Leitsatz (amtlich)
a) Der Anspruch des Verletzten auf Schadensersatz wegen vermehrter Bedürfnisse geht auf den Sozialhilfeträger über, soweit und sobald infolge des schädigenden Ereignisses auf Grund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit des Geschädigten, mit der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers ernsthaft zu rechnen ist.
b) Dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe und dem Zusammenspiel des § 116 SGB X mit § 2 BSHG ist eine Ermächtigung des Geschädigten zu entnehmen, nach dem Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger zur Vermeidung der Hilfsbedürftigkeit die Ersatzleistung im eigenen Namen vom Schädiger einzufordern.
c) Bei einer Überschreitung der Einziehungsermächtigung im Rahmen eines Abfindungsvergleichs können sich der Schädiger und ggfls. sein Haftpflichtversicherer nur unter den Voraussetzungen der §§ 407, 412 BGB auf ein Erlöschen der Schadensersatzansprüche berufen. Dabei sind an die Kenntnis der dem Rechtsübergang auf den Sozialhilfeträger zugrunde liegenden Tatsachen nur maßvolle Anforderungen zu stellen.
Normenkette
SGB X § 116; BSHG § 2; BGB §§ 407, 412
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger, ein überörtlicher Träger der Sozialhilfe (SHT), verlangt vom beklagten Haftpflichtversicherer Ersatz der Aufwendungen, die er für den bei einem Verkehrsunfall verletzten Reinhard W. erbracht hat und noch zu erbringen haben wird.
Der bei dem Beklagten haftpflichtversicherte Reinhold E. geriet am 11. April 1987 mit seinem Pkw auf einer Landstraße auf die Gegenfahrbahn, als er sein Fahrzeug hinter einem vor einer Baustelle abbremsenden Pkw nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte. Dabei stieß er mit dem ihm entgegenkommenden Fahrzeug des W. zusammen. W. wurde schwer verletzt; er kann seinen Beruf als Maschinenschlosser nicht mehr ausüben und ist auf Dauer pflegebedürftig.
Am 14. April 1987 nahm die Ehefrau des W. Regulierungsverhandlungen mit dem Beklagten auf; sie wurde am 17. Juli 1987 zur Gebrechlichkeitspflegerin des W. bestellt. Im Oktober 1988 leitete das zuständige Arbeitsamt die Aufnahme des W. in eine Werkstatt für Behinderte (früher: beschützende Werkstatt) in die Wege. Dort wurde W. zunächst im sog. Arbeitstrainingsbereich beschäftigt; die Kosten dieser beruflichen Rehabilitationsmaßnahme trug die zuständige Landesversicherungsanstalt (LVA). Am 6. April 1989 schloß die Ehefrau des W. mit dem Beklagten einen vom Vormundschaftsgericht genehmigten Abfindungsvergleich, in dem es u.a. heißt:
„Ich … erkläre mich nach Zahlung von 440.000 DM … durch den L. (Beklagten) mit allen Ansprüchen für jetzt und die Zukunft vorbehaltlos, also auch wegen unerwarteter und unvorhersehbarer Folgen endgültig abgefunden, die mir aus dem Schadenfall vom 11.4.87 gegen E. sowie alle mitversicherten Personen zustehen können ….
Mit dem o.g. Betrag sind auch vermehrte Bedürfnisse/Pflegekosten abgegolten.
Hiermit trete ich alle Ersatzansprüche aus dem Unfall v. 11.4.87 gegen das … Hospital und die Ärzte dieses Krankenhauses an den L. ab, soweit nicht Ansprüche kraft Gesetzes auf einen SVT (Sozialversicherungsträger) übergegangen sind.”
Als Stellen, von denen für den Personenschaden des W. Zahlungen erfolgt oder zu erwarten seien, sind in dem Abfindungsvergleich die zuständige Krankenkasse und die LVA genannt; in der für das Sozialamt vorgesehenen Spalte ist zu etwaigen Leistungen angegeben „keine”.
Den vom Beklagten gezahlten Abfindungsbetrag verwendeten W. und seine Ehefrau für den Bau eines Hauses.
Ab 1. November 1989 wurde W. in den sogenannten Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt übernommen. Seither zahlt der Kläger als überörtlicher Träger der Sozialhilfe die Kosten, die sich bis zum 31. Dezember 1991 auf 34.689,62 DM belaufen haben. Den Ersatz dieses Betrages verlangt der Kläger vom Beklagten; ferner begehrt er die Feststellung der Pflicht des Beklagten zur Erstattung auch der weiteren, im Rahmen der sozialhilferechtlichen Einstandspflicht liegenden Kosten.
Der Beklagte hält die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche durch den Vergleich vom 6. April 1989 für abgegolten und im übrigen für verjährt. Des weiteren wendet er eine Mitverursachung des Verkehrsunfalls durch W. aufgrund der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs sowie eine Mithaftung des Klägers selbst ein, weil dieser als verantwortlicher Straßenbaulastträger die Unfallstelle nicht hinreichend abgesichert habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt er seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint eine Verjährung der geltend gemachten Ansprüche sowie eine zu quotenmäßiger Kürzung führende Mitverursachung des Unfalls durch W. Es hält die Klageansprüche jedoch durch den Abfindungsvergleich vom 6. April 1989 für erloschen. Zu dieser Zeit sei, so meint das Berufungsgericht, W. selbst noch Inhaber der Ansprüche und deshalb über sie verfügungsberechtigt gewesen. Denn der Forderungsübergang auf einen SHT trete nicht schon im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses, sondern erst dann ein, wenn sich die Sozialhilfebedürftigkeit des Geschädigten näher konkretisiert habe. Dies sei hier bis zu dem Abschluß des Abfindungsvergleichs nicht der Fall gewesen, denn angesichts der dem W. gegen den Beklagten zustehenden Schadensersatzansprüche habe mit einer Inanspruchnahme des Klägers nicht gerechnet werden müssen. Nach dem eindeutigen Wortlaut des als umfassend gewollten Abfindungsvergleichs seien durch ihn dann auch die streitigen Ansprüche des W. wegen vermehrter Bedürfnisse erledigt worden, obschon sich die für W. und für den Beklagten damals handelnden Personen keine konkreten Vorstellungen über die Kosten der beschützenden Werkstatt und deren etwaige Übernahme durch einen SHT gemacht hätten.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in vollem Umfang stand. Die geltend gemachten Ansprüche, mit denen Schadensersatz wegen vermehrter Bedürfnisse des W. verlangt wird (vgl. dazu OLG Hamm, VersR 1992, 459 mit Nichtannahmebeschluß des erkennenden Senats), sind nicht, wie das Berufungsgericht meint, bereits vor einem Rechtsübergang auf den Kläger durch den Abfindungsvergleich vom 6. April 1989 erloschen.
1. Nach dem bisher festgestellten Sachverhalt sind diese Ansprüche durch den Vergleich auch dann nicht erloschen, wenn die Vergleichsparteien seinerzeit eine auch sie umfassende Abfindungsregelung treffen wollten. Denn in diesem Fall waren W. und seine damals für ihn handelnde Ehefrau bei dem Abschluß des Vergleichs zu der getroffenen Verfügung über diese Ansprüche nicht mehr berechtigt.
a) Zutreffend geht allerdings das Berufungsgericht davon aus, daß trotz der Aufnahme des SHT in die Vorschrift des § 116 Abs. 1 SGB X und des damit auch für diesen Sozialleistungsträger begründeten gesetzlichen Forderungsübergangs auch weiterhin Unterschiede zu den SVT in Bezug auf den Zeitpunkt des Rechtsübergangs bestehen. Während nämlich die Legalzession auf einen SVT regelmäßig schon im Augenblick des schädigenden Ereignisses erfolgt (vgl. u.a. BGHZ 19, 177, 178; 48, 181, 184 ff), kann dieser Zeitpunkt dem Anspruchsübergang auf einen SHT nicht ohne weiteres zugrunde gelegt werden. Dies beruht, wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung zum Rechtsübergang auf die Bundesanstalt für Arbeit (BA) vom 20. September 1994 (VI ZR 285/93 – BGHZ 127, 120, 124 ff = LM § 58 ArbeitsförderungsG Nr. 1 mit Anmerkung Stolleis/Gorny) auch für den SHT bereits ausgesprochen hat, auf dem Umstand, daß die Gewährung von Sozialleistungen bei der BA wie auch bei einem SHT anders als bei den SVT nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses, sondern an gänzlich andere Voraussetzungen anknüpft. Deshalb muß das besondere Band des Versicherungsverhältnisses, dessen Vorliegen bei einem SVT regelmäßig schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses den Boden für den Forderungsübergang schafft, bei der BA und dem SHT durch andere Umstände ersetzt werden, die auf die Pflicht zur Erbringung von Sozialleistungen schließen lassen. Erforderlich für einen Rechtsübergang auf diese Leistungsträger ist, daß nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls Sozialleistungen durch sie ernsthaft in Betracht zu ziehen sind (vgl. BGHZ 127, 120, 126).
aa) Wann ein SHT im Sinne von § 116 Abs. 1 SGB X Leistungen zu gewähren hat und damit der dort normierte Rechtsübergang eintritt, wird in Rechtsprechung und Literatur insbesondere wegen der Voraussetzung der Bedürftigkeit, von der das Bundessozialhilfegesetz die Leistungspflicht abhängig macht, unterschiedlich beantwortet. Manche Autoren nehmen auch bei einem SHT wie bei den SVT einen Forderungsübergang regelmäßig bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses an (Hauck/Haines/Bürsch, SGB X/3, 1985, K § 116 Rdn. 23; v. Maydell in: GK-SGB X 3, 1984, § 116 Rdn. 206 ff; F. Müller, VersR 1984, 1130, 1132; Pickel, SGB X, 1994, § 116 Anm. 2 a; Zeitler, SGB X, 4. Aufl., § 116 Anm. 1 b, 2 f). Andere stellen auf das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine künftige Hilfsbedürftigkeit ab (OLG Stuttgart, NJW-RR 1993, 1418, 1419 = ZfS 1993, 8, 9; LG Heidelberg, ZfS 1986, 298; Deinhardt, VersR 1984, 697, 698 f; Palandt/Heinrichs, BGB 54. Aufl., Rdn. 155 vor § 249). Wieder andere verlangen den Eintritt der Bedürftigkeit (Eckelmann/Nehls, Schadensersatz bei Verletzung und Tötung, 1987, S. 213 f; Gitter in: SGB – SozVersR – GesKomm. § 116 SGB X Anm. 8; Hofmann, Haftpflichtrecht für die Praxis, 1989, S. 573; Kater, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 116 SGB X Rdn. 147; Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 5. Aufl., Rdn. 519; ders., VersR 1983, 193, 195 f; A. Müller, NZS 1994, 13, 16 f; Münder, ZfSH/SGB 1985, 193, 200; Schroeder-Printzen/Schmalz, SGB X, 2. Aufl. § 116 Anm. 2.6; Wannagat/Eichenhofer, SGB X/3, 1989, § 116 Rdn. 20). Manche schließlich heben auf die tatsächliche Leistung der Sozialhilfe ab (Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozeß, 21. Aufl., Kap. 30 Rdn. 38; Plagemann, ZfSH/SGB 1985, 9, 12, 14 f).
bb) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die in BGHZ 108, 296, 304 offen gelassene, hier nun zu entscheidende Frage nach dem Zeitpunkt des Forderungsübergangs auf den SHT auf dem Boden des bereits genannten Urteils BGHZ 127, 120, 126 dahin zu beantworten, daß die Zession erfolgt, sobald infolge des schädigenden Ereignisses aufgrund konkreter Anhaltspunkte, auch für eine Bedürftigkeit des Geschädigten, mit der Leistungspflicht des SHT zu rechnen ist. Ist dies bei dem Eintritt des Schadens noch nicht der Fall, so würde ein dennoch schon in diesem Zeitpunkt eintretender Forderungsübergang auf den SHT in einer Vielzahl von Fällen, in denen es nie zu Sozialleistungen kommt, ohne sachlichen Grund eine Schadensregulierung, insbesondere in Form eines Abfindungsvergleichs, unmöglich machen oder zumindest erheblich erschweren (Deinhardt, aaO, S. 698; Küppersbusch, VersR 1983, 193, 195 f; A. Müller, aaO, S. 16; Plagemann, aaO, S. 14). Mit dem Zweck der Aufnahme des SHT in § 116 Abs. 1 SGB X nicht zu vereinbaren ist nach Ansicht des Senats andererseits aber auch die Annahme eines Forderungsübergangs erst bei tatsächlicher Erbringung von Sozialleistungen. Dem steht nicht nur der Wortlaut der genannten Vorschrift (…„zu erbringen hat”) und das gesetzgeberische Ziel der Gleichstellung mit den SVT, sondern auch die Vorschrift des § 90 Abs. 4 Satz 2 BSHG entgegen; in ihr wird § 116 SGB X ausdrücklich als vorgehend gegenüber § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG bezeichnet, der seinerseits (erst) auf die tatsächliche Gewährung der Hilfe abstellt.
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts waren im Streitfall die Voraussetzungen für einen Rechtsübergang auf den Kläger bereits vor dem Abschluß des Abfindungsvergleichs gegeben. Dies gilt sowohl für die Vorhersehbarkeit einer Beschäftigung des W. im Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte als auch für die Wahrscheinlichkeit einer Einstandspflicht des Klägers für die Kosten dieser Maßnahme.
aa) Schon vor dem 6. April 1989 war objektiv damit zu rechnen, daß W. in den Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt übernommen werden würde. Er befand sich an dem genannten Tage seit etwa einem halben Jahr in dieser „einheitlichen Werkstatt” (§ 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 SchwbG; § 1 SchwbWV), und zwar bei dem Abschluß des Vergleichs in dem sich an das Eingangsverfahren (§ 3 SchwbWV) anschließenden Arbeitstrainingsbereich (§ 4 Abs. 1 SchwbWV), von dem aus die Behinderten nach Abschluß dieser berufsfördernden Bildungsmaßnahme je nach deren Ergebnis dem allgemeinen Arbeitsmarkt überantwortet oder in den Arbeitsbereich der Werkstatt (§§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 6 Nr. 3, 5 Abs. 3 SchwbWV) übernommen werden. Daß hier eine Entlassung des W. auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ausscheiden und seine Aufnahme in den Arbeitsbereich der Werkstatt in Betracht kommen würde, lag aufgrund seiner schweren Verletzungen wenn nicht schon alsbald nach dem Unfall, so doch jedenfalls vor dem Abschluß des Abfindungsvergleichs nahe. Bereits am 17. Juli 1987 war für W. eine Gebrechlichkeitspflegschaft angeordnet worden; seine Rechtsanwälte hatten dem Beklagten mit Schreiben vom 25. Mai 1988 mitgeteilt, daß W. auf Dauer zu 100 % arbeitsunfähig sei; im Oktober 1988 war seine Aufnahme in die Behindertenwerkstatt veranlaßt worden; nach dem ärztlichen Gutachten des Gesundheitsamtes vom 24. November 1988 war er nicht nur zu seiner erlernten Tätigkeit als Maschinenschlosser, sondern auch zur Ausübung eines anderen Berufs nicht mehr in der Lage; gemäß den Darlegungen dieses Gutachtens kam allein die Beschäftigung in einer beschützenden Werkstatt in Frage.
bb) Als Kostenträger für die Beschäftigung des W. im Arbeitsbereich der Werkstatt zeichnete sich zumindest seit Oktober 1988 der Kläger ab. Die LVA schied insoweit aus. Von den SVT (§ 567 Abs. 3 RVO: Unfallversicherungsträger; § 1237a RVO a.F., jetzt §§ 16 Abs. 1 Nr. 4, 18 Nr. 2 SGB VI: Rentenversicherungsträger) wie auch von der BA (§ 58 Abs. 1 a AFG) werden lediglich die Kosten des der beruflichen Rehabilitation dienenden Arbeitstrainingsbereichs, nicht aber auch diejenigen einer Beschäftigung im Arbeitsbereich (§ 5 SchwbWV) getragen. Die dortige Unterbringung kann dem Behinderten bei eigener Mittellosigkeit von einem öffentlichen Leistungsträger allein in Form der Eingliederungshilfe nach §§ 28 Abs. 1 Nr. 2 c, 29 Abs. 1 Nr. 3 d SGB I; §§ 27 Abs. 1 Nr. 6, 40 Abs. 2 BSHG gewährt werden (vgl. Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., § 40 Rdn. 12.1; Schellhorn, BSHG, 14. Aufl., § 40 Rdn. 60; s. auch BVerwG, Urt. vom 18. Mai 1995 – 5 C 22/93 – NJW 1995, 3001 f).
c) Dem Rechtsübergang auf den Kläger vor dem Abschluß des Abfindungsvergleichs stand auch nicht der Grundsatz des Nachrangs (Subsidiarität) der Sozialhilfe entgegen.
aa) Der in § 2 BSHG normierte Nachrang (s. dazu Senatsurteil vom 1. Oktober 1991 – VI ZR 334/90 – BGHZ 115, 228, 230; BVerwGE 41, 216, 220; 67, 163, 166) ist freilich nicht etwa durch die Aufnahme des SHT in die Vorschrift des § 116 Abs. 1 SGB X für Schadensersatzansprüche hinfällig geworden; er hat vielmehr in § 116 Abs. 3 Satz 3 SGB X noch eine gewisse Verstärkung erfahren (vgl. Plagemann, aaO, S. 11). Nach § 2 Abs. 1 BSHG erhält keine Sozialhilfe, wer sich selbst helfen kann. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß derjenige, dem ein alsbald realisierbarer Anspruch gegen einen Dritten zusteht, diesen Anspruch zur Deckung seines Bedarfs verwirklichen muß und daher in dessen Umfang nicht hilfsbedürftig ist (BVerwGE 21, 208, 212 f; 67, 163, 166; Schellhorn, aaO, § 2 Rdn. 5; Brühl in: LPK-BSHG, 2. Aufl., § 2 Rdn. 14).
bb) Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe bedarf jedoch einer sachgerechten Inhaltsbestimmung in seinem Verhältnis zu der Legalzession des § 116 Abs. 1 SGB X, da diese Vorschrift sonst zu § 2 BSHG in einem von manchen Autoren bejahten Gegensatz stünde (so Gitter, aaO, Anmerkung 8; Schmitt, ZfSH/SGB 1984, 157, 158). Denn § 116 SGB X ist, um das von ihm u.a. angestrebte Ziel der Entlastung der öffentlichen Kassen zu erreichen (vgl. dazu BGHZ 19, 177, 183; Senatsurteil vom 3. Mai 1960 – VI ZR 74/59 – VersR 1960, 709; Geigel/Plagemann, aaO, Kap. 30 Rdn. 1), auf einen möglichst frühzeitigen Forderungsübergang und damit auf einen alsbaldigen Anspruchsverlust bei dem Geschädigten ausgerichtet, um ihm etwaige dem Sozialleistungsträger nachteilige Verfügungen über seinen Schadensersatzanspruch zu verwehren (BGHZ 48, 181, 184 ff). Demgegenüber scheint der Nachrang der Sozialhilfe einen frühen Rechtsübergang auf den SHT zu verbieten, um so dem Geschädigten die Möglichkeit der Selbsthilfe durch Realisierung seines Anspruchs (s. dazu BVerwGE 21, 208, 212 f; 38, 307, 309; 67, 163, 166) möglichst lange zu erhalten. Ein normativer Gegensatz der beiden Vorschriften besteht jedoch bei richtiger Inhaltsbestimmung nicht.
(a) Die Verweisung des Geschädigten auf die Möglichkeit der Selbsthilfe durch Verwirklichung seines Schadensersatzanspruchs will dem SHT nicht etwa die ihm durch die Legalzession des § 116 Abs. 1 SGB X geschaffene frühzeitige Grundlage für einen Regreß beim Schädiger vorenthalten; sie verlangt vielmehr lediglich vom Geschädigten, daß dieser, bevor er sich mit der Bitte um Hilfe an den SHT wendet, „vorrangig” einen alsbald realisierbaren Schadensersatzanspruch selbst verwirklicht, um so eine Hilfeleistung durch den SHT möglichst zu vermeiden.
(b) Dieser Regelung ist nach Ansicht des erkennenden Senats freilich nicht zu entnehmen, daß so, wie es die Rechtsprechung bei der Überleitung eines Unterhaltsanspruchs nach §§ 90, 91 BSHG a.F. angenommen hat (vgl. BGHZ 20, 127, 131 f; BGH, Urteile vom 7. Oktober 1981 – IV b ZR 598/80 – FamRZ 1982, 23, 25; vom 18. März 1992 – XII ZR 1/91 – FamRZ 1992, 797, 799 und vom 14. Juni 1995 – XII ZR 171/94 – FamRZ 1995, 1131, 1133) und wie es zum Teil auch nach der Einführung der Legalzession in § 91 Abs. 1 BSHG n.F. auf der Grundlage des § 91 Abs. 3 Satz 2 BSHG für Unterhaltsansprüche weiterhin vertreten wird (Brudermüller, FuR 1995, 17, 19; s. auch Künkel, FamRZ 1994, 540, 548; Seetzen, NJW 1994, 2505), auch ein Schadensersatzanspruch nach § 116 Abs. 1 SGB X lediglich aufschiebend bedingt durch die tatsächliche Erbringung von Sozialhilfeleistungen auf den SHT übergeht. Dies hätte zwar zur Folge, daß der Geschädigte für die Zukunft, hier also für die spätere Zeit der Unterbringung in dem Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt, die Aktivlegitimation für seinen Schadensersatzanspruch behielte. Einer solchen Einschränkung des Forderungsübergangs steht aber die durch die Aufnahme des SHT in § 116 SGB X bezweckte Gleichstellung mit den SVT entgegen, denen nach einhelliger Ansicht durch den Anspruchsübergang dem Grunde nach sofort die volle Gläubigerstellung verschafft wird. Der Geschädigte tritt lediglich dann, wenn sich später herausstellt, daß eine Leistungspflicht des SVT nicht (mehr) in Betracht kommt, ähnlich wie bei einer auflösenden Bedingung wieder in seine früheren Rechte ein (BGHZ 48, 181, 191; Senatsurteil vom 3. Mai 1960 – aaO).
(c) Dennoch bleibt der Geschädigte trotz des Übergangs seines Anspruchs auf den SHT gegenüber dem Schädiger auch weiterhin zur Einforderung der Schadensersatzleistung befugt. Das Zusammenspiel der Vorschriften des § 116 SGB X und des § 2 BSHG begründet für ihn eine dahingehende Einziehungsermächtigung. Der Normzweck des § 116 Abs. 1 SGB X, durch den Regreß beim Schädiger eine Entlastung der öffentlichen Kassen zu erzielen, und das an den Geschädigten gerichtete Anliegen des § 2 BSHG, durch eigene Realisierung von Ansprüchen gegen Dritte eine Inanspruchnahme der öffentlichen Haushalte möglichst zu vermeiden, münden nach ihrer insoweit übereinstimmenden Zielsetzung in die Ermächtigung an den Geschädigten, die Schadensersatzleistung vom Schädiger selbst einzufordern. Zu dem Zweck, Leistungen des SHT von vornherein unnötig zu machen, kommt dem Geschädigten somit ähnlich einem als Inkassoberechtigter des Neugläubigers handelnden Altgläubiger bei der Sicherungszession die Befugnis zu, den Schädiger in eigenem Namen auf die Ersatzleistung in Anspruch zu nehmen (zur fiduziarischen Einziehungsermächtigung s. BGHZ 32, 67, 71; Senatsurteil vom 11. Juli 1995 – VI ZR 409/94 – VersR 1995, 1205; MünchKomm-Roth, BGB 3. Aufl., § 398 Rdn. 19, 39, 44 ff, 49; Soergel-Leptien, BGB 12. Aufl., Vor § 182 Rdn. 19 f und § 185 Rdn. 34 ff).
cc) Die vorgenannte Ermächtigung berechtigte W. und seine für ihn handelnde Pflegerin jedoch nicht, mit Wirkung für den Kläger den Abfindungsvergleich vom 6. April 1989 mit dem Inhalt zu schließen, daß ohne Berücksichtigung des auf den Kläger übergegangenen Anspruchs des W. auf Ersatz der Kosten für die Beschäftigung im Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt die Schadensersatzansprüche des W. abschließend erledigt wurden.
(a) Der Zweck der von der Subsidiarität der Sozialhilfe geprägten Einziehungsermächtigung des W. bestand, wie bereits gesagt, darin, durch Realisierung seines Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten den Eintritt der Hilfsbedürftigkeit und damit eine Inanspruchnahme des Klägers als SHT zu vermeiden. Rechtshandlungen des W. und seiner Gebrechlichkeitspflegerin muß der Kläger deshalb nur insoweit gegen sich gelten lassen, als sie durch diesen Einziehungszweck gedeckt sind (vgl. MünchKomm-Roth, aaO, Rdn. 46).
(b) Im Streitfall wurde dieser Rahmen überschritten. Dabei kann es dahinstehen, ob W. nach dem dargelegten Zweck der Einziehungsermächtigung bei dem Abschluß des Abfindungsvergleichs lediglich die Befugnis zukam, von dem Beklagten die (künftige) Zahlung der Kosten des Arbeitsbereichs der Behindertenwerkstatt an den Kläger bzw. an die Werkstatt zu verlangen oder ob er auch ermächtigt war, die Zahlung dieser Kosten an sich selbst zu fordern (vgl. Palandt/Heinrichs, aaO, § 398 Rdn. 31). Nicht befugt waren W. und seine für ihn handelnde Pflegerin jedenfalls dazu, auf den Schadensersatzanspruch des W. wegen vermehrter Bedürfnisse im Umfang der Kosten der Behindertenwerkstatt zu verzichten und einen an den sonstigen Schadensersatzforderungen des W. ausgerichteten Abfindungsvergleich zu schließen, mit dem auch dieser Anspruch für erledigt erklärt wurde (zur Begrenzung der Verfügungsbefugnis s. auch BGHZ 106, 1, 3 f). Bei solchem Inhalt des Vergleichs war damit zu rechnen, daß W. in Höhe der Kosten des Arbeitsbereichs der Werkstatt der Sozialhilfe zur Last fallen würde; gerade dies sollte aber nach dem Zweck der Einziehungsermächtigung verhindert werden.
dd) Der Überschreitung der Ermächtigung kann auch nicht entgegengehalten werden, daß W. gemäß dem Abfindungsvergleich als Schadensersatzleistung einen Betrag von immerhin 440.000 DM ausbezahlt erhalten hat. Dieser Betrag deckte, soweit er sich auf die vom Beklagten auszugleichenden vermehrten Bedürfnisse des W. bezog, lediglich die vom Schädiger ebenfalls zu ersetzenden Kosten für den Bau eines auf den Sonderbedarf des W. zugeschnittenen Hauses (zur Ersatzpflicht s. Senatsurteil vom 19. Mai 1981 – VI ZR 108/79 – VersR 1982, 238, 239 f; OLG Frankfurt, VersR 1990, 912, 913 mit Nichtannahmebeschluß des erkennenden Senats). Er stand deshalb als sog. Schonvermögen (§ 88 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 7 BSHG; vgl. auch Schellhorn, aaO, § 88 Rdn. 38) für die Kosten der Beschäftigung des W. in der Werkstatt für Behinderte, um die es hier geht, nicht zur Verfügung.
ee) Einen Abfindungsvergleich mit dem am 6. April 1989 vereinbarten Inhalt hätte die Pflegerin des W. daher mit Wirkung für den Kläger nur mit Zustimmung des seinerzeit zuständigen SHT abschließen können (zur etwaigen späteren Rechtsnachfolge siehe BGHZ 127, 120, 126). Das ist im Streitfall nicht geschehen.
2. Unter diesen Umständen könnte sich der Beklagte gegenüber dem Kläger nur dann gemäß §§ 407 Abs. 1, 412 BGB auf ein Erlöschen der geltend gemachten Ansprüche durch den Abfindungsvergleich berufen, wenn er bei dessen Abschluß keine Kenntnis vom Rechtsübergang auf den Kläger gehabt hätte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 1968 – VI ZR 179/66 VersR 1968, 771, 772; vom 13. Februar 1975 – VI ZR 209/73 VersR 1975, 446, 447 und vom 17. April 1990 – VI ZR 276/89 – VersR 1990, 1028, 1030). An die Kenntnis eines solchen Forderungsübergangs sind allerdings nach ständiger Rechtsprechung nur maßvolle Anforderungen zu stellen, um den Schutz der sozialen Leistungsträger nicht durch die Behauptung fehlenden Wissens vom Gläubigerwechsel unterlaufen zu können (s. außer den vorgenannten Entscheidungen auch die Senatsurteile vom 4. Oktober 1983 – VI ZR 44/82 – VersR 1984, 35, 37 und vom 20. September 1994 – aaO). Dabei kommt es gemäß dem Senatsurteil vom 20. September 1994 auf die Kenntnis der Tatsachen an, die den frühen Rechtsübergang bewirken. In jenem Urteil hat der Senat in Bezug auf den Übergang eines Schadensersatzanspruchs für Rehabilitationsleistungen auf die BA, zu der, wie auch hier, kein Sozialversicherungsverhältnis besteht, auf das Wissen von Tatsachen abgestellt, die solche Leistungen der BA nahelegten, insbesondere auf die Kenntnis vom Ausmaß der Verletzungen. In gleicher Weise kommt es auch im Streitfall entscheidend darauf an, ob die für den Abschluß des Abfindungsvergleichs bei dem Beklagten zuständigen Personen am 6. April 1989 Kenntnis von Umständen hatten, welche die spätere Aufnahme des W. in den Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt und die sich daraus ergebende Einstandspflicht des Klägers für die Kosten dieser Maßnahme nahelegten. Dazu hat das Berufungsgericht, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, bislang keine Feststellungen getroffen. Es hat insoweit lediglich ausgeführt, die Beweisaufnahme habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daß bei den Vergleichsverhandlungen die Aufnahme des Verletzten in die Behindertenwerkstatt zur Sprache gekommen sei; auch sei dem Verhandlungsführer P. des Beklagten von der laufenden Arbeitstrainingsmaßnahme nichts bekannt gewesen. Dies allein ist jedoch nicht entscheidend. Wie oben (zu II 1 b aa) bereits ausgeführt wurde, zeichnete sich eine Übernahme des W. in den Arbeitsbereich der Werkstatt schon vor dem 6. April 1989 ab. Für eine Kenntnis des Beklagten von den dafür maßgeblichen Umständen kommt es nach § 166 BGB nicht allein auf das Wissen des Verhandlungsführers P. an. Immerhin war schon nach dessen im Berichterstattervermerk des Berufungsgerichts niedergelegter Aussage bei dem Beklagten u.a. der Vorschlag des Arztes bekannt, W. in eine beschützende Werkstatt aufzunehmen. Zudem kannte der Beklagte die erheblichen Verletzungen des W.; diese bildeten ja die Grundlage für die Bemessung des Abfindungsbetrages. obwohl hiernach vieles für die einen Gutglaubensschutz nach den §§ 407, 412 BGB ausschließende Kenntnis des Beklagten spricht, kann der erkennende Senat als Revisionsgericht diese Feststellung doch nicht selbst treffen; sie muß dem Berufungsgericht vorbehalten bleiben.
III.
Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 565 Abs. 1 ZPO zur weiteren Verhandlung, insbesondere über die vorstehend angesprochene Kenntnis des Beklagten, an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
In dem fortgesetzten Verfahren wird das Berufungsgericht dann auch Gelegenheit haben, seine Auslegung zum Umfang des Abfindungsvergleichs zu überprüfen. Es sprechen nämlich bereits einige Umstände dafür, daß die Klageansprüche schon deshalb von dem Vergleich unberührt geblieben sind, weil dieser sich bei interessengerechter Auslegung gar nicht auf sie erstreckt hat. So haben die den Vergleich aushandelnden Personen an die Möglichkeit gedacht, daß Schadensersatzansprüche des W. auf einen SVT übergegangen sein könnten, wie sich aus der ausdrücklichen Ausklammerung derart übergegangener Forderungen aus der Abtretung von Ersatzansprüchen des W. gegen das Krankenhaus und die Ärzte ergibt. Aus der Aufnahme der LVA in den Vergleichstext als einer Stelle, von der Zahlungen erfolgt bzw. zu erwarten seien, kann auf den Willen geschlossen werden, die auf die LVA übergegangenen Ansprüche von der Abfindungsregelung auszunehmen. Dies könnte der Sache nach auch für die seinerzeit von der LVA getragenen Kosten des Arbeitstrainingsbereichs der Werkstatt für Behinderte gelten, in der sich W. bei Abschluß des Vergleichs seit mehreren Monaten befand, zumal diese Kosten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bei den Erörterungen über die Höhe des an W. zu zahlenden Abfindungsvertrages nicht berücksichtigt worden sind. Hieraus läßt sich möglicherweise im Wege der ergänzenden Auslegung eine Einschränkung des Vergleichs dahin entnehmen, daß die Kosten der Behindertenwerkstatt generell, d.h. auch im Umfang ihrer evtl. Übernahme durch einen anderen Sozialleistungsträger, von der Abfindung ausgeklammert sein sollten.
Fundstellen
Haufe-Index 604943 |
BGHZ, 274 |
NJW 1996, 726 |
NVwZ 1996, 515 |
JR 1997, 15 |