BSG-Urteil vom 10.05.2012, AZ.: B 1 KR 20/11 R

Abschnittweise Gewährung des Krankengeldes

Die zeitlich weit über den 13.04.2004 hinausreichende Bescheinigung des (Vertrags-)Arztes S. ist nicht etwa deshalb unbeachtlich, weil die Beklagte entschied, die Krankengeld-Zahlung an den Kläger mit dem 12.04.2004 zu beenden. Wird das Krankengeld abschnittsweise gewährt, ist zwar das Vorliegen der leistungsrechtlichen Voraussetzungen des Krankengeld für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt neu zu prüfen (vgl. BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 6, RdNr. 22 mwN). Dieser Grundsatz schließt es indes nicht aus, eine ärztliche Feststellung aus vorangegangener Zeit, die den weiteren Bewilligungsabschnitt mit umfasst, als für § 46 S. 1 Nr. 2 SGB V ausreichend anzusehen. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – der Versicherte sich mit Rechtsbehelfen gegen die Entscheidung seiner KK wendet, die KrankengeldZahlung noch innerhalb des Zeitraums zu beenden, für den ein Arzt bereits AU festgestellt hat. Die Feststellung muss nicht zwingend durch einen Vertragsarzt erfolgen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 182 Nr. 12 S. 53 f; hM in der Literatur: Schmidt in Horst Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand 01.09.2011, Bd. 2, § 46 SGB V RdNr. 24 f; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2011, § 44 RdNr 12; Brandts in Kasseler Komm, Stand 01.12.2011, § 46 SGB V RdNr. 10; aA Knittel in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung Pflegeversicherung, Stand Januar 2012, § 44 SGB V RdNr. 16: nur nicht bei einem Notfall i. S. von § 76 Abs. 1 S 2 SGB V; widersprüchlich Kruse in LPK-SGB V, 3. Aufl. 2009, § 46 RdNr. 3). Mit der Notwendigkeit einer ärztlichen, nicht unbedingt vertragsärztlichen Feststellung harmoniert, dass unbeschadet des § 91 Abs. 6 SGB V die Regelungen in den AU-Richtlinien (RL) über den Zeitpunkt der AUFeststellung und ihren retro- und prospektiven Feststellungszeitraum den leistungsrechtlichen Krankengeld-Tatbestand nicht ausgestalten (zur bloß vertragsärztlichen Pflicht, AU-Bescheinigungen zeitlich nach den AU-Richtlinie einzugrenzen, vgl. BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 RdNr. 25 mwN). Entsprechendes gilt für die Art und Weise der ärztlichen AU-Feststellung. Sie erfüllt auch dann die Voraussetzungen des § 46 S 1 Nr. 2 SGB V, wenn sie nicht auf dem durch § 5 Abs. 1 oder § 6 Abs. 1 AU-Richtlinie dafür vorgesehenen Vordruck (Muster Nr. 1 bzw. 17) erfolgt.

Die Krankenkasse ist zwar zur Beendigung von Krankengeld-Zahlungen vor Ablauf ärztlich bescheinigter AU befugt. Denn der erkennende Senat misst dem Attest mit der ärztlichen Feststellung der AU lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme bei. Sie bildet eine Grundlage für den über den Krankengeld-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der KK, ohne dass KK und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (stRspr, vgl. BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 7 RdNr. 28 mwN). Die Krankenkasse kann sich insoweit aber nicht auf das Fehlen einer ärztlichen AU-Feststellung berufen, obwohl ihr eine solche Feststellung vorliegt, sie aber lediglich die Verhältnisse abweichend beurteilt.

Die Rechtsauffassung des erkennenden Senats entspricht nicht nur Wortlaut und Regelungssystem, sondern auch Entstehungsgeschichte und Regelungszweck. Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU sollen beim Krankengeld-Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten (vgl. bereits BSGE 24, 278, 279 = SozR Nr. 16 zu § 182 RVO S Aa 13 RS mwN zur Entstehungsgeschichte der im SGB V insoweit unveränderten Regelung; BSGE 26, 111, 112 = SozR Nr. 19 zu § 182 RVO S Aa 17 f; BSGE 90, 72, 81 = SozR 3-2500 § 44 Nr. 10 S 39). Dementsprechend ist grundsätzlich für die Beurteilung der AU der versicherungsrechtliche Status des Betroffenen im Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung maßgebend (stRspr vgl. z. B. BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 12 RdNr. 13; BSG SozR 4-2500 § 44 Nr. 14 RdNr. 21; Brandts in Kasseler Komm, Stand 01.12.2011, § 44 SGB V RdNr. 3, 6). Als Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternimmt, um die mögliche AU feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren. Deshalb kann z. B. grundsätzlich ein Versicherter, der das Ende der bescheinigten AU akzeptiert und über Monate hinweg Leistungen wegen Arbeitslosigkeit bezieht, die er bei AU nicht hätte erhalten dürfen, nicht mehr mit der nachträglichen Behauptung gehört werden, er sei in der gesamten Zeit zu Unrecht als arbeitslos statt – richtigerweise – als arbeitsunfähig behandelt worden (vgl. BSGE 90, 72, 83 = SozR 3-2500 § 44 Nr. 10 S 41; zum Ganzen BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 1, RdNr. 16 mwN). Missbrauch und praktische Schwierigkeiten stehen dagegen nicht in Rede, wenn die KK – wie hier die Beklagte – pflichtgemäß (§ 275 SGB V) eine AU-Bescheinigung überprüft und der bescheinigten Beurteilung dann nicht folgt.

In Einklang...

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