Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Erweiterung der Fachgebietsumgrenzungen weder durch persönliche Qualifikationen noch durch Sondergenehmigungen

 

Orientierungssatz

1. Fachgebietsumgrenzungen können weder durch besondere persönliche Qualifikationen noch durch Sondergenehmigungen der KÄV zur Erbringung und Abrechnung weiterer Leistungen noch durch berufsrechtliche Berechtigungen zur Führung von Zusatzbezeichnungen erweitert werden (vgl BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 52/94 = SozR 3-2500 § 95 Nr 7; BSG vom 29.9.1999 - B 5 KA 38/98 R = BSGE 84. 290, 295 = SozR 3-2500 § 95 Nr 21 und BSG vom 2.4.2003 - B 5 KA 30/02 R = SozR 4-2500 § 95 Nr 5 RdNr 8).

2. Auch Genehmigungen nach § 121a Nr 2 SGB 5 können die auf landesrechtlichem Berufsrecht beruhenden Fachgebietsumgrenzungen nicht erweitern.

 

Normenkette

SGB 5 § 87 Abs. 2, § 121a Abs. 2; EBM-Ä; ÄWeitBiO BY 1998

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 21.01.2004; Aktenzeichen L 12 KA 115/01)

SG München (Urteil vom 14.03.2001; Aktenzeichen S 32 KA 8642/00)

 

Tatbestand

Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) versagte den Klägern, Frauenärzten in einer Gemeinschaftspraxis, Vergütungen für zahlreiche Leistungen, die sie zur Partnerbehandlung für künstliche Befruchtungen im Zusammenhang mit der Sterilisationsdiagnostik der Männer erbracht hatten (Quartal IV/1999). Diese Leistungen seien für Frauenärzte fachfremd.

Die Kläger sind mit ihrer Klage und ihrer Berufung erfolglos geblieben. Im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist - gestützt auf Stellungnahmen der Landesärztekammer (LÄK) vom 5. Mai 2000 und der Bundesärztekammer vom 8. Januar 2004 - ausgeführt, die Frauenheilkunde umfasse nur die gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin. Die Sterilitätsdiagnostik des Mannes bleibe andrologisch tätigen Ärzten wie Urologen und Dermatologen bzw den endokrinologisch tätigen Internisten und Laborärzten vorbehalten, deren Befunde dann die Frauenärzte in ihre Behandlungsplanung einzubeziehen hätten. Zwar umfasse die fakultative Weiterbildung "gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin" auch "Vermittlung, Erwerb und Nachweis spezieller Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten" der zur Sterilitätsbehandlung erforderlichen Andrologie und die Grundlagen andrologisch bedingter Fertilitätsstörungen. Aber weder diese nur fakultative Weiterbildung noch die Genehmigung des Staatsministeriums nach § 121a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) könnten das Fachgebiet erweitern. Den Klägern helfe auch nicht der Gesichtspunkt, dass Adnexleistungen über das Fachgebiet hinaus erbracht werden dürften, vorausgesetzt, es liege eine "Adnex"leistung vor, dh sie stehe im konkreten Behandlungsfall in so engem medizinisch-persönlichem Zusammenhang mit gebietskonformen Leistungen, dass ihre Nichterbringung diese Leistungen entwerten oder deren Erfolg gefährden würde. Einen so engen - unmittelbaren zeitlichen - Zusammenhang weise nur die unmittelbar vor der künstlichen Befruchtung erforderliche aktuelle Untersuchung des Spermas auf, deren Vergütung durch Nr 1184 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen geregelt sei; Vergütungen nach dieser Nummer seien den Klägern nicht versagt worden. Der sachlich-rechnerischen Richtigstellung stehe ferner kein Vertrauensschutz entgegen; der Tatbestand, dass die KÄV die Abrechnung systematisch fachfremder Tätigkeit gekannt habe und die Ärzte den Schluss hätten ziehen dürfen, die KÄV stelle die Fachgebietszugehörigkeit nicht in Frage, liege nicht vor.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Abweichungen von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) geltend.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.

Ihr Vorbringen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt, ebenso dann, wenn zwar keine klare normative Regelung dieses Falles und auch noch keine Rechtsprechung zu dieser Konstellation, aber Rechtsprechung bereits zu Teilaspekten vorliegt und sich hieraus ohne weiteres die Beantwortung der Rechtsfrage ableiten lässt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 29. Mai 2001 - 1 BvR 791/01 -, und früher schon BVerfG ≪Kammer≫, SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f; Nr 7 S 14; s auch BVerfG ≪Kammer≫, DVBl 1995, 35).

Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage,

welche Auswirkungen eine staatliche Genehmigung nach § 121a SGB V auf die Leistungskompetenz der Genehmigungsinhaber im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung gegenüber Fachgebietsgrenzen nach Satzungsrecht einer LÄK hat (Beschwerdebegründung S 5 oben),

ist nicht klärungsbedürftig. Denn für ihre Beantwortung wesentliche Gesichtspunkte sind in der Rechtsprechung des BSG bereits geklärt, und die Antwort auf die zusätzlichen besonderen Aspekte ergibt sich ohne weiteres aus dieser Rechtsprechung (hierzu s die vorstehend zitierte BSG-Rechtsprechung). Die gefestigte Rechtsprechung von BSG und Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geht dahin, dass die Umgrenzung der Fachgebiete durch die Weiterbildungsbestimmungen (Weiterbildungsordnung und Weiterbildungs-Richtlinien) erfolgt (s zB BSGE 84, 290, 293 f = SozR 3-2500 § 95 Nr 21 S 87 f; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 1 RdNr 8 und Nr 5 RdNr 11, 13; BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 16. Juli 2004 - 1 BvR 1127/00 R - unter II 2 a, noch nicht veröffentlicht). Das BSG hat weiter klargestellt, dass Fachgebietsumgrenzungen weder durch besondere persönliche Qualifikationen noch durch Sondergenehmigungen der KÄV zur Erbringung und Abrechnung weiterer Leistungen noch durch berufsrechtliche Berechtigungen zur Führung von Zusatzbezeichnungen erweitert werden können (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 7 S 29; BSGE 84, 290, 295 = SozR aaO Nr 21 S 90; s auch BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 5 RdNr 8). Aus dieser Rechtsprechung folgt ohne weiteres - ohne dass dies der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfte -, dass auch Genehmigungen gemäß § 121a Abs 2 SGB V die Fachgebietsbegrenzung nicht berühren. Denn auch diese Genehmigungen können die auf landesrechtlichem Berufsrecht beruhenden Fachgebietsumgrenzungen nicht erweitern. Das BSG billigt eine solche Wirkung schon nicht der berufsrechtlichen Zuerkennung einer Zusatzbezeichnung zu und noch weniger den Abrechnungsgenehmigungen von KÄVen, die nicht auf Grund des Berufsrechts ergehen. Ebenso wenig kann einer Genehmigung nach § 121a SGB V, die gleichfalls nicht berufsrechtlich fundiert ist, eine gebietserweiternde Wirkung zuerkannt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Genehmigung dem Frauenarzt - wie im Fall des Klägers zu 4. - die verantwortliche Leitung für den Bereich Andrologie in der IVF-Arbeitsgruppe zuweist. Mit der Einordnung der gestrichenen Untersuchungen als fachfremd und deshalb als nicht abrechenbar wird weder die persönliche Qualifikation des Klägers zu 4. für die Erbringung der gestrichenen Leistungen in Zweifel gezogen noch bestritten, dass deren Erbringung notwendig ist. Die betroffenen Leistungen sind vielmehr wegen der berufsrechtlichen Fachgebietsaufteilung lediglich anderen Ärzten wie Urologen, Dermatologen, endokrinologisch tätigen Internisten und/oder Laborärzten zugeordnet; die Frauenärzte müssen ihnen deshalb diese Teile des Untersuchungsganges überlassen und deren Befunde dann in ihre Behandlungsplanung einbeziehen.

Bereits unzulässig ist die Beschwerde insoweit, als sie geltend macht, das LSG habe eine Kenntnis der KÄV von der fachfremden Betätigung zu Unrecht verneint - dazu weist sie auf die Genehmigungsbescheide des Staatsministeriums und deren Zusendung an die KÄV hin - (Beschwerdebegründung S 11 f). Mit diesen Ausführungen wird weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) noch eine Rechtsprechungsabweichung (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemacht. Darin kann allenfalls die Rüge eines Verfahrensmangels (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) liegen. Die Zulässigkeitsanforderungen für eine solche Rüge sind indessen nicht erfüllt. Bei Verfahrensrügen muss entsprechend den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Darlegungsanforderungen ein Fehler des LSG bei seinem verfahrensmäßigen Vorgehen bezeichnet und ausgeführt werden, dass bzw inwiefern das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht. Die Kläger machen jedoch lediglich geltend, das LSG habe eine Kenntnis der KÄV von der fachfremden Betätigung zu Unrecht verneint (Urteil S 19: "nur dann in Frage, wenn die KÄV Kenntnis davon hatte ... Derartige Tatbestände liegen nicht vor."), und weisen dafür auf die Genehmigungsbescheide des Staatsministeriums und deren Zusendung an die KÄV hin. Damit beanstanden sie nur das Ergebnis der tatsächlichen Würdigung durch das LSG, indem sie ihm die eigene abweichende tatsächliche Sicht entgegensetzen. Sie greifen aber nicht das verfahrensmäßige Vorgehen des LSG an. Nur dies könnte indessen die Tatsachenfeststellung des LSG, dass die KÄV keine Kenntnis gehabt habe, wirksam in Frage stellen. Das Revisionsgericht ist an die im Berufungsurteil getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden, außer wenn in Bezug auf diese zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht werden (§ 163 SGG; - vgl im selben Sinn BSG, Urteil vom 28. Juni 2000 - B 6 KA 36/98 R -, in Juris dokumentiert).

Erfolglos ist auch die von den Klägern erhobene Rüge, es liege eine Rechtsprechungsabweichung vor (Beschwerdebegründung S 10 f). Sie ist, ihre Zulässigkeit unterstellt, jedenfalls unbegründet. Für eine Divergenz muss eine Abweichung von Rechtssätzen des LSG-Urteils im Vergleich mit Rechtssätzen aus einer höchstrichterlichen Entscheidung gegeben sein, und das Berufungsurteil muss auf dieser Abweichung beruhen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Vorliegend aber fehlt es jedenfalls daran, dass das Berufungsurteil auf der von den Klägern geltend gemachten Divergenz "beruhen" kann. Das LSG hat darauf abgestellt, dass eine Kenntnis der KÄV von einer systematisch fachfremden Leistungserbringung nicht vorliege (Urteil S 19, wie zuvor zitiert). Deshalb kann es keine Relevanz haben, ob das LSG - wie die Kläger geltend machen - in seinen abstrakten Rechts(ober)sätzen für sachlich-rechnerische Richtigstellungen vorherige Mitteilungen der KÄVen über beabsichtigte Änderungen ihrer Vergütungspraxis generell als nicht erforderlich eingestuft hat. Denn das BSG hat solche Mitteilungen der KÄV nur dann als erforderlich angesehen, wenn sie - nachdem sie systematisch fachfremde Tätigkeiten wissentlich geduldet hatte und die Ärzte davon ausgegangen waren, die KÄV stelle die Fachgebietszugehörigkeit nicht in Frage - diese Verfahrenspraxis ändern will (so der Kontext im Urteil vom 20. März 1996 - 6 RKa 34/95 = SozR 3-2500 § 95 Nr 9 S 38 f). Ein solcher Fall lag im Falle der Kläger nicht vor; denn die KÄV hatte keine Kenntnis von einer systematisch fachfremden Leistungserbringung, wie im Berufungsurteil verbindlich festgestellt worden ist (§ 163 SGG).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG (in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden und hier noch anzuwendenden Fassung).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1755814

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