Verfahrensgang

Sächsisches LSG (Urteil vom 17.10.1995)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 17. Oktober 1995 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin fordert von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Zahlung eines Betrags von 506.730,00 DM.

Sie stützt ihre Forderung auf einen zwischen ihr und dem Arbeitsamt (ArbA) abgeschlossenen Vertrag über die Durchführung einer beruflichen Bildungsmaßnahme vom 28. September/8. Oktober 1990. Danach verpflichtete sich die Klägerin als Maßnahmeträger in der Strafvollzugsanstalt Bautzen II für zehn Arbeitskräfte eine berufliche Bildungsmaßnahme in der Zeit vom 1. August 1990 bis 28. Februar 1991 durchzuführen. Unter Ziff 4.1 sah der Vertrag vor: „Für die Durchführung der Bildungsmaßnahme vergütet die Arbeitsverwaltung dem Träger folgende Kosten: a) Lehrgangsgebühren 84.455,00 DM je Monat bei einer Teilnehmerzahl von zehn und mehr.” Unter Ziff 4.2 war bestimmt, daß die unter Ziff 4.1 aufgeführten Kosten „monatlich nachträglich unter Vorlage der von der Vollzugsanstalt Bautzen gegengezeichneten monatlichen Teilnehmerliste” fällig werden.

Mit Schreiben vom 27. August 1991 mahnte die Klägerin Zahlungsrückstände des ArbA in Höhe von insgesamt 506.730,00 DM an. Sie berief sich auf Ziff 4.1 a des Vertrags, wonach Lehrgangsgebühren von 84.455,00 DM „je Monat” bei einer Teilnehmerzahl von zehn und mehr zu vergüten seien. Bisher seien lediglich sieben Zahlungen in Höhe von jeweils 12.065,00 DM eingegangen. Das ArbA bestritt die Forderung der Klägerin mit dem Hinweis, beide Vertragspartner seien stets davon ausgegangen, daß sich die förderungsfähigen Lohnkosten auf insgesamt 84.455,00 DM beliefen. Von einer monatlichen Leistung in dieser Höhe sei nie die Rede gewesen. Es handele sich bei der Formulierung unter Ziff 4.1 a des Vertrags nur um einen Fehler bei der Ausfüllung des vorgedruckten Vertragsformulars.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 14. Juni 1994 der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 17. Oktober 1995 die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, trotz der Formulierung unter Ziff 4.1 a des Vertrags, wonach Lehrgangsgebühren von 84.455,00 DM „je Monat” bei einer Teilnehmerzahl von zehn und mehr vergütet werden sollten, hätten die Beteiligten übereinstimmend die einmalige Zahlung eines Betrags von 84.455,00 DM vereinbart. Mit dem im Vertragsformular vorgedruckten und nicht gestrichenen Zusatz „je Monat” hätten sie lediglich etwas übereinstimmend falsch bezeichnet, was sie – ebenfalls übereinstimmend – nicht gewollt hätten. Es handele sich um einen Fall des Grundsatzes der sog „falsa demonstratio”, die nach allgemeiner Meinung das wirklich Gewollte unberührt lasse. Entgegen der Behauptung der Klägerin ergebe sich dies aus der in den vorhandenen Unterlagen dokumentierten Vorgeschichte und ihrem eigenen späteren Verhalten. Die vom SG durchgeführte Beweisaufnahme habe nichts gebracht, was dem widerspreche. Das SG habe den Zeugenaussagen zu Unrecht nicht entnommen, daß allen Beteiligten vor Unterzeichnung des Vertrags der Betrag von 84.455,00 DM als Gesamtzahlung klar und eindeutig vor Augen gestanden habe. Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin als Zulassungsgrund Verfahrensmängel, nämlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Untersuchungsgrundsatzes geltend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Beschwerde ist unzulässig; ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Klägerin stützt ihre Nichtzulassungsbeschwerde allein auf § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Nach dieser Vorschrift ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG hat die Beschwerdeführerin in der Begründung den Verfahrensmangel zu bezeichnen. Bezeichnet ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert, dh schlüssig dargetan werden (ständige Rechtsprechung, vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Hieran fehlt es.

Die Klägerin rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Grundgesetz ≪GG≫), weil ihr eine verfahrensleitende Mitteilung, die der Beklagten gegenüber bekanntgegeben worden sei, vorenthalten worden sei. Mit diesem Vorbringen hat sie eine Gehörsverletzung nicht schlüssig dargetan.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfaßt zwar auch die Pflicht des Gerichts, dafür zu sorgen, daß die Beteiligten Kenntnis von allen in den Prozeß eingeführten und allen entscheidungserheblichen Tatsachen bekommen (vgl BSG SozR 1500 § 128 Nrn 4, 15). Doch die Rüge der Klägerin geht schon deshalb fehl, weil in der Beschwerdebegründung nicht ausgeführt und im übrigen auch nicht ersichtlich ist, welche prozeßleitende Verfügung oder Mitteilung des LSG sie mit ihrem Vortrag anspricht. Falls ihr Vorbringen dahingehend zu verstehen sein sollte, daß nach ihrem Eindruck das Votum des Berichterstatters dem Beklagtenvertreter bereits vorgelegen haben sollte, hätte die Klägerin bzw ihre Prozeßbevollmächtigte die Besorgnis der Befangenheit des Richters im Termin am 17. Oktober 1995 geltend machen können. Nach Beendigung der Berufungsinstanz kann ein Ablehnungsgesuch nicht mehr gestellt werden, denn es ist dann prozessual überholt. Dementsprechend kann auch eine Revision nicht auf einen derartigen, nicht vorgebrachten Ablehnungsgrund gestützt werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Betreffende den Ablehnungsgrund erst nach Erlaß der Endentscheidung des Gerichts, dem der abgelehnte Richter angehört, erfahren hat (vgl BSG-Urteil vom 27. Januar 1993 – 6 RKa 2/91 –, nicht veröffentlicht).

Soweit die Klägerin dem LSG vorwirft, es habe sie nicht über dessen – im Vergleich zur erstinstanzlichen Entscheidung abweichende – Rechtsauffassung in Kenntnis gesetzt, verkennt sie § 62 SGG, Art 103 GG. Diese Vorschriften begründen keinen Anspruch auf ein Rechtsgespräch und keine Frage- und Aufklärungspflicht in bezug auf die Rechtsansicht des Gerichts (BVerfGE 71, 1, 5; 86, 133, 144 f). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muß daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen. Anders liegt es nur dann, wenn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – mit der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsauffassung oder angewandten Verfahrensweise nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 86, 133, 144 f). So liegt der Fall nach dem Vortrag der Klägerin indes nicht.

Dies gilt auch, soweit sie geltend macht, es sei für sie nicht nachvollziehbar, warum das LSG überhaupt eine Auslegungsfähigkeit der dem Vertrag zugrunde liegenden Willenserklärungen gesehen und zu der Annahme einer falsa demonstratio gelangt sei. Denn sie hat selbst vorgetragen, daß die Beklagte behauptet habe,

etwas anderes als das Gewollte erklärt zu haben. Damit ist die Frage einer irrtümlichen Falschbezeichnung angesprochen worden. Vor diesem Hintergrund mußte die Klägerin auch ohne Hinweis des Gerichts damit rechnen, daß es für die Entscheidung des LSG möglicherweise auf eine Vertragsauslegung ankommen konnte. Der Einwand der Klägerin, in einem solchen Fall komme nur eine Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 Bürgerliches Gesetzbuch in Betracht und von daher sei die Entscheidung des LSG in der Sache unrichtig, ist nicht geeignet, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs schlüssig darzutun. Art 103 GG verpflichtet das Gericht zwar, die Ausführungen der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es besteht für das Gericht jedoch nicht die Pflicht, auf Vorbringen eines Beteiligten einzugehen, wenn es nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich war (vgl BVerfGE 47, 182, 189; 86, 133, 146). Wie die Klägerin selbst einräumt, stellte sich für das LSG bei seiner Vertragauslegung die Frage einer Anfechtung nicht mehr. Daß der Rechtsstreit – wie die Klägerin im Kern geltend macht – (angeblich) falsch entschieden worden ist, begründet keinen Verfahrensmangel und kann in der Nichtzulassungsbeschwerde nicht als Zulassungsgrund gerügt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, st Rspr).

Auch mit der Rüge, das LSG habe seine Aufklärungspflicht verletzt, weil es den Zeugen Pech nicht vernommen habe, hat die Klägerin keinen Verfahrensmangel schlüssig dargetan. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dieser Antrag muß in der mündlichen Verhandlung gestellt und protokolliert werden. Daß dies der Fall war, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Sie könnte es auch nicht, denn ausweislich der Sitzungsniederschrift hat sie keinen entsprechenden Antrag gestellt. Es genügt nicht, daß die Klägerin – wie sie vorträgt – vor dem SG mit Schriftsatz vom 15. Mai 1990 (richtig wohl: 15. Mai 1992) einen Antrag auf Zeugenvernehmung des Mitarbeiters der Deutschen Bank Pech gestellt hat und sich im Berufungsverfahren auf die angebotenen Beweismittel in erster Instanz bezogen hat. Darüber hinaus hat die Klägerin auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus – auf den allein für die Prüfung des Verfahrensmangels abzustellen ist – sich zu weiterer Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, st Rspr).

Soweit schließlich die Klägerin mit dem Vortrag, die Rechtsauffassung des LSG auf S 14 im Urteilsumdruck stehe im Widerspruch zu der Aussage des vor dem SG vornommenen Zeugen Dr. Rost, sinngemäß eine für sie überraschende Beweiswürdigung geltend macht, ist damit ebenfalls kein zulässiger Verfahrensmangel bezeichnet. Denn – wie bereits oben ausgeführt – kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Beweiswürdigung) eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl auch BSG SozR 1750 § 398 ZPO Nr 1). Auch ein Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG ist in der Beschwerdebegründung nicht dargetan. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung iS von § 128 Abs 2 SGG kann nicht schon darin gesehen werden, daß das LSG entgegen den Erwartungen der Klägerin aus den Zeugenaussagen in der ersten Instanz andere Schlüsse als das SG gezogen hat (vgl BSG SozR 1750 § 398 ZPO Nr 1).

Der am 2. Oktober 1996 beim Bundessozialgericht eingegangene Schriftsatz der Klägerin vom 30. September 1996 ist nach Ablauf der zweimonatigen Begrün-dungsfrist nach Zustellung des vollständigen Urteils eingegangen und war deshalb nicht zu brücksichtigen.

Da die Beschwerdebegründung den geltend gemachten Zulassungsgrund nicht in der gesetzlich geforderten Weise darlegt, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172760

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