Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Partner. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Vermutungsregelung

 

Leitsatz (amtlich)

Für den Willen, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (Einstandswillen), gibt es Tatbestände, die eine gesetzliche Vermutung hierfür begründen. Diese Vermutung kann durch weitere Indizien bekräftigt werden. Entgegenstehende Erklärungen, die Betroffene in Kenntnis der Rechtsfolgen einer eheähnlichen Gemeinschaft abgeben, haben eine geringere Beweiskraft.

 

Orientierungssatz

Einzelfall zur Annahme des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende.

 

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 23. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Arbeitslosengeld II für die Zeit ab März 2016. Strittig ist insbesondere, ob der Antragsteller in eheähnlicher Gemeinschaft mit Frau B. (künftig F.) lebt und deshalb deren Einkommen/Vermögen bei der Hilfebedürftigkeit anzurechnen ist.

Der 1962 geborene Antragsteller war bis 2011 als Unternehmensberater selbstständig erwerbstätig. Von 21.11.2011 bis 16.03.2015 war er inhaftiert, nach seinen Angaben wegen Steuerhinterziehung.

Bereits Anfang 2006 lernte der Antragsteller nach einer Partnerschaftsanzeige Frau F. (geboren 1963) kennen. In der Folge kam es nach Angaben des Antragstellers und von Frau F. zu gelegentlichen Treffen, nicht jedoch zu einer dauerhaften Beziehung. Während der Haftdauer besuchte Frau F. den Antragsteller jeden Monat in der Haftanstalt. Bei seiner Entlassung erhielt der Antragsteller 2031,70 Euro, davon 1837,50 Euro Überbrückungsgeld.

Unmittelbar nach der Haftentlassung zog der Antragsteller in die Wohnung von Frau F. ein. Diese Wohnung hatte Frau F. bereits im Jahr 2005 angemietet. Die Miete beträgt im strittigen Zeitraum monatlich 820,- Euro (Kaltmiete 670,- Euro, Betriebskosten 150,- Euro). Es handelt sich um eine Zweizimmerwohnung mit 57 qm Wohnfläche. Von der Wohnungstür aus erreicht man das Wohnzimmer (Durchgangszimmer), von dem es rechts in die kleine Küche geht und links in das Schlafzimmer. Laut Nr. 1 Abs. 4 der allgemeinen Mietbedingungen zum Mietvertrag darf Frau F. die Mieträume ganz oder teilweise nur mit vorher eingeholter Zustimmung des Vermieters untervermieten.

Nachdem der Antragsteller in der JVA versicherungspflichtig gearbeitet hatte, beantragte er Arbeitslosengeld nach SGB III. Der Antrag wurde abgelehnt, weil die Anwartschaftszeit von mindestens 360 Kalendertagen knapp nicht erreicht wurde. Das dagegen gerichtete Eilverfahren blieb erfolglos (Bay LSG Beschluss vom 03.08.2015, L 9 AL 151/15 B ER).

Am 27.05.2015 verkaufte der Antragsteller zwei Armbanduhren zum Preis von 2.800,- bzw. 1.550,- Euro.

Am 21.03.2016 beantragte der Antragsteller Arbeitslosengeld II beim Antragsgegner. Dabei trug er vor, dass es einen mündlichen Untermietvertrag gebe und geplant gewesen sei, dass er sich mit Arbeitslosengeld nach SGB III zur Hälfte an den Mietkosten beteilige und seinen Lebensunterhalt selber finanziere. Nachdem er nunmehr dieses Arbeitslosengeld nicht erhalte, lehne Frau F. jegliche weitere Zahlungen für ihn ab und bestehe nunmehr darauf, dass er rückwirkend zum 01.01.2016 die Hälfte der Mietkosten zahle und sich baldmöglichst eine eigene Wohnung suche. Im Fragebogen zur Partnerschaft teilte der Antragsteller mit, dass hin und wieder Mahlzeiten gemeinsam zubereitet werden. Haushaltsgeräte/Geschirr gemeinsam benutzt werde, beide Personen für die Reinigung der Wohnung sorgen würden und keine Verfügungsmacht über Konten/Einkommen/Vermögensgegenstände des anderen bestehe.

Am 05.04.2016 erfolgte ein unangemeldeter Hausbesuch. Dabei wurde laut Protokoll Folgendes festgestellt: Im Schlafzimmer gab es eine große Doppelbettdecke und zwei Kopfkissen. Auf der Couch im Wohnzimmer - laut Antragsteller seine Schlafstätte - war weder Kissen noch Bettzeug vorhanden. Der Antragsteller habe auch kein Bettzeug für die Couch finden können. Im Wohnzimmer und im Schlafzimmer würden mehrere Bilder hängen, die auf eine Partnerschaft hindeuten würden, etwa Bilder auf denen sich der Antragsteller und Frau F. umarmen. Die Kleidung des Antragstellers und die Kleidung von Frau F. hingen im selben Schlafzimmerschrank, allerdings getrennt. Im Wohnzimmer befand sich kein Schrank.

Mit Schreiben vom 19.05.2016 forderte der Antragsgegner von Frau F. gemäß § 60 SGB II Auskunft über ihr Einkommen und Vermögen. Der Antragsgegner gehe davon aus, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliege. Frau F. bestritt dies umgehend. Es bestehe lediglich eine Wohngemeinschaft. Der Hausbesuch sei gegen ihren Willen erfolgt. Wenn kein Arbeitslosengeld II gezahlt werde, werde sie darauf bestehen, dass der Antragsteller umgehend die Wohnung verlasse.

Mit Bescheid vom 03.06.2016 lehnte der ...

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