Verfahrensgang

LG Potsdam (Beschluss vom 09.10.2023; Aktenzeichen 4 O 225/23)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 9. Oktober 2023, Az. 4 O 225/23, aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht mit der Maßgabe zurückverwiesen, dass von einer hinreichenden Erfolgsaussicht des Antrags aus dem Klageentwurf vom 27. Juli 2023 auszugehen ist.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Antragsgegner auf Ersatz desjenigen Verdienstausfallschadens, der ihr aus der verzögerten Bereitstellung eines Betreuungsplatzes für ihren am ... Oktober 2017 geborenen Sohn im Zeitraum Juni 2022 bis Juli 2023 entstanden sei.

Die alleinerziehende Antragstellerin zog Mitte Juli 2021 mit ihren Kindern in die im Gebiet des Antragsgegners liegende Stadt ... (im Folgenden auch: Stadt). Am 20. August 2021 stellte die Stadt den Rechtsanspruch ihres Sohnes auf eine Kita-Betreuung im täglichen Umfang von neun Stunden fest. Die Antragstellerin bemühte sich eigenverantwortlich erfolglos um einen Kindergartenplatz. Im Mai 2022 teilte sie dies dem Jugendamt des Antragsgegners mit. Er gewährte hierauf sozialpädagogische Erziehungshilfe.

Die Antragstellerin forderte Ende November 2022 von der Stadt finanziellen Ausgleich für den entstandenen Verdienstausfall ab November 2021. Diese leitete das Schreiben an den Antragsgegner weiter, der den Anspruch am 27. Januar 2023 mit der Begründung zurückwies, er habe erst aus diesem Schreiben von dem Antrag erfahren. Zudem habe die Antragstellerin nicht den ihr zumutbaren Rechtsschutz ergriffen. Zum 1. August 2023 konnte die Antragstellerin einen Kita-Platz für ihren Sohn erlangen.

Das Landgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit dem angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Für die Monate Juni 2022 bis Januar 2023 stehe ihr kein Anspruch zu, weil sie bis Januar 2023 den Bedarf nicht angemeldet habe, sondern nur Hilfe zur Erziehung beantragt habe. Erst mit dem Schreiben von Ende November 2022 habe sie ihren Bedarf deutlich gemacht, und dies auch nur in Form eines Schadensersatzanspruchs. Ob dies genüge, könne offenbleiben. Denn jedenfalls habe sie es schuldhaft unterlassen, einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Es sei nicht auszuschließen, dass der Antragsgegner hierauf einen Platz zur Verfügung gestellt hätte.

Der Beschluss ist der Antragstellerin am 18. Oktober 2023 zugestellt worden. Sie hat am Montag, dem 20. November 2023 Beschwerde erhoben. Sie ist der Auffassung, der Antragsgegner müsse sich die Kenntnis der Stadt zurechnen lassen. Er sehe selbst kein Antragsverfahren vor. Sie habe sich auch nicht mit einem Antrag auf Erziehungshilfe an das Jugendamt gewandt, sondern mit der Bitte um Hilfe bei der Suche nach einem Kita-Platz. Die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz könne nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden.

Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 27. Dezember 2023 nicht abgeholfen.

II. Die zulässige, insbesondere rechtzeitig im Sinne der §§ 127 Abs. 2 Satz 3 und 222 Abs. 2 ZPO eingelegte Beschwerde ist begründet. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird Prozesskostenhilfe gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange und soweit die Anforderungen an das Vorbringen im Prozesskostenhilfeverfahren nicht überspannt werden. Die grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässige Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 - 1 BvR 365/09, NJW 2010, 1657). Höchstrichterlich noch nicht geklärte und umstrittene Rechtsfragen dürfen nicht im Bewilligungsverfahren "durchentschieden" werden (VerfG Bbg, Beschluss vom 24. März 2017 - VfGBbg 48/16 -, BeckRS 2017, 105824). In tatsächlicher Hinsicht ist Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 30. September 2003 - 1 BvR 2072/02 -, Rdnr. 10 bei juris). Die notwendige "summarische" Prüfung ist dagegen keine nur oberflächliche Prüfung der Klage und ihrer Erfolgsaussichten. Im Gegenteil ist eine sorgfältige Prüfung der Erfolgsaussicht nicht nur verfassungsrechtlich zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. September 2003 - 1 BvR 2072/02 -, NJW-RR 2004, 61), sondern sowohl aus fiskalischen Gründen als auch im Interesse beider Parteien geboten, insbesondere für den Antrag au...

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