in dem die Revision nicht zugelassen ist, die Zulassungsgründe des Verfahrensmangels und der grundsätzlichen Bedeutung geltend.

Dem Kläger steht Prozeßkostenhilfe nicht zu, denn seine Rechtsverfolgung hat nicht hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫, § 114 Zivilprozeßordnung).

Die Beschwerde ist nicht zulässig; die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht in der gesetzlich gebotenen Weise in der Beschwerdebegründung bezeichnet bzw dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Die Verletzung der Sachaufklärungspflicht des LSG ist nicht hinreichend bezeichnet, denn die Beschwerdebegründung legt nicht dar, daß der Kläger im Berufungsrechtszug einen Beweisantrag gestellt hat, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG; zur Abgrenzung von Beweisantrag und Beweisantritt: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Insofern kann dahinstehen, ob sich ein Beweisantrag auf die vom Kläger erstrebte Anhörung als Verfahrensbeteiligter beziehen kann.

Eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit des Verfahrens ist schon insofern nicht bezeichnet, als die Beschwerdebegründung einräumt, das LSG sei unter den Voraussetzungen des § 153 Abs 4 SGG “scheinbar korrekt” verfahren. Hält das LSG – wie hier – nach Anhörung der Beteiligten die Berufung einstimmig für unbegründet und die mündliche Verhandlung nicht für erforderlich, so räumt das Gesetz dem LSG einen Beurteilungsspielraum zur Verfahrensgestaltung ein. Das Rechtsmittelgericht hat das Erfordernis einer mündlichen Verhandlung nicht aus seiner Sicht zu prüfen. Verfahrensrechtlich zu beanstanden ist eine Sachentscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG nur, wenn das Verfahren des LSG auf “sachfremden Erwägungen” oder “grober Fehleinschätzung” beruht so zur vergleichbaren Regelung des Gerichtsbescheids im Verwaltungsgerichtsprozeß – jetzt: § 84 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫ –: BVerwGE 84, 220, 223; Kopp, VwGO, 10. Aufl 1994, § 84 RdNr 12; vgl auch Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, § 153 RdNr 16). Für eine solche Annahme bringt die Beschwerdebegründung nichts vor. Sie wendet sich dagegen, den Verschuldensmaßstab grobe Fahrlässigkeit (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren) ohne Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung anzuwenden. Der Sache nach rügt die Beschwerde damit fehlerhafte Beweiswürdigung des LSG. Diese ist aber nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht zulässiger Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde, wie die Verweisung auf § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zeigt.

Schließlich ist die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Dieser Zulassungsgrund ist in der Weise darzulegen, daß die angestrebte Entscheidung des Bundessozialgerichts geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Rechtsfortbildung zu fördern. In diesem Sinne ist die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage über den entschiedenen Einzelfall hinaus nach dem Stand der Rechtsprechung und Lehre und ihre Klärungsfähigkeit nach den Gegebenheiten des zu beurteilenden Falles darzulegen (stRspr, vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; BVerwG NJW 1993, 2825 f). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie weist die über den vom LSG entschiedenen Einzelfall hinausweisenden Aspekte nicht auf. Vielmehr sucht sie darzulegen, daß das LSG bei seiner Entscheidung den Umständen des Einzelfalles nicht gerecht geworden sei. Die Ausführungen betreffen damit die Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Einzelfall, nicht aber die grundsätzliche Bedeutung einer über den Einzelfall hinausweisenden Rechtsfrage. Allein diese ist geeignet, den Revisionsrechtszug zu eröffnen (BSG aaO).

Da die Beschwerdebegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist sie in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI946301

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